Nicolas Mahler ist einer der großen Meister der Einfachheit. Anscheinend vollkommen mühelos lösen seine Bilder den Widerspruch zwischen Comics und Kunst auf, der aber vielleicht sowieso nur in einer Anzahl von Köpfen steckt. Nachdem er die berühmten Werke von Thomas Bernhard und Robert Musil übertragen hat, die sich (unter anderem) durch ihre Unübertragbarkeit auszeichneten, legt er nun mit „Franz Kafkas nonstop Lachmaschine“ seine, nun ja, Reflexionen über Comic und Literatur vor. Das ist einerseits saukomisch und andrerseits durchaus erhellend, doch doch.
Unter anderem geht es dabei auch um die Lebens- und Überlebensfähigkeit des zeitgenössischen Comic-Künstlers. Wer sich ein bisschen in der Szene auskennt, weiß, wie reich an prekären, grotesken und sonderbaren Ereignissen und oft auch Nicht-Ereignissen das Leben mit dem Zeichenstift sein kann. Wer ist dieser Nicolas Mahler? Jedenfalls nicht gerade einer, der mit spektakulären öffentlichen Auftritten Aufmerksamkeitspunkte sammelt. Eher einer, dem man am besten in seiner Arbeit selbst begegnet.
„Mir fehlt der Blick für das Große“, gibt er im Interview mit dem Rolling Stone zu Protokoll, das münzt sich gern auf sein Leben wie aber auch auf sein Werk: Da ist einer so genau und unerbittlich im Beobachten von Details, dass er natürlich etwas großen und ganzes nicht sehen kann. Aber es geht ja auch anders herum: Vielleicht ist das Große im Leben sowieso eine Riesen-Illusion, das einem hauptsächlich dazu dient, die grotesken Details nicht zu sehen. Der Trick beim Bernhardschen „Weltverbesserer“ (der ja selber schon böse und komisch ist) besteht zum Beispiel darin, dass Mahler den Text nahezu wörtlich bzw. bildlich nimmt. Trotzdem passiert etwas Seltsames bei den beiden großen (übrigens bei Suhrkamp erschienenen) Literatur-Adaptionen: Man hat bei Mahler mehr Mitleid mit den Figuren als in den Romanen. Und wenn man ihn auch den „Existentialisten des Humors“ nennt (3sat), so darf man doch nicht übersehen, wie zärtlich er seine Figuren anpackt. Es ist schrecklich, es ist komisch, es ist schrecklich komisch, aber es ist nie zynisch; bei Mahler muss man zwar über manche Figuren lachen (auch solche, die ihren Ursprung offensichtlich in der Wirklichkeit haben), aber das Lachen ist nie ein hämisches, oder schadenfrohes. Komisch sind gar nicht die Menschen, sondern das, was zwischen ihnen geschieht, oder eben, noch komischer, nicht geschieht.
In seinen Roman-Adaptionen also geht es um die Details, und das Große können wir uns dazu denken, oder vielleicht ist es auch hier nur eine Illusion, viel wichtiger ist es, dass die Sache unabgeschlossen ist. Deshalb sind Mahlers Pointen, wenn man das überhaupt so nennen kann, nie Schlusspunkte, wie man das gewöhnt ist, „Auflösungen“ oder Umkehrungen usw., sondern es handelt sich um das genaue Gegenteil, die kleinen Geschichten enden in unerwarteten Weiterungen, im Kosmischen meinetwegen. Versuchen Sie einmal eine Geschichte zu erzählen, die mit einer Pause endet.
„Ich stehe mit einem Fuß in der Comic-Szene und mit dem anderen in der Kunst“, sagt Mahler. Das bedeutet unter anderem, dass er mit den Mitteln des jeweils einen die Absurditäten der anderen Szene so genau wie komisch wiedergeben kann. Und so beschreibt er denkwürdige Begegnungen oder wunderbares Aneinander-Vorbei auf Filmfestivals und Comic-Cons, beim Cosplay ebenso wie die snobistischen (Selbst-) Inszenierungen in der Literatur- und Kunst-Szene. Nicht etwa um sie satirisch zu entlarven, du lieber Himmel, das braucht’s wirklich nicht mehr, sondern einfach weil sie so komisch sind. So philosophisch komisch, wenn man es genau nimmt.
Es ist die Konzentration auf den Augenblick und der Aufbau einer Spannung, die meistens auf gekonnte Art ins Leere geht, worin seine narrative Kunst besteht, und es ist diese Kunst mit wenigen Strichen ein Höchstmaß an Atmosphäre zu erzeugen. Von „Minimalismus“ würde ich da weniger sprechen als von der Reduktion auf das Wesentliche. Man beachte nur einmal, wie Mahler mit den Schatten seiner Figuren umgeht, um zu begreifen, dass es nicht um schiere Vereinfachung geht. Ein Kunst-Comic ist daran zu erkennen, dass durch eine bestimme Form von Strich und Komposition eine vollkommen eigene Welt entsteht, in der sich dann gewisse Dinge „wie von selbst“ entwickeln. Natürlich ist diese eigene Welt ein Widerschein der ersten, ist ja klar, aber eben nicht nur Abbildung sondern auch Reaktion darauf. Ein guter Comic gibt die Welt nicht bloß wieder, er setzt sich auch gegen sie zur Wehr.
Mahlers Held, bzw. sein gezeichnetes Ich ist nicht viel mehr als ein Strich in der Landschaft, mit einer charakteristischen Nase und einem neugierigen, bewegten Blick, den wir aber nicht wirklich sehen. Diesem Strich (schon mit Beinen darunter, und wie gesagt mit einem Schatten) begegnen andere Wesen, die meistens deutlich kleiner sind, rundlicher vor allem, weniger melancholisch auch, um es mal pathetisch zu sagen. Der Strich in der Landschaft versucht sich redlich darin, mit den anderen in eine halbwegs vernünftige Kommunikation einzutreten, aber das gelingt nicht so recht, auch wenn er sich wirklich Mühe gibt und echt keiner ist, der Streit sucht. Das liegt einerseits daran, dass die meisten Wesen in diesem modernen Kokomino hauptsächlich narzisstischen Unfug reden und sozialen Blödsinn tun, andrerseits aber auch, darin, dass das Mahler-Strich-Ich doch immer ein distanzierter Beobachter bleibt, hinter dessen äußerer Ruhe das ständige Erstaunen über den Wahnsinn dieser Welt liegt.
Mahlers erster Held war Flaschko, der Mann in der Heizdecke, eine Art Oblomow, der sich weigert, an der Welt anders Teil zu haben. Die Welt scheint ihm reduziert auf die Beziehung zu seiner Mutter und einen Fernseher. Flaschko wurde auch als Zeichentrickfilm adaptiert, und als Vorfilm zu populären Filmkomödien wie ABOUT SCHMIDT oder GHOST WORLD gezeigt, und aus dieser Adaption und den seltsamen Abenteuern im österreichischen Filmförderungswesen, die sich daraus ergaben, hat Mahler wiederum biographisches Material geschöpft.
Überhaupt ist alles bei ihm ein Work in Progress, das sich immer wieder selber kommentiert und fortsetzt. Sein Buch „Kratochvil“ zum Beispiel wurde, kongenial, wie man so sagt, in ein Puppenspiel übertragen, was sich wiederum als Reflexion im Comic wiederfindet.
Nicolas Mahler, in Wien lebend, wo er übrigens 1969 auch geboren wurde, veröffentlicht zwar in deutschen, österreichischen und schweizerischen Zeitungen und Zeitschriften, aber seine erste Adresse ist doch die französische Comic-Kultur- seine Arbeiten wurden dort bei L’Association oder L’Ampoule veröffentlicht. Natürlich „versteht“ man ihn am besten dort, wo man nicht mehr erklären muss, dass Comics nicht bloß Kunst sein können, sondern auch in einer Kunstgeschichte stehen.
Eine Reihe seiner Arbeiten funktioniert ganz ohne Worte, wie die Übertragung der großen Horrorfilm-Wesen in seiner sehr speziellen Art. Überhaupt haben bei ihm Wort und Bild eine andere Beziehung zueinander als die gewohnt geschmeidige; von Edward Gorey, so Nicolas Mahler in einem Interview mit Tom O’Shea, habe er gelernt, eine Geschichte in Wort und Bild, aber nicht unbedingt in einer Comic-Strip-Art zu erzählen. Da ist es nur konsequent, dass er jetzt Gedichte macht, die eigentlich Zeichnungen sind, oder Zeichnungen, die eigentlich Gedichte sind, wie man es nimmt. Zeichnen, wie man schreibt, und schreiben wie man zeichnet, das ist jedenfalls einer, von vielen Aspekten, über die man nachdenken kann, wenn man sich mit Nicolas Mahler beschäftigt. Natürlich kann man das auch sein lassen und sich einfach in seine Welt begeben, in der Hoffnung, irgendwann auch wieder heil heraus zu kommen.
Mahlers Figuren sind Wesen, die den Zusammenhang mit einem großen ganzen spürbar verloren haben. Darin ähneln sie verblüffend all den Helden und Heldinnen der österreichischen Literatur. Mahler setzt sie mit anderen Mitteln fort, die Musils und Roths, die Handkes und Jelineks. Und mit all diesen Literaten verbindet den Meister im übrigen, dass man ihn erst einmal für einen sehr schlecht gelaunten Menschen halten kann. Zu seinem Standardrepertoire gehören einerseits die Klagen über das Publikum in seinem eigenen Land, andrerseits die Koketterien mit der kommerziellen Erfolglosigkeit. Beides ist wohl in echt gar nicht so arg. Immerhin hat Nicolas Mahler in den letzten zehn Jahren gut dreißig Bücher herausgebracht, das soll ihm erst einmal jemand nachmachen. Drei mal hat er schon den Max und Moritz Preis gewonnen, und einen Wikipedia-Eintrag hat er auch. Aber das, was man so einen „Einzelgänger“ nennt, ist er wohl schon. („Teil einer Szene bin ich sicher nicht, vor Szenen gruselt es mich eher, in Wien kann man das ja sehr schön beobachten, es ist ekelhaft. Ich find’s angenehm, Einblick in viele Szenen zu haben, aber nicht wirklich dazuzugehören.“)
Franz Kafka, der erst einmal von einer Nachbarin mit Rolf Kauka verwechselt wird, ist der Anlass für die Reflexion des Autors darüber, wie es ist, wenn ein Comic-Autor in der „Hochkultur“ ankommt. Und wie ist es? Komisch natürlich. Aber Kafka ist natürlich immer präsent, auch in „Planet Kratochvil“, der die Abenteuer eines Büroangestellten schildert, der eines Tages in einer sehr sonderbaren Welt erwacht.
Ein wunderbares sechs-Panel-Stück aus „Kratochvil“ würde auch ohne die Zeichnungen die komische Tragödie beschreiben, die im Mahler-Universum der Dauerzustand ist:
Dunkle Wolken ziehen auf
Ein Blitz entlädt sich in Kratochvils Körper
Regenschauer löschen die Glut
Wind bläst über Kratochvil
Natur, das volle Programm.
Dabei bleibt der rundliche Held mit seiner Aktentasche unbeirrt, er geht einfach weiter. Was sollte er auch sonst machen?
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen in Alfonz 3/2014
Hier geht es zum Verlag für Graphische Literatur EDITION ALFONS
Bild oben: VIS – Vienna Independent Shorts 2014 Stadtkino Künstlerhaus Nicolas Mahler, CC BY-SA 3.0, Manfred Werner – Tsui – Eigenes Werk
MEHR INFORMATIONEN
Kurzfilme von Nicolas Mahler: auf arte.tv
Bücher von Nicolas Mahler: auf amazon
zur website von Nicolas Mahler: mahlermuseum.at
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