Rückkehr der Seifenoper

Ex-Premier Silvio Berlusconi ist erneut stark und steht der Postdemokratie in Italien gut zu Gesicht. Er erlaubt einen Blick in die Zukunft der westlichen Demokratie

Wer begreifen will, warum ein Politiker, der als nun wirklich „erledigter Fall“ galt, plötzlich wieder da ist und Chancen zu neuerlicher Macht hat, muss sich zuerst Berlusconis Gegner anschauen. Da ist niemand, der einen wirklichen Neuanfang verspricht. Der Technokrat und Premierminister Mario Monti agiert im Sinne der Banken und des Merkelianischen Austeritätsprinzip. Die Cinque-Stelle-Bewegung des Komikers Beppe Grillo ist ein populistisches Kunstprojekt, das am liebsten gleich die ganze politische Klasse abschaffen möchte und so sinnvoll oder sinnlos ist wie hierzulande Jonathan Meeses Kasperiaden. Die alten Stützen des Berlusconismus – bürgerliche Konservative, die Lega Nord oder die Neofaschisten – machen so weiter wie immer. Bleibt eine Linke, die moderat genug vor allem eine Rückkehr zur Demokratie verspricht und sich sonst wie die Linke überall in Europa damit begnügen muss, die schlimmsten Auswüchse des Neoliberalismus zu bekämpfen. Und selbst dafür fehlen möglicherweise Kraft und Wille.

Pop-Mafia-Pornokratie

Vielleicht geht es bei Italien im Kern um eine Frage, die sich – wenn auch weniger heftig – woanders genauso stellt: Was folgt einer Demokratie in der uns bekannten Art? Italien ist das europäische Land, in dem ein fließendes Ende der Demokratie zu studieren war. Und die europäische Öffentlichkeit ließ sich die Regierungszeit von Mario Monti seit November 2011 nur allzu leicht als Rückkehr zur Demokratie, zu politischem Anstand und europäischer Partnerschaft verkaufen. Doch arbeitete dieser Premier nicht allein ohne demokratische Legitimation – er tat auch viel zu wenig, um eine neue politische Kultur zu ermöglichen. Die Politik wandte sich vom Berlusconismus ab, das kritische Interesse wandte sich vom Berlusconismus ab, die öffentliche Sprache wandte sich vom Berlusconismus ab. Die italienische Gesellschaft tat es nicht.

So stehen sich Blöcke gegenüber, von denen bereits mehr als die Hälfte jenseits dessen agiert, was man parlamentarisch-demokratische Form nennen mag, jenseits von „Parteien“, „Programmen“ und „Verträgen“, jenseits eines Rechtsstaates, der sich in Italien verzweifelt zu behaupten versucht. Der wilde Populismus gegen die politische Klasse, der Binnen-Rassismus der Lega Nord, der Neofaschismus light, die Technokratie der Experten und eben der Berlusconismus als Pop-Mafia-Pornokratie von besonders vulgärem Zuschnitt – keine dieser Kräfte hat noch viel mit der repräsentativen Demokratie im Sinn. Der Blick nach Italien ist insofern so etwas wie ein Blick in die eigene Zukunft oder wenigstens in eine mögliche Zukunft der Postdemokratie.

Die Erosion der Demokratie geht in Italien schneller vor sich als anderswo, schließlich hat sie dort stets ein wenig anders funktioniert. Sie war schon immer instabiler und in dieser Instabilität relativ stabil. Ihre nicht demokratischen Wirkkräfte kamen nicht nur von den Rändern, sondern wurden im Zentrum der Macht erzeugt. Von daher verkörpert Berlusconi jene „negative Freiheit“, die für die Konservativen und Neoliberalen dieser Welt das ideologische Rüstzeug ist. Er steht für einen Staat, der sich aus den Belangen seiner Bürger heraushält und verspricht, ein wenig Korruption, Steuerhinterziehung und Mafia-Verseuchung stillschweigend zu dulden, so lange der Bürger seinerseits der politischen und ökonomischen Elite das Recht zu Bereicherung und lässlicher Kriminalität zubilligt. Ein Staat, der es gar nicht darauf abgesehen hat, wirklich zu funktionieren, aber perfekt funktioniert als Schmierstoff für Partikular-Interessen. Nie ist Berlusconi trotz seiner Vergehen gewählt worden, sondern immer gerade wegen derselben.

Man tendiert dazu, auch jetzt, bei der bevorstehenden Wahl, diese „negative Freiheit“ zu wählen, weil der Weg zur „positiven Freiheit“ – das heißt zu tätiger Teilhabe – so schwer geworden und in einem Europa unter Merkelianischer Hegemonie unerreichbar ist. Berlusconi kann auch deshalb wieder punkten, weil er sich als Kämpfer gegen eine von Deutschland dominierte, als alternativlos dargestellte Politik in der EU inszeniert.

Der einzige große Gegner von Berlusconi ist Berlusconi selbst. Natürlich beruht seine Popularität nicht zuletzt darauf, dass sich seine Medien den Gesetzen der Unterhaltung unterworfen haben. Viele Italiener haben Berlusconi so gewählt, wie sie anderswo einen Kandidaten aus dem Dschungelcamp wählen. Es mag sein, dass unter Monti die Politik selber zu einem Grad von Vernunft und Verantwortung zurückgekehrt ist. Aber die Medien haben sich dieser Bewegung nicht angeschlossen. Seit Monti regiert, gab es ein größeres Zeitungssterben bei der kritischen Linken als unter Berlusconi; die Verflachung der politischen Kultur und die Karnevalisierung der Diskurse gingen unvermindert weiter. Rückkehr zur Demokratie wurde so kein gesellschaftliches Projekt.

Sein eigener Gegner ist Berlusconi nicht, weil er ein politisches Defizit aufweist, sondern weil er nach den Gesetzen der Unterhaltungsindustrie nicht mehr für die zentrale, wohl aber für eine wichtige Nebenrolle in der ewig laufenden Show geeignet sein könnte. Allerdings wäre zu bedenken, dass auch im italienischen Fernsehen das Durchschnittsalter männlicher Show-Hosts besorgniserregend hoch ist. Man könnte sogar behaupten: Unterhaltung auf dessen Kanälen wird von sehr alten Männern und sehr jungen Frauen (re)präsentiert. Berlusconismus als sexueller politischer Mythos ist daher nach wie vor virulent.

Hauptsache Spaß

Ein weiteres Element, so irrational wie unübersehbar, ist die Reaktion auf eine Kränkung. Man hat über Italien gelacht, die vielerorts verhasste urbane Mittelschicht hat sich für Berlusconi geschämt. Aber eben dieser Mittelschicht, die lange eine Hoffnung auf Re-Demokratisierung war, haben die 15 Monate unter Monti nicht das Geringste gebracht. Die gut ausgebildeten, politisch interessierten Jungen finden in dieser Politik keinen Platz und vor allem keine Arbeit. Man spricht bereits von den „neuen Emigranten“, denn der eigentlich dringend benötigte akademische Nachwuchs wandert aus. Die Regierung der Technokraten hat alles dafür getan, dem kreativen Potenzial ihres Landes zu schaden. Wenn aber der Mittelstand emigriert, trifft das die Gesellschaft an ihrem Zentralnerv – der Familie. Montis Politik war darauf ausgerichtet, das ökonomisch-politische System zu retten; Rücksicht auf die Menschen erschien sekundär. So kommt ein Letztes, was für Berlusconi spricht, so seltsam das klingt: eine (sehr italienische) Variante der Lust am Untergang. Ein Untergang mit viel Spaß, gutem Essen, einer Portion infantilismo und ein paar obszönen Scherzen ist definitiv einem geordneten Marsch in teutonische Steinbrückerei und europäische Disziplin vorzuziehen. Oder? Berlusconi ist vielleicht eine Katastrophe. Aber er ist unsereKatastrophe.

Georg Seeßlen, Der Freitag 07.03.2013

Bild: Silvio_Berlusconi_(2010).jpgwww.la-moncloa.es