Bei GQ.com sehen Sie eine Auswahl der 100 bestgekleideten Männer. An der Spitze: Karl-Theodor zu Guttenberg © AP

Über die konkurrierende Inszenierung eines Post-Außenministers und eines Post-Kriegsministers

Wie ein Kriegsminister auszusehen hat, kann man sich denken: entschlossen (wenn auch nicht gleich mit der Maschinenpistole wie Winston Churchill), bereit, »Formalien« beiseite zu schieben, wenn er (oder auch sie) mit den Soldaten an der Front spricht, aber auch bedächtig genug, dass wir ihm (oder eben ihr) zutrauen, die individuellen Opfer mit dem nationalen Vorteil zu versöhnen. Ein Kriegsminister muss wissen, was ein Krieg ist, nämlich die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln (sonst bräuchten wir ihn oder sie ja nicht). Man kann freilich nur wissen, wie ein Kriegsminister auszusehen hat, wenn man weiß, wie ein Krieg aussieht.

Wie ein Außenminister auszusehen hat, kann man sich denken: diplomatisch klug und gebildet (wenn auch nicht gleich intrigant wie Metternich), bereit, im Dienste der Nation mit größter Freundlichkeit dem Gegenüber ins Gesicht zu lügen, und dennoch von staatsmännischer Persönlichkeit durchdrungen, so dass er Vertrauen schafft, hier wie dort, bedächtig genug zu wissen, dass seine Politik eben dies ist, was optional mit einem Krieg (oder zumindest seiner realistischen Androhung) fortgeführt wird. Man kann freilich nur wissen, wie ein Außenminister auszusehen hat, wenn man weiß, was Politik ist.

Kriegsminister und Außenminister sind zur Zeit zwei Herren, die sich offensichtlich zumindest selbst für »gutaussehend« halten, ja, wir befürchten, dass sie glauben, das, was sie für Gutaussehen halten, sei schon die Antwort darauf, wie ein Kriegsminister bzw. ein Außenminister auszusehen habe. Ein Teil dieses Missverständnisses verwandelt sich in ein internes Rankünespiel (Kriegsminister wie Außenminister scheinen sich daheim um vieles, nur nicht um ihren eigentlichen Job zu kümmern), ein anderer Teil verwandelt sich in Unterhaltung. Kuck mal, wie der aussieht!

In der Startphase dieser seltsamen Männerbeziehung (oder doch Un-Beziehung), einem offensichtlich ebenso persönlichen wie politischen Konkurrenzkampf, schien es rasch ausgemacht: Guido Westerwelle machte so schlechte Figur, dass man schon wieder Mitleid mit ihm haben konnte, und von und zu Guttenberg machte so gute Figur, dass man schon wieder argwöhnisch werden konnte. Nur: Vom richtigen Bild waren beide ziemlich weit entfernt (und sind es mehr denn je).

Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen. Erstens: Die Regierung Merkel hat sich eine doppelte strukturelle Fehlbesetzung erlaubt (mythopolitisch leicht zu erklären: So ist die Herrschaft des alten Mädchens ungefährdet). Zweitens: Außenminister und Kriegsminister können nicht mehr adäquat besetzt werden, weil es Außenpolitik und Krieg im traditionellen Sinne gar nicht mehr gibt.

Nun sehen wir unsere beiden mehr oder weniger gutaussehenden Herren in anderem Licht. Wir erkennen sie einerseits als Figuren im Blick des alten Mädchens (der teutonischen Königin Victoria der Nicht-mehr-so-viel-Spaß-Gesellschaft) und erkennen darin die Restriktionen der Inszenierung von Macht wie von Sexualität. Der eine, Guido Westerwelle, instrumentalisiert dabei seine Homosexualität, was ihm gar nicht mal so paradoxerweise eher Sympathien bei den Heterosexuellen einbringt. Einerseits ist das klar: Wenn ich schwul wäre, dann würde ich auch nicht gerade gerne durch Guido Westerwelle nun ja, repräsentiert werden. Zweitens aber ist das Zeugnis von Liberalität, dass der schwule Außenminister »seiner« Gesellschaft ausstellt, durch und durch falsch (eine Maskerade des Mainstreaming). Und drittens (wir sind wieder bei der Mythopolitik) ist es nach wie vor eine gewisse Versicherung der dynastischen Ungefährlichkeit. Und was die Inszenierung der Macht anbelangt, so scheint der Außenminister, der keine Außenpolitik macht, sondern mit rudernden Armbewegungen und Stakkato-Sprache mehr Freiheit für das Geld seiner Freunde fordert, der genau richtige Mann am richtigen Platz. Er drückt unter anderem aus, dass in einer globalen Wirtschaft politisch nichts zu machen ist und dass es das Beste ist, sich derweilen die Taschen vollzustopfen.

Auch unser Kriegsminister ist offensichtlich kein Konstrukt klassischer bürgerlicher Männlichkeit, was man geschmackspolitisch durchaus als Fortschritt werten kann, wenn auch hier und dort dezente Scherze über die Behandlung des ministeriellen Haupthaares nicht fehlen dürfen. Die bella figura, die von und zu Guttenberg beständig zu machen scheint, vermittelt sich zumindest in der deutschen Öffentlichkeit vor allem über die Produktion von wahrhaft ikonischen Bilder (undenkbar bei Westerwelle, bei dem jede Fotografie wie ein geschmackloser Übergriff öffentlichen Interesses in eine Privatsphäre wirkt). Vom einen gibt es nur degoutante Schnappschüsse, vom anderen nur überinszenierte Kitschbilder.

Von und zu Guttenbergs verbreitete Ikonen greifen das Konzept der Benetton-Werbung vergangener Jahrzehnte wieder auf, in einer etwas heruntergedimmten Variante der Kombination von Mode und Schockfoto (als könnte uns noch was schocken!). Insbesondere in den Fotos, die den Kriegsminister (korrekt müsste es natürlich heißen: den »Verteidigungsminister« in Afghanistan) beim Besuch der Soldaten zeigen: Der hohe Grad an Inszenierung bis in die Kopfhaltungen der »Nebenfiguren«, die dynamische Komposition mit der zentralen Figur und die feine Licht- und Farbgestaltung geben auch Fachleuten der Bildwissenschaften zu denken. Wurden denn diese Bilder etwa von einem verständnislosen Caravaggio-Verehrer im virtuellen Photoshop-Studio erzeugt? Ist von und zu Guttenberg (natürlich: gut beraten von den entsprechenden Spezialisten) so bild-talentiert, dass er sofort weiß, wo er sich platzieren und wohin er zu sehen hat, um die Benetton-Wirkung zu erzielen (unerschütterlicher Style in der chaotischsten Welt)? Besitzt er einen Tross von Hof-Fotografen, die an einem ikonographischen Gesamtkunstwerk arbeiten: Guttenberg und wie ihn die Welt sah? Oder ist am Ende dieser ganze Mann bereits als Werbebild seiner selbst auf die Welt gekommen und von und zu Guttenberg wäre demnach so »fotogen« (wenn man’s mag), weil das auch schon alles ist, was er ist?

Fragen über Fragen! Auf jeden Fall haben wir es mit einem Kurzschluss zwischen Politik und Werbung zu tun, der ein paar gewollte und auch ein paar ungewollte Effekte erzielt. Die scheinbar so gelungene Über-Inszenierung der Guttenberg-Art ist am Ende so irrational wie die scheinbar so missglückte der Westerwelle-Art. Gewiss aber ist, dass auch von und zu Guttenberg im Bild, das er gerne abgibt, genau der richtige Mann am richtigen Platz ist. Er drückt die Entschlossenheit von jemandem aus, der einen guten Anzug trägt, auch und gerade im Krieg, keine Ahnung, was das eigentlich ist. (Es ist etwas »Umgangssprachliches«, was einen Benetton-Kriegsminister natürlich nur sehr leicht berührt.)

Seien wir ehrlich, sehen wir den Tatsachen ins Gesicht, machen wir uns nichts vor. Wir, die Bevölkerung, wir sind nicht so gaaanz zufrieden mit den beiden Dressmännern, die Außenpolitik und Krieg am Hof des alten Mädchens zu verkörpern haben. Sie haben keine Antworten, sie sind aber unglücklicherweise auch keine. So gut sie nämlich ausdrücken, dass wir nicht mehr wissen, was Außenpolitik und was Krieg derzeit bedeuten könnte, so wenig sind oder haben sie von jener Persönlichkeit und mythischen Geschlossenheit, die beides einfach neu erfinden könnte. (Außenpolitik ist das, was aussieht wie Hillary Clinton, so etwas in dieser Art.) Wenn auch auf die unterschiedlichste Weise sind Guido Westerwelle und von und zu Guttenberg Ausdruck einer tiefen Verweigerung, eines Rückzuges, ach, sagen wir es doch klipp und klar: Sie sind Ausdruck jenes Scheiterns, das aus dem Gar-nicht-erst-anfangen kommt.

Die beiden Dressmänner, die sich ab und an umdressen, aber von ihrer grundsätzlichen Modelinie nicht fortkommen können, verkörpern jenen Politiker der neuen Art, der jeden Posten und jede Rolle einnehmen könnte und daher keine, und der alle Tricks beherrscht, wie man durch die Komposition von parteiinterner In­trige und öffentlichem Auftritt an die Macht gelangt, aber dann, wenn er sie einmal hat, nichts mit ihr anfangen kann, außer sich am eigenen Bild berauschen bzw. an ihm zugrunde gehen.

Möglicherweise aber ist es die eigentliche Aufgabe der beiden Dressmänner, genügend Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, damit woanders richtig Außenpolitik gemacht (Geld) und richtig Krieg geführt (Blut) werden kann. Wer weiß.

Autor: Georg Seeßlen

erschienen in Jungle World Nr. 19, 12. Mai 2010

Bild: via GQ-magazin