München zeigt die erste große Ausstellung über die radikalen Träume der Land Art.
Es war eigentlich keine schlechte Idee, die Kunst in Natur zu verwandeln. Womöglich steckte darin eine utopische Hoffnung: Die Natur sollte wahrhaft menschlich werden und der Mensch wahrhaft natürlich. Viele Künstler zog es damals, in den sechziger und siebziger Jahren, hinaus ins weite Land, in die Berge, auf die Wiesen und am liebsten in jene Art von Natur, die am reinsten und am endgültigsten scheint, in die Wüste. Sie wollten frei sein von Besitznahme, Unterwerfung und Ausbeutung. Frei auch vom Kunstbetrieb, von den Museen. Von jenen Museen, in denen sie heute zu besichtigen sind.
Wohl noch nie wurde die Land-Art so breit und umfänglich in einem Museum gezeigt wie jetzt im Münchner Haus der Kunst. Hier, im Schutzraum der Institution, soll noch einmal der Himmel aufgehen, hier soll sich einmal mehr der weite Horizont zeigen, nach dem sich so viele Land-Art-Künstler einst sehnten. Zu besichtigen ist die Geschichte einer ungewöhnlich radikalen Kunst.
Land-Art ist ja eine Art der gegenseitigen Verletzungen. Verletzungen, wie sie sich nur Liebende gegenseitig antun. Die eine verletzt die Haut und das Fleisch der Erde, und die andere verschlingt und überwuchert den Angreifer. Land-Art ist, wo sie wirklich schön wird, eine schmerzhafte Begegnung zweier Welten, die sich sehr grausam und sehr zärtlich zueinander verhalten können. Und im schönsten Augenblick ist das erhebend und zugleich erhaben sinnlos.
Daher steckt die Groteske so sehr wie die Tragödie in diesem Unterfangen. Und neben der Liebes- immer auch eine Kriegserklärung wie in den zerstörerischen Arbeiten der Land-Art. Michael Heizer zum Beispiel ließ 1969 mit Baggern und Sprengstoff zwei exakt geradlinige Gräben in die Wüstenhochebene Mormon Mesa bei Las Vegas treiben. 240.000 Tonnen Gestein wurden bewegt, um der Erdkruste diese Narbe zu verpassen, die als »negative Skulptur« bezeichnet wurde. Und wozu? Etwa um einen »meditativen Raum« zu schaffen, wie der Künstler vorschlug?
Es ist die Krux vieler Land-Art-Künstler, dass sie gern solche Entschuldigungen suchen. Doch sie müssen sich nicht rechtfertigen, sie machen Kunst. Und wie jede gute Kunst stecken auch in dieser vielfache Sinn- und Deutungsmöglichkeiten.
Natürlich liegt es nah, sie als einen Kommentar zu den großen ökologischen Verwerfungen zu begreifen. Neben dem Zorn auf eine gleichgültige Natur und der Liebe zu einer Natur, die mit Verschmelzung und Auflösung locken mag, steckt als dritte Möglichkeit immer auch die Trauer um einen Verlust, die Sehnsucht nach dem verlorenen Quell darin. Selbstverständlich wird dabei die Land-Art auch zum politischen Statement wie in Avital Gevals Landscape Experiment (1972), wo im Grenzland zwischen einem palästinensischen und einem jüdischen Dorf ein sandiges Areal mit gebrauchten Büchern gefüllt wurde. Wie würde die Natur, wie würden Menschen mit diesen Büchern umgehen?
Doch nicht nur eine ökologische und politische Dimension ist den großen Werken der Land-Art eigen; in vielen lässt sich auch eine religiöse Dimension entdecken. Das Land ist das Versprochene, während die Erde das ist, woraus alles entstand. So bearbeitet Charles Simonds 1974 in Body <–> Earth seinen Körper mit der roten Erde in einer Tongrube (oder ist es umgekehrt?). Das Video dazu steht in einer Reihe von Arbeiten mit dem Titel Mythologies .
Land-Art ist ja immer ein Eingriff in das, was man die Schöpfung nennt. Und anders als im Ackerbau, in der Industrie, im Krieg und im Sport hat, was Mensch und Natur in der Land-Art einander antun, keinerlei Nutzen. Nichts wird produziert, alles scheint sich auf ein reines Sein zurückzuziehen. So tendiert die Land-Art zur Romantik, wenn auch zu einer sehr besonderen Art. Ganz buchstäblich werden da immer wieder Traumpfade durch Wildnis, Wüste und Wald gelegt, aus Holz, Steinen oder Farbe, müssen Spuren zu einem Ursprung gefunden werden, und, unnütz zu sagen: Die Spirale ist neben der »endlosen« Linie das bevorzugte Konstrukt der Land-Art. So tritt gelegentlich an die Seite einer Skepsis gegenüber der Urbanität auch eine Skepsis gegenüber der Aufklärung. Die Natur wird dem Künstler zur Verbündeten gegen falsche Vernunft und Ordnung – und ebenso gegen den üblichen Kunstkult.
Hier gibt es kein »Original«, das zum käuflichen Fetisch werden könnte. Land-Art ist unantastbar, unter anderem weil sie sich nur zwei Erosionskräften aussetzt, der Natur und dem üblichen Vandalismus. Aber es bleiben Spuren, und es bleiben Geschichten. Die Lieblingsgeschichte vieler Land-Art-Künstler ist die von einer anderen Welt, die dadurch entsteht, dass man die bestehende Welt neu beschreibt. In den Titeln ihrer Arbeiten ist viel vom Mapping die Rede, vom Vermessen und Modellieren. Darin schwingt die Hoffnung mit, die Kunst könne so etwas wie eine alternative Topologie der Welt (oder wenigstens eines begrenzten Raumes darin) erzeugen. Es gibt keine andere Kunst, in der Landkarten, Skizzen und Maßstäbe eine solch prominente Rolle spielen.
Zugleich bedienten sich viele Landart-Künstler paradoxerweise ganz gewöhnlicher Medien. Man könnte sogar sagen, dass ihre ästhetische Liebesattacke auf die Erde und die »Rückkehr zur Natur« überhaupt erst durch technische Distanzmittel wie Fotografie, Film, Video möglich wurden. Zwar waren die Pioniere anfangs sehr vorsichtig mit ihren Dokumentationen. Es gab für kurze Zeit sogar die Idee, sie vollkommen auszuschließen, um das neue Kunstwerk auf die denkbar reinste Form dem Kunstbetrieb zu entziehen. Aber Künstler müssen leben, und auch Land-Art will gesehen werden.
Daher ist es kein Zufall, dass die Anfänge dieser Kunst in den sechziger Jahren eng mit Filmen verbunden sind und dass, in der kunsthistorischen Legende, sogar alles mit einem Film begann. Weit über Deutschland hinaus bekannt wurden die Ideen der Land-Art durch den von Gerry Schum für den Sender Freies Berlin gedrehten 38-minütigen und vollkommen kommentarfreien Fernsehfilm im April 1969. Er zeigte nicht nur Arbeiten von Künstlern wie Walter De Maria, sondern machte die Kamera seinerseits auch selbstbewusst zum Instrument der neuen Kunst: Sie beschreibt einen Kreis um sich selbst, während Walter De Maria auf zwei weißen Linien in der »endlosen« Mojave-Wüste verschwindet.
So trat das Jenseits dieser Kunst von Beginn an recht diesseitig auf, im Fernsehen, in Galerien, Museen. Die verheißene Erfahrung der Unmittelbarkeit von Mensch und Natur schrumpfte, sie wurde kommensurabel. Doch auch die Rückkehr der Natur ins Museum der Kunst, sozusagen die Umkehrung des ersten Impulses der Land-Art, hatte durchaus vertrackte »Botschaften« zu bieten. Mehr oder weniger kontrollierte oder bearbeitete Fragmente der Landschaft in den Innenraum eines Gebäudes zu bringen wie etwa Hans Haacke mit seinen Bohnenpflanzen als Gerichtetes Wachstum (ursprünglich für eine Ausstellung im Guggenheim Museum New York konzipiert), ließ uns neuerlich an Prozessen der Zurichtung und der Widerspenstigkeit teilhaben. Land-Art im Museum, das heißt auch, ein Wachsen, Verwesen, Überdauern und Kaputtgehen zu besichtigen, nach anderen als den kulturellen Regeln.
Allerdings: Im Museum wirkt das Kunstwerk kontemplativ, jenseits einer Herausforderung, sogleich entrüstet oder begeistert zu reagieren. Im Museum wird die Kunst weise. Sie verliert jene direkte Konfrontation, die sie noch in den Fernsehfilmen von Gerry Schlum hatte. Es ist eine Art von Kunst, die in die Natur zurückkehren will, was ein philosophisches, ein ästhetisches und womöglich auch ein politisches Projekt ist (denn Land-Art ist immer auch eine Form der commons, eins von den Dingen, die wie die Natur, »uns allen« gehört – solange wir sie respektieren). Und dieses Projekt wirkt im offiziösen Rahmen der kunsthistorischen Analytik allzu schnell vertrocknet.
Zugleich hat sich die Land-Art bereits zu einem kleinen, aber offensichtlich einträglichen Zweig der mittelständischen Kulturtouristik entwickelt, sozusagen eine Nachfolge der toskanisch-therapeutischen Töpferkurse mit anderen Mitteln. Es droht die allgemeine Karnevalisierung: Land-Art wird »Kitsch« (sofern dieser Terminus noch zulässig ist).
Der Liebeskrieg zwischen Natur und Kunst in der Land-Art gewinnt seine Spannung aus der Asymmetrie der Auseinandersetzung. Die Gesten der Kunst gegenüber der Natur können nie wirklich »angemessen« oder gar »harmonisch« sein. Wer »Frieden« zwischen Mensch und Natur sucht, der soll wandern oder Bäume umarmen, die Kunst ist dafür nicht zuständig.
Die Gesten der Kunst sind stets entweder zu mächtig und brutal, zu gewalttätig und triumphalistisch (wie all die Explosionen, die Verhüllungen, die Verletzungen von Haut, Fleisch und Knochen der Erde), oder sie sind zu klein, zu ironisch und beiläufig (wie Handstände, Steinhäufungen oder Klanglinien). Aber immer machen sie dabei etwas deutlich, was zugleich komisch und traurig ist: Der Mensch und die Erde passen einfach nicht zueinander.
Nun, da Land-Art aufgelöst ist in mehr oder weniger subversive Google-Earth-Eingriffe und in die Gartengestaltung stadtflüchtiger, besserverdienender Landlust- Leser und da wir ihre großen Beispiele im Museum bewundern können, wird es Zeit, zu überlegen, welches Erbe da anzutreten ist. Was kann Land-Art im Zeitalter von Navi und Satellitenfotografie? Vielleicht könnte man auch sagen: Die Auseinandersetzung mit der Erde in der Land-Art hat ihren Sinn verloren; das Land, das die Land-Art sichtbar machte, zum Teil durch Akte von Zerstörung und zum Teil durch Akte der Provokation, dieses Land gibt es nicht mehr. Was aber ist das Material, an dem und mit dem die dort begonnene Auseinandersetzung fortgesetzt werden könnte? Der Körper möglicherweise.
Georg Seeßlen (erschienen: ZEIT ONLINE 11.10.2012, www.zeit.de/2012/42/Ausstellung-Land-Art-Muenchen)
Ends of the Earth – Land Art bis 1974
Ausstellung: 11.10.12 – 20.01.13
Haus der Kunst
Prinzregentenstraße 1
80538 München
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