Laut Grundgesetz ist der Bundespräsident nur eine Art Notar: er unterschreibt Gesetze und Verträge. Ein bisschen Repräsentation kommt hinzu: Besuch bei anderen Staatsoberhäuptern, Gastgeberei bei ihren Gegenbesuchen, Entgegennahme von Beglaubigungsschreiben ihrer Botschafter. Dann und wann begnadigt er Verurteilte nach Maßgabe seiner Berater. Man könnte dieses anspruchslose Amt auch per Los besetzen.

In der gegenwärtigen Auseinandersetzung um Christian Wulff spielt ein Tätigkeitsmerkmal eine Rolle, das nirgendwo geschrieben steht: der Bundespräsident müsse ein Vorbild sein. Das ist ebenso erfunden wie die Erwartung, dass er immerfort Reden halten soll. Es ist wohl ein neudeutsches Symptom: als man nach 1945 nicht mehr durfte, wie man es bei Kaisers und Hitler gelernt hatte, muss man Interessenpolitik mit Moralin bemänteln.

Seiner Vorbildfunktion ist Christian Wulff bisher durchaus gerecht geworden. Er war anpassungsbereit, wirtschaftsnah wie jeder gute Oberbürgermeister, nutzte Beziehungen und sah beim Kredit auf die günstigsten Konditionen. Da der Sozialkunde-Unterricht in den Schulen in „Politik und Wirtschaft“ umbenannt wurde und die Betriebswirtschaftslehre das an den Hochschulen am meisten belegte Fach ist, verkörperte dieser Präsident in bester Weise das Erwünschte.

So war das mit dem Vorbild aber offenbar nicht gemeint. Insbesondere in weihnachtlichen Zeiten soll das Staatsoberhaupt den Leuten auch ein bisschen vorspiegeln, was sie sollen, aber doch nicht schaffen: Treu und Redlichkeit zum Beispiel. Das macht schlechtes Gewissen und diszipliniert.

Dass Christian Wulff in diesem Punkt versagt haben soll, hat nichts mit ihm zu tun, sondern mit den Zeitläufen. In der Finanz- und sich anbahnenden Wirtschaftskrise sind die Mainstream-Medien damit befasst, die Aufmerksamkeit von den Ursachen – Ungleichheit und Überakkumulation als im Kapitalismus unvermeidlichen Ursachen und Folgen seines Funktionierens – abzulenken und dafür ein Sekundärlaster zu geißeln: Gier. Die Machtlosigkeit des Politischen wird zunehmend beklagt. Die war bisher gerade erwünscht gewesen: der Staat solle sich nicht nur aus der „Wirtschaft“ heraushalten, sondern für sie Schmiere stehen. Wie Schröder.

So wird es bleiben. Aber für eine logische Sekunde lang soll es anders aussehen. Deshalb hat Wulff jetzt Ärger. Dass es ausgerechnet ein Kredit ist, der ruchbar wurde, erhöht das Symbolische, und dafür ist ein Bundespräsident gemäß dem ungeschriebenen Teil seiner Aufgaben ja gerade da. Eine gönnerfinanzierte Luftreise von Johannes Rau hilft seinem Nach-Nachfolger nicht: es waren andere Zeiten.

So wie Wulff Gelegenheiten nutzte, tun es auch seine Kritiker: FAZ und WELT, die ihr Thema haben, Grüne und SPD, die Fischers und Schröders Peinlichkeiten vergessen machen wollen.

Business as usual.

Georg Fülberth in junge Welt Nr. 297. 22. Dezember 2011

 

Bild via flaggenkunde.de

Die Standarte des Bundespräsidenten / der Bundespräsidentin

Standarte des Bundespräsidenten

„Die Standarte des Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin ist ein gleichseitiges, rotgerändertes, goldfarbenes Rechteck, darin der Bundesadler, schwebend, nach der Stange gewendet, Verhältnis der Breite des roten Randes zur Höhe der Standarte wie 1 zu 12.“ (Anordnung über die deutschen Flaggen vom 13. November 1996; BGBl. I S. 1729-1732). Diese Flagge war bereits 1921 bis 1933 (mit geringfügigen Änderungen ab 1925) als Standarte des Reichspräsidenten verwendet worden. Der Verordnung von 1950, in der sie als Standarte des Bundespräsidenten wieder eingeführt wurde, wurde 1996 die weibliche Form der Amtsbezeichnung hinzugefügt. 
Die Standarte weht sowohl auf dem Amtssitz des Bundespräsidenten, als auch auf Schiffen der Bundesmarine, wenn der Präsident an Bord ist; außerdem wird sie am Dienstkraftfahrzeug geführt.