Felix Baumgartner springt aus 39 Kilometern Höhe und begeistert die Massen.
Medienökonomisch ist er dabei nicht vom Himmel gefallen.

Was uns übermittelt wird von der aktuellen Welt jenseits unserer Gegenwärtigkeit, das nennt man Nachrichten. Nachrichten entstehen einerseits, weil irgendwo etwas geschieht wie eine Katastrophe, oder sie entstehen andererseits, weil irgendwer etwas macht – jemand unterzeichnet einen Vertrag oder fängt einen Krieg an. Während es einer Katastrophe egal ist, ob aus ihr eine Nachricht wird oder nicht, sind Aussagen oder Handlungen von Politikern darauf bedacht, dass und wie sie als Nachrichten wirken werden, und Politiker wie Prominente können Dinge sagen oder tun, die dazu dienen, eine Nachricht zu werden. Diese Dinge stehen vielleicht noch in irgendeinem politischen und ästhetischen Zusammenhang; man muss sie so umformen, dass man bei der Aufnahme der Nachricht das Gefühl haben kann, es handele sich um eine „echte“ Nachricht. Die manipulierte Nachricht muss Authentizität heucheln; das ist manchmal lästig. Deshalb hat sich in der fortgeschrittenen Medienlandschaft eine dritte Form der Nachricht herausgebildet. Sie wird von vornherein inszeniert, durchdesignt und zum Merchandising bestimmt. Ereignis und Nachricht sind deckungsgleich; so entsteht die markt- und medien-konforme Nullnachricht.

Diese dritte Form der Nachricht, nennen wir sie die leere Nachricht, hat durchaus Züge der ersten und der zweiten Form, verbunden mit etwas, das man früher eine Zirkusnummer genannt hätte. Das Ereignis, das inszeniert wird, um möglichst machtvoll in die Nachrichtenkanäle zu gelangen, muss ein Potenzial der Katastrophe in sich tragen, und es muss einen Protagonisten aufweisen, der diese Nachricht mehr oder weniger authentisch trägt.

Ansonsten wird die leere Nachricht zu allfälligem Nutzen produziert: Das Publikum wird amüsiert und von der leidigen politischen Debatte abgezogen; das Medium profitiert von der „sensationellen“ und obendrein so berechenbaren Nachricht, und schließlich dient die leere Nachricht dem Image und dem Absatz von Waren oder Dienstleistungen, und zwar offensichtlich in einem höchsterfreulichen Kosten/Nutzen-Rahmen.

Nun ist eine Meisterleistung bei der Erzeugung einer leeren Nachricht zu bestaunen. Der Österreicher Felix Baumgartner lässt sich mit einem Ballon in enorme Höhen befördern, springt in einem geeigneten Anzug herab, erreicht die Schallgeschwindigkeit, nachdem er ein gefährliches Trudeln ausgleichen konnte, öffnet den Fallschirm, erreicht sicher den amerikanischen Wüstenboden, und alle sind glücklich. Von da oben hat er jede Menge Rekorde und einen sorgfältigen Satz mitgebracht. Er habe nicht an Ruhm und Rekorde gedacht, nur ans Heil-unten-Ankommen.

 

Wie ein Knallbonbon

Durchgeführt und finanziert wurde die Erzeugung dieser Nachricht von der Firma Red Bull, die einerseits sehr erfolgreich ein überteuertes Getränk verkauft und andererseits seit Jahr und Tag im Event-Management tätig ist. Man hat so seine Vettels und seine Basejumpers; insgesamt, heißt es, befinden sich 600 „Athleten“ im Dienste der Eventgetränke- oder Getränkevent-Firma aus Österreich, die in speziellen Dramaturgien aufgebaut werden. Man könnte von einer modernen Form der Gladiatorenschule sprechen. Felix Baumgartner etwa steht seit 15 Jahren im Dienst der Firma, sieben Jahre verbrachte er allein mit der Vorbereitung auf den Überschallplumps, 50 Millionen Euro sollen in Planung und Durchführung geflossen sein – gar nicht mal so viel, wenn man bedenkt, dass der Marketing-Etat von Red Bull auf 1,4 Milliarden geschätzt wird.

Eine leere Nachricht wie diese funktioniert wie ein Knallbonbon: Das Ding macht effektvoll Krach, und heraus purzeln lauter kleine Nachrichten. Zu den Folgen gehört nicht nur das inszenierte Ereignis selbst, sondern auch eine Wolke von Meta-Nachrichten, die den tollen Sponsor und Firmeninhaber betreffen. Wie geschickt er sein Getränk aus Asien geholt hat, und wie er bei Forbes zum reichsten Mann Österreichs wurde. Dietrich Mateschitz ist ein österreichisches Gegenbild zu Steve Jobs: ein Midas-Messias des marktkonformen Lebens mit Spaß dabei.

 

Zauberhaft

Eine zweite Wolke der leeren Nachrichten betrifft den Helden des Events selber, dazu muss etwa Menschliches (die Eltern), ja, maßvoll Erotisches kommen. Das Muster für Zweiteres ist die Kerzengeschichte mit der Exfreundin, dem „Playmate“, die mehr hergibt als die derzeitige Lebenspartnerin, eine unspektakuläre Turnlehrerin. Bei dem Model handelt es sich um ein „Jahrhundert-Playmate“. Diese Gitta Saxx, die verständlicherweise lieber so heißt, als ihren bürgerlichen Namen (Sack) zu benutzen, befindet sich gerade im „Drehstress“ für Shopping Queen. Eine Sendung von Vox, bei der man Frauen zusehen kann, die Klamotten kaufen. Sie hat für ihren Exfreund eine Kerze angezündet und alles am Fernseher verfolgt. Gitta Saxx ist ein Testimonial, oder anders gesagt, sie ist „das Gesicht“ von gewissen Marken. Das nennt man Cross-Promotion – die leere Nachricht verkauft nicht nur das eigene Zeug, sondern produziert neue Leernachrichten zum Verkauf anderer Produkte.

Man sagt, der Sprung und das Drumherum sei „absolut zielgruppenkonform“ verlaufen, und zwar, nach Ansicht der in so einem Fall stets zu Worte kommenden Experten (dritte Wolke der leeren Nachricht: die expertöse oder feuilletonistische Wiederaufbereitung des leeren Nachrichtenmülls) sowohl für die Red-Bull-Firma als auch für Österreichs „nationales Image“, das derart „durch Kraft, Stärke und Macht“ punkten könne. Auf der Webseite von Red Bull sieht man, welche Diskurse noch bedient werden: Felix Baumgartner grüßt militärisch in seiner schicken Kluft, nebenan prangt die Überschrift „Mission Accomplished“. Die Farben von Red Bull und Österreich schwimmen ineinander. Gewiss hat es Gründe, dass es in Österreich die drittgrößte Dichte von „Superreichen“ gibt – nach der Schweiz und Singapur.

Die leere Nachricht und ihre ökonomische Verwertung muss strategisch geplant und programmiert werden; zwei, drei Tage, an denen das Wetter zu schlecht ist, können nicht schaden. Das Entscheidende bei einer solchen Invention aber ist, dass sich die Medien marktkonform verhalten. Und das haben sie in diesem Fall gemacht, vom Boulevard über die sozialen Medien bis hin zu den öffentlich-rechtlichen Sendern und den bürgerlichen Zeitungen: Die FAZ brachte es am 16. Oktober fertig, in jeder Rubrik von Politik über Feuilleton, Wirtschaft und „Medien“ bis, natürlich, zum Sport, irgendeine Baumgartner-Geschichte unterzubringen – von sachlich bis launig, von geilen Wirtschaftszahlen bis zur nerdigen Naturwissenschaft. Die leere Nachricht ist wie eine Instant-Nahrung, aus der man verschiedene Gerichte „zaubern“ kann.

Die Medien selber scheinen vom Rekord-Rausch des Herrn Baumgartners angesteckt: Der Youtube Kanal „Red Bull Stratos“ wurde mehr als 366 Millionen Mal abgerufen. Jeder dritte Österreicher hat sich den Fall angesehen, die Übertragung im ORF war die Sendung mit der viertgrößten Einschaltquote aller Zeiten, und die Kronen-Zeitung dankte gleich dem „lieben Gott höchstpersönlich“ für die gelungene Mission. 50 Fernsehsender übertrugen nach Europa, Indien, Japan und Neuseeland und zwar mit einer Sicherheitsdistanz von 20 Sekunden, damit bei einem Unfall noch rasch hätte abgeschaltet werden können.

 

Selbstergriffen

Der deutsche Sender N-TV, ein „Nachrichtensender“, verzeichnete mit dieser Übertragung die höchste Quote seiner Geschichte mit 7,1 Millionen Zuschauern, und lag damit vor der Tagesschau (5,6 Millionen), die ebenfalls einen Bericht von dem Ereignis brachte. Die leere Nachricht berauscht sich an sich selbst, und vor lauter Ergriffenheit über die eigene Verbreitung vergisst sie ihren ursprünglichen Anlass fast, dessen Knochen man am Ende den Bedenkenträgern und Kolumnisten überlässt.

Das alles ist schon sehr beeindruckend. Es stellt sich indes die Frage, wozu zum Teufel man eigentlich noch echte Nachrichten benötigt, wenn die inszenierten, leeren Nachrichten doch ungleich populärer, erfreulicher und ökonomisch nützlicher sind. Es ist ein kalkulierbares Risiko, was die neuen Gladiatoren als Nachrichtenproduzenten eingehen. Vor einigen Jahren stürzten in der Schweiz Red-Bull-Basejumper tödlich ab, und dieselben Zeitungen, die nun im Baumgartner-Fieber ihre politische Ökonomie ausschwitzen, fragten empört: „Geht Red Bull über Leichen?“ Was für eine Frage! Als wüsste niemand, was der Kick an einer leeren Nachricht ist.

 

Georg Seeßlen, der Freitag 18.10.2012

Bild: Felix Baumgartner in free fall, photographed by Luke Aikins. OTRS pending

Quelle: CC BY-SA 3.0, (c) Luke Aikins, Red Bull Content Pool

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