Eine politische Bildbetrachtung

(Ein Foto, auf dem sich Kai Diekmann und Philipp Rösler umarmen: siehe hier)

I

Zwischen Demokratie und Postdemokratie ereignet sich etwas, was wir als Meta-Demokratie bezeichnen könnten: Ein Medienspiel, in dem es nicht mehr um das Aushandeln und Einhalten von Regeln der Macht geht, sondern darum, dass sich Regierende und Regierte, Steuernde und Besteuerte gegenseitig ziemlich vollkommen durchschauen. Die politische Abklärung als geistige Parallelbewegung der Meta-Demokratie interessiert sich nicht mehr so sehr für Werte, Ziele und Interessen als vielmehr für die Techniken von Manipulation und Macht. Der Dauerwahlkampf wird als performatives Angebot kritisiert, das eher den Regeln der Unterhaltungsindustrie als denen von Diskurs und Debatte gehorcht. Wir wissen, dass du weißt, dass wir wissen, dass du spielst, dass du lügst, dass du eine Fiktion erzeugst, und du weißt, wie sehr wir das genießen… Aber wir, das Volk, wir haben ein Recht darauf, dass dieses Spiel immerhin noch „uns zuliebe“ aufgeführt wird.

In der journalistischen Abteilung der Meta-Demokratie werden daher die Noten für Haltung, für Pflicht und Kür, für Wirkung und Schauspiel vergeben. Man liest eher die Inhalte symbolischer Politik als dass irgendjemand noch beim Wort genommen würde. Wir haben die Freiheit, die Bilder eines Auftritts von Reiner Brüderle, nur zum Beispiel, als halbtrunkene Büttenreden von beklagenswert provinziellem Niveau oder aber als taktisch geschickte Emotionalisierung schierer Macht- und Geldgier aufzufassen. Meta-Demokratie zeigt sich in ihrer Abgründigkeit ausgerechnet an der jüngeren Geschichte jener Partei, die sich als einzige unmaskiert dem Kapital und seinen Agenten unterstellt, der FDP, deren Vertreter bemerkenswert psychotisch mit ihrer Medialisierung umgehen, mal als Protagonisten einer „Spaßpartei“, mal in der Form der Musterknaben, die genau das tun wollen, was sie nicht können, eben populistische Vitalität zu simulieren. Die Einheit von Machen und Darstellen in der Politik bricht in den Protagonisten dieser Partei unentwegt auseinander, und auch damit wird die FDP die ehrlichste Partei der Meta-Partei. Aber danken wir es ihnen?

II

Silicon Valley ist ein paradoxer Zustand: Der Ort, an dem fieberhaft an der Entortung der Welt gearbeitet wird. Passend dazu die Kulte der „Oberflächen“ und der Fiktionalisierung. Hier ist auch ein Sprung in den Pool eine performative Leistung und kein Ausdruck von Spaß an Abkühlung. Und das geeignete Mittel, sich der Wirklichkeit und des Körpers zu versichern sind Coke, Sex und Joggen bis an den Rand des Herzinfarkts.

Kai Diekmann ist ein paradoxer Zustand: Mastermind im niederträchtigsten, regressivsten und reaktionärsten Medium des deutschen Mainstream, verkauft er sich als modernaire, coole Boomtown-Ratte. Ein Kerl fürs Grobe, der „auf Augenhöhe“ mit seiner Zeit ist, der bullig-erfolgreiche Sohn der verhärmten Bildleser-Familie, einer der verkauft, was er vielleicht nicht braucht, was er aber gut kennt.

Philip Rösler ist ein paradoxer Zustand: Der Boyscout des verschärften Neoliberalismus, der so gern über seinen christlichen Glauben und sein gesegnetes familiäres Daheim spricht, der Musterknabe, der statt eines Raufboldes als Freund nur einen Saufbold als Rivalen bekommen hat, der immer vorlaut und schutzbedürftig zugleich wirkt. Einer, der verkaufen will, was er ist,  aber nicht recht weiß, wie man das macht.

Die drei paradoxen Zustände sind in einem mittlerweile schon wieder ikonisch gewordenen Nachrichtenbild zusammenkomponiert, das nur scheinbar leicht zu lesen ist: Der Pressemensch in fröhlicher Umarmung mit dem Wirtschaftsminister (so viel zum Thema politisch-journalistische Korrumpeligkeit), die wohl nur an diesem Un-Ort der Welt so ausgelassen und performativ ihren, nun ja, Gefühlen freien Lauf lassen konnten. Rösler, so scheint’s, hat endliche einen großen Bruder gefunden, und hier, im sonnigen Kalifornien dürfen sie herzlich genug sein: In der Geisterstadt der digitalen Moderne.

Welche Opposition, welche Kritik hätte noch Chancen gegen

die Verbrüderung von Politik und Journalismus

im Zeichen von Apple, Google & Facebook?

Silicon Valley öffnet sich mittlerweile den politischen Touristen dieser Art, weil es längst nicht mehr ist, was es war. Die Maske vor dem Un-Ort offenbart schon nostalgische Schäbigkeit. Aus dem Ort der Entortlichung, bei dem so viele wichtige Leute und Ideen unterwegs sind, ist schon ein Unort geworden. Wer hier noch Großes sucht, der hat es vermutlich schon wieder verpasst.

III

Aber nein! Hier werden doch immer noch Bilder erzeugt. Der Bild-Macher will, wie man so sagt, sich hier „neu erfinden“, in einem Jahr in der Niemandsbucht. Hier am richtigen Unort will (und muss) er wohl ein Signal finden und setzen, wie in Hinkunft mit „Journalismus“ im Netz Geld zu verdienen sein wird. Neben den eher schrillen Bildern gelangen teilgedämpfte Statements in die Nachrichtenschleifen: Bild wird offenbar zum Vorreiter für Bezahlmodelle im Internet. Und wir können ziemlich sicher sein, dass diese Modelle Profit für die Unternehmer bringen, Autoren und Nutzer aber benachteiligen werden. Glauben wird das natürlich auch nicht so leicht jemand.

Die Umarmung bedeutet dann wohl auf der ersten Ebene, dass dieses Projekt der Wandlung der Netz-Angebote politisch begleitet und gefördert wird. Dieses Bild ist durchschaubar Inszenierung, beiden ist die Gegenwart der Fotografen wohl bewusst, und die üblichen Umstehenden begnügen sich nicht mit „guter Miene“, sie grinsen, wie man eben in Silicon Valley grinst.

Übrigens kann es, „in diesen Zeiten“, nicht ausbleiben, dass die Umarmung auch erotisch gedeutet wird: Machen Werbung für die Homoehe: Kai Diekmann und Philipp Rösler, so unterschreibt etwa der Stern das DPA-Bild, sehr komisch. Und, hey, wir sind in Kalifornien, dazu passt auch Röslers peinlicher Jogging-Anzug, mit dem er vor der Golden Gate Bridge posiert, komplett mit iPhone in der Hose und Kopfhörern im Ohr.

Das ist eine der Bilderfallen der Meta-Demokratie: Statt zum Bild wird die Simulation zur Karikatur. Und wie einst bei dem Freiherrn mit dem flott gegeelten Haar, der auf dem Broadway posierte, scheint da paradoxerweise ein Scheitern der schein-amerikanisierten deutschen Cleverles ausgerechnet an Amerika abgebildet: Der Stilkritik aus der Mitte hält diese Trash-Inszenierung natürlich nicht stand. Aber ist sie für diese Mitte überhaupt gedacht? Für FAZ-Leser und Leserinnen, Studenten von irgendwas mit Medien oder Vielflieger? In der Ökonomie der Aufmerksamkeit sind die für die Restbürger degoutanten Bilder indes kleine Meisterstücke, nicht wahr.

Allerdings ist dafür offensichtlich ein Preis zu bezahlen. Die Performativität der Geste und die Verbreitung des Fotos mag Philip Rössler zwar allenfalls noch bei Menschen Sympathien kosten, die ohnehin seine Partei nicht wählen werden, allerdings geht die symbolische Notation durchaus tiefer. Das Foto zeigt Diekman, nicht Rösler, wer da der Gebende und wer der Nehmende, wer der Gönner und wer der Begönnte ist, vermittelt sich sofort. Es gibt zu diesem Bild nur unerhebliche Varianten, keinen Perspektivwechsel, zum Schuss keinen Gegenschuss.

Rösler kommt ja an der Spitze einer Delegation von hundert deutschen Internetfirmengründern, die in die geheiligten Hallen von Apple und Facebook Einlass finden, um, wie es der deutsche Minister ausdrückt „den Spirit mitzunehmen“. Und die haben in nächster Zeit einen großzügigen Zuschuss für „start ups“ (da nimmt man schon ein paar kleine Peinlichkeiten in Kauf); Firmengründungen aber sind das erklärte Ziel, hier soll man lernen, wie man das macht, weil hierzulande, außer gerade mal in der IT-Branche der Mut zur Selbständigkeit so wenig ausgeprägt ist. Sie ließen sich denn, so viel wurde immerhin klar (auch wenn Verschwiegenheit schriftlich zugesichert werden musste), so ziemlich wie dumme kleine Jungs (und Mädchen) abfertigen. Eine brave Schulklasse bei der Besichtigung der echten Ökonomie. Man kann hier wohl am besten lernen, was einen Schnösel von einem Superschnösel unterscheidet.

IV

Wie es mit einem ikonischen Bild geht, wird es sofort bearbeitet, parodiert, „interpretiert“; inzwischen gibt es zu dem Foto im Internet einen „Tumblr-Blog“: Unter dem Motto „Philipp Roesler Worshipping Evil“ umarmt Rösler statt Diekmann wahlweise Uli Hoeneß, Kim Jong Un oder Hannibal Lecter. Die Meta-Demokratie hat ihre eigenen Mittel der Kritik, und manche sind so treffend wie gemein.

screenshot tumblr.com

Aber auch ansonsten ist das Bild, das sich mit einer besonderen Vervielfältigungsgeschwindigkeit bewegt, Anlass zur meta-demokratischen Dekonstruktion. Man erinnert sich nicht nur daran, dass Philipp Rösler von Bild im allgemeinen und von Diekmann im besonderen aufgebaut worden ist, als „cooler“ Politiker kampagniert (ausgerechnet!), und der Stern (meta-demokratisches Rivalitätsspiel, nebenbei) lässt verlauten, Bild-Mitarbeiter hätten preisgegeben, dass sie „von oben“ den Auftrag zu positiver Rösler-Berichterstattung bekommen hätten. „So souverän hat in der Politik schon lange keiner mehr auf fiese Attacken reagiert“, hatte Bild gestaunt und Philipp Rösler gar „Mr. Cool“ genannt.

Nach allgemeiner Übereinstimmung meta-demokratischer Event- und Bildkritik ist dieses Bild ein „Lapsus“. Eine unfreiwillige Selbst-Offenbarung. Oder zumindest eine Inszenierung, die nicht den gewünschten Erfolg erzielt. Wie aber, wenn dieses Spiel doch offenkundig sein soll und die missmutigen Kommentare der anderen Zeitungen den Effekt in Wahrheit verstärken, der sich um die Bild-Zeitung und ihren Politiker entwickelt?

V

Also noch einmal zum Bild selber: Ein ziemlich schmächtiger Mann in teurem Stoff, das nur ein klein wenig zu sehr nach Samt glänzt, um noch authentisch zu sein, fällt einem kräftigen, bärtigen Typen in die Arme, der durch erstaunliche Armbänder auffällt und der natürlich weder Jacke noch Krawatte trägt. Bevor der Journalist sich den Politiker in der Umarmungsunterwerfung zunutze machen konnte, hat er sich selbst einem mehr als hemdsärmeligen und kontrolliert struwwelhaarigen, bodenständigen Look unterzogen. Der „bürgerlich“ gekleidete Politiker sinkt einem Journalisten in die Arme, der seinerzeit dem bürgerlich-distanzierten Dresscode entsagte. Sogar ein Vergleich der beiden Brillen-Modelle würde von diesem Diskurs des volkstümlich-derben und des bürgerlich-politischen Statements künden.

Kapitalismus als Spektakel.

Die FDP, die unbarmherzig die Interessen der ökonomischen „Eliten“ vertritt, von denen aber eben gerade nicht „auf Augenhöhe“ behandelt wird, sondern wie ein Hündchen, das im entscheidenden Moment draußen bleiben muss, sucht sich andere Verbündete; eher unterhalb der so genannten Mitte. Als könnte man sich, wenn einen die Millionäre schon nicht brauchen können, wenigstens bei den Tellerwäschern (oder dem digitalen Prekariat) andienen, die sich vor dem Fernseher den Millionärsträumen hingeben. Der Bruderkuss zwischen Rösler und Diekmann ist Bild gewordener Klassenkampf. Kapitalismus als Spektakel. Silicon Valley vereinigt die ökonomische und die mediale Linie des Neoliberalismus.

VI

Und dann werden wir nicht umhin kommen, uns derer zu erinnern, die eine ähnliche, wennzwar vielleicht nicht immer so körperlich-symbolische Umarmung durch Diekmann erfahren haben. Wie war das noch mit einem gewissen Christian Wulff? Was, wenn dieses Bild nichts anderes als einen Judas-Kuss darstellt? Die Umarmung, die einen Menschen in durchaus prekärer Situation für seine Gegner „markiert“. Taktischer gesprochen: Das Bild drückt aus, wer für wen der nützliche Idiot ist.

Denn, wie gesagt, an diesem Unort wird gerade eine Zukunft der deutschen Mainstream-Medien gebastelt. Im Konzernvorstand für die Bild-Zeitung zuständig ist Andreas Wiele, und der lässt verlauten: „Unabhängiger Journalismus hat in der digitalen Welt nur eine Chance, wenn er wie auch im klassischen Printgeschäft über Anzeigen- und Vertriebserlöse finanziert wird“. Aber zur gleichen Zeit sollen wohl auch User für diesen Journalismus zahlen, dessen Unabhängigkeit sich durch das Umarmungsbild vermittelt: Unabhängig ist dieser Journalismus, insofern er sich mächtiger als die Mächtigen fühlen darf.  Die Zukunft des deutschen Journalismus liegt in ihrer meta-demokratischen Umarmung der Politiker. Genau dies aber ist auch schon wieder das Ende der Metademokratie, an der freilich ohnehin nur ein sehr kleiner Teil des „Wahlvolks“ teil hatte.

„Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann ist zurück aus dem kalifornischen

Silicon Valley und hat eine neue Online-Politik mitgebracht.

Die Geschäftsführerin von BILDdigital, Donata Hopfen, sprach denn auch von einem „Paradigmenwechsel“ zu einer „Bezahlkultur für journalistische Inhalte im Internet“, und die Stellvertreterin des am Unort sich neu erfindenden Chefs versprach den Kunden wie den Lesern, die Redaktion werde ihre digitalen Angebote so anbieten, „dass sie dem Leser auch im Netz Geld wert sind“. Das wird nichts anderes heißen als eine weitere Wucherung der Bild-Niedertracht in allen Medien. So soll, zum Beispiel, in Hinkunft der gedruckten Bild ein „Tagespass“ beiliegen, mit dem man befristet in die Labyrinthe der „BILDplus“-Inhalte eintauchen kann, was eine neue Technologie (nebst der „Aufrüstung“ der hauseigenen Druckereien) forciert.

VII

Diekmann, Rösler und Silicon Valley sind Figuren und Bühne eines meta-demokratischen Melodrams, von dem man wissen kann, was daraus wird oder zumindest werden soll. Das Netz wird eine neue Struktur erhalten. Die FDP wird mit Hilfe der Bild-Zeitung die 5%-Hürde überwinden. Danach wird die Bild-Zeitung den coolen Herrn Rösler abservieren und die Kampagne umdrehen. Kai Diekmann wird jemand anderen umarmen, der der geschmeidigen Verbindung von Medien und Politik nutzt, um ihn dann für die Auflage ans Kreuz zu nageln. Rösler wird, wie man so sagt, „in die Wirtschaft gehen“, und die Bild-Zeitung wird ein Internet-Angebot der unterschiedlichsten Nutzer-Tiefen, mit endlosen Labyrinthen und Bezahlfallen sein, das sich die Print-Ausgabe für die konservative Klientel hält. Das Kapital wird unbehinderter walten, die Wirklichkeit wird noch mehr mit dem Bild-Logo versehen, die hündchenhafte FDP wird noch hündchenhafter.

VIII

Und der unabhängige Journalismus? Schon besser gelacht. Meta-demokratische Öffentlichkeit drückt sich offensichtlich nicht mehr in Recherchen, Diskursen oder Analysen aus, sondern in der Produktion „flickernder“ Bilder wie diesen. Hinter dieser Oberfläche steckt indes nicht nur ein „Paradigmenwechsel“, wie man ihn sich im Hause Springer vorstellt. Dass Philipp Rösler seinen großen Bruder von der Presse so demonstrativ umarmt, macht klar, dass man auf die Verschleierung der neuen geschmeidigen Beziehung von Medien und Politik keinen Wert mehr legt. Das ist, natürlich, keine „Verschwörung“; es ist der Charakter der Meta-Demokratie am Umschlag zur Postdemokratie selber. Welche Opposition, welche Kritik hätte noch Chancen gegen die Verbrüderung von Politik und Journalismus im Zeichen von Apple, Google & Facebook?

Philipp Rösler und seine hundert IT-Start-Up-Schnösel kehren aus Silicon Valley zurück. Kai Diekmann kehrt aus Silicon Valley zurück. In Silicon Valley lachen die digitalen Gespenster.

Georg Seeßlen

 

„… eine sehr sehr schöne, angenehme Website.“

„…sicherlich Geld wert.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bilder: Screenshots (Ausschnitt) website bild.de vom 14.06.2013 – 10:00 Uhr

http://www.bild.de/bild-plus/startseite/bildplus/home-30723544.bild.html