DIE MELDUNG: Ein Heftchen für das Kind im Manne

Die runderneuerte Ausgabe des Klassikers „Yps“ war umgehend ausverkauft: Viele Fans ärgern sich über die niedrige Auflage. Vermutlich ist man beim Ehapa-Verlag selbst überrascht darüber, welche Aufregung das Comeback von „Yps“ ausgelöst hat. In Fan-Foren im Internet kam es quasi zu Tumulten, weil viele potenzielle Käufer den Kiosk mit leeren Händen verlassen mussten. 120 000 Exemplare hat „Micky Maus“-Verlag Ehapa drucken lassen; eigentlich eine beeindruckende Zahl, doch die Auflage war umgehend ausverkauft.
(aus: Südkurier)

 

Das neue „Yps“ ist bereits ausverkauft, es gibt allerdings hygienische Bedenken ob der beigelegten Urzeitkrebse.
Peer Steinbrück bleibt dennoch Kanzlerkandidat

„Reboot“ meint einen Neuanfang, der keiner ist, die gleiche Maschine mit veränderter Funktionsweise, und keiner weiß, ob die alten Lieblingsspiele noch aufzurufen sind. Noch ist  der Ausdruck aus der Computersprache in seiner übertragenen Bedeutungsweise nicht exakt definiert, aber er wird massenhaft benutzt, und, wichtiger: Das Prinzip wird angewendet, überall, als Strategie im Umgang mit medialen Erzählungen. Alleine in diesem Jahr erlebten wir u.a. den Reboot des kalten Krieges und den von Spider-Man, von Bettina Wulff, der SPD-Troika, Yps mit Gimmick und Wolfgang Schäuble als Supersparkommissar. „Comeback“ nannten die wohl wollenderen Medien noch den Auftritt von zu Guttenberg ohne Brille und mit Giovanni di Lorenzo, obwohl zu einem „Comeback“ der landläufigen Meinung nach eine spürbar verstrichene Zeitspanne seit dem letzten Erfolg und ein spürbarer Erfolg gehören. Es war ein Reboot, und wie alle Reboots umgeben von einer Aura der Ambivalenz und Ungewissheit. Unsere tonangebenden Geschichtenfabriken scheinen derzeit alle von der amerikanischen Superheldenindustrie zu lernen, in deren Umfeld sich dieser Ausdruck prägte.

Vor gut einem Jahr wurden die laufenden Reihen des amerikanischen Superheldenverlags DC „beendet“, einige nach Hunderten von Heften. Trotz wiederholter Bereinigungs- und Modernisierungsversuche hatte sich bei Titeln wie „Superman“, „Batman“ und „Green Lantern“ so viel an Geschichte, Wirrwarr und Querverweisen angesammelt, dass sie ausgezehrt und unzugänglich wirkten, im Zweifelsfall durch die seit Jahrzehnten durchnummerierten Titelbilder. Tatsächlich hatten sich alle diese Reihen durch dramatische Volten schon mehrfach ad absurdum geführt (Helden waren Schurken geworden oder gestorben, verloren oder veränderten ihre Kräfte oder strolchten als Nebencharaktere durch ihre eigenen Reihen, Tote waren wieder auferstanden, usw.). Und natürlich krümelten parallel viele weniger erfolgreiche Serien unglücklich vor sich hin, doch eine große, herzlose Flurbereinigung wäre als Zeichen der Schwäche ausgelegt worden, wie DC aus Erfahrung wusste. Mit einer ausufernden, übergreifenden Serie über Paralleluniversen machte DC scheinbar reinen Tisch, und nach einer kurzen Atempause wurden ab September 2011 die „neuen 52“ präsentiert. 52 brandneue monatliche Serien wollte DC nach und nach verlegen, für jede Kalenderwoche des Jahres eine, alle trugen eine stolze Nummer „1“ auf dem Cover, alle sollten als frisch geborene Babys beim Wachsen beobachtet werden. Die Zugpferde dieser breit rezensierten, kommerziell zunächst heftig einschlagenden Aktion waren, wen wundert`s, die „ersten“ Nummern von „Superman“, „Batman“, Green Lantern“ usw. Zusätzlich spielten die Einführungshefte unentwegt auf die nun beerdige Vorgeschichte dieser Reihen an, und in Leseransprachen ergingen sich die DC-Herausgeber in verschmitzten Andeutungen darüber, welche Elemente der hauseigenen Mythen noch gelten würden, welche eventuell nun nicht mehr, und dass die Leser das ja alles mit großem Gewinn nach und nach selber herausfinden könnten. Mittlerweile sind diverse frisch gestartete DC-Titel schon wieder eingestellt und ausgetauscht worden, andere haben es geschafft, innerhalb von 14 Monaten bereits Widersprüche zu den jeweils anderen Heften oder innerhalb einer Serie angehäuft zu haben. Selbst der eingefleischteste DC-Apologet (der Autor gehört nicht dazu) vermag nicht mehr zu sagen, wie viele Reihen die „neuen 52“ unterm Strich umfassen, was an ihnen neu ist, was nicht. Dennoch gilt der schale Rummel als cleverer Schachzug des Verlagsriesen gegenüber der vorläufig geschlagenen Konkurrenz.

Der „Relaunch“, das ältere Modewort, dekorierte das Schaufenster neu und formulierte die alte Idee zugespitzter, manchmal gelungener oder ausgerichtet auf eine neue Zielgruppe. Die „Revision“ bot einen neuen Blick. Sie wog ab, was an verbrauchten Konzepten noch taugte, was nicht, und testete die Verknüpfung mit neuen Ideen an. Der Reboot überlässt es dem Konsumenten, zu entscheiden, ob er noch in Kansas ist oder nicht, lässt ihn alleine mit den aufgescheuchten Erinnerungen und Verunsicherungen. Gar nichts wird bei einem Reboot ad acta gelegt oder als überwunden dargestellt, weder die „Spider Man“-Filme von Sam Raimi, noch die Politik der SPD in der Regierungsverantwortung. Die eigene Vergangenheit wird im Gegenteil selbstbewusst als Anknüpfungspunkt in Anspruch genommen, aber wird dennoch, anders als beim „Comeback“ oder der „Fortsetzung“, offensichtlich gebrochen, relativiert, kritisiert und in einen neuen Kontext gesetzt. Vor welchem Hintergrund und mit welchen Auswirkungen, das erklärt der Reboot freilich nicht. Die neuen Versionen sind einfach da, der neue Kino-Spider Man, der neue Peer Steinbrück, die neue Rolle von Deutschland in Europa, – und verbitten sich Nachfragen.

Durch den hysterisierten Hype, dass Persil irgendwie nicht mehr Persil ist,

nie Persil war, etwas anderes als Persil werden wird,

bleibt Persil mehr Persil denn je.

Auf den ersten fassungslosen Blick mag es widersinnig erscheinen, ein Publikum gleichzeitig mit dem Beharren auf einer recht altbackenen Tradition und mit dem Schock des Neuen zu verärgern. Auf den zweiten Blick entpuppt sich diese Vorgehensweise immer wieder als fesselnde Beziehungsfalle. Es ist schwer, sich gegenüber einem Reboot zu positionieren, sobald man sich darauf einlässt, ihn wahrzunehmen.

Die Vertreter von etablierten großen Erzählungen haben zwei chronische Probleme: das Alte und das Neue. Beides schreckt potentielle Anhänger ab, macht angreifbar, fordert Nachfragen heraus. Wer an einem Kurs festhält, bezieht ebenso verwundbar Stellung wie der, der mit ihm bricht. In unserer chronisch beunruhigten Zeit löst das Verharren genau so panische Magenschmerzen aus wie der Neuanfang. Gleichzeitig wärmt die Vergangenheit wohliger als früher (auch und gerade dann, wenn dazu keinerlei Anlass besteht) und wünscht sich noch jeder einen Ausbruch aus der derzeitigen Sackgasse. Der Reboot ist gleichzeitig das Alte und das Neue, das jeden herausfordert, unter einer irrlichternden Flut von subjektiven Assoziationen beim Konsumenten. Der Reboot vernebelt die Frage nach tatsächlichen Kontinuitäten und Brüchen. Wenn es am heutigen Donnerstag zu einer wirklichen Kursänderung in der Europa-Politik kommen sollte, könnten wir diese mittlerweile ebenso wenig erkennen wie eine tatsächliche Neuverortung von „Batman“-Comics. Peer Steinbrück wird sich vermutlich auch im heißen Wahlkampf zu keiner deutlichen Stellungnahme hinreißen lassen, ob er seine frühere Politik fortzusetzen gedenkt oder nicht, wie er zur Wirtschaftsnähe von Politikern stand oder steht, oder ob die FAZ Recht hat, wenn sie ihn zum drohenden Enteigner stilisiert.

„Yps mit Gimmick“ beginnt seine dritte Inkarnation mit den „Urzeitkrebsen“ aus den 1970ern und mit Artikeln, die kaum etwas anderes machen, als dem Leser zu suggerieren, dass er kein Kind mehr ist, aber vielleicht für immer Kind bleiben kann. Dabei liegt der letzte gefloppte Neuanfang von „Yps“ nicht länger zurück als die große Koalition.

Durch den hysterisierten Hype, dass Persil irgendwie nicht mehr Persil ist, nie Persil war, etwas anderes als Persil werden wird, bleibt Persil mehr Persil denn je. Das ist unterm Strich die tröstende Kernaussage für den überforderten Konsumenten, der dabei die komplexe Frage vergessen soll, was eventuell wie gewaschen werden muss.

Es sind die etablierten Geschichten, Marken, Weltanschauungen, die sich dieses Spiel leisten können und müssen. Und tatsächlich wollen diese Riesen auf tönernen Füßen durch das Changieren zwischen Weiter-so und Jetzt-ganz-anders den Blick von ihrem, unabhängig vom Altem und Neuem, brisantesten Problem ablenken: den kleinen, vergessenen und neuen Erzählungen, die am Reigen der Reboots nicht teilnehmen.

Florian Schwebel