Wären „Intellektuelle“, meinethalben aufgespalten in traditionelle Intellektuelle und Pop-Intellektuelle, noch in einer benötigten und nutzvollen Position, so lautet die Frage, stellenweise bang gestellt.

Interessant sind Intellektuelle, so scheint es, augenblicklich für Mainstream und Mittelkultur nur, wenn sie sich gegenseitig fetzen. Natürlich sprechen wir nicht von „Debatten“, sondern von persönlichen Beleidigungen, verbalen Entgleisungen und gekränkten Eitelkeiten.

Ein Intellektueller ist ein Mensch, der, wenn er nicht von der Mehrheitsgesellschaft oder dem Staat zum Schweigen gebracht wird, dem Zorn von seinesgleichen anheim fällt.

Das hat ihm bzw. ihr so lange nicht viel ausgemacht, so lange die Debatte syntagmatisch, die Schaukämpfe und Eitelkeiten dagegen paradigmatisch waren. Die Debatte wäre da also die eigentliche Geschichte, und die Pfauenkämpfe das Beiwerk. Der intellektuelle Text demnach ohne weiteres lesbar auch ohne „das Persönliche“.

Betrachtet man jüngste Auseinandersetzungen von Intellektuellen in unseren Zeitungen scheint sich das Verhältnis nicht nur umgekehrt zu haben, vielmehr sind beide Seiten sogar bestrebt, den Hauch einer inhaltlichen Auseinandersetzung gar nicht erst zuzulassen.

Das ist die Crux dieser kleinen Klasse: Man will solitär sein und vernichtet dabei sein Milieu.

Ein Intellektueller verkauft sich nicht und lässt sich von niemandem (und nichts) ausser sich selbst sagen, was er tragen, kaufen oder essen soll. Sagt Naomi Klein in „No Logo“.

Das wäre schön.

Natürlich lassen er oder sie sich auch von niemandem sagen, was sie denken sollen.

Für die Soziologie (Joseph Schumpeter folgend) sind Intellektuelle Menschen, die zu reden und zu schreiben verstehen und mit ihrer Kritik öffentlich Dinge zur Sprache bringen, die an sich außerhalb ihrer eigenen Sachkompetenzen und Verantwortungsbereiche liegen. Ihre Erfolgschance beruht auf der Legitimitationsfähigkeit durch in der jeweiligen Gesellschaft verbindliche Grundwerte und liegt vor allem in ihrem Störpotenzial. Schumpeter ging davon aus, dass sich die Schicht und Funktion in der modernen Gesellschaft erhöhen würde, ebenso ihre Einflüsse sowohl auf die Sphäre der Macht als auch in die Gesellschaft hinein. Das war ein tragischer Irrtum.

Dass die Ent-Intellektualisierung dieser Gesellschaft nicht unwesentlich durch die Art der Selbst-Inszenierung eben der Intellektuellen vorangetrieben wird, ist ein alter Hut. Aber in strömendem Regen ist noch ein alter Hut schützender als die Zeitung von gestern.

Ein Intellektueller ist weder ein Rechthaber noch ein Experte. Das Ziel der intellektuellen Debatte ist daher nicht, „entschieden“ zu werden, sondern im Gegenteil, sich zu erweitern. F. Scott Fitzgerald hat in einem wunderschönen Satz definiert, ein Intellektueller sei jemand, der  „zwei entgegengesetzte Ideen zugleich im Kopf zu haben und doch weiter in Funktion zu bleiben“ fähig sei. Merkwürdigerweise indes scheinen aus zwei Intellektuellen aber gerade nicht vier einander entgegensetzte, aber in Funktion bleibende Gedanken kommen zu wollen, sondern vielmehr strebt wieder alles auf die eine widerspruchsfreie (also falsche) Idee, die sich eben „durchsetzen“ muss. Kaum tritt er oder sie in die (öffentliche) Debatte, schon agiert der Intellektuelle nicht mehr nur gereizt auf die Widersprüche des Gegners, sondern auch auf die im eigenen Denken. Er oder sie ruiniert demnach im Bestreben, „sich durchzusetzen“ die eigentliche Stärke, vielleicht sogar die einzige Daseinsberechtigung. Denn für eine ordentliche, widerspruchsfreie (daher: falsche, ideologische) Aussage genügt mir ja eben der Experte. (Der Verwalter der allgemeinen Dummheit.)

Wenn im Medium aus einem Intellektuellen ein Experte werden soll, dann tut der Intellektuelle gut daran, dieses Medium zu meiden. (Aber wovon soll er dann leben?)

Das Medium verlangt nicht den Diskurs und auch nicht die Debatte (wenn man es auch wohl so nennen mag) sondern Pfauenrad und Rüpelei. (Oh, wie sie mir auf die Nerven gehen, diese deutschen Intellektuellen, die etwas auf sich halten, weil sie herumrüpeln und das als Ausweis ihres Vitalismus betrachen!)

Der Intellektuelle von heute ist der Darsteller der Selbst-Ent-Intellektualisierung der Intellektuellen.

Manchmal ist das ja ganz geistreich. Intelligent ist es nicht.


Autor: Georg Seeßlen

Text geschrieben 19.10.2009

veröffentlicht im Georg Seesslen-Blog DAS SCHÖNSTE AN DEUTSCHLAND IST DIE AUTOBAHN