Bericht über den „Erzählwettbewerb“ zur allgemein verträglichen und systemrelevanten Umschreibung der deutschen Geschichte
Kennen Sie den amerikanischen Film „Angriff der Killertomaten“? Da fressen riesige „Fusseltomaten“, aus denen eben, genau wie es der Titel sagt, durch schlechte Behandlung Killertomaten geworden sind, Menschen auf, die daher, sofern sie noch nicht gefressen wurden, in hysterische Panik verfallen. Ist ja klar. Wer will schon von einer Fusseltomate gefressen werden? In diesem Film gibt es eine Szene, in der in einer Universitätsbibliothek fleißige Studenten über ihren Büchern arbeiten oder einfach ein Nickerchen machen. Einer von ihnen aber sagt, ganz tückisch, aber nur so, ein Wort leise vor sich hin: „Tomate“. Schreiend rennen die Studenten aus der Bibliothek, die Hysterie breitet sich über die Stadt aus, die Leute laufen einfach planlos hin und her, denn wohin flüchtet man sich vor Killertomaten? Das deutsche Pendant zu amerikanischen „Fusseltomaten“ ist „68“. Aaaargh!
Egal wie und wo irgend etwas zu dem Thema auftaucht, zwei Dinge sind sicher: Ein hysterisches Durcheinander und der Einsatz der Gegenwaffe. Diese Gegenwaffe ist das Anwerfen einer riesigen Erzähl-, Bekenntnis- und Meinungsmaschine. Ein grundrauschiges Erzählen um die Wette wird begonnen, dessen vorzügliches Kriterium es ist, mit möglichst anschaulichen, „authentischen“ und trickreichen Texten möglichst viele Killertomaten, quatsch, möglichst viel von „68“ zu erledigen, um mit einer Mischung aus Zerknirschung, Triumph, Besserwisserei und schlichtem Lügen dorthin zu gelangen, wo wir doch alle hin wollen. In die schöne Mitte unserer schönen, Killertomatenfreien Republik. Und natürlich zum Zeilenhonorar.
Jetzt hat also wieder jemand „Tomate“, nein, Schluss jetzt; jetzt hat also wieder jemand „68“ gerufen. Auch in so einer sonderbaren Bibliothek. Für die ganz große Hysterie sind wir alle schon ein bisschen zu müde, und vielleicht deshalb haftet den Produkten aus der Erzählmaschine auch jetzt etwas so Zähes, Abgeschmacktes und Uninspiriertes an. Was macht man in so einem Fall historisch-kultureller Ermüdung? Man ruft einen Wettbewerb aus. Den „Goldenen Schuss“ und den „Spezi-Kurras“ zur deutschen Geschichtsumschreibung. (Über die Dotierung wird noch mit verschiedenen Stiftungen und Sponsoren verhandelt.)
Wir müssen zugestehen, dass die Voraussetzungen es den Teilnehmern nicht eben leicht machen, weswegen die Jury es auch bei Inhalt und Sprache nicht allzu genau nehmen darf, wenn nur das erklärte Ziel, das „allgemein verträgliche und systemrelevante Umschreiben der deutschen Geschichte“ erreicht wurde. Denn möglicherweise gibt die Enthüllung, dass der polizeibeamtete Todesschütze Kurras im Zweitberuf Stasi-Spitzel war, gar nicht so viel her. Ganz davon abgesehen, dass diese historisch-moralische Farce von einer so furchtbarer Komik ist, dass man sich wundert, dass so etwas noch Niemandem zuvor als Stoff für ein Bühnenstück eingefallen ist. Es ist, als würde man einem Mörder noch nachweisen, dass er auch ein Betrüger war, und dass einer seiner Arbeitgeber fies genug war, den Mörder zu decken, und dumm genug, den Betrüger gewähren zu lassen, während der andere fies genug war, den Betrug zu lenken, und dumm genug, den Mörder loszulassen. Denn, wenn überhaupt, dann ist dies die „Gründungslegende“ für einen Widerstand mit Gewalt: Nicht dass ein Polizist einen friedlich demonstrierenden Studenten erschoss, sondern dass Politik, Presse und Polizei-Taktik eine solche Tat vorbereitet und offensichtlich billigend in Kauf genommen hat, dass diese Tat rechtlich, politisch und sozial gedeckt wurde, dass Staat und Gesellschaft, Politik und Medien Benno Ohnesorg noch nach dem Tod Recht und Würde verweigerten, dass sein Mörder gar als Held gefeiert wurde und der einzige, der in diesem Fall verurteilt wurde, der Berliner Verleger Klaus Wagenbach war, der Kurras einen Mörder nannte. Jetzt, wo klar ist, dass Kurras vom Osten bezahlt wurde, darf ihn natürlich jeder Depp einen Mörder nennen.
Der eigentliche Tatbestand der „Gründungslegende“ ist der, dass sich ein politisch-gesellschaftlich-medialer Zusammenhang hinter ein offensichtlich verbrecherisches Geschehen stellten und diese zugleich zu Staatsräson und Volkeswille umlogen. Schon vergessen? Eben, und deswegen ist das nächste allgemein verträgliche und systemrelevante Umschreiben der deutschen Geschichte, das sich schon auf ganz anderen Feldern bewährt hat, auch in diesem Zusammenhang auf allen Ebenen von Macht und Wohlstand in unserem Lande erwünscht.
Damals half dabei die Erzählmaschine, und heute tut sie es wieder. Ob Kurras Stasi-Spitzel war oder nicht, ob er „im Auftrag“ von drüben, andersherum als von hüben, von der Springer-Presse zum Beispiel „Aufgehetzter“ oder einfach als gewaltkrankes Subjekt, als Lehrbuch-Modell des autoritären Charakters in seiner gefährlichsten Art handelte (heute hätten wir es vermutlich mit einem Amokläufer, einem Neonazi oder einem ganz gewöhnlichen alkoholkranken Waffennarren zu tun), das ändert ganz und gar nichts am Verhalten seiner Vorgesetzten, seines Apparates, seines Umfeldes, und jener Öffentlichkeit, die all das unterstützte, was seinen Fall so einzigartig macht: Das Unaufgeklärtlassen, das Vertuschen, das Versenken des Rechts im Meer der Opportunität, das schamlose Lügen und nicht zuletzt die Auflösung von Täter- und Opfer-Rolle. Wenn man die Welt verstehen will, braucht man immer Karl Marx, Sigmund Freud und James Bond: das Innere des Menschen, das Äußere des Systems und den kaputten Zynismus, mit dem sich beides immer wieder verbindet.
Kein bisschen, im übrigen, ändert sich auch an der Erzeugung der Situation, in der dieser Mord nur stattfinden konnte, und über die damals Sebastian Haffner im Stern schrieb: „Was sich in der Berliner Blutnacht des 2. Juni ereignet hat, war nicht die Auflösung einer Demonstration mit vielleicht etwas zu rauen Mitteln. Es war ein systematischer, kaltblütig geplanter Pogrom, begangen von der Berliner Polizei an Berliner Studenten. Die Polizei hat die Demonstranten nicht, wie es üblich ist, verjagt und zerstreut, sie hat das Gegenteil getan: Sie hat sie abgeschnitten, eingekesselt, zusammengedrängt und dann auf die Wehrlosen, übereinander Stolpernden, Stürzenden mit hemmungsloser Bestialität eingeknüppelt und eingetrampelt.“ Ein solcher Text, der dem Autor prompt eine Anklage durch, jawohl, die Polizeigewerkschaft einbrachte, wäre heute nicht mehr vorstellbar, zumal in einem Mainstream-Medium, obwohl sich an den beschriebenen Praktiken nicht viel geändert hat. Gleichzeitig aber kann man ihn nostalgisch zitieren, ohne eine neuerliche Anzeige durch die, jawohl, Polizeigewerkschaft zu riskieren. Schon allein daran ist zu sehen, wie nützlich und effektiv das Projekt der allgemein verträglichen und systemrelevanten Umschreibung der deutschen Geschichte ist.
Man könnte also in aller Gemütsruhe der deutschen Nachkriegsgeschichte beim Verrücktwerden zuschauen und einmal mehr den „Killertomaten“-Effekt genießen, aber deutsch sein heisst ordentlich sein. Allerdings: Bearbeiten, so oder so, muss man eine historische Erkenntnis wie diese natürlich dennoch. Dafür haben wir ja die Medien, dass sie uns beim Kopfschütteln helfen: entweder über die Unübersichtlichkeit der Verhältnisse oder darüber, wie einfach doch jener Menschen-Typus gestrickt ist, der an den Schnittstellen der Geschichte immer wieder auftaucht, neben dem ewigen Gewinner, der in jedem System Karriere macht: der dumpfe Gewaltmensch, der sich in den Dienst jeder Sache stellt, wenn er nur morden und foltern darf. Es wäre, ob ihr’s nun glaubt oder nicht, sagen kritische Geister, ein wenig Trauer angemessen, über nichts anderes als über die Banalität des Bösen, auch hier. Und über den Tod eines Menschen, der für sich schmerzt und kein Aufrechnungs- und Symbolmaterial ist. Was diese Kritiker erzürnt, das ist die eifernde Gleichgültigkeit, mit der der Erzählwettbewerb über die Tatsache hinweg geht, dass im Zentrum des „Mythos“ nicht nur das Töten eines Menschen stand, sondern eine umfassendere Schuld: „Es besteht leider der dringende Verdacht, dass auf Ohnesorg auch dann noch eingeschlagen wurde, als er tödlich getroffen bereits am Boden lag.“ erklärte damals Richter Geus – und sprach den Todesschützen frei. Wir verstehen, warum unsere Erzähl-, Bekenntnis- und Lügenmaschine angeworfen werden muss. Nicht nur, weil die Gelegenheit wieder einmal günstig ist, sondern weil im Kern der Erzählung eine Schuld steht. Eine nicht akzeptierte, nicht verstandene, verdrängte Schuld. Noch einmal und schon wieder. Der Mord an Benno Ohnesorg war das Sohnesopfer der Wirtschaftswundergeneration. Und die Stimmung dazu, nicht nur in der Springer-Presse, war, man kann es nicht anders beschreiben: geil. Deswegen überlegt sich die Organisation des Erzählwettbewerbs „Der goldene Schuss“ und „Spezi-Kurras“ ob eventuell doch an eine Schweigeminute vor der Preisverleihung gedacht werden könne (allerdings haben sich konservative Kreise bereits dagegen ausgesprochen und eine namhafte Sponsoren-Gruppe droht für diesen Fall mit dem Rückzug).
Zaghaft zunächst hatte sich die deutsche Presse schon vor der mehr oder weniger zufälligen Enttarnung von Kurras als IM und SED-Mitglied mit diesem Menschen befasst, nämlich anlässlich seines achtzigsten Geburtstags. Seine damalige öffentliche Äußerung aber ließ die Erzählmaschine gleich wieder vor Schreck stillstehen: „Fehler? Ich hätte hinhalten sollen, dass die Fetzen geflogen wären, nicht nur ein Mal; fünf, sechs Mal hätte ich hinhalten sollen. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So is das zu sehen.“
Welches Ungeheuer hatte man da aus seinem Schlaf geweckt? Das Projekt des allgemeinen Schwätzens und Erzählens hat einen immensen kulturpsychologischen Therapie-Effekt: Über das mörderische Ungeheuer, gegen das man im Mainstream vordem nichts sagen durfte, der vordem Ausdruck der klammheimlichen Wünsche der deutschen Mehrheit war, darf man jetzt sprechen. Ja jetzt, wo er als Stasi-Agent enttarnt ist, darf man ihn sogar aus der Polizeigewerkschaft ausschließen. Jetzt darf man ihn hassen, jetzt darf man wieder sagen: „Das war keiner von uns. Wir haben von nichts gewusst!“
Die Konsens- und Schwafelmaschine wird nie zur Arbeit an der Geschichte, sondern immer nur zur Ordnung der Gegenwart angeworfen. Und daher wird, schon wieder, der „Fall Kurras“ von unseren prächtigen Mainstream-Medien dazu benutzt, sich „die Linke“ noch einmal zu erfinden, um sie noch einmal gründlich entsorgen zu können. Da es diese Linke freilich ohnehin kaum anders denn als Gespenst gibt, muss man wohl fragen, was diese hinterlistige Frage soll: Muss jetzt die Geschichte neu geschrieben werden? Als wäre unsere Gesellschaft nicht seit mindestens einem Jahrzehnt ohnehin mehr damit beschäftigt, ihre Geschichte umzuschreiben, als ihre Gegenwartsprobleme zu lösen! Genauer besehen: Auf ihre Gegenwartsprobleme antwortet diese Gesellschaft mit dem Umschreiben ihrer Geschichte(n). Wir müssen endlich aus diesem Umschreiben eine Kultur machen, das heisst: Man muss richtig Geld damit verdienen.
Die verrauschte mediale Kurras-Erzählung ist ein klassischer Fall der Verblendung. Ganz im Sinne eines Blind-Werdens und, vor allem, Blind -Machens durch einen Medien-Blitz, und im Sinne der Umrüstung eines Hauses – eines Hauses der Geschichte – durch irgendwie täuschendes, abwehrendes Material. In Wahrheit müsste ja eher nicht die Geschichte der Opposition, als die Geschichte der Macht in Deutschland neu geschrieben werden. Kurras, das war ein Symptom, und wie alle Symptome mehrdeutig. Unsere Medien scheinen sich, bei allem Gezänk, darin einig, dass dieses Symptom keineswegs am erkrankten Körper, sondern an seinem Gegenüber zu behandeln sei. Nicht um das Verstehen scheint es zu gehen, sondern um die nationale Restauration.
So verleihen wir denn den „Goldenen Schuss“-Preis in der Kategorie „Friede, Freude, Eierkuchen“ an Götz Aly: „Die Beteiligten blieben infolge des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs, des Kalten Krieges, der kommunistischen Lehre vom Klassenkampf in das Freund-Feind-Denken gebannt. Ob sie nun Peter Boehnisch (BILD-Zeitung), Joschka Fischer (Revolutionärer Kampf), Götz Aly (Rote Hilfe) oder Heinrich Albertz (Regierender Bürgermeister) heißen, sie brauchten unterschiedlich lang, um sich von diesem Bann zu befreien: Albertz gelang das nach wenigen Monaten, für den 81jährigen Pensionär Karl-Heinz Kurras ist es noch nicht zu spät“.
Dieser Text, so die Begründung der Jury, bringt es fertig, in wenigen Zeilen zugleich Geschichtsmodell, Bekenntnis, Moral und Ideologie mit einem Feelgood-Faktor von mindestens 12 zu verbinden, und das alles ohne jegliche Art von Idee und Wahrnehmung. Respekt! Es handelt sich um eine Art von Text, die gar nicht mehr den Umweg über den Kopf nimmt, sondern gleichsam direkt aus der Konsensmaschine kommen. (Kleiner Nachteil, deshalb hat es auch nicht zum Hauptpreis gelangt: Es rauscht einfach zu schnell vom Anlass ins Nirvana.)
Hans-Hermann Tiedje von der BILD ist der einzige Erzähler, der mit Preisen in sehr unterschiedlichen Kategorien ausgezeichnet wird. „Massendemos, Unruhen und brennende Barrikaden, ja selbst der Tod von Rudi Dutschke haben ihren Ursprung direkt im Einfluss- und Auftragsbereich von Erich Mielke, dem Stasi-Minister der SED (heute Linkspartei). So viel auch zum Thema, ob die DDR ein Unrechtsstaat war.“
Merkwürdigerweise, so die Jury, gehört ja zur Erzählung von Stasi-Agent Kurras, „die Linken sind an allem Schuld und wer die Linken sind, das bestimmen wir“, als Neben-Erzählung eine, die von allgemeinem Kopfnicken begleitet wird: Auch die Springer-Presse ist nicht mehr so schlimm wie damals, sie spricht nicht mehr vom „Ausmerzen“, gell, sie reicht die Hand zur Versöhnung. Schwamm über eure Pflastersteine, Schwamm über unsere Mordhetze. Und jetzt zum Tagesgeschäft. Beim Götz Aly waren die Nazis an den Sozis, die Sozis an den 68ern und die 68er am Rest schuld. Bei Tiedje beweist der Tod von Rudi Dutschke, dass die DDR ein Unrechtsstaat war und dass die Linke weg gehört. Weil er subtil erklärt, dass eine bestimmte Presse mitnichten verändert ist, sondern das gleiche Verblödungs- und Propagandageschäft betreibt wie in den sechziger Jahren (sie hat nur eine subtilere Rechtsabteilung), überreicht die Jury Hans-Hermann Tiedje den „Rumpelstilzchen“-Preis des „Goldenen Schusses“.
Einen zweiten Preis erhält Herr Tiedje in der Neben-Kategorie „Uups! Was habe ich denn da geschrieben“, für den Satz: „Die Deutungshoheit über die Frage, was gut oder schlecht für Deutschland sei, lag bei Typen, für die man sich nur entschuldigen kann.“ Einen kleinen Punktabzug gibt es hier für die grammatische Ungenauigkeit. Die Deutungshoheit liegt schließlich immer noch in den selben Händen, und genau weiss man ja auch nicht, bei wem man sich für jemanden wie Herrn Tiedje von der BILD eigentlich entschuldigen könnte. Er setzt seiner tiefen Einsicht überdies noch einen Nachsatz hinzu: „Auch mit Kampagnen wie ‚Enteignet Springer!’ lagen sie falsch.“ „Falschliegen!“ Wo haben Sie Ihre Eier! Früher schrieb man bei Ihnen im Blatt doch so: „Man darf die Drecksarbeit auch nicht der Polizei überlassen.“ (Eine Minderheit in der Jury legt Wert darauf, dass sie der Preisverleihung an ein, Pardon, „reaktionäres Weichei“ nicht zustimmen konnte.) Apropos Eier! Auch der bereits erwähnte Götz Aly bekommt einen weiteren Preis, nämlich den für den „Silbernen Eiertanz“ für folgenden Satz: „Die unangemessenen, ganz und gar undemokratischen Reaktionen der in West-Berlin dominierenden Springer-Zeitungen und der politischen Führung arbeiteten dem DDR-Konzept in die Hände, die prekär gelegene Inselstadt zu destabilisieren.“
Seit es keine DDR und keine DDR-Konzepte mehr gibt, deren Konzept man in die Hände arbeiten könnte, brauchen wir uns also um unangemessene, ganz und gar undemokratische Reaktionen von Zeitungen und Politikern keine Sorgen mehr zu machen. Das ist schön. Und sorgt des weiteren für das, worum es bei diesem Preis doch recht eigentlich geht, nämlich ein nationales Wohlfühlen.
Jetzt aber zu etwas ganz anderem. Den Preis „Wahlkampf immer und überall“ bekommen der kultur- und medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), MdB und die, ja, so etwas gibt es, „zuständige Berichterstatterin“ Maria Michalk, MdB, für diesen Pressetext der CDU/CSU-Fraktion: „Die Rolle des Polizisten Karl-Heinz Kurras, bekennender Kommunist und SPD-Mitglied und die Vorgänge um seine Nichtverurteilung müssen noch genauer aufgearbeitet werden.“ (Frage des Wahlkampf-Praktikanten: „Äh, Chef, Tschuldigung, ist das nicht ein bisschen derb: Todesschütze, bekennender Kommunist, SPD-Mitglied und Nichtverurteilung aufarbeiten? Und ich dachte der wäre in der SED…“ – „Mann, Schulze, was lernen Sie eigentlich bei Ihren Privatsendern? Unsere Kunden wollen das so! Alles rotes Gesocks!“)
Den Preis „Schwarzrotgoldener Luftballon“ bekommt Bernd Ulrich von „Die Zeit“: „Nein, die Bewegung hatte von Anfang an ein völlig verblendetes Bild vom Staat, sie sehnte sich nach Feindbildern, und ihr allererster Anfang war nicht erhaben, sondern verquer, ein trauriges, tragisches Missverständnis“. Die Jury rühmt an dieser Wendung insbesondere die tiefe Einfühlsamkeit. Es ist als empfinde man geradezu die Sehnsucht nach einem Feindbild mit, die einen traurigen, missverstehenden Menschen überkommt, der erst einmal eingekesselt wurde und dann einen Polizeiknüppel über den Kopf gezogen bekommt und am nächsten Tag in den Zeitungen vom vorbildlichen Einsatz der Staatsbeamten lesen muss. Wir verstehen natürlich auch die Historizität darin, denn heute ist so etwas ja normal, aber damals, da haben die jungen Menschen ja noch an die Demokratie geglaubt. Aber dann haben ihnen die Linken ein Feindbild, ach was, „ein völlig verblendetes Bild vom Staat“ angedreht, und da war es natürlich aus mit der Demokratie. Besonders gewürdigt hat die Jury an diesem Text auch das bildungsbürgerliche Angebot: Von Erhabenheit ist die Rede. Genauer gesagt von ihrem Fehlen. Nun hatte zwar wohl niemand angesichts eines Mordes und des gerichtsmäßig festgestellten polizeilichen Schändens der Leiche ein Empfinden der Erhabenheit, aber in einem deutschen Diskurs ist es fundamental, dem unordentlichen Anderen die Fähigkeit zur Erhabenheit abzusprechen. Kein Beethoven für die 68er!
Natürlich geht es nicht allein darum, alles Linke in einen Erzähltopf zu schütten, umzurühren und die Soße dann zu veröffentlichen, und es geht nicht allein darum, den verblendeten 68ern generell nicht nur das eigene Denken und das eigene Empfinden (ohne die Stasi hätten diese ungewaschenen Leute weder angefangen kritisch über ihren Staat und seine Geschichte zu denken, noch in seinen ordentlichen Repräsentanten irgendwelche „Feindbilder“ zu sehen!) abzusprechen. Immer geht es auch um die öffentliche Vernichtung der Restlinken.
Den Sonderpreis für die hinterlistigste Verdrehung auf einem Nebenschauplatz erhält Oskar Negt von der FAZ, vor allem für ein konkurrierendes Denksystem, das nicht nur über das Interesse sondern auch den Horizont der Konsensfabrikation geht. Dass Kurras ein Spitzel gewesen sei, zeige, „dass autoritäre Systeme ortsunabhängig tätig“ seien. Der Kriminalobermeister samt seiner Doppelexistenz im Geflecht eines Geheimdienstes erscheint ihm nur als Indiz für einen autoritären Staat, ob diesseits oder jenseits der Elbe.
Kurzum, die Enttarnung stellt in Negts Augen am Ende doch keine Überraschung dar. Als Achtundsechziger habe man schließlich gewusst, dass West wie Ost gleichermaßen abzulehnen gewesen seien. Für die These von der Äquivalenz eines westlichen Pressekonzerns mit einem östlichen Geheimdienst muss ein allgegenwärtiger Begriff des „Autoritarismus“ herhalten. Es kann nur irritieren, wie gerade jener Sozialwissenschaftler, der zu Beginn der siebziger Jahre zusammen mit Alexander Kluge eines der einflussreichsten Bücher über den Begriff der Öffentlichkeit vorgelegt hatte, auf jede qualitative Unterscheidung zwischen einem Rechtsstaat und einer Diktatur, zwischen Boulevardpresse und Spitzelsystem meint verzichten zu können.
Zwischen einer Ausgangsposition und einem rhetorischen Nothammer liegt ein schwarzes Loch. Der Sonderpreis gebührt dem Autor übrigens nach Ansicht der Jury deswegen, weil er den selben Denkschwurbel-Stunt in einem einzigen Artikel gleich mehrfach unterbringt. Den ziemlich unwiderlegbar klugen Gedanken seines Kontrahenten entlarvt er damit, dass er ihm selber völlig blödsinnige Schlussfolgerungen unterstellt. Das ist vielleicht nicht großes Kino, aber immerhin serielle Handwerkskunst der Verblödung.
Nun aber ist Peter Schneider dran: Besonders auffällig ist dabei, wie Schneider die Staatssicherheit der DDR bewertet. Sie sei „wohl die aufgeblasenste und die verrückteste Geheimdienstorganisation in der Geschichte der Menschheit“ gewesen. Nun, das MfS war gewiss eine bizarre, zur Monstrosität neigende Organisation. Aber verrückt? Das unterschlägt, dass sie für die SED hocheffizient sein konnte. Allein die Tatsache, dass es ihr gelang, den Sturz Willy Brandts beim Misstrauensvotum 1972 durch Stimmenkauf zu verhindern und damit indirekt die Anerkennungspolitik der DDR zu stabilisieren, widerspricht diesem Bild und zeigt, wie wichtig die Staatssicherheit für die Staatspartei gewesen sein muss.
Insassen unseres famosen Systems sollten eigentlich wissen, dass eine Organisation (eine Bank zum Beispiel) durchaus gleichzeitig verrückt und hocheffizient sein kann. Dass das Gelingen eines Handstreichs zeigt, wie wichtig die Hand für den Kopf ist, ist nebenbei eine interessante Logelei. Für die Jury war es besonders wichtig zu bemerken, dass Texte wie dieser nicht allein gegen „linkes Denken“ polemisieren, sondern gegen das Denken überhaupt. Das hat, wir wissen es, noch nie dem nationalen Wohlgefühl geholfen.
Den Publikumspreis für die geschmacklosesten Formulierungen könnten sich mehrere Medien teilen. Doch herausragend ist die Überschrift der FAZ: „Ohnesorg-Theater“
Dies nämlich ist die andere Seite des nationalen Wohlfühl-Konstrukt, ein Verachtungs- und Ekelpotential. Es reicht nicht, dem Gegner (und sei er noch so fiktiv) den Subjekt-Status abzusprechen (Aus dem Lehrbuch der Propaganda: Je näher uns eine uns ungenehme Sache oder eine uns ungenehme Person ist, desto dringlich der Hinweis, sie werde „fremd“- und „von außen“ gelenkt). Es reicht nicht, die Wahl zwischen „Verblendung“ und „tragischem Missvertsändnis“ für die reumütige Rückkehr zu lassen. Selbst dort wo scheinbar „Versöhnung“ oder wenigstens allgemeines „Friede, Freude, Eierkuchen“-Wischiwaschi das Erzählziel ist, geht es in Wahrheit bei der Umschreibung der deutschen Geschichte um Vernichtung.
Wie bei vielen Erzählwettbewerben gibt es auch beim „Goldenen Schuss“ einen Ehrenpreis, und den bekommt in unserem Fall (ganz schön postmodern, gell?) das Subjekt der Erzählung selber, Karl-Heinz Kurras, der seine Geschichte mit den sehr, sehr wahren Satz (in BILD) kommentierte: „Was Dichtung und Wahrheit ist, ist ja unklar.“ Das zeigt zweifellos die Grenzen auch unseres Erzählwettbewerbs auf!
Natürlich dürfen wir, bei all den professionellen Schreibschwätzern, auch die Amateure nicht vergessen. Dieser unser Preis geht daher an die Verfasserin eines Leserbriefes an die FAZ, Barbara von Campe schrieb: „Als Jahrgang 1966 bin ich unter Achtundsechziger-Lehrern mit Friedensbewegung, RAF und der Hetze gegen unseren ‚Polizeistaat’ aufgewachsen. Als damaliges Mitglied der Jungen Union wurde ich ausgebuht, wenn ich sagte, die Terroristen würden von der DDR finanziert. Vieles von damals ist bis heute ungefiltert in unseren Köpfen hängen geblieben. Lassen wir uns deshalb heute so ‚DDR’lichen? Woher kommt die Forderung nach einem Mindestlohn? Warum werden Kinderhorte so glorifiziert? Warum streben so viele Bundesländer nach der Einheitsschule? Warum wird zugelassen, dass die ‚Pro Reli’-Initiative durch die Landesregierung diskriminiert wird? Warum werden weiterhin bewährte bürgerliche Werte achtlos über Bord geworfen?“ Also, es war die Stasi die die 68er bezahlte, damit sie bei der schweigenden Mehrheit eine Reaktion des gekränkten Narzissmus auslösen sollten, der noch heute das Schlimmste verhindert: den Frieden, den Mindestlohn, Kinderhorte, Einheitsschulden und kirchenfreie Zonen.
Der Fall Kurras ist ideal für eine Erzählung, in der man beides zugleich entsorgen kann: die neue und die alte Linke, das „Regime“ und die „Revolte“, die lästigen „Brüder“ und die unbotmäßigen „Söhne“ (und mindestens so sehr „Töchter“) von einst. Die neue Erzählung besagt stattdessen: Der böse Bruder hat in Wahrheit die unbotmäßigen Söhne und Töchter unterstützt, bezahlt, ja eigentlich erst erzeugt. Beides also war uns äußerlich, also nichts von symptom, sondern eher eine Vergiftung, von der wir uns jetzt, mit Hilfe der Umschreibung der Geschichte, langsam erholen können. Durch diese Erzählung wird die deutsche Geschichte wieder, was sie sein soll: einheitlich und linear.
Die Vereinheitlichung der Nachkriegsgeschichte ,komplexreduziert und widerspruchsfrei gemacht, ist nur ein Seitenstück zur Komplexreduzierung und Integrierten Geschichte des Nationalsozialismus: Es ist der große Einheitsbegriff des „Totalitarismus“, der alles entsorgen soll. Die Nazis waren totalitär, die Bolschewisten waren totalitär, die 68er waren totalitär, und eigentlich ist das alles eins und bedingt einander und ist das, was wir vom guten Innen her als das böse Außen sehen. Der Spezialpreis „Totalitarismus-Michel“ geht daher an Götz Aly, der mit einer schönen Volte besticht: „Die in linken und linksliberalen Kreisen gepflegte Legende, dass Benno Ohnesorg als Opfer eines systematisch begründeten Polizeimordes anzusehen sei, ist widerlegt“. Aber haben sich Polizei, Politik und Springer-Presse nicht genau so verhalten, wie es nur durch einen Grund sinnvoll erscheinen mochte, nämlich durch eine nachträgliche Übernahme des Helden? Wenn es sich nicht um eine systematisch begründete Tat im Vornherein gehandelt hat, dann hat es sich um eine nachträglich systematisch begründete Tat gehandelt. Und jetzt kommt es: „Außerdem stärkt der Fund das Argument, dass die spezifische Härte und Unbedingtheit der deutschen Studentenunruhen von 1967/68 als Spätfolge und Spätausläufer des Totalitarismus zu analysieren ist“.
Neben den Totalitarismus-Entsorgungen und mit ihnen verknüpft sind ein paar Versöhnungsangebote. Deshalb muss man, das ist das Furchtbare daran, den Mörder Karl-Heinz Kurras öffentlich verstehen (als traumatisierten Menschen, der „in einem sowjetischen Straflager schwere Traumata erlitten hat“, wie Götz Aly schreibt) und gleichzeitig sein Opfer, den pazifistischen Studenten Benno Ohnesorg, genau so öffentlich vergessen.
Es geht in der Tat um einen nachgeholten Akt der historischen „Nicht-Anerkennung“. Es ist niemand anderes als der Innenminister des vereinigten Deutschland, Wolfgang Schäuble, der die Freigabe der Akten des Verfassungsschutzes und der Berliner Polizei zu verhindern wusste. Was immer man davon halten mag (die Annahme des Schlimmsten hat immer die größte Aussicht, die Wirklichkeit zu treffen): Die „Historisierung“ der damaligen Geschehnisse wird dadurch eine verflixt einseitige Angelegenheit. Oder eben: Nicht Geschichte wird da deutlich, sondern es entstehen Stories.
Es fragt sich also, was hinter diesen Erzählungen eigentlich steckt. Natürlich die Konsens- und Lügenmaschine selber, ist doch klar. Jeder erzählt eben so vor sich hin, was ihm und seiner Kundschaft gut tut. Trotzdem gibt es noch ein bisschen mehr. Was in fast allen diesen Erzählungen nämlich unternommen wird, das ist, der damaligen Neuen Linken ihre Neuheit unter den Füssen wegzuziehen.
Das immer noch falsche Konzept der politischen Klasse in der Krise ist es, in der globalisierten Wirtschaft eine nationale Standort-Politik zu betreiben: Statt sich zu globaler Politik fortzuentwickeln (mit einer menschenrechtlichen, demokratischen, humanistischen und sozialen Linie, wenn es denn bitte ginge), wirft sich die alte Nation selber auf den Markt. Wenn Angela Merkel zum Beispiel behauptet, „Deutschland“, „wir“ würden stärker aus der Krise hervorgehen, dann umfasst das, dass Andere verlieren müssen. Absurderweise haben sich aber die Wettbewerbe unter den Nationen durch Neoliberalismus und Globalisierung, die ihre transnationalen Ströme und Märkte haben, eher verschärft: Jede Nation will ein guter Finanzplatz werden und bietet als Wettbewerbsmasse das eigene Volk an: Steuervorteile für das Kapital, gesenkte Lohnkosten, Sicherheiten usw. Damit eine Nation nun auf den Markt gebracht werden kann, muss sie als solche reibungslos funktionieren. Dazu gehört neben der Disziplinierung der eigenen Bevölkerung eben auch eine lineare Erzählung.
Zur Hysterisierung gehört das Ganze, weil wir im Fall Kurras schon wieder so einen der alten Inquisitionstricks haben, eine klassische Double Bind-Falle: Was hättest du getan, wenn du damals gewusst hättest, dass Kurras ein Stasi-Mann gewesen ist?
Möglichkeit 1: Ich hätte mir die Sache mit der Weltrevolution und dem Generationenkonflikt und dem Faschismus noch mal überlegt und hätte gleich Betriebswirtschaft studiert und wäre Mitglied der CDU geworden (die FDP war doch damals noch furchtbar „liberal“). Brav, mein Kind, nun kehre zurück an deinen Platz in der Mitte von Staat und Gesellschaft.
Möglichkeit 2: Ich hätte ein bisschen grimmig gelacht, meinen Adorno hervorgezogen und noch entschlossener gegen alles, was Macht, Gewalt und Autorität will, polemisiert. Voila, ein Unbelehrbarer. Auf den Scheiterhaufen mit ihm!
Möglichkeit 3: Die Vorstellung, dass nicht nur bei unseren konspirativen Treffen zur „Kapital“-Lektüre von fünf Leuten einer vom Verfassungsschutz, ein anderer von der Stasi und ein dritter psychisch schwer geschädigt war, sondern dass es bei der Gegenseite genau so war, nur doppelt so schlimm, hätte mich dazu veranlasst, nach Hause zu gehen und ein absurdes Theaterspiel zu schreiben, durch das ich stinkereich und wohlgelitten bei Kulturbürgers geworden wäre. Ich hätte mich öffentlich einen „Anarchisten“ genannt und wäre heute Theaterdirektor und Ehrenbürger in Mönckersheim. Wollen Sie sich lustig über uns machen?
Schriftsteller Peter Schneider hatte die Umstände in seinem Buch „Rebellion und Wahn“ 2008 erstmals thematisiert. „Ich selber habe Geld von Augstein und Nannen für die Kampagne bekommen“, so der 69-Jährige auf Anfrage, „unter den Spendern waren viele Verleger.“ Über die Beweggründe macht sich Schneider keine Illusionen: „Springer war der größte Haifisch im Becken, das weckte auch Konkurrenzgefühle. Sicherlich waren da nicht nur noble Motive im Spiel, sondern auch der Versuch, einen marktbeherrschenden Verlag kleiner zu machen.“ Allerdings sei er auch überzeugt, dass sowohl der „Spiegel“-Gründer wie auch der „Stern“-Chef das „aufrichtige Gefühl hatten, dass Springer in diesen Jahren zu einer Gefahr für die Demokratie hätte werden können“.
Ich habe noch ganz andere Varianten:
Kurras ein Stasi-Mann? Das ist doch höchstens der Schwanz des Eisbären! In Wirklichkeit war alles noch viel gemeiner: Franz Josef Strauß hat der Stasi Geld gegeben, dass die sowohl in die Unterwanderung der Polizei als auch in die der APO steckte, um ihrerseits der Springer Presse Material zu liefern, mit dem der Pressekonzern erst so mächtig werden konnte. Natürlich verfolgte „der Eber von Bayern“ damit seine höchsteigenen Ziele, war aber auch erpressbar, weil es da gewisse Fotos mit nackten FDJ-Mädchen gab.
Mit der Hilfe von Strauß, der Stasi und den 68ern wurde der Springer Konzern so mächtig, dass er sich seine Konsumenten selber erfinden konnte. Er nannte sie „die schweigende Mehrheit“, die „anständigen Deutschen“ und rief sie dazu auf „die Drecksarbeit nicht der Polizei zu überlassen“.
Das Kalkül der Stasi war nur zu klar: Der Aufstieg der Springer-Zeitungen und ihrer Sprechweise sollten Westdeutschland in der Gemeinschaft der Völker so unmöglich machen, dass man dem Land den Anspruch darauf, eine „Kulturnation“ zu sein absprechen würde. Eine Anerkennung der DDR, mit all diesen Theatern und Kindertagesstätten und Polikliniken, wäre dann nur noch eine Frage der Zeit. Aber die Rechnung der Kommunisten ging nicht auf. Denn Rudolf Augstein und Henry Nannen beteiligten sich mit nicht unerheblichen Summen an der studentischen „Enteignet Springer“- Kampagne, natürlich in erster Linie aus Konkurrenzgründen. (Damals war mit Druckerzeugnissen noch ein Geschäft zu machen.)
Die 68er waren die beste Reklame für die Springer-Presse und sind daher auch Schuld daran, dass wir jetzt Alice Schwarzer auch auf BILD-Werbe-Plakaten haben. Von den gesundheitlichen Problemen von Bischoff Lehmann wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht sprechen.
Strauß wiederum konnte sich durch diese Gemengelage politisch profilieren (die Springer-Presse ließ es damals an Bayernfreundlichkeit fehlen) und nicht nur jede Menge Waffengeschäfte einfädeln, sondern auch den Umsatz bayrischer Großmetzgereien und Brauerein in Berlin erhöhen. Und zwar durch bayrische 68er, die „nach Berlin gingen“ (wie es damals im Jargon der Ungewaschenen hieß), aber doch nicht ganz heimatliche Gefühle unterdrücken konnten. Übrigens begann deshalb damals auch der neue deutsche Film, bis dahin ganz auf der Linie der urbanen Krawallmacher, mit dem „neuen deutschen Heimatfilm“. Die Folgen sind bekannt: Was mit dem Räuber Kneissl begann, endete bei Hansi Hinterseer. (Schon in den siebziger Jahren hatten sich die westdeutschen Mütter dafür an ihren Kindern, die nach Berlin in den Straßenkampf gezogen waren, gerächt, indem sie den ganzen Tag einen gewissen „Heintje“ nach seiner Mama plärren ließen. Wenn sie geahnt hätten, dass auch Heintje – IM Eierlikör – auf der Gehaltsliste des Ministeriums für Staatssicherheit stand… Sein Auftrag: Zerrüttung bourgeoiser Musik- und kleinbürgerlicher Familienkultur im imperialistischen Westen.)
Diese politischen Verstrickungen lassen übrigens leicht übersehen, wie groß damals schon der Einfluss islamistischer Drogenbarone in der Szene war. Woher kamen denn die Spliffs, die vor der Randale geraucht wurden? Damals nahm alles seinen Anfang, was dann direkt nach Guantanamo führte: Die Hasspredigten, das Sektierertum, die Kopftücher. Es waren die 68er, die den islamistischen Terror erfunden haben und damit natürlich auch den sogenannten Krieg gegen den Terror, der wiederum die halbe Welt ins Unglück stürzte und am Ende auch Porsche in die Krise führte.
Dies hatte natürlich auch mit der leidigen „Emanzipation“ bei den 68ern zu tun. Denn wer kauft sich einen Porsche? Genau: Ehrenwerte, hart arbeitende mittelständische Unternehmer. Die Mittelstandsfeindlichkeit der Linken ist doch bekannt! Und um diesen Mittelstand in Deutschland zu vernichten haben die 68er auch die sogenannte Wirtschaftskrise entfacht. Sehr richtig schreibt ja auch eine gewisse Barbara von Campe, die übrigens als junges Mädchen und Mitglied der Jungen Union von ihren linksterroristischen Altersgenossen im Jahr 1966 „ausgebuht“ wurde (Da haben Sie es doch!) in einem Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Warum wird der Sündenbock für unseren stetigen Missmut nur im ‚bösen’ Kapitalismus und nicht in der Altlast einer bankrotten DDR-Wirtschaft gesucht?“ Das wird man doch noch mal fragen dürfen, in diesem unserem Lande, oder? Der Sommer unseres Missmuts endet erst mit der brutalstmöglichen Aufklärung über die Stasi und ihre 68er-Filliale!
So ist das nämlich: Franz Josef Strauß hat dem DDR-Regime das Geld nur gegeben, damit es die Stasi an die 68er weitergibt. Damit haben sich die ungewaschenen Rüpel von der Straße zwar mit Pornos und Haschisch eindecken können, aber dabei ist natürlich die DDR-Wirtschaft bankrott gegangen. Das musste allen von Anfang an klar sein. Denn wenn neben den 68ern mit ihren maßlosen Konsumwünschen (Enten, Jimi Hendrix-Platten, Bücherschränke und Flokati-Teppiche) vom MfS auch noch Westberliner Polizisten mit ihrer Leidenschaft für Schusswaffen finanziert werden mussten, dann durfte sich niemand wundern, dass es zu Hause nicht einmal zu einem vernünftigen Automobil reichte. Die Folge: Unzufriedenheit in der Bevölkerung, Verblödung durch Westfernsehen. Wenn die Stasi „IHR“ Volk nicht terrorisiert hätte und wenn es nicht Westfernsehen und billigen Alkohol bekommen hätte, wer weiß, dann wäre die DDR-Bevölkerung vielleicht noch wirklich sozialistisch geworden. Woran wir wieder einmal sehen können, wie weitsichtig Franz Josef Strauß war.
Im Grunde genommen haben die 68er vorsätzlich die DDR-Wirtschaft ruiniert, damit sie der „böse“ Kapitalismus jetzt als Altlast an der Backe hat. Unsere Wirtschaftskrise ist nichts anderes als der Stein, den Benno Ohnesorg nie geworfen hat, der aber jetzt zurückkehrt, als schwarzes Loch in der deutschen Geschichte. Und Franz Josef Strauß ist tot. Horst Seehofer ist jetzt da. (Woher kommt eigentlich das Geld für dessen Europa-Wahlkampf? Wo doch im Land von Laptop und Lederhosen die Milch nur so wegfließt und das Bier schal wird, weil es keiner mehr säuft, außer den Koma-Kids in den Kleinstädten?) Richtig: Es kann nur die Nachfolge-Organisation von Stasi, 68ern und „unzufriedenen Gewerkschaftern“ sein, die ihn aufbaut. Aus dem selben Grund, warum die Stasi zugleich 68er und ihre Gegner finanzierte. Horst Seehofer terrorisiert uns mit seinem blöden, Plattenbau-füllenden Grinsen von den Plakatwänden wahrscheinlich mit einem Teil der SED-Millionen, die zu keinem anderen Grund eingesetzt werden, um uns zu „destabilisieren“ und international zu „diskreditieren“. Denn wer möchte denn schon Waren von „Exportweltmeistern“ kaufen, die aussehen und reden wie Horst Seehofer?
Nein, nein, Frau Barbara von Campe hat in ihrem Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung schon Recht: „Eine straff geführte Organisation wie die Stasi hört nicht von einem Tag auf den anderen auf zu existieren“. Nehmen sie nur einmal unseren „Wetterfrosch“ Jörg Kachelmann „Meteorologe und Journalist“. Mit Strubbelhaar, Paar-Tage-Bart, Pullover und dunkellila(!) Schal grinst er uns von einer Anzeige an: „Soziale Marktwirtschaft macht’s besser“. Und zwar in einer Anzeigenserie der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“.
Aus diesem Loch taucht jetzt überraschend „Die Linke“ auf. Überraschend natürlich nur für diejenigen, die sich von den Leuten, für deren Deutungshoheit man sich nur schämen kann, nicht den Blick für die Zusammenhänge vernebeln lassen. Bild-Zeitungsleser wissen natürlich Bescheid!
Tatsache ist: Die DDR ist mit Absicht untergegangen. So fies waren die. Als nämlich 68er wie Joschka Fischer, Außenminister und Langläufer wurden, all so ein Zeug, da war das Geld von Franz Josef Strauß auch gerade aufgebraucht und die Schmiergelder waren fällig. „Wo sind denn die SED-Millionen?“ wird überall zu Recht gefragt, nicht nur von Frau Barbara Campe aus Flintbek. Na, was glauben Sie, woher der Bimbes kam, den Helmut Kohl in den wohlbekannten Plastiktaschen davon trug? Genau! Damit erkauften sich die Mielkes und Co das Recht auf den Staatsbankrott und die Pension (einschließlich brasilianischer Gespielinnen, die wiederum den AIDS-Virus schweinegrippenmäßig verbreiteten). Und Kohl wollte dafür „blühende Landschaften“ kaufen, bekam aber wieder mal nur einen braunen Dreck dafür. Denn wegen der 68er waren in der EX-DDR nicht nur die Wirtschaft bankrott gegangen, sondern auch die Mehrzahl der trinkenden Jugend aus lauter Heimweh und Arbeitslosigkeit zu den Nazis. So ist es uns Deutschen doch immer gegangen! Und jetzt haben wir eine Brücke mehr über die Elbe und Dresden und seine Flussauen sind kein Weltkulturerbe mehr. Da hätte sich der Rudi Dutschke gefreut, wenn er das noch erlebt hätte.
Den aber hat ein von der CIA bezahlter Tripple-Agent im Auftrag der Stasi angeschossen, der wiederum behauptete, von Springer angeleitet worden zu sein. Und alle zusammen haben sie versucht, den Papst ermorden zu lassen. Das Letztere lässt sich leider nicht mehr beweisen, weil die Beteiligten selber vergessen hatten warum. So kommt es, dass Deutschland jetzt trotzdem Papst ist. Der Sieg der 68er ist also doch nicht vollständig. Es gibt noch Hoffnung!
Ach ja. Bernd Ulrich bekommt aber auch noch den Preis für den schrägsten Vergleich: „Wenn ‚68’ eine Aktiengesellschaft wäre, so wären die Kurse in dieser Woche abgesackt, nicht ins Bodenlose jedoch spürbar“. Tja, und wenn meine Oma Räder hätte… Nein, es ist einfach der Zwang des Dichters zur Wahrheit: Wir können uns einfach nichts mehr vorstellen, was nicht im Innersten eine Aktiengesellschaft sein wollte.
Die in vielen der Texte aufscheinende Frage ist (schon wieder): „Was bleibt nun von 68?“ Die Juroren des „Goldenen Kurras“ stellen die Gegenfrage: Was bleibt denn nun von Diskurs und Aufklärung?
Das ist die Tragödie und die Groteske vom Leben in einer Erzähl-, Bekenntnis- und Lügenmaschine. Man könnte, zufällig oder mit Bedacht, durchaus etwas Richtiges, Kluges oder Sinnvolles sagen. Aber selbst das verwandelte sich in einer solchen Maschine in puren Blödsinn. (Ich weiß zwar nicht genau, ob es ein richtiges Leben im falschen geben kann, aber dass es kein richtiges Erzählen in falschen Erzählmaschinen geben kann, das scheint mir ziemlich wahrscheinlich. Was nicht heisst, dass man den Versuch, den falschen Erzählungen etwas entgegenzusetzen, beenden dürfte.)
„Deutschland“ ist ein paradoxes Konstrukt. Hier wird unentwegt über die eigenen „Brüche“ gejammert, den historischen Bruch des Nationalsozialismus, den Bruch der Teilung und der „Systeme“ und schließlich den Bruch der Generationen durch die üblen 68er. Und alle, alle waren immer irgendwie Opfer. Deshalb leiden wir nicht nur an unseren Brüchen, sondern wir lieben sie auch und lassen sie uns auf keinen Fall nehmen. Auf der einen Seite der Brüche nämlich sind immer WIR, wir guten Deutschen, und auf der anderen sind immer irrationale Schurken und Gespenster, die nur einen Vorteil haben, nämlich dass man sie gleich erkennt: die Nazis an ihren gebügelten Totenkopf-Uniformen und am Hackenschlagen, die Kommunisten am Sächsischen, und die ungewaschenen 68er-Terroristen an langen Haaren, Che Guevara-Plakaten und Pflastersteinen. Alle drei Bruch-Subjekte, die Nazis, die Sozis und die 68er werden unentwegt in den Erzählmaschinen wiedererfunden (übrigens kommt auch zum Film „Angriff der Killertomaten“ alle paar Jahre ein Sequel heraus), wenn man sie ihnen wegnähme, den Deutschen, dann würden sie ganz schön blöd dastehen.
Die ganz dummen Erzähler arbeiten dabei mit puren Gleichsetzungen. Nazis, Sozis und 68er, das ist eh alles das Gleiche (insbesondere, wenn wir bei einem davon, oder sogar bei mehreren davon, eine Zeit lang mitgemacht haben, als es noch opportun war). Die etwas subtileren Erzähler arbeiten mit nebelhaften Übermetaphern wie dem „Totalitarismus“, und die Oberschlauen bauen eine historische Linie auf: Die Nazis sind an den Sozis schuld, und die Sozis und die Nazis sind an den 68ern schuld, und die Sozis und die 68er sind schuld, dass die Nazis wieder da sind.
Was bleibt ist dagegen ein erstaunliches BILD: Karl-Heinz Kurras im grobmaschigen Pullover überm weißen Hemd, welliges Haar und glattrasierter Hals, einen sechsschüssigen Revolver in der Hand, in gebückter Haltung, nach Cowboy-Art, schießend, die linke Hand dabei fast zur Faust geballt, vor einem Bretterzaun am Wannsee.(1960, Foto: privat).
Dialog zwischen einem Deutschen und einem Italiener:
„Wir Deutschen möchten endlich eine ganz normale Nation sein, wie alle anderen auch!“
Der Italiener: „Na bitte, warum denn nicht, es hindert euch doch niemand daran.“
Der Deutsche: „Die anderen können uns einfach nicht verstehen.“
Autor: Georg Seeßlen
Text geschrieben Juni 2009
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