Das große Spektakel: „World War Z“; © Paramount

„They’re us.“

(George A. Romero)

 

I

Zombies sind ein kolonialer Mythos, der in den Untergrund des kapitalistischen Grauens abgewandert ist. Auf der einen Seite eine Unterstellung des christlich-kolonialistischen Blicks gegenüber den „Eingeborenen“: die Entseelung des Menschen durch Gift und Trance, als Bestrafung vielleicht, und dann für eine spirituelle Reise. Die Opfer werden durch einen Trank so gelähmt, dass man sie für tot halten kann, und dann steigen sie wieder aus dem Grab. Als willenlose Werkzeuge in den Händen der Magier. Und daraus wird der feuchte Traum des Kolonialisten: Sind solche willenlose, schlafwandlerischen Menschen nicht die idealen Arbeitssklaven? Wo sich die beiden Mythen treffen, entsteht die Legende vom „Aufstand der Zombies“. Der willenlose und doch nicht beherrschbare Mensch. Der Mensch ohne Bewusstsein, der nicht einmal mehr „gehorchen“ kann. Die ebenso nutzlose wie gefährliche Leerstelle der Transzendenz im Realen. Die Auferstehung des Menschen als seine eigene Negation. Nicht einmal mehr ein „Monster“, das etwas „demonstrieren“ könnte, nicht einmal ein Ungeheuer, das etwas Böses wollen könnte. Der Zombie ist eine irreale Zahl in der Rechnung der Schöpfung, der Religion, der Ordnung, der Ökonomie. Ein vernichtendes Nichts, mit dem gleichwohl zu rechnen ist.

Kapitalisten sind Vampire;

ihre Opfer werden zu Zombies, so wird es kommen.

Es sind Menschen, die nicht tot und nicht lebendig sind, weil es keinen würdigen Abschied, keine Trauer, keine Erinnerung gibt. Menschen, die schon gleichgültig waren, als sie noch „lebten“. Sie  konnten sich nicht erlösen durch die Arbeit, und sie konnten nicht erlöst werden durch die Liebe. Sie konnten nicht einmal davonkommen durch die Macht des Kapitals. Kapitalisten sind Vampire; ihre Opfer werden zu Zombies, so wird es kommen.

Und der Zombie ist das Gespenst des Sklaven mit seinem entwendeten Leben. Diese Wanderung aus den traurigen Tropen der Sklaverei ins Herz der postindustriellen Gesellschaft des Westens ist daher nur zu konsequent. Das nicht mehr richtig sterben können und die Entwendung der Seele durch die innere Landnahme des Kapitals sind in die Gesellschaften der ehemaligen Kolonialisten und Sklavenhalter eingekehrt. Die grausame Wahrheit nun: Jeder kann ein Zombie werden. Die einen freilich leichter als die anderen.

II 

Neben die Wiederkehr des Verdrängten in allen Untoten und die Gespenster der Geschichte treten nun die Schatten der Ökonomie. In den vampirischen Grafen und den adeligen Menschenbastlern des viktorianischen Schauerromans spiegelte sich die Schuld der Bürger gegenüber dem entmachteten Adel und zugleich die Angst vor dessen Widerkehr. Im Zombie spiegelt sich von Beginn an, neben der Schuld gegenüber dem unterdrückten und entrechteten Opfer des Kolonialismus, auch die Schuldangst vor dem Proletariat und dem Subproletariat. Zur Bedrohung wird der Zombie, weil er als Masse erscheint, und weil er sich vermehrt, nicht durch Sexualität (prinzipiell ist der Zombie in seiner  klassischen Moderne asexuell) sondern durch schiere Ansteckung. Er ist zugleich Krankheit und deren Überträger.

Was nicht Ware wurde und nicht

Wachstum, das drängt aus den Gräbern.

Die reine Negation der christlichen Auferstehungslehre und aller ihrer mehr oder weniger spirituellen Ableitungen: Der Körper mag verrotten und von den Würmern gefressen werden, aber die Seele erhebt sich, fliegt davon in den Himmel oder sucht sich einen anderen Körper oder verbirgt sich in den Wäldern unserer Kindheit. Beim Zombie ist die Seele zum Teufel gegangen, aber der Körper steht wieder auf, in Zuständen verschiedener Verrottet- und Von-Würmern-Zerfressenheit.

Dies ist eine Gesellschaft, die nicht mehr weiß wohin mit dem Tod und nicht mehr weiß, wohin mit den Toten. So kommt aus den Gräbern, was am Menschen nichts einbrachte, was nichts wert ist, und nicht verwertet werden kann, das was am Markt übrig blieb. Abfall.

Die Entsorgung hat nicht geklappt. Der Abfall kommt immer wieder zurück. Was nicht Ware wurde und nicht Wachstum, das drängt aus den Gräbern.

III

Zombies sind also zunächst temporäre Phänomene, Menschen ohne Bewusstsein, fremd- und ferngesteuert, aber nie endgültig zu kontrollieren. So wie der Golem, so wie Frankensteins Monster, so wie der Roboter. Bei dem Versuch sich die unerschöpfliche Arbeitskraft zu schaffen, initiiert der schurkische Kolonialist/Unternehmer/Politiker/Wissenschaftler die Kraft, die ihn auch selbst vernichten kann. Eine schöne, sehr materialistische Metapher, deren Erfüllung in der populären Mythologie leider noch stets durch Helden und Ideologien abgewandt wird.

Zombies sind auch der Abfall der Religion. Tausende von Jesussen, die auferstehen, nicht um zu erlösen, sondern um zu beissen.

IV

Kein Wunder, dass der Zombie, in den düsteren poetischen Exzessen von Produzent Val Lewton und Regisseur Jacques Tourneur für sein Jahrzehnt ein so gültiges und schwer entzifferbares Kino-Bild wurde wie in den dreißiger Jahren King Kong. Noch ein Jahr vor „King Kong“ war mit „White Zombie“ von Victor Halperin einer der Filme entstanden, die noch direkt auf die „Tatsachenberichte“ aus der Südsee zurückgingen. Aber er enthält bereits das entscheidende Element, den „Übersprung“ des grausigen Mythos von der schwarzen in die weiße Kultur, verursacht durch den bösen Plantagenbesitzer, den „Dracula“ Bela Lugosi spielt, und der schon wegen seines Namens kein guter Amerikaner sein kann.

King Kong und der Zombie sind die ersten Verkörperungen des „Schwarzen“ in der populären Kultur, die über Onkel Toms Hütte hinweggehen. Ihre Würde besteht in der Angst der Weißen. King Kong wird durch die Schönheit (der weißen Frau) gefällt; der Zombie steckt auch die weiße Frau mit seiner Schlafkrankheit an.

Vielleicht war es wirklich das Beste, mit den Zombies zu gehen

anstatt in den Krieg oder ans Fließband.

„I Walked with a Zombie“ (1943) erzählt eine Geschichte von Politik, von Sexualität und von Medizin. Eine Krankenschwester in Westindien entdeckt, dass die apathischen Gestalten, mit denen sie es zu tun hat, in Wahrheit Zombie-Sklaven sind. Erlösung kommt übrigens erst mit dem Tod der schönen Frau des Plantagenbesitzers. Die gut bürgerliche Kritik hasste den Film. Auch das offizielle Hollywood hasste „I Walked with a Zombie“. Ein paar Leute liebten dieses sonderbare Filmgedicht vom Untod, das selber einen uniwderstehlichen somnambulen Sog entwickelt. Vielleicht war es wirklich das Beste, mit den Zombies zu gehen anstatt in den Krieg oder ans Fließband.

Später verstanden wir nur zu gut, dass der Krieg selber ein Mittel ist, Menschen in Zombies zu verwandeln. Und Soldaten kamen in dutzenden von B-Movies als Zombie-Armee aus den Gräbern. Sie waren die Vorboten der Widerauferstehung Hitlers, zum Beispiel. Sie können den Tod ja nicht mehr fürchten.

V

Lange Zeit blieb der Zombie ein Kinomonster aus der zweiten Reihe. Die absurde viktorianische Erbschaft in den englischen Hammer-Filmen zum Beispiel, neben Krummdolch, Schlangengift und Fu Manchu, späte Strafe für überseeische Verbrechen. Traurige Tropen. Schöner Tod.

Und dann kam George A. Romeros „Night oft he Living Dead“ im Jahr 1968. Jetzt waren die Untoten nicht mehr auf Südseeinseln daheim, sondern kamen aus den Gräbern der amerikanischen Provinz. Sie waren einfach da, mit einem ungeheuren Appetit auf Menschenfleisch, ohne Bewusstsein, Tote eben, die man nur durch Zerstörung des Gehirns, ausgerechnet, vernichten kann.

Der unnütze Mensch ist in den unnützen Arbeiter

und in den unnützen Konsumenten zerfallen.

Der Zombie widerspricht also nicht nur dem Realismus und der konventionellen Phantastik, er ist vor allem auch ein Widerspruch zur klassischen und christlichen Metaphysik. Es ist die zentrale Metapher der Trash-Kapitalismuskritik, aus dem unterdrückten und rebellierenden Arbeiter ist ein Wesen geworden, das offenbar nur noch aus Gier besteht. Der unnütze Mensch ist in den unnützen Arbeiter und in den unnützen Konsumenten zerfallen. Zombies haben kein Geld, und sie haben nichts zu verkaufen (sieht man einmal von dem Vergnügen ab, dass es den „Menschen“ bereitet, sie phantasievoll und massenhaft zu massakrieren). Diese Gier ist absurd, denn ein Zombie kann den Menschen nicht wirklich fressen, er hat keinen Stoffwechsel mehr, er kann ihn nur zerreissen (und eben: zu einem der seinen machen).

VI

Zombies waren dann überall, sogar in Linden (doch, doch: der Hannoveraner Stadtteil wird zur Zombie-Town in dem Hörbuch „Zombies in Linden“), auf dem Fussballplatz, als Schafe; sie steigen aber auch gern als untote Nazi-Soldaten aus dem Grab, nach den Vampiren muss sich Abraham Lincoln auch in einer Billigversion mit Zombies herumschlagen, und in literarischen den Mash Ups gab es Jane Austen „Pride an Prejudice and Zombies“ (85 prozent des Originaltextes treffen auf 15 Prozent Zombie-Stoff), sie tauchen in Western auf, im Weltall und an der High School. Wir kennen die Survival Guides, die, mal mehr mal weniger ernst gemeint, Verhaltensmaßregeln im Fall der Zombie-Invasion geben. Nichts ist sicher vor den Zombies, freilich auch mit unglaublich uninspiriertem Schrott darf man uns seither kommen. Zombies sind billig.

In den Jahren vor der großen Finanz- und sonstigen Krise träumten die Kids davon in einer zombifizierten Welt zu leben. Was immer noch besser war, als die Welt in der sie wirklich aufwuchsen. Zombies wurden unsere Verbündeten, unsere besten Freunde, nicht nur auf der Bühne und auf der Leinwand und bei den Computergames. Die Auferstehung war vollzogen, und bei Romeros späten Werken gehörte die Welt den Zombies, wenn sie gewusst hätten, was „gehören“ bedeutet.

VII

Der Zombie ist das andere des „körperlosen Bewusstseins“, das von Hilary Putnam in den achtziger Jahren konzipiert wurde, das Modell dafür war ein (menschliches) Gehirn in einem Nährlösungstank (aber selbst dies scheint mittlerweile noch zu materiell). Wenn wir uns ein körperloses Bewusstsein vorstellen können, dann eben auch einen bewusstseinslosen Körper. Kein Wunder, dass dieser Körper (und eben auch seine Bilderzählungen) so sehr mit dem Trash, dem Abfall verknüpft ist.  Und ebenso wenig ist es ein Wunder, dass nun die Zerstörung des Hirns, das kein Bewusstsein, wohl aber noch „Impulse“ erzeugt, die Erlösung bringt.

Das Proletariat verwandelt sich in eine unnütze Masse

von Körpern mit einem unstillbaren Hunger.

Ist es abzusehen, dass das körperlose Bewusstsein nur einen Krieg gegen den bewusstseinslosen Körper führen kann? Und ist es ein Krieg des Kapitals gegen den Menschen?

Die beiden Wiederauferstehungen des Menschen, als körperloses Bewusstsein und als bewusstseinsloser Körper, scheint jedenfalls definitiv auch ein Klassenproblem zu sein. Der Elite scheint es möglich, sich mit einem mehr oder weniger körperlosen Bewusstsein einen Körper als Bild zu regenerieren, ein Konstrukt aus Maschine, Kosmetik, Pharmazie und Chirurgie; er will nicht sterben und macht sich schön; das Proletariat verwandelt sich in eine unnütze Masse von Körpern mit einem unstillbaren Hunger, so unproduktiv wie gefährlich: er kann nicht sterben und ist so hässlich. Nicht allein in den Filmen von George A. Romero wird das Vergnügen eines depravierten Mittelstandes geschildert, sich den Zombie als Jagdbeute zu machen.

So stellen Matrix-Mindfucks und Zombie Flicks gemeinsam die Fragen nach einer posthumanen Entscheidung: Was ist eine Person? Was ist Wirklichkeit? Und: Was ist eine ethische Entscheidung (immer wieder gibt es die Entscheidung, ob man einen Freund, der sich in einen Zombie verwandelt, so lange töten/erlösen darf oder soll, solange er noch über ein menschliches Bewusstsen verfügt: Nur als Noch-Mensch kann ein Bald-Zombie erlöst werden). Was klar ist: „Der Mensch“ muss sterben, damit die beiden Formen des Postmenschen wieder auferstehen können. Und daher träumen wir mittlerweile, melancholisch genug, vom partikularen Überleben des Menschlichen in der Welt von Matrix und Zombie.

XIII

Der Zombie ist das Symptom der Verwandlung des Kapitalismus in seine derzeitige Gestalt (mithin ist er schon wieder eine nostalgische Figur, die immer mehr schon liebenswert-komische Züge hat: Die Zombie-Komödie, in der, zum Beispiel, Zombies zu Hausdienern werden sollen, man sich in Zombies verlieben kann, oder historische Ereignisse sich durch Zombifikationen erklären).

Wenn Diedrich Diederichsen[1] auf die Frage nach der „Verwirklichung“ des Menschen zwei Strategien unterscheidet: Das „männliche, weiße heterosexuelle, arbeiterbewegte und rock’n’rollige“ und das „queer-feministische postmoderne“; das Authentisch-Körperlich-Eigentliche gegen das Künstlich-Innovativ-Experimentelle. So wäre der Zombie einerseits definitiv ein Ausdruck des Scheiterns von Strategie Nummer 1, zugleich aber wäre er die Angstphantasie, die Strategie Nummer 2 produzieren muss.  (Wir erinnern uns an die Ambivalenz bei der ersten Erfindung der Figur in der populären Mythologie als Variation der Beziehung von Kolonialist und Sklave). Kein Wunder also, dass die „prollige rock’n’rollige und arbeiterbewegte Popmusik, von Punk (Misfits) bis zu Rockabilly in der Abwehr der queeren Postmoderne in Musik und Mode den Zombie bemühen. (Nicht nur King Kong wurde erfunden, weil man solches Vergnügen an der Angst der anderen empfindet: Wir sind auf Seiten der Zombies, weil wir gegen jene sind, denen sie am meisten Angst machen.)

Zombies und Menschen haben sich nichts zu sagen,

nicht einmal in der Sprache von Traum und Psychoanalyse.

Weil sie einander so gleichen.

Von den metaphorischen Romero-Zombies, die in zahlreichen schlechten und einigen recht guten Filmen wieder auftauchten, führt der Weg in den Jahren nach der Jahrtausendwende zu einer Art der Zombie-Apokalypse. Zombies sind nun längst keine „Bedrohung“ mehr, sie sind zur Realität geworden, mit der sich die Überlebenden Menschen einrichten, kleine Gruppen wie in der Comic- und TV-Serie „The Dead“, die vor allem um ihre Menschlichkeit kämpfen, mehr noch innerhalb ihrer eigenen Gruppen als gegen die Untoten. Nicht nur in der Serie der großen Zombiefilme ist eine weitere Verknüpfung zu sehen: Der Zombie ist ein Produkt der Medienabhängigkeit. Er erlebt die Wiederauferstehung nicht nur aus dem Grab, sondern auch aus dem Fernsehprogramm. Man würde ihn jederzeit erfinden, für die 8-Uhr-Nachrichten, wenn es ihn nicht gäbe.

IX

Und etwas anderes ist geschehen, die Zombies werden zunehmend in einen wissenschaftlichen Diskurs eingebunden. Einerseits erhalten sie eine neue Erklärung, sie entstanden durch fehlgelaufene Experimente der Life Sciences. Und anderseits sind es definitiv fehlgeschlagene Waffenexperimente der biochemischen Kriegsführung. Der Vernichtungswille der Militärs erhält hier den kaputten Corpus.

X

Dies also sind die drei Stadien der zum Untot auferstanden Wesen: Sie entstehen durch Magie und Mythos. Sie entstehen durch sozialen und moralischen Überdruck („Wenn es in der Hölle zu eng wird, kehren die Toten auf die Welt zurück“). Und schließlich werden sie durch einen Pakt von Life Sciences, Biopolitik, Militär und Konzernmacht geschaffen.

Durch alle drei Phasen ihrer Existenz zieht sich als roter Faden der ungerichtete Zorn, die bizarre Gleichzeitigkeit von somnambuler Leidenschaftslosigkeit und ungezügelter Gewalt. Denn die Auferstehung des Menschen schuf den Anti-Menschen. Alle Dämonen, Monster, Ungeheuer, Halbwesen, Doppelgänger, Gespenster reden zum Menschen. Gerade durch ihre Andersartigkeit. Zombies und Menschen haben sich nichts zu sagen, nicht einmal in der Sprache von Traum und Psychoanalyse. Weil sie einander so gleichen.


[1] Diedrich Diederichsen: Der Imperativ des Authentischen

In: Polar 13. Herbst 2012

Georg Seeßlen