Das Böse ist immer und überall
Das Kino ist ein ungemütlicher Ort, schon lange. Es drohte schon seit seiner Geburt damit, dass die Grenzen zwischen Spiel und Ernst, tödlichem Ernst überschritten würden. Dass die Zuschauer schreiend aus dem Saal liefen, weil sie sich vor der Einfahrt eines Zuges fürchteten, war zu Zeiten der Gebrüder Lumière noch ein Werbegag. Aber er blieb haften. Der Schrecken von der Leinwand wurde seitdem immer wieder beschworen.
Peter Bogdanovich erzählte in seinem Debüt „Targets“ im Jahr 1968 von einem jungen Mann in einem Freilichtkino, der von der Leinwand herunter auf die Zuschauer schießt, die eine Promotion-Vorführung für den neuesten Horrorfilm mit Boris Karloff besuchen. Am Ende stehen sich der Protagonist einer alten Repräsentation des Bösen im Kino und der neuen schizoiden Gewalt gegenüber. Boris Karloff rettet uns noch einmal vor der Realität des Bösen,
Zehn Jahre später begann in „Circuito Chiuso“ der Italo-Westerner Giuliano Gemma von der Leinwand auf sein Publikum zu schießen. Wieder war das Kino eine tödliche Falle geworden, und aus der Bannung des Bösen dessen Herrschaft.
Wieder knapp zehn Jahre später, in Lamberto Bavas „Demoni“ fallen die mordenden Geister von der Leinwand des Kino Metropol über die Zuschauer her; die Ausgänge sind versperrt, kein Weg mehr in die äußere Wirklichkeit.
1996, in „Tesis“ von Alejandro Amenabar verliert eine Filmstudentin bei den Recherchen zum Thema „Gewalt im Film“ die verlässlichen Grenzen zwischen dem Realen und dem Fiktiven des Bösen im Film.
Und nun, bei der Premiere von „The Dark Knight Rises“ ist der geträumte Rückschlag des Kinos in die Wirklichkeit tödliche Wirklichkeit geworden. Auch Christopher Nolan war in seinem gewaltigen Epos vom maskierten Helden dem Bösen, wie es Bild wird, und wie es in den Seelen wirkt, auf der Spur.
Jeder Ort, an dem Menschen sich versammeln oder sich in größerer Zahl bewegen, kann zu einer der Fallen werden, an denen Terroristen, Amokläufer und andere menschliche Zeitbomben zu explodieren pflegen. Das Kino ist freilich dafür ein besonders metaphorischer Ort, einer, an dem wir schon lange geahnt haben, dass man vom Bösen nicht ungestraft so angelegentlich träumt.
Das Böseste am Bösen ist, dass es keinen Sinn erzeugt.
Georg Seeßlen
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