Über den Verkauf von Lucasfilm an den Disney-Konzern
Die größte, bunteste und amerikanischste aller Traumfabriken ist der Disney-Konzern. Gegründet von jenem Walt Disney, der für alle Welt zum Inbegriff des amerikanischen Traums als Mischung aus Kitsch und Kinderglück, Sendungsbewusstsein und Geschäftstüchtigkeit geworden ist. Nun, lange nach seinem Tod und nach etlichen Krisen und Umstrukturierungen, begnügt sich sein Konzern nicht mehr damit, das eigene Traumreich aus Filmen, Comics, Erlebnisparks und Computerspielen auszubauen. Man kauft sich vielmehr andere Traumreiche dazu, solche, die kreativer, heftiger oder erwachsener sein dürfen als man es im familienfreundlichen Königreich von Mickey, Donald und den sieben Zwergen sein kann. So wanderte Pixar, das innovative Computerfilm-Studio, in dem etwa „Toy Story“ oder „Cars“ entstanden, zu Disney. Und dann erwischte es das Comic-Verlagshaus Marvel mit seinen hippen Superhelden wie Spiderman oder den Avengers.
Jedes Mal war die Frage bei den Fans: Werden unsere Idole und Phantasien nun disney-fiziert? Werden sie aufs familientaugliche, patriotische, bonbonfarbene Format heruntergebracht? Oder geht es etwa dem großen Konzern nur darum, die Verwertungsrechte an Figuren zu erwerben, die eigentlich schon auserzählt sind, die ihre große, wilde Zeit schon hinter sich haben? Für die meisten der großen von Disney akquirierten Pop-Mythen lautete die Antwort: Es hätte schlimmer kommen können.
Nun also: Disney kauft Lucasfilm, die Produktionsstätte der „Star Wars“-Filme, die in ihrer Mischung aus Märchen, Science Fiction und Weltraum-Western einmal ein dritter Weg zwischen Disney-Bravheit und Monster Movies schienen. Für wahre Fans ist das ein Einschnitt, in seiner Dramatik in etwa vergleichbar mit dem Tod des tragischen Schurken Darth Vader. Generationen wuchsen seit den siebziger Jahren mit den Abenteuern des Luke Skywalker, mit Yedi-Rittern und Klon-Kriegern, mit Prinzessin Leya und mit dem schmalen Grat zwischen der dunklen und der hellen Seite der Macht auf. Zu den von George Lucas produzierten und manchmal auch inszenierten Filmen kamen bald Roman-Serien, Comics, Videogames, Sammelfiguren, T-Shirts und Kaffeetassen (Büros, in denen gestandene Angestellte, allerdings meist männlichen Geschlechts, einander mit „Möge die Macht mit dir sein“ begrüßten oder ein Laserschwert-Duell forderten).
„Star Wars“ hat in demnächst mal einem halben Jahrhundert nicht nur die Kino- und Medienlandschaft verändert, sondern auch die Kultur des Alltagslebens, der Kommunikation, des Environments. Disney, das war das Traumland, in das man sich mit der ganzen Familien aufmachte, eine gemeinsame Rückkehr in ein Land der ewigen Jugend. „Star Wars“ funktionierte hingegen von Anfang an genau anders herum, es war der Angriff der Klon-Krieger auf das Alltagsleben.
Wahrscheinlich wird man bei Disney klug genug sein, das Konzept für die Nachfolgeprodukte nur so weit der eigenen Linie anzupassen, dass die alten Fans nicht vor den Kopf gestoßen werden. Irgendwas muss doch in diesen gottverdammten Zeiten verlässlich sein. Und das Verlässlichste von allen dürfte das Warten auf den nächsten, maßvoll disney-fizierten, maßvoll modernisierten „Star Wars“-Film sein.
Vielleicht etwas anderes aber könnte uns durchaus Sorgen machen: Nämlich, dass es immer weniger Menschen in immer weniger Studios in immer weniger Konzernen sind, die bestimmen, was Menschen auf der ganzen Welt sehen, träumen und, nun ja, glauben dürfen. Denn eine Glaubenssache, das ist „Star Wars“ so sehr wie „Disneyland“. Fragt sich nur, was passiert, wenn sich Minnie Mouse und Darth Vader hier demnächst begegnen.
Georg Seeßlen, SWR2 Journal am Abend, 31.10.2012
Bildquelle: Star Wars – Trilogy, Episode IV-VI, Lucasfilm (Fox)
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