oder: Die Volksstimmen-Verstärkungsmaschine. Wie man mit der alten Formel von der technischen Beschleunigung und der gleichzeitigen kulturellen Regression die Arbeitswilligen gewinnt.
Der Konsens der Konsensstörung
Es gibt zu Jörg Haider und seinen Pendants eine sehr einfache Erzählung, die größere Differenzierungen höchstens in ihren Verzweigungen zur Ursachenforschung zulässt. Da ist ein Mann, der es versteht, die dumpfen Gefühle einer schweigenden rechten Mehrheit anzusprechen, ihr nach dem Mund zu reden, manchmal, wenngleich auch weniger ausgeprägt, zu handeln.
Er bedient regressive, durchaus faschistische Impulse, spricht Ängste an, ersetzt Ideen und Projekte durch Stimmungen und hat keineswegs dabei, wie wir es noch eine Generation vordem für ausgemacht hielten, die Opfer der Modernisierungen, sondern vielmehr noch ihre „kleinen“ Gewinner im Auge.
Die politische Regression, die er dabei anspricht, wird auf der einen Seite von einer allgemeinen, durch die Medien forcierten Regression (vulgo „Verblödung“) gedeckt, und auf der anderen Seite von einer gelähmten und lähmenden politischen Klasse, die sich in kaum noch voneinander zu unterscheidenden „Volksparteien“ organisiert, eher nach Lage von Sachzwängen als aus Programmen entscheiden und deren Vertreter sich in einem immerwährenden Wahlkampf ebenso gern zu Medienkaspern machen, wie sie sich in wirtschaftlich-kriminellen Verschwörungen verheddern.
Von der anderen Seite gibt es die Erzählung, einer wie Haider sei nur Ausdruck einer demokratischen Politik, die sich selbst in ihrem hochkomplexen System der Abhängigkeiten vollkommen gelähmt habe. Er und seinesgleichen stünden dann dafür, die Illusion des Politischen überhaupt, die Idee von Optionen, aufrechtzuerhalten. Er drückt das paradoxe Ende der parlamentarischen Demokratie aus. Er setzt die Dinge wieder in Bewegung. Er mag insofern heilsam sein, als er auch die Opposition wieder „aufweckt“.
Wesen der Erzählung ist es, die Gefährdung für die moderne Massendemokratie zugleich zu sehen und zu bannen. Erst durch das Auftreten der rechtspopulistischen Parteien und ihrer medienwirksamen Führer werden Wahlen, wird Politik überhaupt wieder erzählbar, nachdem sich zur gleichen Zeit die großen Erzählungen von „Links“ und „Rechts“ in der alten und neuen Mitte als Schimären erweisen und auch, wie besonders deutlich in Deutschland, der „Generationenwechsel“ alles andere als politische Innovation entwickeln kann, sieht man einmal von der merkwürdigen Moralisierung der Diskurse ab, deren Folgen für die politische Repräsentanz noch lange nicht so abzusehen sind wie für das mediale Erscheinungsbild.
Absurderweise entdecken die aufrechten Liberalen in dem Augenblick den Staat, den sie weitgehend privatisieren wollten, wo der Rechtspopulismus ihn bedroht, und wollen ihn stärken. Das einzige Argument, was in der Mitte gegen Haider noch halbwegs zu ziehen scheint, ist die „Staatsräson“ und die „Destabilisierung“. Vielleicht ist ja ein Drittel neufaschistisches Potenzial wirklich nicht gut fürs Geschäft.
Aber andererseits, wenn die anderen auch … aber da ist die rechtpopulistische Medienmaschine schon ein Selbstläufer, ein mythisches Perpetuum mobile. Es frisst Zustimmung wie Ablehnung auf dieselbe Weise, weil der „demokratische Staat“ seinen Phantom-Charakter an ihm abarbeitet. Das hat eine Dimension der Alltagslogik: Öffnet sich der demokratische Staat den „faschistoiden“ Parteien, gibt er ihnen Recht. Verschließt er sich, gibt er ihnen auch Recht. Und am meisten Recht gibt er ihnen durch das tatsächliche Verhalten eines Sowohl-als-auch, das durch den durchschaubaren Trick gedeckt werden soll, die faschistoiden Parteien von ihren Wählern zu trennen.
Entweder wird den Rechtspopulisten dabei unterstellt, sie seien so verführerisch wie ein neues Waschmittel, oder den Wählern wird unterstellt, sie seien auf eine nachgerade radikale Weise dumm, sodass sie nicht einmal wüssten, wen sie da eigentlich – aus Protest (aber um Himmels Willen: Protest wogegen?) – wählten. Möglicherweise hätten diese Wähler aber auch das Spiel so durchschaut, dass sie ihre Stimme gar nicht mehr „eigentlich“ abgeben, sondern sich im Rechtspopulismus nur eine Krokodilsfigur im politischen Kasperlespiel geschaffen haben, mit der man, wenn nicht den Larifari selber, so doch den guten Seppl gehörig erschrecken könnte. Vielleicht kann man ja das ewig grinsende Kasperle dazu zwingen, seine Pritsche herauszuholen. Wir wissen, dass dies in der Regel der Punkt ist, wo das Spiel außer Kontrolle gerät.
Wie werde ich ein Krokodil?
Die Wählerinnen und Wähler aber protestieren dagegen, dass man sie als Protestwähler anspricht (als entweder nicht ganz dicht oder nicht ganz ehrlich), indem sie ihre Stimmen erst recht den Rechtspopulisten geben. Doch, sagen sie mit jeder neuen Wahl: Wir meinen es wirklich so. Wir sind überhaupt die, die es immer so meinen. Jedenfalls solange Kasperle seine Pritsche nicht herausholt. Aber das Krokodil ist mittlerweile so groß geworden, dass ein Kasperl mit einer Pritsche nichts mehr ausrichtet. Er braucht einen Pritschen-Staat und eine Pritschen-Armee, sodass die restlichen verbliebenen Figuren eigentlich nur noch die Wahl haben, verprügelt oder gefressen zu werden. Unterdessen kümmern sich Kasperle und das Krokodil weder um den Text des Spiels mehr noch um die Kulissen. Sie reißen die Bühne kurz und klein. Vorhang zu, aber rasch.
So einfach und apokalyptisch das Spiel zu Ende geht, so kompliziert und gewunden war sein Aufbau. Die Wirkung hängt nämlich entscheidend damit zusammen, dass wir nicht wissen, wo eigentlich der demokratische Text verlassen wurde, wo das Spiel damit begann, sich selber aufzufressen. Wie man ein Kasperle wird, ist hinreichend bekannt. Aber wie werde ich ein Krokodil?
Wir basteln uns einen Rechtspopulisten
1. Der Rechtspopulist ist ein Phänomen, das sich jenseits des Retro-Effekts entwickelt. Es ist entscheidend, dass es sich als etwas „Neues“ inszeniert. Er mag hier und dort die Gespenster des „Ewiggestrigen“ beschwören, er selber aber ist keinesfalls ein Ewiggestriger. Der Rechtpopulist hat es nicht nötig, den historischen Faschismus zu verdrängen; er verwendet ihn wie ein Angebot des Supermarktes. Er entdeckt am historischen Faschismus nicht etwas Gutes, sondern etwas Nützliches.
2. Der Rechtspopulist bringt seine ökonomische Basis bereits mit. Er ist kein „Aufsteiger“, keiner, der von unten kommt, sich das Dazugehören erkämpfen müsste. Er ist keiner, der durch die rechte Revolte zu einem Erfolg kommt, den man ihm vorher versagt hat, sondern ein Erfolgreicher, der nach unten spricht. Wenn der historische Faschist seinen Faschismus auf die Wirtschaft projiziert hat, so projiziert der Rechtspopulist seinen wirtschaftlichen Erfolg auf die Politik. Er ist kein „Günstling“ der Wirtschaft, sondern selbst Unternehmer, wenngleich nicht unbedingt in der Ikonografie des „bürgerlichen Unternehmers“. Das ödipale Drama des Sohnes, der zum „Anstreicher“ und zum „Gefreiten“ werden muss, bevor er seine patriarchalen Väter auffrisst, muss sich nicht wiederholen.
3. Entsprechend führt der Rechtpopulist seine Partei als Wirtschaftsunternehmen. Das heißt: Er benötigt in der Regel nicht das, was man in den klassischen Parteien „die Basis“ nennt. Die rechtspopulistische Partei ist keine Kaderpartei, die sich vor Ort „verankern“ will, sondern ein Netz von Vertriebsagenturen, die Events organisieren und ein Produkt anpreisen, die Person des Rechtspopulisten selber und alle Stücke seiner Inszenierung. Wie ein Wirtschaftsunternehmen auch hat die Partei des Rechtspopulisten keine feste Form, sondern ist um einige Warenzeichen herum verflüssigt.
4. Der Rechtspopulist ist einer, der „so geworden“ ist; er schadet sich nicht, wenn er als Liberaler, sogar als „Linker“ angefangen hat, oder wenn er ein „Seiteneinsteiger“ in die Politik ist. Er will das System nicht verändern, sondern deutlich zu sich selber bringen. Er bemächtigt sich rechter wie linker Mytheme, die er ad hoc verwendet, um die „klassischen“ Fixpunkte der Faschisierung herum: Rassismus, Nationalismus, Anti-Modernismus, Law & Order, ständische und völkische Ordnung der Gesellschaft, Militarismus, Autoritarismus, Führer-Prinzip und so weiter.
5. Der Rechtspopulist ist ikonografisch so wenig zu isolieren wie politisch. Haider behauptet, von Tony Blair würde ihn nichts anderes als der Name unterscheiden. Nicht nur die Ähnlichkeit der Rhetorik fällt ins Auge, von der Vorliebe für eine bestimmte Art von Oberhemden (ein Diskurs des Weiß mit der Arbeitskleidung: weder spartanisch noch hedonistisch) ganz zu schweigen, sondern auch die Ikonografie gleicht sich; Edmund Stoiber, der als erster zum Einbinden Haiders „geraten“ hat, passt ebenso in diese Bildwelt.
Die erste Generation der Rechtspopulisten zeigten sich als tückische Kleinbürger; sie pflegten etwas Yabba-the-Hud-Haftes wie Jean-Marie Le Pen. Stationär und lauernd. Die zweite Generation dagegen stellt die Beweglichkeit aus, auch wenn man nicht überall so Skilehrer-mäßig drauf sein muss wie Haider in Österreich. Die Beherrschung der Diagonale.
6. Der neuere Rechtspopulist betont seine Männlichkeit, ohne sie zu monumentalisieren. In einer Gesellschaft, der nicht nur die Arbeitsplätze, sondern gleich die Arbeit selbst abhanden kommt, verkörpert er nichts als Arbeit. Das mythische Paradox des arbeitenden Unternehmers. Dieser Männerkörper arbeitet immer, und dieses sein Arbeiten ist sein eigentliches Angebot. Er verspricht Arbeit durch seinen Körper und Hass auf alle Nicht-Arbeit. Er sexualisiert diese Arbeit, lange bevor er das in seine Rhetorik einbaut, und sexualisiert noch mehr den Hass auf Nicht-Arbeit, und diese Arbeit muss zurückgewonnen werden, weil sie buchstäblich alles ist: der Erfolg und die phallische Identifikation des Körpers, Selbstwert und Religion.
Der Heilige Krieg des neuen Faschismus wird um die Arbeit geführt. Der nicht arbeitende Mensch ist der doppelte Feind: als Untermensch, der nicht arbeiten will oder kann, oder als Konkurrent, der „unsere“ Arbeit streitig macht (so wie der Feind vordem unser Land, unseren Reichtum, unsere Frauen wollte). Der moderne Rechtspopulist setzt dies in seine Performance um: Wenn wir nicht arbeiten, sind wir vollständig mit der Abwehr der Nicht-Arbeit beschäftigt.
Die rechtspopulistische Inszenierung ersetzt schließlich sogar die Arbeit durch ihre Verteidigung. Daher ist dem vom Rechtspopulismus ergriffenen Menschen mit den besten Worten nicht klarzumachen, dass er beständig nicht vorhandene Arbeit gegen nicht vorhandene Gegner „verteidigt“. Er muss Arbeitslager für die Nicht-Arbeitenden und Ausschluss, ja Krieg, gegen die Arbeitssuchenden verlangen. Arbeitet er nicht, fühlt er sich um die Arbeit betrogen, arbeitet er, fühlt er sich von den Nicht-Arbeitenden ausgebeutet (und keineswegs von seinem „Arbeitgeber“).
Kurzum: Der Rechtspopulist instrumentalisiert und ästhetisiert die neue Ambivalenz der Arbeit im Spätkapitalismus, wo Arbeit zugleich kostbarstes Gut und Instrument der Selbstvernichtung ist. Wenn er spricht, in seiner Erscheinung wie in seinen Worten, dann spricht er zu dem, der eine Arbeit hat, um die er zugleich fürchten muss und die ihm üble Last ist, und er spricht den Arbeitslosen an, dem nur jemand die Arbeit weggenommen haben kann. Und natürlich spricht er zum Arbeitgeber, der sie noch als die Natur begreift, die er bearbeiten muss, als barbarische Körper, denen doch erst er zum „Sinn“ verhelfen kann.
Und der Ausländer, der eigentlich immer ein Nicht-Arbeiter ist, beweist seinen Unwert gleich dreimal: Wenn er die Drecksarbeit für wenig Geld macht, für das ich nicht einmal aufstehen würde. So bedroht er mein Arbeitsethos. Wenn er mir meine Arbeit wegnehmen will, die er womöglich schneller und besser macht, weil er arbeitet wie ein Tier. Und wenn er nicht arbeitet und auf meine Kosten lebt. Dass dieses geschlossene xenophobe System schlicht und ergreifend wahnsinnig ist, fällt nicht weiter auf, denn aus der neuen und alten Mitte kommt weder eine alternative Bestimmung dessen, was „Arbeit“ ist, noch gar eine andere Vorstellung des „Fremden“.
So kann sich der Rechtspopulist inszenieren als das arbeitende Nicht-Fremde, als Bollwerk gegen die unübersehbare Masse der nicht-arbeitenden Fremden. Er greift dabei schon insofern in die Geschichte zurück, als er den Gründungsmythos der post-faschistischen Gesellschaften und der post-kollaboratorischen Kulturen aufgreift. Der besagt nämlich, dass der Wohlstand und damit eben auch der Luxus der Demokratie (und von Luxus trennt man sich in schlechteren Zeiten ja bekanntlich am ersten) vor allem auf „unserer Arbeit“ aufgebaut war.
Dass das neufaschistische Denken in den neuen Bundesländern so schnell und tief greifen kann, hat vermutlich viel weniger mit den „autoritären Strukturen“ zu tun als viel mehr mit der doppelten Belastung durch die Gespenster der Nicht-Arbeit. Nicht nur, dass man sich mit dem Wessi-Vorwurf konfrontiert sieht, in der DDR habe ja niemand „so richtig gearbeitet“, auch die Rehabilitation wird entweder mangels „Arbeitsplatz“ unmöglich oder endet als grausame Farce. „Wir waren doch auch fleißig“, schreit (Originalton) eine Frau aus der DDR, die zum ersten Mal in den Westen kommt, „wir hätten so gern gearbeitet für einen Wagen wie die, ein Haus wie die. Wir waren auch fleißig.“
Arbeit verschwindet, je genauer man sie ansieht. Daher ist das Ur-Angebot des Rechtspopulisten eine Blendung gegenüber der Ambivalenz der Arbeit. Auch hier werden daher keineswegs nur die Arbeitslosen und Verlierer zu Neufaschisten, sondern gerade auch diejenigen, die sich gegenseitig die Ambivalenz der Arbeit im Spätkapitalismus nachgerade um die Ohren schlagen.
7. Dennoch ist der Rechtspopulist mehr als ein blutrünstiges Gespenst eines ökonomisch, kulturell und psychisch sinnlos gewordenen Arbeitsethos. Er verspricht die mythische Auflösung all der Widersprüche, die das Erkennen des Kapitalismus hervorrufen würde. In Wahrheit wissen wir, was wir wollen, wenn wir den Fernsehapparat einschalten. Wir wollen nicht wissen, was wir wissen. Dass es keine Zukunft der freien Marktwirtschaft gibt ohne neuen Faschismus. Der Rechtspopulist behauptet nur, ein bisschen von dieser Zukunft zu wissen. Er probiert aus, wieviel wir von der Vergangenheit und zugleich wieviel wir von der Zukunft schon akzeptiert haben.
8. Der Rechtspopulist ist der politische Ausdruck von Reihenhäusern, Volksmusiksendungen, Vergnügungsparks, Fußgängerzonen, Kaffeefahrten, Landhausstil und Trainingsanzügen. Noch bevor er ausdrückt, was alle denken, drückt er aus, wie alle leben: in semiotischen Systemen, die die urbanen Zumutungen des Fremden, des Unerwarteten und Unberechenbaren, der hohen Kultur ebenso wie der Subkultur abweisen. Ein Leben des individuellen Kollektivismus, in der der Nächste zugleich vollkommen identisch und auf Distanz gehalten ist, in gesicherten Innenräumen, die den frei zugänglichen öffentlichen Raum verabscheuen.
Die rechtspopulistischen Events ähneln nicht zufällig so sehr den Volksfesten, den rauschhaften Erfahrungen dieser geschlossenen semiotischen Systeme. Darin, vor allem, ist der Rechtspopulist „einer von uns“.
9. Der Rechtspopulist bietet ein offenes System an; er durchmischt die Elemente, um sie zu dynamisieren. Dass er sich selber beständig widerspricht und nie so etwas wie ein konsistentes Programm entsteht, versucht er gar nicht zu verbergen, er „bedient“ die Modernisierungsverlierer ebenso wie die Gewinner. Selbst die Offenheit gegenüber der Wirtschaftskriminalität („Causa Rosenstingel“) verstärkt eher die Zustimmung. Das „Wir“ ersetzt ganz einfach alle „objektive“ Moral. Der Rechtspopulist absolviert unsere Vergehen.
Die rechtspopulistische Maschine der Verstärkung von Volkes Stimme in die Politik hinein fungiert als Auflösung der „modernen“ Nation: Das einzige Projekt ist es, von der Globalisierung zu profitieren und zugleich sich gegen sie einzumummen. Was in Staaten wie Jugoslawien zum offenen Zerfall führt, bedeutet im Aufstieg der Rechtspopulisten in den westeuropäischen Staaten einen inneren Zerfall. Um es klar zu sagen: Das Projekt der parlamentarischen Demokratie ist bereits in Österreich nicht mehr zu retten. Deshalb ist es vielleicht kein Zufall, dass dieser Prozess der Erosion gerade in den Ländern beginnt, die man von außen eher als „Paradiese“ ansieht: Gerade dieser Blick macht die Spannung aus, macht eine zweite Phase von Angst aus.
Die Propheten des Haiderismus, die Rechtspopulisten von der Art des Jean-Marie Le Pen in Frankreich und des Franz Schönhuber in Deutschland, erledigten sich selbst nicht allein durch die karikaturhaften internen Machtkämpfe in ihren Organisationen, die turbo-ödipale Inszenierung der Vatermorde, sondern auch dadurch, dass sie gerade das Dumpfe und Regressive in ihrer Erscheinung so betonten. Ihnen war so ziemlich alles zuzutrauen, nicht jedoch die Fähigkeit, das Projekt Moderne zu beherrschen.
In Bayern hat die CSU einen Mythos geschaffen, der dem Rechtspopulismus den Wind aus den Segeln nimmt. Laptop und Lederhosen. Das ist im Grunde nichts anderes als die alte faschistische Formel von der technischen Beschleunigung und der gleichzeitigen kulturellen Regression: Beschleunigung einerseits, altes Glück andererseits. Der moderne Rechtspopulist ist das lebende Bild dieser Strategie. Er verheißt besinnungslose Modernisierung im Bereich eines öffentlichen Produzierens, das heimelig gemacht werden kann nur, indem es in gewisser Weise „völkisch“ verstanden wird, während er im Inneren die Bewahrung des „alten Glücks“ verspricht, die den Ausschluss der schädlichen Einflüsse von außen verlangt.
Es ist ein vulgär-materialistischer Trugschluß, dass der Modernisierungsgewinner mit der Modernisierung weniger Probleme hat als der Verlierer. Der Gewinner internalisiert sie, die Folgen rumoren in ihm, und es ist nicht ausreichend, dass er von seinem Modernisierungsgewinn sich in Form einer Alpenhütte, eines Fernurlaubs oder „echter“ Kultgegenstände ausreichende Kompensation leisten kann. „Sozialneid“ unterstellt der Gewinner nämlich nicht nur dem Verlierer, er beschreibt damit ein eigenes Gefühl des Verlustes. Während er das Verspeisen eines Milchlammes durch „Kennerschaft“ zu adeln versucht, neidet er dem Verlierer sein Leberwurstbrot, weil er seinen Hunger, sein Glück nicht mehr teilen kann. Er neidet dem Verlierer seine Natur.
Deshalb wirft sich der perfekte Rechtspopulist, der von sich noch nicht einmal zu wissen braucht, in eine Märtyrerpose: Was habe ich verlieren müssen, um hier oben zu sein! Beinahe jedes Verbrechen wird dem Rechtspopulisten verziehen, nur nicht das der Faulheit. Der alte Faschist litt in seiner Märtyrer-Legende unter der Zurücksetzung, der neue Faschist leidet in der seinen unter seinem Aufstieg selbst. Er spricht die Wohlstandsverwahrlosung nicht nur bei seinen Wählerinnen und Wählern an, er ist ein lebendes Bild dieser Wohlstandsverwahrlosung. In seinem Feindbild verkehren sich die Verhältnisse von Beschleunigung und altem Glück. Er fürchtet im anderen die verlorene Natur; sein Fremdenhass ist vor allem narzisstischer Selbsthass.
Der neue Rechtspopulist also „verkörpert“ Arbeit weder als ökonomische noch als kulturelle Tätigkeit, sondern als psycho-sexuelle Inszenierung. Er verspricht, man verzeihe mir den Lacanismus, Arbeit als blinden Fleck im Spiegel, er sagt: Alles, was wir tun und denken, dreht sich um „unsere“ Arbeit, aber was die Arbeit sei, bringt er zugleich zum Verschwinden. Überall dort, wo sie in die politische Praxis eingetaucht sind, haben sich Vertreter der rechtspopulistischen Parteien durch einen eklatanten Mangel an Arbeitseifer ausgezeichnet. Die Vertreter des „alten“ Arbeitsethos glaubten, dies sei das Mittel, ihn zu entlarven. Das Gegenteil ist der Fall. Rechtspopulismus ist eine Form der Mythisierung der Arbeit, die sie gleichzeitig bewusstlos zum Verschwinden bringt.
10. Der Rechtspopulist ist eine Antwort auf die Medialisierung der Politik. Man wählt nicht die Lösung seines Problemes, schon gar nicht mehr in der Vermischung von Pop und Politik, man wählt den besten Ausdruck seines Problemes. (Deshalb, vemutlich, wird ausgerechnet die deutsche Regierung, die im Sinne der Transformationsprobleme der spätkapitalistischen Gesellschaften die erfolgreichste Arbeit leistet, die rot- grüne Armani-Regierung der New Boys, als die unbeliebteste in unsere Kulturgeschichte eingehen. Sie löst einerseits Probleme, die wir gar nicht haben wollen, und repräsentiert andererseits einen gesellschaftlichen Pakt, der uns weiter nicht interessiert.)
Kurzum: Der begabte Rechtspopulist drückt zwei Probleme aus:
Das Problem der „Identität“, indem er den Familienroman beschwört. Er sagt: Mutter, Vater, Kind sollen wieder Mutter, Vater, Kind sein. Zuerst redet man sich an den Werbeständen der rechtspopulistischen und neufaschistischen Parteien in den Hass. Ein Originalton: „In meinem Haus wohnen so Asylanten. Ich muss jeden Tag um sieben Uhr aufstehen, um zur Arbeit zu gehen. Und immer wenn ich an denen ihrer Wohnung vorbeikomme, dann lachen sie. Die müssen nicht arbeiten. Die stehen morgens auf, weil sie lachen wollen, wenn ich zur Arbeit gehe. Scheißarbeit. Und die lachen über mich. Und wenn ich abends nach Hause zurückkomme, fix und fertig, da stehen sie wieder hinter der Tür und lachen über mich.“ Und der örtliche Neufaschist sagt nur: „Das verstehe ich gut.“ Das zweite, nicht gar so geheime Thema ist die Sexualität.
So „löst“ der Rechtspopulist das Problem der Arbeit, indem er vorwärts und zurück träumt, die Arbeit zugleich als sexuelles und als Macht-Potenzial rekonstruiert. Er sexualisiert nicht nur die Arbeit, er verarbeitet auch Sexualität. Er protestiert scheinhaft gegen die Unklarheit, gegen die Sexualität (gegen das Glück oder auch nur das kleine Brüderlein Vergnügen) und lässt es zur Hintertür herein. Die alte, sehr „deutliche“ Form des Sexualneides im Rassismus löst er im Diskurs der Arbeit als einzig verbindende Größe von Körper, Gesellschaft und Ökonomie auf. Er sagt nichts anderes, als dass Sexualität Arbeit ist (seine pornografische Dimension) und zugleich, dass sie nicht vollzogen werden muß. Deswegen verdammt er den Körper, um ihn zu retten, zugleich als phallische Inszenierung. Er ist brünftig und impotent zugleich. Nach der Arbeit macht er also auch die Sexualität zum blinden Fleck im Spiegel; bringt er Sexualität zum Vorschein und zum Verschwinden.
So wie der Hass auf die Nicht-Arbeit zum Ersatz für die Arbeit wird, wird Hass auf Sexualität zum Ersatz für Sexualität. Ficken ohne zu lieben und lieben ohne zu ficken. Kein Wunder, dass er mit den alten Strömungen des Wahns so kompatibel ist. Er verspricht die Panzerung gegen die Zumutungen des unklaren Körpers; er verspricht mehr noch: Arbeit und Sexualität berühren den (Volks-) Körper nicht. Und neben den Sexualneid tritt der Gebärneid als sexuell verschärftes Verschwörungsmythem. Da gibt es kein Halten mehr.
Dass die Ausländer mit Hormonen gefüttert würden, damit sie mehr Kinder kriegen und uns verdrängen können, sagt einer von Haiders Gefolgsleuten. Im rechtspopulistischen Hass-Gestammel hallt ein Schrei nach der verschwundenen Mutter, so wie im „alten“ Faschismus der Schrei nach dem verschwundenen Vater hallte.
Wie bei der Arbeit hat auch bei der Sexualität die schreckliche Mitte der Gesellschaft keine Antwort auf den Rechtspopulisten, der ihre Probleme so perfekt ausdrückt. Auch sie hat sich zugleich pornografisiert und puritanisert, verlangt zugleich nach immer mehr Schweinerei und nach mehr Hexenverbrennung, sie schwätzt von ihrer Sexualität und kann immer weniger davon reden. Der Rechtspopulist bietet Entladung an, dort, wo der Noch-Mainstream nur Spannung anbieten kann.
Arbeit und Sexualität also, Identifikationen des Körpers sind es, die den Rechtspopulisten in den Mainstream hineintragen. Weder Ideologiekritik noch Ideen der Interessenkonflikte bringen uns daher weiter.
11. Der Rechtpopulist ist nicht „authentisch“ volkstümlich, sondern postmodern gespalten in den Genießenden und den Selbst-Manager. Wenn er das Volkstümliche inszeniert, steht er zugleich neben sich. Jörg Haider ist politisch, was Karl Moik („der aufdringlichste Österreicher nach Haider“, so ponkie in der Münchner Abendzeitung) im Bereich der „Volksmusik“ ist: Versprochen ist eine unendliche Ausdehnung des Provinziellen. Das dialektische Verhältnis zwischen der technisch-wirtschaftlichen Beschleunigung nach außen und der Bewahrung des „alten Glücks“, die „Heimat“ nach innen, gerät dabei in eine neue Dynamik: Das alte Glück wird selbst technisch verschärft. Es wird paradoxerweise zum Inhalt der Beschleunigung. Die Welt wird von der Provinz gefressen.
Karl Moik macht es vor: Unsere dumpfeste und dümmste Form der Verständigung hat durch unsere Beschleunigung bereits alle Grenzen überschritten; der Musikantenstadl am Platz des Himmlischen Friedens in Peking erzählt davon, dass wir, eine „gesunde“ Panzerung von Wahrnehmung und Darstellung vorausgesetzt, vor der Globalisierung keine Angst mehr haben müssen. Sich zu globalisieren und gleichzeitig alles „Multikulturelle“ abzulehnen, ist die rechtspopulistische Utopie, eine vorweggenommene Kriegserklärung.
Das Erschreckende an den Rechtpopulisten ist also viel mehr als die sich mählich vergrößernden Anteile an faschistischen, rassistischen und revisionistischen Gedanken, die in einem Kettenprozess in die Mitte sich fortsetzt. Ihre Strategien und Erscheinungen sind vielmehr selbst Teile und Beschleunigungen von Faschisierungs-Prozessen.
Eine andere Erzählung: Wir sehen, dass Politik als manifestes Geschehen immer mehr an Bedeutung verliert. Weder ist das Volk der Souverän noch die Regierung sein Instrument. Die Politik hat sich entmachtet. In der rechtspopulistischen Gedankenwelt kann das nur zwei Gründe haben (und beide sind gleich ekelhaft): Die Politiker sind schwach. Sie sind nicht Manns genug, sich gegen die unklaren Verstrickungen und Vernetzungen durchzusetzen, sie bilden nicht die „Persönlichkeit“ aus; es fehlt ihnen an der „phallischen Repräsentanz“. Oder aber: Es sind Verräter. Sie verraten „unser“ Interesse an die internationalen, ebenfalls unklaren Verschwörungen.
Der rechtspopulistische Politiker verspricht, das phallische Zentrum der Macht wieder zu besetzen. Während Le Pen und Schönhuber so etwas wie die Rückkehr der vertriebenen und entmachteten Väter waren, die gleichwohl bereits den alten Neonazismus und seine Rückwärtsgewandtheit zu überwinden trachteten, „sympathische“ Querulanten (mit einem gewissen „Asterix“-Bonus in der Mitte), die allerdings nicht wirklich ausersehen schienen, der Macht des rechten Untergrundes manifeste Gestalt zu geben, ist jemand wie Haider der „Sohn“, der vom Stigma der historischen Niederlage kaum noch berührt ist.
Und als Sohn kann er Partikel des faschistischen „Erbgutes“ rehabilitieren, ohne in Gefahr zu geraten, als „ewiggestrig“ zu gelten. Das gilt auch für den Schweizer Christoph Blocher, der eine sehr eigene Version des Rechtspopulismus vertritt: Während Haider tatsächlich „aufdringlich“, also expansiv auftreten muss, eine Botschaft, die so sehr wie der Moiksche Musikantenstadl nach Welthaltigkeit giert (nicht zuletzt, weil er einen gleichsam eingeborenenen Mangel an Selbstbewusstsein zu kompensieren hat), so ist Blocher tatsächlich Repräsentant einer auch semiotisch „wehrhaften Schweiz“, einer Schweiz, die eben gerade darauf abzielt, von außen gar nicht sehr genau angeschaut zu werden. Der eine zeigt es aller Welt, der andere will sich den Blick von außen verbieten. Eine Öffnung und ein Sich-Verschließen mit sehr verwandten Zielen.
Beiden gemeinsam ist es, dass sie jede Form der Kritik an ihnen absorbieren und zu einer Beschleunigung der Faschisierung nutzen können. Wenn ihnen Rassismus vorgehalten wird, erklären sie den Vorwurf selber zum Grund des Rassismus. Wenn man sie „entlarvt“ – so Haider wörtlich – verändern sie den Code, und selbst, wenn man mit dem Spiel nicht einverstanden ist, mag man die Spielverderber nicht. Und auch die „anderen“, das „andere Österreich“, ist zugleich erschreckt und zufrieden, eben weil es ein „anderes“ sieht und nicht sich selbst. Selbst Haider-Gegner reagieren ungemütlich auf eine Kritik, die von „außen“ kommt. Am Ende fühlt sich schließlich auch die bürgerliche Mitte durch eine nicht-österreichische Kritik angegriffen.
Dass der Aufstieg des Rechtspopulismus das Ende des traditionellen Antifaschismus aus einer aufklärerischen und humanistischen Tradition bedeutet, wird nur zu gern hingenommen, er bedeutet das Ende der Demokratie und das Ende einer „sozialen Marktwirtschaft“, die Bewegung auf etwas zu, das wir wohl einen „völkischen Turbokapitalismus“ nennen könnten. Haider und seine Verwandten sind keine Opponenten der letzten Modernisierungen, sondern die einzigen, die diese Transformationen „verkaufen“ können, ohne einen manifesten Bürgerkrieg zu provozieren.
Ihr Krieg gegen Minderheiten und Ausländer, teils virtuell, teils aber auch sehr real, ist die einzige mediale Alternative zu diesem Bürgerkrieg (von dessen Form wir so wenig wissen, wie wir wissen, wie der nächste Faschismus aussieht, und ob wir nicht längst in einem von beidem oder gar in beidem leben).
Vor Ort ist an SPD- und an Grünen-Ständen allen Ernstes zu hören, man müsse mehr abschieben, die Grenzen dichter machen, damit die Ausländer hier nicht einerseits den Rechten zum Opfer fielen, andererseits aber auch diesen Rechten nicht neue Argumente (und Bilder) liefern können. Auch das Clowneske ist kein Argument gegen die Rechtspopulisten, die es nur zu gut verstehen, die Realitätsebenen ihrer Inszenierung zu wechseln. Was an ihr Ernst ist und was Spiel, wird im Zusammenhang entschieden.
Die Spaltung in den Genießenden (den Teilhaber an der faschistischen Regression) und den Selbstmanager (der sich selbst so sehr öffentlich erfindet, wie L. Ron Hubbard öffentlich eine Religion erfand) erweist sich dabei als höchst funktional. Während der klassische faschistische Führer das absolute Eine, das Ungeteilte zu sein hatte, macht der neue Faschist alle Spaltungen seiner Klientel mit, ist zugleich Wiedergänger und Neukonstruktion, Puppe und Puppenspieler, Blick und Bild, Maske und Spiegel.
Auf diese Weise wird der Populist zu einem Modernisierungszombie, der jeden, den er berührt, ebenfalls in einen Zombie verwandelt. Das macht im Übrigen das aus, was wir seinen bizarren Humor nennen können. Das einzige Argument, das in Europa gegen den Post-Faschismus sprach, war, dass er keinen Erfolg hatte, dass er seinen Zusammenhang mit der Modernisierung verloren hatte, ewiggestrig.
Der Rechtspopulismus ist nicht nur erfolgreich, wie seine ratlosen Kritiker eingestehen, er ist um den Erfolg selbst herum aufgebaut. Er ist die Zukunft des Kapitalismus, und da jeder dies weiß, überrascht uns nicht im Geringsten, dass es gerade die Sozialdemokratie ist, die Inhalte einerseits und Präsentationsformen des Rechtspopulismus andererseits übernimmt.
Wo das gelingt und wo nicht, hat mit der fortgeschrittenen Maschinisierung des Rechtspopulismus einerseits, mit einer fehlenden Mitte andererseits zu tun. Haiders Selbstvergleich mit Tony Blair ist zugleich anmaßend und realistisch; Schröder ist einer, der weder Bild noch Gegenbild sein kann und dabei unter dem Blick zerfällt. Die Plakate sprechen eine deutliche Sprache: Europäische Politiker inszenieren sich, als würden sie gerne aussehen wie Jörg Haider.
Der Rechtspopulist ist also zum einen die mythische Antwort auf einen erheblichen Widerspruch, nämlich auf die gleichzeitige Angst vor der globalen Beschleunigung und auf die Angst, aus der historisch-ökonomischen Entwicklung ausgeschlossen zu werden. Es gibt keine „linke“ Antwort auf diese Ängste, am Ende nicht einmal eine demokratische.
Das Zentrum der Macht entleert sich. Die politische Inszenierung erschöpft sich immer mehr in der Maskierung. Meta-Politics, symbolische Veranstaltungen, werden immer bedeutender. Zur gleichen Zeit gibt es einen neuen Inaugurationsstreit zweier Zentren zugleich wahrer, aber konturenloser Macht: die Medien auf der einen Seite, die Wirtschaft in ihrer hierarchischen Struktur auf der anderen Seite. Beide sind aufeinander angewiesen, beide verlangen, dass der Politiker und die Politkerin, als offenkundiges Material des ehemaligen Souveräns, des Volkes, ihr Eigentum, ihr Geschöpf sei.
Und tatsächlich haben wir ein Jahr lang einer Regierung zugesehen, die unentwegt symbolische Unterwerfungen einmal nach der einen, ein andermal nach der anderen Seite unternahm. Der rechtspopulistische Politiker (der bislang kein weibliches Pendant hat) verspricht also zunächst, Politik überhaupt wieder in ein eigenes Recht zu setzen. Sie bieten kein Schauspiel der Unterwerfung, sondern im Gegenteil das Schauspiel des Widerstandes. Sie behaupten von sich, ein politisches Subjekt zu werden. Freilich ist der Preis hoch: Sie haben diese Unterwerfungen bereits gefressen, sie sind vollständiger Ausdruck dieser widersprüchlichen Einheit von Ökonomie und Medium.
Die Welt als Musikantenstadl
So wird verständlich, warum es keinen annähernd erfolgreichen Linkspopulismus gibt, obwohl es möglicherweise an dazu begabten Menschen nicht fehlt, und warum auch das Konzept der „Neuen Mitte“ weder mythisch noch als soziale Praxis greift. Denn in der Beziehungsfalle zwischen der Lust und der Gier, an der Globalisierung zu profitieren, an der Ausdehnung der Welt teilzuhaben, und der anderen Lust, der Regression, zurückzukehren in den Mutterbauch, in das Bierzelt, das immer größer und größer wird, bis die ganze Welt ein einziger Musikantenstadl ist, gäbe es nur zwei andere Möglichkeiten: die Beschleunigung selbst aufzuhalten (ein gutmenschliches Projekt, das sich im Modewort der „Entschleunigung“ ausdrücken pflegt), oder aber umgekehrt, der ökonomischen Praxis der Globalisierung auch eine kulturelle und soziale Öffnung folgen zu lassen.
Was das Modewort „mulitikulturell“ beschreiben will, ist eigentlich nichts anderes als „urban“, ein Wiederaufgreifen der Idee von den Metropolen als kulturelle Versuchsanordnungen grenzenlosen Lebens. Eben diesem Projekt der Urbanisierung aber haben sich unsere Lebensweisen beharrlich verweigert. Der ursprüngliche Faschist erkannte in der Metropole seinen Widerspruch und verwandelte sie in das Paradox einer „Hauptstadt der Bewegung“; der Rechtspopulist bewegt sich in einer post-metropolitanen Kultur und macht sich diesen Mangel zu Nutze. In der Welt als allumfassendem Musikantenstadl heißt es: „Alles ist okee – und des is schee“, im Rechtspopulismus richten sich die Energien auf die Negation, gegen alles, was nicht diesem Alles unterworfen ist.
Vielleicht mag es da nicht zu weit fortführen, wenn man sich erinnert, dass die Vorstellung der Metropole von einer mütterlichen Stadt herrührt, in der Geborgenheit und Freiheit zu finden ist. Die Stadt ist der Ort der Sünde der Verweiblichung, zugleich das Raffinement der Kultur und die Barbarei eines offenen „Matriarchats“.
So wie der Musikantenstadl ist also auch der rechtspopulistische Politiker ein Bild gegen die gefürchtete Urbanität. Aber er kann nicht mehr, wie der alte Reaktionär, den Provinzialismus in seine Ikonografie einbeziehen, er muss zugleich städtisch und anti-urban sein; vor seiner Gestik, vor seiner Rhetorik zerbricht die Stadt in die industrielle Beschleunigung und in die pseudo-dörfliche Idylle. Es soll nichts „anderes“ in dieser Stadt sein, keine Fremden (jedenfalls keine, die nicht vollständig vom Prozess der industriellen Beschleunigung und der Dienstleistung aufgefressen werden), aber auch keine skandalöse Moderne.
Der rechtspopulistische Politiker also ist Städter und Nicht-Städter, dem entspricht seine Maske: Er ist einer, der immer gerade von der Arbeit kommt, und nun den Übertritt in seine regressive Heimat-Welt vollzieht. Seine Hemdsärmeligkeit funktioniert genau anders herum als die des fleißigen Modernisierers. Er hat nicht die Ärmel aufgekrempelt, um etwas anzupacken, sondern ist vielmehr im Begriff, partiell seine „städtische Verkleidung“ abzulegen. Viel mehr als der gewöhnlich konservative Politiker scheut der Rechtspopulist dagegen die Inszenierung der Volkstümlichkeit.
Er selber trägt keine Lederhosen, das Bierfass-Anzapfen ist seine Sache nicht. Nicht nur, weil er in jeder Sekunde klarmachen muß, dass es ihm ernst ist, dass für solche Kindereien jetzt keine Zeit ist, denn es ist für ihn ja nur eine Welt vorstellbar, in der es beinahe schon zu spät ist, sondern eben auch, weil er diese Trennung des kleinbürgerlichen Alltags nicht mitmacht, hier die historische und soziale Mission, Arbeit und Politik, dort das Feiern, die kleine, erlaubte und kontrollierte Regression. Das Volkstümliche ist bei ihm nicht Form, sondern Inhalt. Er verabscheut es als symbolisches Spiel und integriert es als Wesen. Nein, der rechtspopulistische Politiker hat beides so sehr zusammengezwungen, dass es in seiner Ikonografie nicht mehr zu trennen ist.
Was die amerikanische Situation von der europäischen unterscheidet – und in der rechtspopulistischen Phantasie spukt zugleich ein kultureller Anti-Amerikanismus (so als wäre der Musikantenstadl „authentischer“ und weniger pornografisch als eine Hamburger-Station) und eine Sehnsucht nach den puritanischen Law-and-Order-Ikonen – ist, dass die Politik hier zwar beinahe noch grotesker „entmachtet“ ist (jeder Präsident kann wahlweise von der Lobby einiger Industriezweige oder von den Medien im Zeichen merkwürdig privatisierter Moral demontiert werden), aber sie ist nicht mit einem Mangel an phallischer Gewalt verbunden. Die Gewalt als Ersatz für die Macht, das verspricht der rechtspopulistische Politiker in Form einer sozialen Gewalt gegen die „Drückeberger“ und Asyl-Missbraucher, er verspricht eine Moralisierung im Zeichen der Gewalt (und nicht, wie die rot-grünen New Boys Gewalt im Zeichen der Moral).
Die Strategien von Gleichzeitigkeit der technischen Beschleunigung („Modernisierung“) und altem Glück bedeutet im Großen den Anschluss nicht zu verpassen und im Kleinen beim „Wir sind wir“ zu bleiben.
So ist es wahrscheinlich, dass der Rechtpopulismus eine feste Größe in der Politik wird, so wie auch die „volkstümliche Musik“ offenkundig nur kleine Transformationen einerseits und eine unendliche Ausdehnung andererseits benötigt, um zum semiotischen Zentrum von Suburbia zu werden. Das ganze System ist nichts anderes als das Versprechen, Wärme nach innen und Kälte nach außen abzustrahlen.
So wird in die Politik eine Verstärkungsmaschine für Volkes Stimme eingefügt, die gerade dadurch erwirkt, dass alles, was dahinter steht, weitgehend virtuell bleibt. Der Druck auf die „demokratischen“ Parteien ist dabei so groß, dass diese in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dieser Volksstimme Rassismus, Reaktion undsoweiter schneller adaptieren. So ist es gar keine Frage, ob der Rechtspopulismus an die Macht kommen kann. Er ist es schon.
Daher wirkt der Rechtsextremismus in Deutschland nicht nach, weil er sein Reales virtuell pflegt. (Eine Partei wie die DVU ist eigentlich nur erfunden: War es einst möglich, dass sich eine Partei eine Presse schafft oder eine Presse „gefügig macht“, so ist es nun eher so, dass sich eine Presseunternehmung mit Spezialität „Rechtsextreme Klientel“ eine Partei schafft, für die das Unwichtigste ein reales Agieren im politischen Alltag scheint.) Der Rechtspopulist ist mit der Gewalt auf der Straße anders vernetzt als im Sinne einer faschistischen „Organisation“. Man bedient sich vielmehr der jeweiligen angsterzeugenden Kräfte.
Die nächste Stufe ist der Schweizer Rechtpopulist Blocher: Da vermag sich ein global agierender, Milliarden schwerer Unternehmer gleichsam einen (kleinen) Staat nach dem eigenen Bild zu halten, gemeinsam mit einer Gruppe „Gleichgesinnter“.
Tatsächlich sind die Konstruktion der „Neuen Mitte“ durch die New Boys, der „Volkskapitalismus“ nach Blocher (jedem Schweizer sein Aktienpaket) und die xenophobe Stimmung des Haiderismus zwar kulturell differenziert, alles läuft jedoch auf das gleiche Modell hinaus. Die mythische Rekonstruktion von Arbeit, Familie und Volk durch eine Form der Teilhabe, die nicht mehr durch die demokratische Übersetzung strukturiert ist, sondern eine völkische Symbiose verlangt, die nur durch den militanten Ausschluss der Nicht-Teilhabenden zu erlangen ist. Das Fremde, Urbane und Intellektuelle wird gehasst, weil es dem Modell dieses neuen „Volkskapitalismus“, der mehr noch ein völkischer Kapitalismus ist, entgegensteht.
Nicht die Klassen, sondern das Innen und Außen stehen in Konkurrenz. Die Privatisierung und Globalisierung (der Abtritt von Macht an die ökonomischen Vernetzungen) kann nur einem neu strukturierten Verteilungskampf entsprechen. Zum Antisemitismus führt die ökonomistischste Anschauung der Welt; der rechtspopulistische Diskurs dreht die Argumentation um: Steuergelder der Schweizer Bürgerinnen und Bürger dürften nicht zur Begleichung der Schulden auf den „namenlosen Konten“ benutzt werden, sprach Blocher Volkes Stimme aus dem Sinn.
Blocher ist zumindest darin noch konsequenter als Haider: Er will die Schweiz an der globalen Wirtschaft teilhaben lassen, aber keine Gesetze, keine Transparenz von außen nach innen lassen. Unter anderem das Geldwäsche-Gesetz. Die rechtspopulistischen Verbände und Mythen sind in dieser Hinsicht auch so etwas wie das Äußere einer neuen Mafia.
Und hierzulande? Nach dem Verschwinden von Schönhuber (der freilich nie so recht den Bierzelt-Geruch loswurde und so bayrisch blieb, dass man in ihm nicht viel mehr sehen konnte als einen verschärften Franz-Josef-Strauß-Imitator) fand die rechte Gesinnung in Deutschland kein Objekt, kein Gesicht, keinen Körper. Die „erschreckenden“ Wahlgewinne der Phantom-Partei DVU sprachen zunächst einmal von der Sehnsucht.
Der deutsche Rechtspopulist wird daher, so steht zu vermuten, nicht direkt vom „rechten Rand“ kommen (denn dort pflegt man sich gegenseitig so oder so zu meucheln). Er wird aus der „Neuen Mitte“ kommen, die ihm den Weg nach Kräften bereitet.
Autor: Georg Seesslen
Text veröffentlicht in jungle world Nr. 47, 11/1999
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