Begleitgeräusch

Die Deutsche Bank wird überschätzt. In der BRD ist sie die Nummer eins, weltweit rangiert sie weiter hinten. Die Zeit ihrer größten Gefährlichkeit reicht von ihrem Gründungsjahr 1870 bis 1945, ihr politischer Einfluss dauerte in den folgenden Jahren noch an, sagen wir: in der Ära Adenauer. Dann ging er zurück, und dass sie heute juristisch angegangen und öffentlich gehänselt wird, ist der Eselstritt, der in der Regel erst einen bereits geschwächten Akteur trifft.

Das muss erklärt werden und hat wieder einmal etwas mit dem Wandel der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu tun.

Der Kapitalismus hat sich bekanntlich ab ca. 1870 folgendermaßen geändert: Aus den meist noch von den Gründern oder deren Erben geführten Personalgesellschaften wurden Aktiengesellschaften, in denen aber die Mehrheitseigner in der Regel noch Vorstandsvorsitzende waren. Ausnahme: die Banken.
Das Zeitalter der angeblichen Dominanz der Rothschilds im 19. Jahrhundert ging zu Ende. An ihnen – Familienunternehmern in mehreren Ländern – hatte sich der Antisemitismus gerieben und ihnen verschwörungsartigen politischen Einfluss nachgesagt. Das lenkte ab.

Die neuen Großbanken waren zwar Aktiengesellschaften, aber sie wurden nicht von den Haupt-Anteilseignern geführt, sondern sehr früh schon von Leitenden Angestellten, die Manager zu nennen man sich erst später angewöhnte. Durch ihre Verflechtung mit der produzierenden Industrie entstand ein Komplex, den Rudolf Hilferding als „Finanzkapital“ bezeichnete. Zitieren wir diesen verdienstvollen Theoretiker direkt: „Ich nenne das Bankkapital in Geldform, das auf diese Weise in industrielles Kapital verwandelt ist, das Finanzkapital.“

Dieses erwies sich in hohem Maße als strategiefähig, gerade weil es das modernste Management hatte: Männer, die nicht nur an das eigene Unternehmen dachten, sondern an die Gesamtheit der von ihnen finanziell begleiteten Firmen. Enge Kooperation mit dem Staat, der ja auch keine Klitsche ist, lag nahe. Die spezifische Form des deutschen Imperialismus: Erschließung von Einflussgebieten in Ost- und Südosteuropa, wurde von den großen Banken wohlwollend finanziell gestützt. Der langjährige Gegensatz zwischen der Montanindustrie einerseits und der Chemie- und Elektroindustrie andererseits erfuhr seine Milderung durch den Querschnitteinfluss über das Finanzkapital. Dass jene sich schließlich doch gemeinsam auf Hitler einigen konnten, dürfte teilweise auch darauf zurückzuführen sein. Als Hermann Josef Abs, seit den dreißiger Jahren im Vorstand der Deutschen Bank, 1941 den faschistischen Überfall auf die Sowjetunion bejubelte, gab er nicht nur seinem persönlichen Empfinden Ausdruck. 1940 hatte er in einem Vortrag des Deutschen Instituts für Bankwissenschaft und Bankwesen e.V. sich gewünscht, „dass mit unseren Kapitalinvestitionen die Leistungsfähigkeit der fremden Volkswirtschaften in einer Richtung entwickelt werden soll, in der sie auch uns voll zugute kommt, d.h. also vornehmlich Intensivierung der land- und forstwirtschaftlichen und der bergbaulichen Erzeugung zum Nutzen unserer eigenen Nahrungs- und Rohstoffversorgung. Können wir aber, wie die Dinge heute liegen, hierbei stehen bleiben oder müssen wir einen Schritt weiter gehen und uns systematisch an der Industrialisierung der Rohstoffländer beteiligen?

Für den Südosten hat der Mitteleuropäische Wirtschaftstag diese Frage rückhaltlos bejaht und den Vorschlag gemacht, den deutschen Unternehmern, die sich an der weiteren Industrialisierung der Südostländer mit Kapital beteiligen wollen, auch diejenigen Industrien freizugeben, die für den eigenen Bedarf der Südostländer arbeiten, also für die eigentlichen Binnenindustrien dieses Raumes.“

1945 wurde Abs zwar von den Alliierten entlassen und sogar ein paar Monate eingesperrt. Doch spätestens mit Beginn des Kalten Krieges war er – inzwischen im Spruchkammerverfahren entlastet – wiederverwendungsfähig: 1948 – 1952 als Vorstandsvorsitzender der Kreditanstalt für Wiederaufbau (die die Marshall-Plan-Gelder verwaltete), 1952/53 als Leiter der BRD-Delegation bei den Londoner Schuldenverhandlungen, 1957 – 1967 als Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Mittlerweile war strategisches Management, das die Interessen der Eigner wahrnahm, indem es das operative Geschäft in relativer Unabhängigkeit von diesen betrieb, nicht mehr ausschließlich eine Sache der großen Geldinstitute. Seit Hitler gab es VW, bei Krupp kam Beitz.

Diese goldene Periode des Managerkapitalismus endete in den achtziger Jahren. Die Shareholder-Revolution stürzte die Generaldirektoren mit ihren großen Schreibtischen und dicken Zigarren und brachte stattdessen die Fondsmanager an die Macht. Im Interesse der Anleger spekulierten sie, kauften und verkauften Unternehmen, drückten Löhne, Abgaben und Steuern und schlachteten die Staaten aus. Für diesen – wie man ihn heute oft nennt – finanzmarktgetriebenen Kapitalismus war die Deutsche Bank einerseits wie geschaffen. Andererseits musste sie sich derlei Geschäfte mit Hedgefonds und weiteren Newcomern teilen. Die von Angela Merkel neulich mit diesem neuen Namen versehene „marktkonforme Demokratie“ bezeichnet zwar den Rahmen, an den Politik sich zu halten hatte, aber der wohl letzte strategische Manager, den die Deutsche Bank hatte, war der Vorstandssprecher Alfred Herrhausen. Kurz vor seinem Tod soll er mit seinen Kollegen inner- und außerhalb des Hauses mit Überlegungen zu einem teilweisen Schuldenerlass für Entwicklungsländer aneinander geraten sein und sie durch allerlei Reflexionen über soliden Machtgebrauch genervt haben. So etwas passte vielleicht nicht völlig in den finanzmarktgetriebenen Kapitalismus. An die Stelle der klassischen staatsmonopolitischen Manager traten nun nicht nur in den Banken, sondern in der Wirtschaft insgesamt die Zocker, die ihren Aktionären hohe Gewinnziele und Kurssprünge versprechen. Ihre Symbolfigur wurde Josef Ackermann. Politisch wirksam ist auch diese Truppe, etwa wenn sie über das 1983 gegründete „Institute for International Finance“ (Vorsitzender 2003 – 2012: Ackermann) dem auf Krisengipfeln versammelten staatlichen Personal mithilfe einer „Roadmap“ mitteilt, wie systemrelevante Banken mit öffentlichen Mitteln möglichst vor Verlusten zu bewahren sind.

Jetzt hört man, mit dem finanzmarktgetriebenen Kapitalismus gehe es auch schon wieder zu Ende. Nichts gegen weitere Senkung von Löhnen und Sozialtransfers, Privatisierungen und Betriebswirten als Theater-Intendanten: aber die wilde Spekulation hatte doch große Verluste gebracht, und Marktwirtschaft braucht Herrschaft der Gesetze, die sie stabilisieren. Also werden irgendwann – vielleicht auch erst nach dem nächsten Crash – wieder ein paar Regeln eingeführt werden, wie sie bis ca. Mitte der achtziger Jahre gegolten haben. Solche Modifikationen werden oft durch ein Getöse vorbereitet, das derzeit mal wieder auch antikapitalistisch instrumentiert und sehr populär ist. Wer in der Spekulation das Hauptübel sieht, braucht sich keine Gedanken darüber zu machen, wie und wo die riesigen Geldmassen in privater Hand, mit denen an den „Märkten“ Unfug getrieben wird, zusammen gekommen sind. Peer Steinbrück ist SPD-Kanzlerkandidat und gibt den Spekulations-Bändiger. Jakob Augstein ermutigte ihn, die Deutsche Bank zu zerschlagen.

Das ist das Umfeld, in dem dieses Institut jetzt etwas Ärger hat. Es wurde wegen Steuerhinterziehung und wegen Schädigung des einstigen Imperiums von Leo Kirch verurteilt.

Einfach gestrickte Gemüter vermuten, eine Klassenjustiz, welche Kapitalisten belange, sei auch nicht mehr, was sie einmal war. Sie vergessen, dass die Gerichte in den meisten Fällen nicht zwischen Krupp und Krause zu entscheiden haben (dies ist am ehesten im Arbeitsrecht der Fall), sondern bei Konflikten innerhalb der Klassen selbst. Das Handelsrecht zum Beispiel sorgt dafür, dass die Geschäfte ordnungsgemäß abgewickelt werden. Und wenn Hilmar Kopper den Ruin Kirchs unfair beschleunigt haben sollte, dann ist es nicht abwegig, dass er zwecks Wahrung des inneren Klassenfriedens mit der Justiz zu tun bekommt – nicht obwohl, sondern weil sie Klassenjustiz ist. Der Handel mit Verschmutzungsrechten gibt Unternehmen, darunter Banken, Gelegenheit, sich auch am tatsächlichen oder angeblichen Umweltschutz eine goldene Nase zu verdienen. Die Gesetze erlauben Steuervermeidung. Wenn die Deutsche Bank sich nicht damit zufrieden gab, sondern es überdies mit Hinterziehung versucht, wird auch einmal ein Gericht aktiv. Graf Lambsdorff und Klaus Zumwinkel hatten wegen des gleichen Delikts mit ihm zu tun. Immer wieder werden Weltkonzerne mit Millionenstrafen belegt, wenn sie der Konkurrenz zu nahe treten. Meist kommt dabei das Kartellrecht in Anwendung, das nicht die Arbeit vor dem Kapital schützt, sondern – ganz im Geiste Ludwig Erhards und Sahra Wagenknechts – das eine Kapital vor dem anderen. Der Mut der Justiz mag ein wenig konjunkturabhängig sein. Ihr frustriertester Bestandteil, die Staatsanwaltschaft, freut sich im Einzelfall über ein wenig positive Aufmerksamkeit. Vielleicht erklärt sich so der nun wirklich demonstrative Aufwand sogar an Bewaffneten, mit dem die Deutsche Bank durchsucht wurde. Deren Co-Sprecher Fitschen mag deshalb ein gutes Gewissen gehabt haben, als er beim hessischen Ministerpräsidenten Bouffier gegen die dadurch vorgenommene Rufschädigung protestierte und dies dann anschließend selbst dem „Spiegel“ zu Protokoll gab. Dem CDU-Mann aber wird das nicht einmal unlieb gewesen sein, konnte er durch seinen Hinweis auf den Rechtstaat doch angesichts einer sich nähernden hessischen Landtagswahl auch ein wenig populäre Distanz zum großen Geld vorweisen.

Am Freitag vor Weihnachten 2012 überfiel ein überschuldeter Mann eine Filiale der Deutschen Bank in Berlin-Zehlendorf, nahm eine Geisel und drohte das Gebäude in die Luft zu sprechen. Er gab dann auf, seine Bombe erwies sich als ein Kilo Mehl. Jakob Augstein und Peer Steinbrück mögen ihm einen guten Anwalt und einen Ghostwriter für eine Prozess-Erklärung besorgen.

Georg Fülberth, KONKRET 2/2013

Bild: Die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt am Main, CC BY-SA 3.0 Thomas Wolf, www.foto-tw.de

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