Neuerlicher Versuch, Bayern verständlich zu machen
ER ist zurück, nicht bloß als Mythos und Gespenst: als Programm. Horst Seehofer will unbedingt Franz Josef Strauß werden. Mit allem drum und dran. Eine „Debatte“ um das „Vorbild“ Strauß kommt da gerade recht. Und dass es eine Frau ist, die den Job übernommen hat, so vorsichtig am Denkmal zu kratzen, dass es von der CSU-Männerriege sofort und mit Mordsaplomb „verteidigt“ werden muss, das ist auch kein Zufall.
Seehofer will, das ist die einzige Rolle, die gerade frei ist, Deutschlands südlicher Super-Bazi werden. Das ist natürlich beides: sehr geschickt und total fatal. Denn so ein Bazi wie der Strauß kann man gar nicht mehr werden. Ob Strauß selber so unwiederholbar wäre, bleibe mal dahingestellt. Er war ja in vielem auch von einer herzergreifenden Durchschnittlichkeit, und nur die Meta-Eigenschaft der Rücksichtslosigkeit hat seine Gier nach Sex & Macht & Egofutter aus dem Rahmen gehoben, gepaart mit einer Eigenschaft, die außerhalb Bayerns schwer zu verstehen ist: Nennen wir es „die Konsenslüge als Spektakel“. Sie besteht darin, dass man vor einem begeisterten Publikum Lügen verbreitet, an die niemand im Saal glaubt, aber alle stellen sich das eine oder andere Objekt dieser Lügen (Drohungen, Versprechungen, Einschätzungen, Beleidigungen, Angebote, Schmeicheleien usw.) vor. Am liebsten stellt man sich den Hereingefallenen irgendwie preußisch vor, aber auch den direkten Nachbarn als Beschissenen zu imaginieren ist eine helle Freud’. Es ist eine Art kollektiver Fremdgenuss des Betrugs, und wer diese Kunst beherrscht ist entweder ein „Hund“ oder eben ein Bazi.
Horst Seehofer, sieht man einmal seine Wahlplakate und andere ikonografische Formen der Selbstdarstellung an, ist gewissermaßen die Körper und Mimik gewordene Konsenslüge. Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen? Nein, natürlich nicht. Aber es würde ungeheuren Spaß machen, ihm dabei zuzuschauen, wie er einen Schrotthaufen als einen Neuwagen anpreist. Oder sich selber als Franz Josef Strauß. Nur haben sich auch die Medienmultiplikationen verändert. Die Bierzelt-Halböffentlichkeit des ursprünglichen Bazi-Spektakels wird schon elektronisch aufgebrochen. Anders als der historische Franz Josef Strauß, darf der Strauß-Imitator Seehofer zum Beispiel nicht wirklich besoffen sein (von sich selber so wenig wie vom Alkohol), vielleicht darf er auch nicht wirklich so viel b’scheißen wie das Original, sondern muss nur zeigen, dass er es könnte, wenn er wollte. Seehofer dreht also die Konsenslüge noch um eine Spirale weiter: Im Gegensatz zum Original werden die Grenzen (des guten Geschmacks, der finanziellen Redlichkeit, der Organisation nichtdemokratischer Machtsphären, der Einschüchterung von Gegnern und der Verpflichtung von Vasallen etc.) nicht wirklich öffentlich überschritten. Es handelt sich also, je nach Perspektive, um ein kontrolliertes, ein mehrfach codiertes oder auch um ein raffinierteres Bazitum. Möglicherweise kann man sogar noch zur Konsenslüge ein scheinheiliges Verhältnis entwickeln, womit das Bazitum nun tatsächlich in den postmodernen Status gelangt wäre. Der Bazi, der zugleich einen Bazi spielt und ein Bazi ist.
Das alles geht nur wegen der besonderen bayrischen Verhältnisse. Das Einparteiensystem, die Verflechtung von Politik und Wirtschaft, das perfekte System der Machtspiele von oben bis in die tiefste Provinz, die „Laptop- und Lederhosen“-Symbiose von High Tech und zelebriertem Provinzialismus (immer fragt man: Was von beidem ist eigentlich mehr gelogen?), die krachende Rhetorik zwischen touristischer Anbiederung und separatistischem Gepoltere, Milchbauern, die dauernd Pleite zu gehen drohen und trotzdem immer wieder die Partei wählen, die sie in die Pleite treibt… Irgendwas, so mag man im Rest der Republik argwöhnen, hat man in Bayern mit der Demokratie nicht wirklich verstanden. Aber dafür klappt alles andere. Bayern ist das Bundesland der Republik, in dem es einem beim Unerträglichfinden am Besten geht. Weil es sich weder um Wahrheit noch um Gerechtigkeit schert hat das bayrische System die angenehme Eigenschaft, weniger Verlierer zu produzieren als andere.
Eines der vielen Geheimnissen dieser (scheinbaren) deutschen Sonderform mehr oder weniger demokratisch legitimierter nichtdemokratischer Herrschaft ist eine frühe Form der Verwandlung von Politik ins Spektakel. Kaum etwas, was in Bayern geschieht, wird nicht sogleich auch in ein Spektakel verwandelt, wenn auch das, was geschieht, und das Spektakel, was daraus wird, keineswegs sich verhalten wie eine Sache zu ihrem Abbild. Dass Macht nur „vernünftig“ sei und sich selber nicht genießen könne, das kommt hier nicht wirklich vor. Der Genuss der Macht wird auf eine merkwürdige Art „demokratisiert“. Das Spektakel Franz Josef Strauß übertrug Begehren und Genuss der Macht zurück auf die Menschen, auf deren Kosten und zu deren Nachteil diese Macht ausgeübt wurde. Das praktische Bazitum als die öffentliche und nur teils heimliche Anerkennung eines Menschen, der betrügt, ausbeutet oder hintergeht, wenn er es nur mit einer gewissen Größe und, nun ja, Eleganz tut. Anders heißt es „Ein Hund ist er schon“, und das meint etwas ähnliches. Er hat es mit unredlichen Mitteln geschafft, aber er hat sich dabei geschickt angestellt.
Im Übrigen können wir die Traditionen einer bestimmten Kultur aus diesem Anerkennen an zwei Dingen weiter festmachen. Ein Bazi und ein Hund kann immer nur einer aus unseren Reihen sein, es muss ihm etwas Bäuerliches umwehen, er kommt weder von ganz oben noch von ganz unten. Das stammt aus einer Gesellschaft, in der man einander zwar extrem verbunden ist, mit dem Begriff „Solidarität“ aber gar nichts anfangen kann. Und aus einer Gesellschaft mit einer seltsamen Klassenlage: Bauern und Handwerker haben über die letzten Jahrhunderte hier ein bizarres Auf und Ab erlebt, von relativem Wohlstand über relative Armut, und in der Nachkriegszeit vom Gehätschelt-werden zum Beschissen-werden. Darum hat hier auch niemand eine politische Identität. Die CSU ist keine politische Partei sondern die direkte und konstante Verbindung von Interessenlage und Befindlichkeit. Kultur in Bayern ist gleichsam naturgemäß doppelt codiert. Wer das für bloße Heuchelei hält, verkennt die wahre Raffinesse der Konstruktion.
Auch die Verwandlung der Politik ins Spektakel stammt aus verschiedenen Traditionen. Zum einen, natürlich, kommt das mehr oder weniger direkt aus dem spezifischen bayrischen Katholizismus, der von der Gegenreformation profitierte ohne sich dabei allzu sehr mit den Selbstprüfungen abzuplagen. Das Durcheinander napoleonischer Modernisierung und hartnäckiger Rückständigkeit hat eine gut dreihundertjährige Geschichte und dient auch schon lange der perfekten Täuschung. Der fremde Blick fällt entweder auf das Bild der Moderne oder auf das der Rückständigkeit herein. Zum zweiten ist es einer primär agrarischen Kultur geschuldet, in der selbstständige Bauern durch und mit Spektakeln (und weniger durch Texte, Verträge und Werte) miteinander kommunizierten. Ein drittes schließlich macht die Durchgangslage aus, man ist hier eher orientiert am Süden, und dort an der Grenze gibt es so etwas wie ein outlaw territory. Man versteht Bayern nicht im Nebeneinander von Königstreue und Wilderei, sondern im Ineinander. Dazu kommt ein halb bewusstes Erinnern daran, dass man mit „Deutschland“ im Allgemeinen und mit Preußen im Besonderen eher schlechte Erfahrungen gemacht hat. Das ist Folklore geworden, in der Geschichte bedeutete es Krieg und Blut und Unterwerfung. Einerseits war das napoleonische Bayern Instrument der Unterdrückung im Alpenraum, andererseits war der Versuch König Ludwigs, Bayern aus dem preußischen Militärkomplex heraus zu halten, und seine Absetzung eine Kränkung, der man schon deswegen nicht entgeht, weil immer die eigene Schuld darin steckt. Der Märchenkönig drückte ja sehr genau diese Spektakel-Politik aus, sogar mit einem gewissen Geschmack, wenn man’s mag und sehr präzise in seiner Verbindung des Modernen mit dem Traditionellen. Nun waren es aber nicht die Preußen allein, die den König hin gemacht haben, sondern dieser Traumkönig ist vor allem an den Bayern selbst gescheitert. Das verzeihen sie dem Rest der Welt so leicht nicht. Alles was in Bayern irgendwie groß und eigensinnig war, für das haben sich Bayern gefunden, die mit Hilfe nichtbayrischer Kräfte die Ausnahme wieder gestoppt haben. Die historische Erfahrung der Bayern ist nicht der Eigensinn (von wegen Asterix-Dorf auf bajuwarisch!) sondern immer der eigene Verrat, die eigene Unfähigkeit, eben einen solchen Eigensinn zu verteidigen. Außer: Im Spektakel der Rückständigkeit.
Das praktische Bazitum entspringt dem Verhalten einer bäuerlichen Kultur in Bezug auf die Obrigkeit, wie in Bezug auf die Konkurrenz untereinander. Diese Ordnung besteht darin, dass man wahlweise die Obrigkeit für die eigenen Interessen einspannt und sie gleich darauf wieder nach Strich und Faden hintergeht. Das erklärt im Übrigen das direkte Nebeneinander von Untertänigkeit und Anarchie. Und was für den Einzelnen gilt, das gilt auch für die Gesamtheit der bayrischen Provinz gegenüber jeder Art von Zentral- und Ordnungsmacht. Nach dem Scheitern der Bauernaufstände ist ein Paktieren an die Stelle der linearen Konfrontation getreten, die dem Nichteinheimischen als eher sonderbare Mischung von sich-dumm-stellen und Kaputtmachen steht. In der Geschichte dieser Kultur wechseln sich Stadien des Elends mit solchen fast absurder Bereicherung ab. Der eigene Platz in der Welt ist prekär; im Bauernstand ist fast nicht zu klären, ob man „oben“, „unten“ oder in der „Mitte“ steht. Die CSU ist eine Organisation, die diesem kulturellen Zustand perfekt entspricht, in der Praxis ist sie eine moderne, mehr oder minder mafiose Verknüpfung von Politik und Ökonomie, im Spektakel stellt sie jene Eigenständigkeit dar, die es in Wahrheit gar nicht gibt.
Die Verspektakelung der Politik im Allgemeinen, des prekären Ineinander von Landwirtschaft und Industrialisierung andererseits hat eine nun auch schon Jahrhunderte lange Tradition der Touristik. Seltsamerweise sieht sich eine Gesellschaft – die moderner ist als es den Anschein hat (wie ja auch König Ludwigs Traumschlösser im Inneren mehr Modernität bieten) – also nun auch im Blick von außen, der gerade die Rückständigkeit bewundert. Der Bayer ist in diesem Blick „der Eingeborene“. Dumm, wild, natürlich und (irgendwie) sexy. So ist sein Blick erneut gespalten, und erneut ist das Bazitum die logische Konsequenz: Der Bazi in diesem Diskurs macht den Touristen den Seppl und schart in dieser Maske Reichtum, Besitz und Definitionsmacht. Weil aber auch diese zweite Moderne in Deutschlands Luxus-Mezzogiorno Gewinner und Verlierer erzeugt, häuft sich ein ungeheures Potential an Zorn, Misstrauen und, alltäglicher gesprochen, Grantigkeit an. Grantig ist dabei nicht unbedingt nur der, der von dem doppelten Ineinander von Moderne und Provinzialität nicht profitiert, grantig ist vor allem der, der in der Seppl-Maske reich geworden ist, dessen Kinder gebildet und urban wurden, und der weder seinen Reichtum noch seine wahre Modernität noch seine Bildung zeigen darf. Was bleibt ihm übrig, als in seine Seppl-Rolle ein Maß an seiner verbliebenen Derbheit einzubauen. Das alles, und das ist das Problem eines postmodernen Bazis, muss Horst Seehofer spielen.
An Bayern ist zu beobachten wie eine populistische Spektakel-Herrschaft auch nach dem Abtreten des entsprechenden Tribunen-Darstellers weiter funktionieren kann, obwohl die Nachfolger alle nicht annähernd an das Original reichen. Bayern nach Strauß, das war also zuerst die lange Nachfolge eines Verwalters und Musterknaben, der eine ganze Zeit gerade deswegen so akzeptiert wurde, weil er dem Ur-Imago keine Konkurrenz machte, sondern vielmehr treu in dessen Geiste diente. Noch einen König verraten, das können wir uns nicht leisten. Der Äh-Stoiber zeigte dann noch, dass ein Mustersohn dem dicken König gerade dann gerecht wird, wenn er gar nicht aus dessen Schatten heraus will und das Erbe eher verwaltet als antritt. Die Umstände seines Scheiterns in Berlin hat man ihm dann nicht mehr wirklich verziehen, weniger wegen seines Rückzugs an sich als vielmehr wegen der Unfähigkeit, daraus wiederum ein Spektakel zu machen.
Das Bajuwarische Dummstellen folgt dem Modell der „Schildbürger“, bevor sie ins Kinderbuch und als Metapher für Behördendummheit abwanderten. Man entzieht sich dem Zugriff einer zentralen Macht, indem man so tut, als habe man gar nicht verstanden, worum es ihr eigentlich geht. Alles was Horst Seehofer nun so, im Wahlkampf und darüber hinaus, in seinen Spektakeln von sich gibt, ist, höflich ausgedrückt, der reine Blödsinn. Schlau daran ist nur, dass wir ja alle wissen, dass es Blödsinn ist.
Was Bayern so unerträglich machen kann, das ist nicht die „Rückständigkeit“ (welche Rückständigkeit?) sondern die unterdrückte und maskierte Modernität. Was mit der Titulierung von München als „Weltstadt mit Herz“ begann (eine Metropole, die um einen imaginären Dorfplatz herum errichtet wurde) und was über die „Laptop und Lederhosen“-Kampagnen führte, das endet im spektakelisierten Fake-Bazitum des Horst Seehofer, der sich selbst als Nachfolger des „großen“ Franz Josef Strauß inszeniert. In der Tat war Franz Josef Strauß nicht nur der perfekte Ausdruck der bayerischen Widersprüche, sondern mehr noch ein perfekter Nutznießer. Und das heißt nicht zuletzt, dass er nicht nur ein echter Bazi war, sondern das Bazitum auch weit mehr als Maske, als wirkliches Ineinander von ordnenden und anarchischen Impulsen verkörperte, dass da nicht nur eine egomane Brutalität am Werk war („Wer mich daran hindert, an die Macht zu kommen, den bringe ich um“), sondern auch ein Quantum Selbstzerstörung. Zum bäuerlichen Erbe der sexuellen Ökonomie gehörte schon die Unfähigkeit, mit der Idee der Nachfolge umzugehen. Das klappte weder politisch noch familiär. Es war vielmehr beides Quelle des Komödienstadels oder des Melodramas vom schweren Übergeben der Macht.
Nicht dass das Übergeben von Macht irgendjemandem auf dieser Welt leicht fiele. In der agrarischen Kultur ist sie gleichsam unmöglich. Der Bauer, der den Hof übergibt, sinkt in einem Augenblick von unumschränkter Macht in den Status der Bedeutungslosigkeit und der Demütigung zurück, den er als Kind schon einmal erfahren hat. Anders als die protestantisch-kapitalistische Bürgerfamilie ist die katholische Bauernfamilie ein Kampfplatz ohne Maske. Den Allernächsten zu hassen ist genauso Teil der Sozialisation, wie ihn zu fürchten. Nur gegen den Feind von außen ist man sich einig. Und Einigkeit kann nur durch das Spektakel hergestellt werden, in der Kirche und im Gasthaus. Daher gibt es, anders als im Norden, keine Form der sanften Macht. Amigos sind alles Mögliche, nur eines ganz bestimmt nicht –Freunde. Die scheinbare Stabilität der bayrischen Politik ist Ausdruck der inneren Zerrissenheit dieses Landes, nicht nur in den verschiedenen Regionen. Nur so lange es die CSU und in ihr einen dem Spektakel zugetanen Repräsentanten gibt, existiert dieses Land überhaupt als ökonomischer, politischer und kultureller Raum. Umgekehrt aber, das wird nicht sehr häufig bedacht, ist dieser eher virtuelle Raum eine unverzichtbare Stütze der „konservativen“ Herrschaft in der ganzen Republik. Das gilt keineswegs nur für die parteiengeschichtlich ja nicht uninteressante Beziehung von CDU und CSU, es gilt ganz allgemein für die Konstruktion einer rechten Mitte. Bayern als politisches Gesamtspektakel definiert gleichsam den Rest als einigermaßen bürgerlich-zivilisiert, und umgekehrt ist da im Süden eine Projektionsfläche: Im Spektakel wird hier dem Rest der Republik vorgemacht, es gebe noch authentische politische Leidenschaft.
Der Bazi ist also einer, der zugleich das Spektakel beherrscht, das System der gegenseitigen Abhängigkeiten und das „familiäre“ Prinzip vorsorglicher gegenseitiger Brutalität. Weder den „Hund“, der einer schon ist, noch den Bazi gibt es in einer weiblichen Form. Frauen in der CSU sind scheinbar grotesk, aber das ist nur eine weitere Verkennung. Denn in das polternde Patriarchat des Bazi-Spektakels ist ein Matriarchat der Bigotterie eingebaut; das perfekte bayrische Paar ist der Bazi und die mütterliche Bigotte, die darob keineswegs ihren Sex Appeal verweigert. Um es mal unhöflich zu sagen: die ideale bayrische Frau ist eine sehr raffinierte Verbindung von Obszönität und Bigotterie und in dieser Erscheinung so sehr ein touristischer Mythos wie der potent-doofe Lederhosenmann. Die Bigotterie schafft ein weiteres Herrschaftsmodell jenseits aller Diskurse, Texte und Abmachungen, und sie findet wiederum ihren eigenen Weg zum Spektakel. Weil es einen bayrischen Ödipus nicht recht geben kann, entzünden sich in der CSU immer wieder die realen und fiktiven Kämpfe der Reorganisation entweder um die „unbotmäßigen“ Frauen wie Pauli oder Haderthauer, oder umgekehrt, jene Politikerinnen wie Frau Strauß, die gerne die Methoden und Interessen ihres Herrn Vater fortsetzen möchte, dann aber doch immer wieder an Grenzen stößt, weil es eben einen weiblichen Bazi, der nicht in der Lage ist, die Bigotterie mindestens im gleichen Maße zu bedienen, nicht geben kann. Bayern ist ein sexualpolitisches Spektakel.
Das ideale „Spektakel Bavarese“ also setzt sich zusammen aus Bazitum (wir erinnern uns: echtes Bazitum kann bis zum Totschlag reichen, an dem, der einem im Weg steht), Bigotterie und Obszönität. Das mag zunächst einem aufrechten Demokraten ebenso unerträglich erscheinen wie einem Menschen mit Resten von Geschmack und Bildung. Es ist aber nicht nur Ausdruck einer historisch kulturellen Entwicklung, sondern offenbar auch ausgesprochen faszinierend, ja fast schon ansteckend für Menschen jenseits des Weißwurst-Äquators. Und da kommt das Spektakel freilich an als das Gegenteil von dem, was es ursprünglich ist, nämlich als Ausweis der Authentizität und Echtheit des Politischen. Das größte Missverständnis der Nichtbayern über Strauß und das, für das er das Bild abgab: dass dieser Mann vielleicht ein politischer Verbrecher, aber wenigstens echt, aufrecht und ehrlich war, „Urgestein“ und ähnlicher Unfug. Was Strauß also darstellte, das war ein Wille zur Macht, der sich noch ganz direkt und körperlich ausdrückte. Und so, wenn halt auch nicht ganz so, soll jetzt der Seehofer werden.
Nun spielte aber Franz Josef Strauß mit allen Essentials. Er setzte aufs Spiel: die Demokratie, den Rechtsstaat, die deutsche Einheit, den Frieden, die Einheit seiner Partei – von den vielen alltäglicheren Werte wie Freundschaft, Vertrauen und Wahrheit ganz zu schweigen. Ohne allzu viel zu verbergen, hat Strauß seine politischen Ämter benutzt, um sich persönlich zu bereichern, und es ist gerade die Unverfrorenheit, die ihm die Rolle des Super-, ja des Mega-Bazis einbrachte. Die größte Unverfrorenheit der Bazis von heute ist es, sich ungeniert auf so einen Menschen zu berufen und bereits eine Äußerung, die den – ausgerechnet! – „Vorbild“-Charakter eines Politikers in Frage stellt, bei dem unter anderen Umständen das, was man ihm nachgewiesen hat, für das Ende der Karriere ausreichte.
Christine Haderthauer vertritt offenbar eine Minderheit in einer Partei, die sich Strauß zu mehr als einem Vorbild, zum Säulenheiligen und zum imaginären Retter aus der Krise macht: Die CSU, so sieht das aus, will wieder eine Strauß-Partei werden, weil sie als Stoiber Partei nur noch Routine war und Beckstein/Huber zur Erosion geführt hatte. Sie kann aber auch wieder eine Strauß-Partei werden, weil genügend historische Winde geweht haben, um einen neuen Bazi zu kreieren, der nicht mehr direkt am alten gemessen werden muss.
Strauß hat das Volk im Allgemeinen und das bayrische Volk im Besonderen immer verachtet, da war er ganz in der Linie aller Rechtspopulisten á la Berlusconi, und zugleich war er Teil dieses Volkes, denn Bildung, Geschmack, Intellektualität (Eigenschaften, die er zweifellos besaß, wenn auch nicht in dem Maße, in dem er sie sich selbst zuschrieb) hat er ebenfalls verachtet. Was Menschen wie diesen bleibt, ist nichts als eine möglichst nackte Macht. Sie streben Herrschaft um ihrer selbst willen an. Seehofer ist natürlich ein echter Bazi, aber in Wahrheit gar kein Super-Bazi. Sondern einer, der sich – vielleicht ein bisschen besser als seine Vorgänger – diese Rolle aneignet. Das unauthentische Bazitum ist allerdings auch nicht besonders appetitlich. Die Forderung nach einem Volksentscheid über den EU-Beitritt der Türkei (bei einem Volk, dem man die Entscheidung über den eigenen Beitritt nicht zugetraut hat) ist schon eine gelungen perfide Pose des postmodernen Neobazitums. Was zur Krise und ihrer Bewältigung in bayrischen Bierzelten gesagt wird, lässt sich auf einen Nenner bringen. Wenn es den Bazis im Land nutzt, dann machen wir es. Alles andere tun wir gar nicht erst ignorieren.
Autor: Georg Seeßlen
Text geschrieben 04.06.2009
vollständige Textfassung: veröffentlicht in Getidan.de am 06.06.2009
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