Unvernünftige Anmerkungen zum Automobil
Ach, das Automobil! Also, lassen Sie uns einmal vernünftig darüber sprechen. Es macht uns kaputt. Es verpestet die Luft, killt das Ozon, tötet unsere Kinder, zerstört unsere Städte, frisst unser Geld, ruiniert unsere Ohren und beleidigt unseren Geschmack. Und wir lieben es ziemlich heiß, innig sowieso, jedenfalls mehr als wir die meisten anderen Menschen lieben.
Über etwas, was man begehrt, liebt, was man sich einschreibt und sich in es einschreiben lässt, kann man nicht vernünftig reden. Also lassen Sie uns einmal von unserer schönen, mörderischen Unvernunft sprechen. Das Auto ist wohl eine von jenen magischen Maschinen, bei denen der Akzent so sehr auf dem Magischen liegt, dass man das Maschinelle oft vergessen will. Früher haben wir den Autos Namen gegeben, sie gestreichelt und betrauert, wenn sie auf den Autofriedhof kamen (magischer Ort der urbanen Wirtschaftswunder-Kindheit, nebenbei). Das ist nicht mehr nötig. Unsere eigene Persönlichkeit und die unseres Automobils sind so miteinander verflossen, dass es die Grenzen, die man mit der zärtlichen Geste, das „Fensterleder“ oder „Johnson Wachs“ in der Hand, überwinden wollte, gar nicht mehr gibt. Und wie bei allen religiösen Objekten trifft dieses Verschwimmen die Gläubigen so sehr wie die Ketzer. Das manische Ding aber ist nicht nur libidinös und religiös besetzt, sondern steckt auch ganz buchstäblich im Zentrum einer historischen Bewegung.
Wenn es so etwas wie ein Projekt für das bürgerliche Zeitalter gibt, dann ist es eine Verbindung von „kapitalistischer“ Produktion und „demokratischer“ Lebenspraxis, wobei man nicht nur insofern beides in Anführungszeichen setzen darf, als es beständig auch das eigene Gegenteil hervorgebracht hat, sondern auch, weil es zwischen den Modellen und der Alltagswirklichkeit immer heftige Spannungen gegeben hat. Wer zockt den Mehrwert ab? Ist uns doch egal, Hauptsache wir können uns einen Besuch in der shopping mal leisten. Funktionieren Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Volkssouveränität? Scheiß drauf: Was wir wollen, ist eine Art von sinnlicher und symbolischer Teilhabe. Demokratie ist wenn die da oben genauso reden wie wir da unten. Die Wirtschaft durch die Politik und diese durch das Volk „zu kontrollieren“ ist eine schöne Idee. Aber hinderlich, wenn man Teil der Geschichte sein will; wenn man sich in die Macht, in die Ausbeutung, in den Fortschritt „einschreiben“ kann und wenn sich Macht, Ausbeutung und Fortschritt (vielleicht sogar mit den selben Mitteln) in uns einschreiben können. Kurz gesagt: Demokratie ist, wenn man einen Fernseher und ein Auto hat, verlängert vielleicht durch einen PC und ein Handy.
Es gibt eine Reihe von magischen Maschinen, die dieses Werk des Einschreibens zu bewerkstelligen hatten; eine davon ist die Bilder- und Mythenmaschine der Medien, die populäre Kultur: Gemeinsam einsame Regression zur Verhinderung des manifesten Bürgerkriegs. Ein anderes die Motorisierung und Elektrifizierung des Privatlebens. Mit jeder neuen kleinen Maschine in Haushalt und Freizeit ist der Kapitalismus und sein Gegenüber, die „Demokratie“, für den Augenblick mal wieder gerettet. Das reicht vom Rührfix zum Personal Computer. (Und wehe uns, wenn uns nichts mehr einfällt, unser Privatleben zu maschinisieren, dynamisieren, elektrifizieren, elektronisieren…)
Eine Schlüsselrolle hat dabei das Automobil inne, das zuerst eine technisch-philosophische Fortbewegungsmaschine, dann eine höchst wirkungsvolle Mega-Ware wurde, in der von Anfang an Gebrauchswert, Tauschwert und Symbolwert (Bewegungsmaschine, Prestigemaschine, Ich-Maschine) nicht voneinander zu trennen war. Das Besondere des Automobils war es dabei, dass es in alle drei Bereiche der bürgerlichen, kapitalistischen und „demokratischen“ Einschreibungsmaschinerien von Mensch und Staat hineinreicht: es weist von Anbeginn (und übrigens wie das Bewegungsbild von Kino und Fernsehen, mit dem es, was die Wahrnehmung und das Bild der Welt anbelangt, immer heftig verknüpft war) eine besondere Beziehung zum Krieg und mehr noch zu seinem Bild auf, es ist Ausdruck alle Mobilisierungs- und Individualisierungsträume der popular culture und umgekehrt deren Motor – nicht einmal Rock’n’Roll wäre denkbar ohne Auto (wir könnten sogar behaupten: Rock’n’Roll ist nichts anderes als motorisierter Blues, wenn das nicht einige Aspekte von Rasse und Klasse unterdrücken würde) – und was das Automobil direkt und, nicht zu vergessen: indirekt zur Maschinisierung des Privatlebens beigetragen hat, darüber müssen wir kaum noch reden. Ich ist in der kapitalistisch-demokratischen Gesellschaft erst durch das Auto Ich geworden. Und mehr noch: Im Auto wird der Kapitalismus Ich.
Freilich, mit dem Automobil hat sich eine Richtung in der Beziehung zwischen Ich und Welt umgekehrt: das maschinisierte Privatleben greift den öffentlichen Raum an und vernichtet ihn schließlich. Die Welt ist, so paradox das klingen mag, deshalb nicht mehr erfahrbar, weil sie von unendlich vielen fahrbaren Ichs besetzt ist. So wie es recht eigentlich keine Kultur mehr geben kann (und schon gar keine „demokratische“) wenn es Fernsehen gibt, so kann es auch recht eigentlich keine Reise (und auch kein „Zuhause“) mehr geben, wenn es das Automobil gibt. Wenn jeder Mensch, mindestens jede Kleingruppe von Menschen, über ein Automobil verfügt, dann ist der alte Widerspruch der Menschheit, nämlich der zwischen dem, was an Nomadischem in uns steckt, und dem, was sesshaft und „bodenständig“ ist, aufgehoben. Wir sind ein bisschen von beidem nun, und das Schöne ist: Jeder bestimmt selbst, wie er die Balance zwischen dem Nomadischen und dem Sesshaften in sich regelt. Das Schreckliche dagegen: der Gegensatz zwischen dem Urbanen und dem Provinziellen löst sich auf. In der automobilen (und fernsehenden) Gesellschaft bricht mit ungeheurer Macht die immobile Kraft des Provinziellen ins Urbane. Stadtluft macht nicht mehr frei, Landluft ist nicht mehr gesund.
Welch ein Segen könnte das aber andrerseits sein! Wenn Kain und Abel ein gemeinsames Automobil gehabt hätten, wäre es zu dem ganzen Opferquatsch mit anschließendem Totschlag gar nicht gekommen! (Genauer besehen hätte doch besser jeder von den streitsüchtigen Kerlen eines für sich haben sollen.) Durch die allgemeines Motorisierung jedenfalls entsteht eine Gesellschaft der nomadischen Sesshaften oder der sesshaften Nomaden. Ein Höchstmaß an individueller Freiheit verbindet sich mit einem Höchstmaß an sozialer Kontrolle. Was als Kapitalismusmaschine für die reibungslos beschleunigte Produktion sorgt, das sorgt als Demokratiemaschine für den Geschmack von Freiheit und Teilhabe. Wir haben die Essenz von Fleiß, Technik, Industrie und Fortschritt in der eigenen Hand und unterm eigenen Hintern.
Die Frage ist natürlich: Wie weit kann das funktionieren? Denn das Automobil hebt zwar alle die Widersprüche von Kapitalismus und individueller Freiheit in seinem Gebrauch auf, es verstärkt sie aber in ungefähr gleichem Maße in der Gesellschaft. Die Widersprüche flossen, wie man so sagt, durch diese mythische Maschine Automobil hindurch. Und das nach einem wahrhaft volkskapitalistischen Prinzip: Privatisierung des Vergnügens und der mythischen Lösung, Vergesellschaftung des Schadens und als Drittes, nicht zu vergessen: Verstaatlichung des Machtpotentials in der magischen Maschine des so eher missverständlich genannten „Individualverkehrs“. Im „Staatssozialismus“ oder auch „Staatskapitalismus“ oder wie man dieses teilweise real existierende System auf der anderen Seite des genauso diffusen Ineinander von Kapitalismus, Demokratie und Staatskorruption nennen mochte, war die Automobilisierung nicht viel weniger zentrales Lenkungsinstrument als hierzulande, wenngleich etwa ein Trabi schon ausdrücken mochte, dass der Mobilisierung erhebliche Grenzen gesetzt waren. Autos wurden zu einem semiotischen System, das alles über seinen Besitzer und seine Beziehung zu (fast) allem anderen sagen konnten. Nicht bloß eine Schnittstelle zwischen Ich und Welt, sondern gleich auch freudige Selbstauskunft.
Das Auto ist also eine wesentliche Biographie-Maschine der bürgerlichen Vita: Es sind die Autos, die unsere Lebensabschnitte beschreiben, aber auch unser Verhältnis zur Umwelt; das Auto erzählt von familiärer Geborgenheit oder einsamer Gier, von Stolz oder Verlegenheit. Natürlich kann man einen BMW oder einen Mercedes fahren und damit eine ziemlich eindeutige soziale Positionierung durchführen: Ich will oben, vorn und reich sein, und zwar schnell (BMW) oder gründlich (Mercedes Benz). Man kann auch durch einen Volvo mit Sicherheit aus Schwedenstahl die Verlässlichkeit eines stetig geführten Lebens (zum Beispiels als Realschullehrer) signalisieren. (Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass das Auto eine zwar unvollkommene Liebesmaschine ist, sich aber hervorragend als Heiratsmaschine eignet?) Aber das Automobil ist ein dergestalt offenes semiotisches System, dass es von allem beinahe auch das Gegenteil ausdrücken kann. Der eine poliert das seine auf Hochglanz, der andere lässt es demonstrativ verdrecken und verrosten, der eine sagt: Schaut her, wie wichtig ich und mein Auto sind, der andere sagt: Hier gibt’s nichts zu gucken, das ist bloß eine olle Maschine, mit der man von A nach B gelangt. Die Marke, der Zustand, jede kleine Veränderung, vom aggressiven Hintern-Aufkleber bis zum gehäkelten Klorollen-Schutz, ist eine Aussage. Im Automobil spricht die Gesellschaft über mich (dieser armselige Schreiber kann sich nichts als einen Opel Astra leisten, diesen Spaß-Killer unter den Automobilen), und es ist eine Aussage von mir über die Gesellschaft: „Ihr könnt mich alle mal…überholen“.
Das Auto als semiotische Schnittstelle also ist ein Forum für einen Dialog zwischen dem einzelnen und seinem System. Wenn zum Beispiel im goldenen Westen eine „Ente“ sagen konnte: Ich bin gar kein Auto (keines dieser bösen kapitalistischen Maschinen, die vorne Menschen kaputtfahren und hinten die Umwelt verpesten), ich bin vielmehr eine Kuschelecke auf Rädern, so was von weich in der Kurve, Yin und Yang-mäßig perfekt, so musste der Trabi in der DDR sagen: Wir machen uns klein, schützen kann unsere Rennpappe uns so wenig gegen Aggression wie sie selber Konkurrenzgehabe herausfordert. Freiheit, Gleichheit, Brüder- und Schwesterlichkeit: Nichts macht so deutlich, dass man alles drei nicht haben kann, wie das Automobil.
Natürlich ist das Auto ein Prestige-Objekt, also auch eine Sozialneidmaschine. In den besseren Tagen des Demokratiekapitalismus war das Traumauto ein Ansporn. Mehr arbeiten! Vielleicht ein bisschen sparen, zum Beispiel an anderen schädlichen Dingen wie Tabak oder Kultur. In den finsteren Zeiten des Neoliberalismus ist der Traum schon wieder Voraussetzung geworden. Überlegen Sie sich genau, mit welchem Auto Sie zum Vorstellungsgespräch oder zur Kundenberatung vorfahren. Das Auto ist nicht länger metaphysische Belohnung sondern Teil des Lebensdesigns. Achten Sie auf die Automobilmarke Ihres Anlageoptimierungsberaters!
Unser Auto ist aber auch eine barbarische Maschine, insofern sie das nomadische in uns zu einem letzten Selbstausdruck zwingt. Spätestens seit Mad Max und seinen wenigen Zeitgenossen, die in einer Zeit namens „nahe Zukunft“ noch leben (die sich durch einen ebenso simplen wie grausigen Umstand von unserer Gegenwart unterscheidet: es gibt so gut wie kein Benzin mehr!), wissen wir, dass die traurigen Reste unserer Kultur in einem zugleich heruntergekommenen und aufgedonnerten Gefährt der nach-industriellen Autogesellschaft zusammengefasst werden. Das einzige, was wir in unseren Phantasien wirklich in diese Zukunft retten wollen, sieht man einmal von der Möglichkeit eines allerletzten günstigen Ficks ab, ist das Automobil. Und es reicht, den Brennstoff für die manische Maschine zu verknappen, um aus dem Menschauto-Zentauren wieder den mörderischsten Barbaren herauszuholen. Genau davon „handelt“ das Auto: dass jeder Fortschritt auch ein Zurück zur Barbarei ist.
Beinahe so wichtig wie es zu haben, es zu beherrschen und es zu zeigen ist dem fortschrittlichen Neobarbaren des bürgerlichen Zeitalters in Bezug auf sein Totem-Tier noch eines: es kaputtzumachen. In den siebziger Jahren, der größten Auto-Krise bislang, ging man ins Kino, wenn man nicht gerade Religion und Erbsenbrei speiende Mädchen auf der Leinwand bewundern wollte, um möglichst viele möglichst effektvoll kaputtgefahrene Autos. Ein Jahrzehnt später brüstete sich der Film „The Blues Brothers“ damit, den Weltrekord in Sachen demolierter Autos in anderthalb Kinostunden aufgestellt zu haben. Das kümmerte uns damals schon wieder weniger. Genauer gesagt: Es war einfach keine Nachricht, kein Mythos mehr.
Vom Krieg auf den Straßen künden hierzulande die Kreuze an den Landstraßen. Im Grunde ist jeder Verkehrsteilnehmer in Deutschland dazu gezwungen, zugleich an einer Gedenkfahrt für seine Opfer teilzunehmen. Nur die Autobahn verbietet sich solcherart semiotische Melancholie; da wird die Sauberkeit allenfalls durch McDonalds-Werbung gestört. Es gibt ja nur wenige Arten um Leben zu kommen, die in Deutschland so folgerichtig zu einer Gedenkstätte führen, die erdenklich an ein Soldatengrab erinnern, wie der Auto- oder Motorradunfall. Der Hochalpinismus oder andere Extremsportarten wären da zu nennen. Vielleicht muss man noch ein wenig genauer hinsehen, um über das Versehen unserer Landstraßen mit Gedenkkreuzen ins Grübeln zu geraten: Höchst selten nämlich wird einer Fahrradfahrerin ein solches Kreuz von den Hinterbliebenen gestiftet, von den Fußgängern, die ja auf dem Krieg der Straße auch nicht selten ihr Leben lassen, ganz zu schweigen. Und noch genauer hingesehen: Die zwingende Notwendigkeit, Größe und, nun ja, Schönheit des Gedenkkreuzes am Straßenrand hat offenkundig einerseits mit der Jugend, andrerseits mit der Stärke und der Aggressivität des zur Todesfahrt benutzten Fahrzeugs zu tun. Ohne nun den trauernden Hinterbliebenen allzu nahe treten zu wollen, so scheint doch überdeutlich, dass in dieser zweiten Grab- und Gedenkstätte einiges mitschwingt: zum einen ein (klammheimlicher) Stolz auf diesen Tod (das Opfer ist im Sinne einer „richtigen Sache“ gestorben) und das Gegenteil: ein genauso klammheimliches Wissen um die Schuld des Opfers. Das Auto, eine Kapitalismus- Demokratie, Sozialneid- nomadische Sesshaftigkeits-, Familien und Karrieremaschine ist gerade dadurch ausgezeichnet, dass es auch eine Todesmaschine ist. Seine Gefährlichkeit ist keineswegs ein „Preis“, den wir für seinen Vorteil bezahlen, sie ist vielmehr notwendiger Bestandteil seiner Mythologie, ein nur wenig maskiertes Drohen und Opfern. Die Möglichkeit einer ganz anderen Seite, eben einer tückischen Mörderischkeit, macht die Beziehung erst heiß, und daher ist es kein Wunder, dass es Menschen gibt, die um jeden Preis diese andere Seite, die Todesseite jeder Liebe, hervorzukitzeln bestrebt sind. Es sind mehr als genügend Mörder und Selbstmörder auf unseren Straßen unterwegs, die uns beruhigen: Nein, eine Zivilisationsmaschine wird das Auto nie.
Und das Auto ist eine Religionsmaschine. Wie es der fadenscheinig gekleidete Herr Settembrini überzeugend formulierte: Mit Jesus Christus begann historisch gesehen, die Epoche des demokratischen Individualismus. Und im Automobil hat sie sich erfüllt. Denn auch zu den transzendentalen Fragen haben wir durch das Automobil eine individuell-demokratisch-protestantische Beziehung. Ein Flugzeug- oder Eisenbahnunglück mit hunderten von Opfern beleidigt unser christliches Weltbild. Nicht, wie Voltaire, gegen das Erdbeben, im Namen der Vernunft, sondern im Namen der Gerechtigkeit protestieren wir dagegen. Ein Autounfall hingegen passt in dieses Weltbild perfekt, jedenfalls wenn die Anzahl der Toten bei einem singulären Ereignis nicht die Anzahl der Finger an einer Hand übersteigt. Sterben im Automobil, das ist so etwas wie ein „natürlicher“, jedenfalls ein würdevoller, ein demokratisch-kapitalistischer Ich-Tod.
Ungeachtet der Tatsache, dass immer mehr Menschen sich gegen ihr eigenes sowohl als auch gegen fremde Automobile etwa durch einen bannenden Kirchentagsfisch am Heck semiotisch schützen wollen (denn das Auto ist zugleich auch eine Angst- und eine Schuldmaschine), ist das Auto die Fortsetzung der Heiligen Schrift mit anderen Mitteln. Nur der christliche Kapitalismus konnte dieses Automobil hervorbringen. Die magische Einheit von Familie, Fernsehen und Auto macht dieses System eigentlich mehr oder minder unschlagbar.
Aber das Automobil ist als manische Maschine auch nicht zuletzt eine Nationalismus-Maschine. Es gibt nicht nur eine Art von amerikanischen, japanischen, französischen oder deutschen Automobilen, eine amerikanische, japanische, französische, deutsche Art, sich in einem Automobil zu bewegen oder mit ihm zu leben, es gibt, umgekehrt, auch Arten, durch das Automobil ein Amerikaner, Japaner, Franzose, Deutscher zu werden. Dass die Art und Weise, sich durch das Automobil als Deutscher zu signifizieren, besonders penetrant ausfällt, muss nur am Rande erwähnt werden. Tatsächlich wird es blitzrasch bei Bedarf zum Symbol im Spiel der Meta-Politik. „Wir Autofahrer“ (die schon wieder einmal leiden müssen, bei den steigenden Spritkosten und all dem bedrückenden Öko-Wahnsinn), sind eben eines der wenigen Wir, die noch verblieben sind und die sich von selbst verstehen. „Wir Autofahrer“ ist eine mystische Union jener, die ihren Kult um die magische Maschine vor nichts so sehr beschützen müssen wie vor einer Profanierung durch banale Rationalität. „Wir Autofahrer“ ist der paradoxe Widerstand der Ich-Maschinisierten gegen ein Projekt aufklärerischer Kollektivität, letztendlich gegen ein furchtbares „Wir Menschen“. Autofahrend entkomme ich nicht nur unförmiger Masse (nur ein höchst humorloser Gott könnte missmutig auf die unförmige Auto-Masse blicken, die sich dabei bildet) sondern auch all diesen roten, weiblichen, sozialistischen Gefahren der Welt: das Automobil hat nicht nur mein demokratisch-kapitalistisches Ich geformt, sondern mir auch die Möglichkeit gegeben, es vollkommen abzuschließen. Es ist ein Farradayscher Käfig gegen die unheimlichen Ströme von macht und Begierde. „Wir Autofahrer“ ist die Gemeinde der Ich-Maschinisierten gegen einen Feind, der sofort gepackt werden muss, sobald er irgendein Gesicht zeigt. Wenn wir den Benzinpreis nicht gelegentlich hyxsterisieren könnten, wäre das auch nicht recht. Wir Autofahrer können unseren Ich-Maschinenkult nur aufrecht erhalten, wenn wir verfolgt und duldend sind. Der Staat, die Ölmultis, die Ökofreaks aber auch all die schwachen Nicht-Ichs, die den öffentlichen Raum so autofeindlich machen, bedrohen mehr als nur die freie Fahrt für freie Bürger. Man kann nichts werden gegen das Auto in unserer Gesellschaft, höchstens verrückt.
Wir begreifen: Das Auto ist eines jener Dinge, die unsere Gesellschaften im innersten zusammenhält.
Natürlich: Man kann auch vernünftig über das Auto sprechen, die Rolle der Autoindustrie in den old economics, die Notwendigkeit der Mobilität in der Dienstleistungsgesellschaft, die ungleiche Behandlung der Verkehrskosten, die ungenutzen Möglichkeiten des sparsamen, umweltfreundlichen aber ziemlich ungeilen Autos, und so weiter. Aber ehrlich gesagt: Das bringt nichts. Genauso gut könnte man vernünftig reden über die Liebe oder über Fußball. Wer etwas vernünftiges über Autos sagen will, muss tief in unsere Unvernunft hinein.
Autor: Georg Seesslen
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