Der Hype – wie er entsteht, wem er nützt, was er bewirkt
Der Hype, so geht das los, ist die popkulturelle Abbildung einer Hyperbel. Diese bezeichnet entweder, leicht gesagt, eine ÜBERTREIBUNG. Oder aber einen KEGELSCHNITT mit gewissen Eigenschaften, zu denen eine EXZENTRIZITÄT gehört, das ist das Maß für die Abweichung von einer normalen Kreisform. Wir können uns also unter einem Hype eine übertriebene Anpreisung auf dem Markt der Waren und Zeichen vorstellen, die freilich nur funktioniert, weil sie auf eine genau so übertriebene Erwartungshaltung zu treffen hoffen kann, oder aber die exzentrische Bewegung zweier unendlicher Linien, ein unmögliches, verzerrtes und reichlich kompliziertes Kommunizieren um gewisse BRENNPUNKTE herum. Als Beispiel für den Gebrauch des Hype in der Umgangssprache findet sich im Wiktionary indes: „Es ist momentan der volle Hype Socken ohne Löcher zu tragen.“ Echt jetzt.
Der Hype ist ein großes Versprechen. Er verspricht den Anbietern schnellen und großen Profit, vollkommen unabhängig vom „realen“ Wert der Ware, die sie auf den Markt bringen. Er verspricht den Adressaten schnelle und nachhaltige Erfüllung ihrer Wünsche, eine Erlösung, die kaum etwas mit dem realen Wert der Ware zu tun hat. Und der Hype verspricht den Vermittlern, den Werbefuzzis, den Journalisten, den Trendforschern und Trendsettern, den role models und Promis, den Kritikern und Kolumnisten einen mächtigen Kompetenzzuwachs. Am Ende geht es beim Hype darum, etwas zu verkaufen, schon richtig. Aber zwischendurch kommt es zu einem Austausch von Energien, Macht und Bildern, die keiner der beteiligten Parteien vollständig kontrollieren kann.
In einer Gesellschaft, in der sich die Beziehungen vorwiegend über den Markt definieren, wird der Hype (nebst Anti- oder Gegenhype) zum primären Kommunikationsmittel. Alles kann Hype-Objekt werden, eine neue Band, ein technologisches Wunderwerk, ein Getränk, ein Film, eine Partei, ein Club, ein Fingernagel-Design, und alle Kommunikation kann Elemente des Hype aufnehmen, jede Kritik, jede Debatte, jede Show, jede Vorlesung, jedes Gerücht, jeder Tweet. Trotzdem wäre es wohl falsch, zu behaupten, der Hype wäre das vorwiegende Medium der Verständigung auf dem Markt. Im Gegenteil: Nachhaltige und stabile Absatzzahlen erzielen eher Angebote, die ohne Hype auskommen, die sich als Selbstverständlichkeiten in den Alltag einschreiben, wie gewisse Outdoor-Markenkleidungen, wie die Mehrzahl der entries auf der deutschen Hitparade, wie die Promis im deutschen Fernsehen, wie Ferienreisen nach Kroatien. Nur ein Bruchteil der Marketingkonzepte beruht auf dem Hype-Prinzip, was uns, trotz der Allgegenwärtigkeit des Hype zu dem Verdacht führt, der Hype sei eher ein krisenhaftes Geschehen auf dem Schnittfeld von Ökonomie und Kultur als „normales“ Gleitmittel des Warentauschs. Hypes nämlich sind Spekulationen auf einen Riesengewinn, die sich für alle Beteiligten auch als tückisch erweisen können. Und dann verlieren die Anbieter mehr als nur das eingesetzte Hype-Kapital, die Vermittler verlieren mehr als ihre Glaubwürdigkeit und die Adressaten verlieren mehr als ihre Illusionen. Aber selbst der gelungene Hype ist noch kein Grund zum Jubel, da der gehypte Gegenstand zwar einen Aufmerksamkeitsflash erzielte, sich damit aber noch lange nicht etablierte. Der Hype ist nicht nur ein Versprechen, sondern auch ein Erwartungsdruck, wovon jede gehypte Band in der Tat ein Lied singen kann. Die drei Beteiligten des Hype, Anbieter, Vermittler und Adressaten, erleben nämlich im Hype einen gemeinsamen Rausch, aber das ändert nichts daran, dass sie insgesamt mindestens so sehr wie Komplizen auch Gegner sind.
„Der Markt“, das ist mehr oder weniger unser Leben, unsere Kultur, unsere Welt. Einerseits ein fades Kaufen und Verkaufen, Handeln nach Angebot und Nachfrage, Aufpeppen und Fälschen, Reklame und Auslage. Man muss das durchschauen, man muss sich wehren und einerseits ein paar Nischen finden, in denen es ein echtes Leben neben dem Markt gibt, und andererseits muss man sich doch vom Markt genau das holen, was einem gut tut. Das muss man lernen, und Leute, die es nicht lernen sind gefährlich und gefährdet, wie die Kids, die böse und krank werden, wenn sie nicht die richtigen Turnschuhe bekommen, trostlose shopaholics oder gierige Verschlinger von Lifesytyle, Promi- und Fernsehmagazinen. Der Mensch ist ein Opfer des Marktes, der eine mehr der andere weniger. So ist das nun mal.
Andrerseits ist der Markt ein hochkompliziertes und irrationales Geschehen, in dem die verschiedensten Interessen aufeinandertreffen und sich unheimlich spannende Sachen tun. Den Kapitalismus könnte man knicken, wenn es nur um Ausbeutung und glänzende Waren und Entfremdung und all den Scheiß ginge. Aber der Markt ist eben nicht nur eine gesellschaftliche Organisation, durch die, was menschliche Produktivkraft vermag, tückisch ungerecht verteilt wird, sondern er ist auch ein Spektakel. Eines, das Sinn produziert, und Narrative, Dramaturgien und Visionen.
In dieser ewig laufenden Show gibt es ruhigere Passagen und dramatischere Ereignisse, Abkühlungen, Erhitzungen, Explosionen. Es wird uns etwas angeboten, das wir dringend kaufen sollen. Aber wir können ja gar nicht alles kaufen, wir wollen auch gar nicht alles kaufen. Richtig zwingen können uns die Anbieter nicht, etwas zu kaufen, was wir nicht brauchen. Aber da geht es schon los: Was wir brauchen ist eine Sache von Empfindungen, Verhandlungen, Kommunikationen, von Fiktionen, Ängsten, Begierden. Auf dem Markt werden wir angesprochen, bis in die tiefsten Tiefen der inneren Regionen, wir sind Opfer und Täter, Menschen die sollen und Menschen die wollen. Und so gehen wir auf den Markt zu einem Kampf um uns selber. Der Hype ist der plot point, der Augenblick, in dem man sich fühlt, in dem sich Angebot und Nachfrage wie zwei rasende Geliebte oder wie zwei Sumoringer begegnen.
Die Anbieter der Waren und die Adressaten müssen miteinander kommunizieren. Darin steckt Gewalt, darin steckt Verführung, darin steckt Drohung, darin streckt der Bruch und die Verbindung. Ich weiß was du willst, und du kriegst es. Ich weiss was ich will, und ich krieg es. Nie, niemals ist das, was ich kriege, wirklich was ich will. Nie, niemals ist das was ich will, was ich kriege. Ich gehe mit dem Begehren auf den Markt, und ich weiß, dass ich enttäuscht werde. Der Markt ist nämlich in Wirklichkeit nicht das Leben.
Der Markt ist allerdings alles, was der Fall ist. Ein Hype entsteht, wenn sich einerseits die Anstrengungen eines Anbieters (einer Ware, einer Idee, einer Performance, einer Verhaltensweise, einer Partei etc.) andrerseits die Energien der Adressaten wechselseitig verstärken, so dass aus kontrollierter Markt-Manipulation und unkontrolliertem Begehren ein Geschehen entsteht, das nicht nur das begehrte Objekt, sondern das Leben der Adressaten selber meint.
Die Voraussetzungen für den Hype sind:
Utopischer Gehalt: Das Objekt des Hype ist mehr als das Ding. Es verspricht Lösungen für existentielle Probleme. Es wird mir helfen, bislang unüberbrückbare Abgründe in meiner Biographie zu überwinden. Es wird Teil meiner selbst werden.
Praxisnutzen: Das gehypte Ding oder die Idee sind in das Alltagsleben einzubauen und verändern, mindestens für eine Zeit, den Alltag selber. Das gehypte Ding ist zugleich ein soziales Instrument. Es füllt eine Lücke (auch wenn ich vorher nicht wusste, dass da eine war).
Innovation: Irgendwas am gehypten Ding war noch nie da, verspricht einen Schritt in die Zukunft, nimmt uns im Fortschritt mit.
Flache Verbindlichkeit: Das Objekt des Hype ist nicht kategorial, es gibt ganz unterschiedliche Tiefen der Identifikation und des Engagements. Den Hype kann man auch „ganz am Rande“ mitmachen.
Erwerbbarkeit: Man muss das Objekt des Hype kaufen können oder auf andere Weise aneignen (wie durch ein Kreuz auf dem Wahlschein). Es darf sich nie auf reine Metaphysik oder reine Ideologie beziehen.
Distinktion: Das gehypte Objekt muss mir nicht nur Identifikation versprechen, sondern auch einen Distinktionsgewinn. Irgendjemanden oder irgendetwas muss das gehypte Ding immer auch verachten, irgendwas oder irgendjemand ist auch „Feind“ des Hype (und wenn es ihn nicht gibt, dann erfindet man diesen Feind).
Narrativ: Der Erwerb des gehypten Dinges muss mit gewissen Mühen und Konflikten behaftet sein. Man kriegt es nicht, man muss es sich holen. Das gehypte Ding ist die Belohnung dafür, dass man die Mühen auf sich genommen hat, es zu erwerben. Eine Schlange vor dem Kino oder vor dem Apple-Store kann gar nicht lang genug sein; das meiste, was im normalen Leben als lästig oder frustig angesehen wird, wird durch den Hype heilig und lustvoll.
Leichte Transzendenz: Das Hype-Objekt ist eines, das zumindest das Potential zu einem Kult-Objekt in sich hat. Nicht nur durch seine Erwartungs- und Erlösungsdramaturgie nimmt es religiöse Züge an. Es hat die Form einer Erscheinung.
Man könnte diese Zuschreibungen noch ein wenig fortsetzen, vor allem in Bezug auf die äußeren Umstände: Ein Hype funktioniert ja nur, wenn das richtige Objekt zum richtigen Zeitpunkt erscheint, und auch dieser richtige Zeitpunkt ist zugleich Teil komplizierter Beobachtungen und Berechnungen durch die Marktexperten, und behält einen Teil Unberechenbarkeit, ja Irrationalität. Der Hype ist mittlerweile in der Tat im Zustand seiner wissenschaftlichen Berechnung, jedenfalls was seine Rolle bei den Einführungen neuer Technologien (vorwiegend digitaler Art) anbelangt. Jackie Fenn führte in ihrer Untersuchung „The Microsoft System Software Hype Cycle Strikes Again“ 1995 den Begriff des Hype-Zyklus ein, die sich einerseits als „Aufmerksamkeitskurve“ in einem Diagramm darstellen lässt (wobei wir gewiss ein wenig Schwierigkeit mit der Quantifizierung von „Aufmerksamkeit“ haben: hier benutzt man die Anzahl von Artikeln und Sendungen, die Häufigkeit der Klicks und Likes, die Nachfrage nach Informationen etc.), andrerseits aber als ein Drama in fünf Akten:
Die Auslösung: Das neue Produkt wird vorgestellt, zunächst als Projekt einer Problemlösung, als Sensation in der Fachwelt und als Echo in den Kreisen der Szene der Prosumer. Die Erwartung steigt, indem immer mehr kleine Informationspartikel verstreut werden, gerne auch in der Form von Gerüchten und manipulierten Indiskretionen.
Der „Gipfel der überzogenen Erwartungen“: Die Berichte, Gerüchte und Meinungen haben ein solches Ausmaß angenommen, dass Erwartung und Enthusiasmus eine Überschussenergie erzeugten. Jetzt muss das Ding einfach her. (Und wenn es jetzt nicht kommt, war der Aufwand umsonst. Eine ziemlich todsichere Katastrophe erzeugt man, indem man genau an diesem Zeitpunkt die Erscheinung des Hype-Objekts – einen Film, ein Konzert, eine Spielkonsole, eine „politische Entscheidung“ etc. – verschiebt.)
Das „Tal der Enttäuschung“: Der kritische Punkt ist erreicht, wenn das „gehypte“ Produkt endlich auf den Markt kommt und die überzogenen Erwartungen gar nicht erfüllen kann. Nun wechselt die Verantwortung für den Hype von den ursprünglichen Erzeugern über die Vermittler und „Trittbrettfahrer“ zu den Adressaten. Die Vermittler müssen erklären, dass das gehypte Ding doch so toll ist, wie es versprochen und erwartet wurde. Das ist manchmal gar nicht so einfach. Die Konsumenten versammeln sich um das Objekt des Hype um es gegen die Kräfte der Enttäuschung und der Kritik zu verteidigen. Entweder ist ihr Enthusiasmus tatsächlich groß genug, um das Tal der Enttäuschung zu überstehen, oder aber sie müssen ihre Enttäuschung verdrängen. Wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nachlässt, übernehmen sie es (zum Beispiel in Internet und sozialen Medien) sie wieder anzuheizen (oder zu simulieren).
Was Fenn den „Pfad der Erleuchtung“ nennt, ist nun der Weg einer Konsolidierung. An die Stelle des Enthusiasmus tritt eine Kennerschaft. Das gehypte Objekt lagert sich als notwendiger Teil der kulturellen Identität und des medialen Alltags ab. Auf die große Erwartung und die (hysterische) Verteidigung (Geburt) des Dings, folgt eine scheinbar sachlichere Bewertung. Auf gar keinen Fall darf man zugeben, dass man als Vermittler eine Fehleinschätzung vornahm, oder als Konsument einen Fehlkauf tätigte. Das gehypte Ding muss entweder in den Rang der selbstverständlichen Gebrauchs übergehen, oder in ein Kult-Objekt verwandelt werden. Man kann sich ein Leben ohne das gehypte Ding gar nicht mehr vorstellen (und das auch, wenn man durch ein Tal der Enttäuschung gehen musste). So sammelt der vierte Akt der Hype-Dramaturgie die Nachzügler und Zögerer ein, da aus der Hysterie Konformität geworden ist. Dieser vierte Akt ist auch insofern dringend notwendig, weil er die negativen Energien der Enttäuschung so vollständig als möglich überdeckt. (Es ist übrigens, in den technischen Innovationszyklen auch eine Phase der möglichen Korrekturen und kleinen Updates.) Die Aufmerksamkeit etwa in Form der Berichterstattung und des Medienechos flaut in dieser Phase natürlich ab, aber zur gleichen Zeit wird der Gegenstand des Hype zu einer „kennerischen“ Referenzgröße. Ob man es toll findet oder nicht, man kann es sich nicht leisten, diesen Gegenstand des Hype zu ignorieren.
Das „Plateau der Produktivität“ ist erreicht, wenn das technische Ding allgemein als Mittel der Lebensverbesserung und der Kommunikation eingesetzt wird. Was den Pop-Sektor anbelangt könnte man wohl von einer semantischen Akzeptanz oder von einer kommunikativen Produktivität sprechen. Das Objekt des Hype ist jetzt ein Teil der Kultur geworden, das nach Ausweitung verlangt, die sozusagen von selber funktioniert und keines neuen Hypes bedarf. Das Objekt des Hype bekommt Fortsetzungen, Nachahmer, Spin-Offs, im „besten“ Fall wird aus dem Hype ein Genre. Dann breitet sich eine Ruhe aus, in der sich langsam aber ziemlich sicher die Erwartung des nächsten Hypes aufbaut.
Einflüsse auf den Hype können durch weitere Elemente genommen werden, die freilich nicht unriskant sind. Dazu gehören zum Beispiel:
Der Wettbewerb: Die erste Phase und die zweite Phase werden angeheizt durch die Präsentation miteinander konkurrierender Objekte des Hype. Im günstigsten Falle können sich beide durchsetzen (die Beatles und die Rolling Stones) im weniger günstigen Fall setzt sich eines durch (VHS als Standard für das audiovisuelle Heimsystem) und im allerungünstigsten Fall vermasseln sich die beiden Objekte gegenseitig den Hype (wie zwei Super-Filme zum Columbus-Jahr, oder zwei Filme, in denen das Weiße Haus angegriffen wird).
Der Partialhype: Er wird auf sehr überschaubaren und berechenbaren Szenen durchgeführt. Einen Hype unter Bierdosensammlern zu erzeugen scheint zweifellos Der Kreis der Adressaten ist unter Umständen so klein, dass der Hype, obwohl durch diese Überschaubarkeit durchaus gelingend, seinen eigenen Aufwand nicht wert ist. Freilich kann die Erzeugung von Partialhypes auch als Experimentierfeld und Avantgarde eingesetzt werden.
Der Königsmord-Hype: Ein Objekt, eine Idee, eine Person werden gehypt, indem sie als Alternativen, Fortsetzungen oder Ablösungen eines vorherigen Hypes inszeniert werden. Diese Form des Hype setzt eine gewisse Disposition zur Aggressivität voraus; wie beim Wettbewerbshype ist auch beim Königsmord-Hype der Ausgang ungewiss.
Hypes sind mithin ein prekäres Geschehen, für alle drei Beteiligten, die Produzenten (von Waren, Performances, Ideen oder Programmen), die Vermittler (die Journalisten, zum Beispiel, die entscheiden müssen, ob sie auf einen Hype-Zug aufspringen oder nicht, und in welcher Art sie das machen: Super-Enthusiasmus oder skeptischer Meta-Kommentar –aber doch dabei, nicht wahr), und die Adressaten (die, unter Umständen, einen Hype-Versuch unbarmherzig ins Leere laufen lassen können).
An den plot points eines Hype-Dramaturgies gibt es Übersprungshandlungen, die fatal ausgehen können: die völlige Verblödung auf der einen Seite, ein Riesenverlust statt des schnellen Profits auf der anderen Seite. Denn in einem Hype wird zwar erhebliches an Anschub-Energie vom Apparat selber investiert und selten etwas unterlassen, was den Ausgang im eigenen Interesse manipuliert, aber auch der Hype unterliegt einem Enthropie-Gesetz. Der Hype konzentriert Energien (und in der Tat holt er sie sich aus allen Winkeln des Lebens), aber er kann sie nicht beliebig erzeugen. Und eine Folge des Hypes ist nicht nur die Mühe der Bearbeitungen im Tal der Ernüchterungen, sondern auch eine generelle Erschöpfung. Der Hype schafft auf dem Markt Möglichkeiten der blitzraschen Vereinigung von Angebot und Nachfrage, die gewiss mehr Profit generiert als der gewöhnliche Konsum, aber er zieht sie zur gleichen Zeit von anderen Stellen des Marktes ab. Und nicht nur ökonomisch sondern eben auch kulturell schafft der Hype neben seinen Gewinnern (bei allen drei Beteiligten) auch die Verlierer. In einer Kultur des Hype müssen die Konsumenten, so intensiv sie den Markt als Sinnmaschine auch erspüren mögen, zunehmend blind, taub, und stumm werden. Wahrnehmung hat sich in Aufmerksamkeit verwandelt, Erfahrung in Hype-Zyklen. Darum sind Anti-Hype-Bewegungen keinesfalls allein Sache von Kulturpessimisten und Antikapitalisten, sie sind auch Selbstschutzmaßnahmen für Kulturen und Subkulturen.
Es ist noch nicht so lange her, da wurde der Begriff Hype fast ausschließlich im negativen Sinne einer „übertriebenen“ Beeinflussung des Konsums durch die (Kultur-) Industrie und ihre Vermittler benutzt. Den Hype galt es immer zuerst einmal zu durchschauen und dann abzulehnen. Allenfalls in den aufgekratztesten und besinnungslosesten Arealen der Unterhaltungskultur begann man mit einer positiven Notation. Der Unterschied zwischen den Hypes und dem Hippen wurde minimalisiert. Wenigstens ironisch machten sich dann die ersten DJs den Begriff zueigen, und mittlerweile ist im Prosumenten-Sprech der Hype etwas durchaus positives: Es gibt eine Musiksuchfunktion mit Namen „Hype Machine“, ein Management namens Hypeinnovation, ein Mac-Ap, einen Energy Drink ein „Hype Magazine“, eine Modelinie, eine Werbe-Agentur undsoweiter undsofort. In einer Kultur des Hype zu leben, macht offensichtlich immer weniger Menschen etwas aus. Einen Hype zu verpassen scheint schlimmer als von einem Hype verarscht zu werden.
Mit dieser allgemeinen Akzeptanz freilich verliert der Hype auch seine ursprüngliche dramatische Energie. Ein archaisches und dramatisches Geschehen zwischen Markt und Konsumenten, zwischen Ökonomie und Kultur ist in einer Welt kaum noch so zu bezeichnen, wo jeder Furz, den ein Werbefuzzi lässt, schon ein Hype sein soll, wo ein großer Kinofilm formelhaft nach den Hype-Zyklus-Regeln in die Kinos gebracht wird, und wo man zwischen einem Interesse und einem Hype nur noch unscharf unterscheiden kann, da ist das Paradoxon perfekt: Das Mittel, mit dem der Markt seine Alltagsroutine überschreiten wollte, ist selber zur Alltagsroutinen geworden.
Georg Seeßlen, Jungle World 28/13
MEHR INFORMATIONEN:
Wie entstehen Hypes? Mechanismen der Filmkritik
Eine in Zusammenarbeit mit dem Verband der deutschen Filmkritik organisierte Debatte zwischen Bert Rebhandl und Georg Seeßlen, mit einer Einführung von Frédéric Jaeger
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