Anmerkungen zur Politik im aktuellen Hollywood-Film
Steht Hollywood links oder rechts? Wirkt sich die zweite Amtszeit von George W. Bush lähmend auf die Kultur aus oder nicht? Klar ist: Das amerikanische Kino hat die Politik wiederentdeckt. Steven Spielbergs München, das Drama um Terror und Gegengewalt, das in den USA eine heftige Debatte ausgelöst hat, führt eine ganze Phalanx von Produktionen an, mit denen Amerika sich im kommenden Jahr selbst unter die Lupe nimmt – fast so wie in den Siebzigern.
In kaum einer demokratischen Gesellschaft der Welt ist der Pendelschlag zwischen einer liberalen und einer reaktionären Tendenz so regelmäßig zu beobachten wie in der US-amerikanischen. „Die amerikanische Gesellschaft scheint stark bewegt“, notierte 1840 Alexis de Tocqueville, „weil die Menschen und die Dinge ständig wechseln; doch sie erscheint auch einförmig, weil es stets die gleichen Veränderungen sind“. Und Hollywood hat diese ständige Wiederkehr der Veränderung treulich begleitet und bekräftigt, in einer stetigen Pendelbewegung zwischen liberaler Aufsässigkeit und sentimental konservativem Konsens. Manchmal war die Traumfabrik den politischen Veränderungen ein wenig voraus, manchmal ein wenig hinterher, immer aber verbargen sich Kritik wie Propaganda in den gleichen Erzählformen, den gleichen Bildern, den gleichen Genres. Im Code einer mehr oder weniger imaginären Amerikanität der Welt.
Die Kritik an der Traumfabrik hinkte dem allen stets noch einmal hinterher. Der rechten Kritik war Hollywood immer politisch zu kritisch und sittlich zu liberal, der linken Kritik dagegen war Hollywood ein Hort der Bilderverschwörung im militärisch-technologischen und im politisch-ökonomischen Komplex. Natürlich ist beides richtig, und beides ist falsch, nicht erst in der Zeit der globalen Bilderströme, in der Hollywood sich längst nicht mehr auf einen funktionierenden amerikanischen Binnenmarkt verlassen kann und der Erfolg eines Filmes neben Los Angeles und New York ebenso bestimmt wird in Frankfurt oder Tokio. Mit der Globalisierung der Produktion und des Konsums federn sich die Zyklen zwischen kontroversen und konsensuellen Amerika-Bildern nicht nur ab, sie verstärken sich auch: Hollywood-Filme definieren nicht zuletzt, wie die USA in der Welt gesehen werden, und an die Bilder von Pearl Harbor (2001) oder Rules – Sekunden der Entscheidung (2000) wollte sich die Welt nicht recht gewöhnen. Anders gesagt: Der Code der Amerikanität als globale Filmsprache hat auch eine Grenze im amerikanischen Fundamentalismus selbst. Ungeschminkte (oder schlimmer: schlecht geschminkte) Propaganda öffnet keine Märkte.
Einfache Wahrheiten
Stattdessen scheinen die Metaphern von Politik und Meta-Politik in Hollywood eher Strategien für den Umgang des Individuums mit einer sinnlos gewalttätigen Welt zu entsprechen. Die Stimmungs-Zyklen der Traumfabrik ließen sich wohl in die Kapitel einteilen:
– Patriotischer Fundamentalismus (flagwaving & Feindbilder)
– Rückzug ins Private (family values & Freundschaftsbilder)
– Grandioser Eskapismus (Fantasy & Comic-Bilder)
– Kritische Distanz und böse Satire (Hollywood leftism & zynische Bilder der Macht).
Europäische Kritiker scheinen jedes Mal von Neuem überrascht, von der schlichten Direktheit, mit der man der jeweiligen Stimmung nachgibt, von den patriotischen Räuschen und ihren Hass-Bildern ebenso wie von der sarkastischen Kritik, die weder Ämter noch Personen schont. Die Übergänge sind natürlich fließend, die verschiedenen Studios reagieren in verschiedenen Rhythmen auf die Veränderungen, immer noch gibt es Menschen mit eigenen Ideen und eigenen Interessen in der Traumfabrik, und nicht zuletzt verändern sich die Verhältnisse von eingesetztem Kapital und Profiterwartung: Die politischen Zyklen des großen Kino-Entertainments sind immer auch ökonomische Zyklen, Reaktionen auf Zuschauerkrisen und Preisexplosion. Aber alles in allem wird man wohl die Geschichte Hollywoods beschreiben können als eine Abfolge der Stimmungs-Zyklen. Enthusiasmus, Rückzug, Flucht und Distanz.
Das Jahr 2006 nun steht, was Hollywood-Produktionen anbelangt, ganz offensichtlich im Zeichen eines diesmal recht heftig ausfallenden Pendelschlages vom militanten Konsens der Zeit nach 9/11 und des Kriegs gegen den Terror zu einer kritischen Haltung gegenüber Regierung, Militär und Medien. In diesem Jahr kommt nahezu jeden Monat mindestens ein Film heraus, der sich mehr oder minder fiktiv auf eines jener Konfliktfelder begibt, die von den Parteien eines tief gespaltenen Amerika umkämpft sind: Jarhead als eigenwilliger Rekurs auf den Irak-Krieg machte den Anfang. Geisha, der einen Streit um die Darstellung von asiatischer Kultur im Hollywood-Film auslöste (und vielleicht eher in seiner Wirkung als in seiner Intention der „Politisierung“ unterworfen ist), wird gefolgt von George Clooneys Reise zurück in die Zeit der antikommunistischen Hexenjagden McCarthys, Good Night, And Good Luck, und dem kritischen Film Syriana über die Wirkungen der CIA-Arbeit im Nahen Osten. Der ewige Gärtner, der die Ausbeutung und Unterdrückung des afrikanischen Kontinents behandelt, scheint zunächst noch in den jedenfalls teilweise bewährten Mustern einer John-Le-Carré-Verfilmung zu funktionieren. Aber ihn zeichnet, wie mehrere Filme dieser „Welle“, ein Bemühen aus, nicht nur das Bild, sondern den Blick zu wechseln.
Ganz direkt beschreibt der Film auch einen Vorgang des Aufwachens: Justin Quayle (Ralph Fiennes) muss nach der Ermordung seiner Ehefrau seine Zurückgezogenheit überwinden, die Fixierung auf seinen Garten – man kann bei diesem Garten durchaus an die letzten, zwiespältigen Worte des Romans „Candide“ von Voltaire denken: „Wir müssen unseren Garten bestellen.“ Die Vorstellung eines Blickwechsels, für den ein brasilianischer Regisseur, Fernando Meirelles, im englischen Auftrag – aber zweifellos für Hollywood-Vermarktung – sorgte, trifft auf jede Einstellung zu. Nicht die Bilder, die sie finden, zeichnen die meisten der neuen Filme aus der Spannung von Film und Politik aus, sondern die Suche. Das macht ihre Unfertigkeit aus, das Hybride, das Verzweifeln in dem Bemühen, nach alter Art zu unterhalten und in neuer Weise zu sehen. Nicht nur bei Der ewige Gärtner muss man sich erst durch einen Kitsch-Verdacht gegenüber der Erzähl-Oberfläche kämpfen, bevor man auf die schwere Aufgabe einer Arbeit des anderen Sehens stößt.
Sehnsucht nach Frieden
Ein Blickwechsel – der steckt auch in Steven Spielbergs kontroversem München. Zwar erzählt der Film in den Codes einer geradezu kindischen Amerikanität: Da ist das Münchner Olympiastadion wie ein Nazi-Bau anzusehen, Franzosen kaufen vor dem Eiffelturm auf dem Markt die Zutaten zu einem opulenten Mahl, in Italien sitzt man in lauten Straßencafés, und alles endet an einem traurigen Herbsttag in Brooklyn. Amerika ist die letzte Zuflucht für den gejagten Helden, aber sein gelobtes Land ist es nicht. Innerhalb dieses Codes der Welt als System der einfachen Zeichen bemüht sich Spielberg, die Welt nicht mehr in die Guten und die Bösen einzuteilen. Vielmehr sehen wir Menschen zu, die, wenn sie nicht ohnehin ihr Leben lassen, allen Boden unter den Füßen verlieren. Das letzte Drittel von München zeigt so viel Trauer und Ratlosigkeit, wie man es in einem Film aus Hollywood, USA, kaum erwarten würde.
Von der anderen Seite zu sehen, ohne die eigene zu verlieren, das ist auch das Erzählziel von Clint Eastwoods Flags of Our Fathers. Die Entscheidung, das Kriegsgeschehen, das der Film beschreibt, noch einmal und nun von der japanischen Seite aus aufzunehmen, ergab sich erst im Verlauf der Arbeit. Der Blickwechsel ist dabei wie ein Akt der Selbstkritik in der Traumfabrik, die Auflösung des Codes der Amerikanität, die als notwendiger Schritt für eine andere Sichtweise der Geschichte dient. Am Leitfaden des Mitleids. Man kann die Geste dieses Versuches, auch von der anderen Seite zu sehen, pathetisch als anti-imperial betrachten.
Die Filme müssen zum Teil ihre Sprache erst wieder finden in dem Bewusstsein eines Konsens-Verlustes. Sam Mendes wurde bei Jarhead die übliche Unterstützung mit Material und Beratung durch das Militär verweigert, obwohl sein Studio Universal sich beeilte zu betonen, dies sei kein Antikriegsfilm im Allgemeinen und schon gar kein Film gegen den Irakkrieg im Besonderen. Nachdem er die Forderungen nach Veränderungen des Drehbuches abgelehnt hatte, blieb dem Regisseur nichts anderes übrig, als das meiste Kriegsgerät aus dem Computer zu zaubern und die direkte Aktion nur mit einem einzigen Panzer zu drehen, der permanent im Kreis fahren musste. „Erstaunlicherweise“, so Mendes, „hat das gut funktioniert.“ Auch auf diese Weise müssen die Filme lernen, anders als im technologischen Überschuss zu erzählen.
Eine zweite Konstante scheint die Zeichnung von Helden, die als typische Männer der Tat und voller Einverständnis mit großen Aufgaben beginnen und die dann vergeblich versuchen, aus dem Karussell der Gewalt auszusteigen. Der Rächer im Staatsdienst in München, der „ewige Gärtner“, der Waffenhändler in Lord of War, der kaputte CIA-Mann: Es ist der ermattete Held mit seiner Sehnsucht nach Frieden (die andere Seite des amerikanischen Archetyps des erfolgreichen Mannes der Tat); es ist der Mensch, der im „Krieg gegen den Terror“ jeden Halt und jede Zuversicht verloren hat.
Und eine dritte Konstante ist der Zweifel an der Manipulation der Bilder durch die Macht. In München ist Eric Bana am Ende so von der Krankheit des Terrorismus zerfressen, dass er in seiner Bedrohung nicht einmal mehr in einem gewöhnlichen Bett schlafen kann. Die Szene erinnert an die ähnlich deprimierenden Einstellungen am Schluss von Francis Ford Coppolas The Conversation aus dem Jahr 1974. Es ist ein ähnliches Empfinden, das die Paranoia-Filme damals wie heute bestimmt: das Gefühl, von einem System betrogen und getäuscht worden zu sein. Während der europäische Film in seiner Gesellschaftskritik auf einem System von Tätern und Opfern beharrt, scheint der politische Film aus Hollywood in den Projektionen von Tätern zu revoltieren. Es sind daher Filme, die auf direkte oder indirekte Weise um das Problem der Schuld kreisen, und dabei geraten auch Arbeiten in den Diskurs, die auf den ersten Blick gar nicht auf einen aktuellen politischen Konflikt bezogen scheinen wie Woody Allens Match Point oder Terrence Malicks Reise zum amerikanischen Gründungsmythos Pocahontas in The New World. Um an das fundamentale Problem der Schuld zu gelangen, muss zunächst eine Bilderverabredung durchbrochen werden, jene verhängnisvolle Vermischung von Wunschtraum und Blendung, gegen die die Aufklärer in Hollywood, wie Robert Altman oder Tim Robbins, von jeher gewettert haben. American Dreamz von Paul Weitz macht sich über die Vermischung von Politik und Entertainment her, und schon im Februar ist Steven Zaillians Neuverfilmung von Robert Rossens All the King’s Men über die Korruption in der amerikanischen Politik in den amerikanischen Kinos programmiert, in denen noch die Enttäuschung über das Einspielergebnis von Filmen wie King Kong oder Aeon Flux liegt. George Clooney sorgt bei Good Night, And Good Luck für den Star-Appeal eines Filmes, der an eine ganz ähnliche Krise der amerikanischen Demokratie zurückführt, wie man sie im Zeichen des Krieges gegen den Terror erlebt, zur „Hexenjagd“ des Senators McCarthy und seiner Gefolgsleute in den fünfziger Jahren.
Politik und Film
Der Verdacht liegt nahe: Die „Politisierung“ ist vor allem ein Reflex Hollywoods auf die Krise der Blockbuster im Kino – wenn das Popcorn-Publikum wegbleibt und sich die Filme lieber im technologisch aufgerüsteten Heimkino ansieht, wenn die Familien sich die Kinonachmittage nicht mehr leisten können, wenn die Kids lieber Computerspiele spielen, dann ist vielleicht ein kontroverses Programm für ein aufgeschlossenes liberales Publikum erfolgversprechend, das über Filme gerne diskutiert. Ein „erwachsenes“ Publikum, das sich von den anderen Medien, dem Fernsehen und der Presse, umfassend desinformiert fühlt. Aber umgekehrt auch: ein Publikum, das ein paar unbequeme Wahrheiten ansehen möchte, wenn sie nur in die unterhaltsame Form eines Melodrams oder eines Thrillers verpackt sind. In der Bilderwelt der Manipulation und Unterdrückung von Information mag in der Fiktion die letzte Chance der Wahrheit liegen.
George Clooney hat bemerkt, dass die Produzenten die Stoffe, die in diesem Jahr zu Filmen geworden sind, keines Blicks gewürdigt hätten. Bei den langen Wegen freilich, die Film-Projekte in der Traumfabrik zurücklegen müssen – ein Film, der „neu“ ins Kino kommt, dürfte im statistischen Mittelwert vor zwei Jahren als Idee und Strategie geboren sein -, können die Schwankungen wohl nicht so recht als direkte Symptome angesehen werden, wie man es vielleicht gerne hätte. Die Übertragungen zwischen Politik und Film verlaufen in seltsamen Kreisen und Vermittlungen: Da ist die direkte Einflussnahme der Repräsentanten einer Administration – und nicht zuletzt des Pentagon – durch Berater, durch technologischen Transfer, durch mehr oder weniger demokratische Formen der Zensur. Auch da muss eine Administration zuerst ihr Beziehungsgeflecht errichten und verliert gegen Ende der Amtszeit eines Präsidenten an Einflusskraft. Da gibt es auf der anderen Seite die Stimmung des Publikums, das in der prekären Balance zwischen dem liberalen und dem fundamentalen Teil des amerikanischen Traums so unberechenbar bleibt wie der Wechsel unausweichlich ist. Es gehört wohl nicht allzu viel Prophetie dazu, für den Zeitraum nach der Bush-Administration zumindest zeitweise einen anderen Geist im Land zu wähnen. Ein Zufall ist es gewiss nicht, dass die politischen Filme des Jahres 2006 innerlich so verwandt erscheinen mit dem politischen Paranoia- und Verzweiflungskino, das Hollywood sowohl am Ende der Ära Nixon als auch am Ende der Ära Reagan hervorbrachte.
Die Zyklen von Politik und Fantasy, Reaktion und Liberalität scheinen also eher jenen tief in der amerikanischen Gesellschaft wirkenden Veränderungen zu entsprechen, von denen schon Tocqueville so melancholisch gesprochen hat: als einer direkten Reaktion oder gar einem Prozess der mählichen Aufklärung und Selbstaufklärung in der Traumfabrik. Freilich gibt es auch in den großen Zyklen der Hollywoodproduktion Methoden der Feinabstimmung. Als sich im Golfkrieg Hollywood einmal mehr auch nach der Propagandaseite drehte, nahm man einen gerade fertig gedrehten Action-Film wie Shield of Honor, nannte ihn nun Desert Storm und machte aus bösen Libyern kurzerhand finstere Iraker. Bekannt sind die Reaktionen der Traumfabrik auf den Terroranschlag auf die Twin Towers: Bilder wurden verändert oder mussten verschwinden, Filme wurden zurückgehalten und andere hastig auf den Markt geworfen. Bedeutender aber wohl ist es, wie man einen Film einsetzt. Ein durchaus kontroverser Film wie Syriana wäre vermutlich vor einem Jahr nicht mit der Macht ins Zentrum der Kinokultur gepusht worden. Und er hätte dabei wohl auch nicht so viel Erfolg gehabt und an der Kasse todsichere Popcorn-Projekte weit übertrumpft. Es ändert sich also nicht nur die langfristige Produktion der Filme, sondern auch die Bewertung und die Aufnahme der Filme in der Öffentlichkeit. Was vor einem Jahr im Arthouse-Kino gelaufen wäre, das ist nun im Multiplex-Kino zu sehen, und was zuvor Stoff für intellektuelle Debatten abgegeben hätte, besitzt nun Mainstream-Appeal.
Es steckt eine Meta-Metapher in den so unterschiedlichen Filmen: Man ist es leid, sich betrügen zu lassen, aber man weiß, dass die Systeme des Betruges umfassend sind – und man ist selber Teil davon. Man ist des Sterbens und Tötens müde, und man weiß, dass die Kette der Gewalt nicht ohne weiteres zu durchbrechen ist. Spielbergs München ist denn auch sogleich als Reflex auf den Irak-Krieg gedeutet worden, und Lord of War beschreibt die andere Seite dieser Kette, den Waffenhandel, ohne den diese Gewalt so wenig denkbar ist wie ohne die Verflechtungen der internationalen Pharma-Konzerne (Der ewige Gärtner), den Öl-Hunger (Syriana), die ideologische Paranoia in den Parallelwelten des Geheimdienstes, wie sie Robert De Niro in seiner neuen Regiearbeit The Good Shepherd anspricht, oder die politische Hysterie, die Good Night, And Good Luck als Bild der nicht wirklich überwundenen Vergangenheit zeigt.
Die Meta-Metapher freilich geht oft auch wieder zu Lasten der Genauigkeit. Der Blickwechsel erscheint so abrupt, dass es dann doch wieder eher das eigene Spiegelbild als der Blick der anderen ist, der auf das sieht, was in den letzten Jahren so entsetzlich schief gelaufen ist, in der Welt und im Code ihrer Amerikanität. So wie er zuvor bedenkenlos und in gewissem Sinne ebenso imperial wie infantil auf die Welt projiziert wurde, so wird er nun bedächtig und inkonsequent. Von der Absicht, „das Bewusstsein des Publikums zu schärfen“, spricht Fernando Meirelles, und er verliert doch in Der ewige Gärtner die präzise Ambivalenz der Vorlage aus dem Blick. In Jarhead bekommt der Soldat am Ende einen Heulkrampf, weil er nie die Gelegenheit bekam, zum Schuss zu kommen, und doch kann Mendes nie so direkt die Lust im Grauen des Krieges beschreiben, wie es die zitierten Vorlagen von Apocalypse Now und Full Metal Jacket tun. Das ist der Preis der Hollywoodisierung politischer Aufklärung, wenn Meirelles sagt: „Die Wirklichkeit ist viel schlimmer, als wir es zeigen.“
Natürlich haben wir einen möglichen Boom der politischen Filme auch einfach dem Furor von Autoren, Regisseuren und Schauspielern zu verdanken, die sich von den Produzenten nicht mehr zur Popcorn-Ware verdonnern lassen wollen. Die Kino-Krise gibt ihnen paradoxerweise eine Chance, die sie ansonsten nicht hätten. Da wiederholt sich ein wenig das, was in den siebziger Jahren mit New Hollywood geschah, eine Öffnung des Produktionssystems angesichts einer unwiderlegbaren Botschaft des Marktes: So weitermachen geht nicht. Diesmal freilich geht der Riss nicht unbedingt durch die Generationen, es ist eine ideologisch schärfere Zäsur: definitiv ein Bruch mit dem Bush-Amerika und die Suche nach einer dissidenten Sprache jenseits der Holzhammer-Methoden der Michael Moores.
Die Gegenverschwörung läuft
Wenn man über so etwas wie eine Repolitisierung Hollywoods nachdenkt, dann muss man wohl immer auch über zwei Leute sprechen, die in ihrer Zusammenarbeit seit geraumer Zeit hartnäckig daran arbeiten, kontroverse Themen in den Hauptstrom der populären Bilder zurückzubringen: Steven Soderbergh und George Clooney. So etwa dachten sie sich eine TV-Serie namens „K Street“ für den Sender HBO aus, die in der Form der Fiktion hinter die Kulissen der politischen Ranküne in Washington sah, in der eine erfundene Beraterfirma wirkliche Politiker berät. In der Pilotfolge berieten diese fiktiven Berater den Senator Orrin aus Utah bei der Frage, ob man Ahmed Chalabi, Mitglied der irakischen Übergangsregierung, akzeptieren würde oder nicht. Man wolle, so Clooney, dabei den Prozess darstellen, durch den in Washington politische Entscheidungen getroffen werden. Die Kritik empfand dieses Spiel als einigermaßen zynisch. Aber besser hätte man wohl nicht zeigen können, dass die Beziehung zwischen Macht und Bildern auch auf den Kopf gestellt werden kann. Die großen Filme, die die beiden gemeinsam oder einzeln machen, als Regisseure, Darsteller, Produzenten oder einfach als Anreger und Freunde, verfolgen ein ganz ähnliches Konzept, wenn auch in den nachhaltigeren Formen der größeren Erzählungen.
Dabei haben die beiden in ihrer gemeinsamen Arbeit ein zweites Leitthema, das auch in ganz anderem Zusammenhang bearbeitet wird. Seit Soderberghs Debüt mit Sex, Lies And Videotape im Jahr 1989 geht es da immer auch um die Welt als mediale Verdoppelung und Illusion, so wie im Science-Fiction-Film Solaris oder in der Mediengeschichte Full Frontal. Das kann sehr tief gehen, und das spielt sich zugleich ganz direkt und alltäglich an der Oberfläche ab. Tatsächlich kann man sich vermutlich die Frage nach dem Politischen nicht mehr stellen, ohne zugleich die Frage nach dem Wesen der Bilder aufzuwerfen. Und Soderbergh/Clooney setzen dabei ein Instrument der Aufklärung ein, das dem Michael-Moore-Zorn so wenig eigen ist wie dem populistischen Humanismus des Steven Spielberg: Eleganz.
Wie zu Zeiten des New-Hollywood-Films scheinen auch die neuen politischen Filme aus mehreren Parametern zu entstehen: aus der Enttäuschung über einen Krieg, der nicht zu gewinnen, nicht mehr wirklich zu rechtfertigen ist. Aus der großen Krise der alten Rezepte der Traumfabrik. Aus einer innenpolitischen Krise, die zwei Lager unerbittlich gegeneinander setzt. Aus einem gescheiterten Angriffsversuch der Politik auf die Mittel der Filmproduktion. Aus einer sozialen Verwerfung, die vielen Menschen das Gefühl gibt, Opfer einer Intrige geworden zu sein. Aus dem, was offensichtlich noch stets am Ende eines konservativen Regierungszyklus steht: eine Vertrauenskrise, die nicht nur das Verhältnis von Regierung und Volk betrifft, sondern auch das Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Medium.
Es gibt sogar gewisse gestalterische Übereinstimmungen, von der dunklen und eher pessimistischen Grundstimmung abgesehen: eine Lust am Fragmentarischen, eine Vermischung des Inszenatorischen mit dem Dokumentarischen, ein Interesse für das Gegenwärtige, ein Einfluss der europäischen Erzählweisen (nebst personaler Allianzen). Natürlich liegen auch die Vorteile auf der Hand. Der vergebliche Versuch der Kostendämpfung scheint sich hier gleichsam auf Umwegen realisieren zu lassen. Ein Film wie L.A. Crash entstand für 6 Millionen Dollar. Syriana legt mit einem Budget von knapp 50 Millionen Dollar eine neue Markierung für eine durchaus erfolgreiche „mittlere“ Produktion. Das Thema ist der Star in diesen Filmen, der Rassismus in Das Gesicht der Wahrheit (Freedomland), die Geschichte in Soderbergh/Clooneys The Good German, und wie ein mächtiges Ausrufezeichen wird Oliver Stones 9/11-Film (World Trade Center) erwartet, vielleicht Höhepunkt, vielleicht Erfüllung, vielleicht Ende des politischen Hollywood-Films.
Ein wenig zynisch könnte man wohl behaupten, Hollywood habe es sich vorgenommen, in der kommenden Zeit alle jene Themen abzuarbeiten, die zwischen dem liberalen und dem konservativen Amerika strittig sind. Die meisten Filme sehnen sich nach einer Versöhnung. Ein „Gebet für den Frieden“ nannte Spielberg München, und es ist offensichtlich das Gebet an einen Gott, der nicht derselbe sein kann wie der des amtierenden Präsidenten. Wenn man es genau betrachtet, gehören diese Filme bereits zu einer Kultur nach der Amtszeit von George W. Bush, die im Jahr 2007 enden wird. Was dafür spricht, ist nicht nur die Annäherung der Standpunkte, ein Abwägen, das nach allen Seiten gerecht werden will. Es sind Filme, die sich Zeit nehmen, Diskurse und Widersprüche zu entwickeln. Und es spiegelt sich auch in dem Pathos der Filme der Ernst, den Code der Amerikanität nicht zerstören, sondern neu definieren zu wollen. Vom Home of the Brave und Land of the Free. Selbst die „Western“, die für dieses Jahr angekündigt werden, Ang Lees Brokeback Mountain, Terrence Malicks The New World und Andrew Dominiks The Assassination of Jesse James greifen tief in die sexuelle und moralische Gründungsmythologie. Die USA, so scheint es, wollen in ihren Filmen zur Besinnung kommen, eine selbstkritische Rückschau halten, die Wegmarken der Selbstidentifizierung neu setzen. Und sich reinigen auf dem Weltmarkt der Bilder von den Sünden des Empire.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd Film 1/2006
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