Großes Aber
Der unleserlichste Beitrag dieses Buches könnte – ist er einmal vom Politologischen in irgendeine lebendige oder tote Sprache übersetzt – sein interessantester sein. Frieder Vogelmann verwechselt „Schema“ und „Schemata“ (doch was ist das gegen Begriffe wie „Efferveszenz“ und „Salienz“, die seine Ko-Autoren Lamla/Rosa und Marschall benötigen?) und arbeitet sich scharfsinnig an einer Äußerung der Piratin Marina Weisband ab, ihre Partei biete nicht ein Programm, sondern ein Betriebssystem. Er fragt, ob damit am Ende nicht Demokratie weitergetrieben, sondern ein postdemokratischer Zustand eins zu eins reproduziert werde. Dem scheint nicht nur das klar libertäre und antirassistische Programm von 2011 zu widersprechen, sondern auch ein Ergebnis, das Thorsten Faas und Marc Debus am Wahlomat erzielt haben: „Insgesamt deutet sich ein um die Piraten erweitertes linkes Lager an.“
Mitherausgeber Leggewie zeigt, dass das kein Widerspruch sein muss, nämlich dann nicht, wenn man über den Claim der Parteienforschung hinausgeht und nach der Gesellschaft fragt, in der die Piraten möglich werden. Er argwöhnt, dass sie „einen Hauptgegner unterschätzen, nämlich die Produzenten und Eigentümer der Netzmedien.“ Es lohnt, diesen liberalen Denker weiter zu zitieren: „Der Antietatismus der anarchistischen Bewegungen, die sich im Internet eine Gesellschaft nach ihrem Bild geschaffen zu haben meinen, lässt eine kritische Betrachtung und politische Opposition gegen die neoliberale Ideologie des ‚großen Marktplatzes der Ideen vermissen, die großenteils nicht selbstorganisiert ist, sondern von den genannten Medienagglomerationen beherrscht wird. Die Machtfrage wird nicht gestellt, eine Enteignungsforderung gegen Marc [sic] Zuckerberg ist mir nicht zu Ohren gekommen, so wie schon Bill Gates und Steve Jobs von ihr verschont blieben, weil sie in der Szene bewundert, ja vergöttert werden.“ Heute sei „eine radikale Kritik der herrschenden Mediengewalten so notwendig wie zu Beginn der bürgerlichen und industriellen Revolutionen.“ Es lässt sich ein Bogen zu Vogelmanns Verdacht schlagen, wiederum Leggewie: „[n]eue soziale Medien an sich zur politischen Potenz zu erheben“, sei ein Kategorienfehler. Und: „Auch Liquid Democracy, das wie als Gegengift konzipiert ist, muss daraufhin befragt werden, auf welche Seite das Verfahren am Ende fällt – zur notwendigen ‚Verflüssigung’ der Demokratie oder ihrer postdemokratischen Liquidierung.“ Das, so fügen wir hinzu, wäre der von Tocqueville befürchtete Terror eines verdoppelten Ist-Zustands, diesmal im Web 2.0.
Georg Fülberth, KONKRET 8/2012
Christoph Bieber/Claus Leggewie: Unter Piraten
Erkundungen in einer neuen politischen Arena
transcript Verlag Bielefeld 2012
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