„Die Dichter in meinem Land sind Propheten“, sagte einmal der bedeutendste Dichter Irans Ahmad Shamlou (1925-2000). Der bekannteste Schriftsteller des Landes, Houshang Golshiri (1938-2000), sprach einmal von seiner Stellung in der Literaturszene Irans so: „Ich bin der Vali e faghih der Literatur“. (Velayat e faghih bedeutet im politischen System Irans „Herrschaft des Gelehrten“ und Vali e faghih ist der mächtigste Gelehrte, der über alles bestimmt.)
Diese religiös anmutenden Aussagen von zwei atheistischen Intellektuellen zeigen, (abgesehen von deren Ansprüchen), wie tief sich derzeitig die iranische Gesellschaft mit den schiitischen Glauben verbunden fühlt. Darin hatte die Islamische Republik Irans mehr als 30 Jahre investiert und an dessen Verbreitung intensiv gearbeitet. Das prägt die Kulturlandschaft des Landes heute immer noch.
Drei Positionen
Vor rund 30 Jahren, nach der Machtübernahme der islamischen Regierung (1979) war die Frage ausschlaggebend: „Soll man die neu geborene islamische Republik unterstützen?“ Die Kulturschaffenden des Landes hatten unterschiedliche Positionen und teilten sich im Laufe der Zeit in drei große Gruppen auf: Die ablehnende Haltung der ersten Gruppe, der auch Shamlou und Golshiri angehörten, beruhte auf dem undemokratischen Auftreten der islamischen Machthaber, vor allem des Revolutionsführers, Ayatollah Khomeini. Die bejahende Position der 2. Vereinigung war im starken antiamerikanischen Standpunkt des islamischen Regimes begründet. Die 3. Gruppe hat nicht nur für die islamische Regierung gestimmt, sondern sich später als ihre Kultur-Theoretiker und Funktionäre etabliert. Der berühmte Vertreter dieser Anhänger war der Filmemacher Mohssen Makhmalbaf, der sich später zum Kritiker des Regimes entwickelt hat.
Kulturelles Erbe der Schiiten und Sunniten
Die Vertreter der 3. Gruppe, die mit Ausnahme der Khatami-Ära (1997 – 2005), mehr oder weniger über das kulturelle Leben im Iran bestimmt hat, versuchten die alte Tradition des „wahren Islams“, besonders der schiitischen Kunst und Kultur wieder zu beleben. Diese reicht bis ins sechzehnte Jahrhundert zurück, als die Safawiden-Dynastie an die Macht kam. Sie regierte von 1501 bis 1722 im Perserreich und etablierte den schiitischen Islam zu Ungunsten der Sunniten, als Staatsreligion. Die Unterschiede zwischen beiden islamischen Glaubensrichtungen waren ursprünglich keine theologische Frage, sondern entsprangen einem Machtkampf: Wer soll die Gemeinschaft der Muslime nach dem Tod des Propheten Mohammed leiten: sein Schwiegersohn und Vetter, Ali ibn Abi Talib, als „Imam“ oder Abu Bakr, sein Schwiegervater als „Kalife“? Diesen Kampf hat Abu Bakr gewonnen. Er wurde im Jahre 632 von der Mehrheit des „muslimischen Rat“ gewählt.
Diese „demokratische“ Entscheidung gefiel Ali ibn Abi Talib und seinen Anhängern nicht, die immer wieder und mit allen Mitteln versuchten, die Legitimation Abu Bakrs und seiner Nachfolger in Frage zu stellen.
Der Höhepunkt dieser „nachtragenden Feindschaft“ spiegelt sich wider im blutigen Krieg zwischen Hussein ibn Ali, dem Enkel des Propheten und dritten Imam der Schiiten, und Yazid ibn Muawiya, dem umayyadischen Kalifen. In diesem im Jahre 680 stattgefundenen Kampf, der in die islamischen Geschichte als „Schlacht von Kerbela“ einging, sterben Hussein und seine 72 Anhänger den Märtyrertod.
Hass auf den Islam der Sunniten
Dieses historische Ereignis, das zur Spaltung der Muslimen führte, prägt das kulturelle Gedächtnis der Schiiten sehr stark. Das Schicksal Husseins wurde im Laufe der Jahrhunderte als Symbol des Widerstands gegen Unrecht und der Aufopferung für die Verbreitung der Botschaft des Propheten, genannt „Ashora-Kultur“ verewigt. Als Safawiden im Iran an die Macht kamen, ritualisierten diese Husseins Märtyrertod, weiteten die Trauerzeremonien zu spektakulären Prozessionen aus und inszenierten die „Schlacht von Kerbela“ jährlich öffentlich. Das Hauptziel war u. a. den Hass auf den Islam der Sunniten zu schüren, der damals mit den Arabern und Osmanen, (mit denen Safawiden zu kämpfen hatten), gleichgesetzt wurde. Um die Passionsspiele kunstvoll darstellen zu können, wurden zahlreiche Künstler, Dichter und Sänger beauftragt, gefördert und neue Traditionen in Trauerrezitation und -darstellung kreiert. Bei diesen Prozessionen wurden sämtliche Khalifa (Nachfolger des Gesandten Gottes), wie Umar und Yazid, die für Sunniten „heilig“ sind, beschimpft, verdammt und dessen „Puppen“ als Symbol des „Bösen“ verbrannt.
Diese massive Beleidigung der Vertreter der sunnitischen Glaubensrichtung gegenüber wurde Jahrhunderte lang von den iranischen Intellektuellen stillschweigend „toleriert“. Auch heute ergreifen sie dabei keine Position.
Fortsetzung der Ashora-Kultur
Während des 8-jährigen Iran-Irak-Krieges (1980 – 1988) ist es der islamischen Regierung gelungen, „die Ashora-Kultur“ wieder zu beleben. Nach den Recherchen des iranischen Autors Assad Seif wurden in diesem Zeitraum ca. 1600 Kurzgeschichten in Zeitschriften sowie Anthologien und 46 Romane von 258 Autoren zur Huldigung des Krieges und Förderung des Märtyrertodes a la Hussein veröffentlicht. Um die „Kriegsbelange auf der kulturellen Ebene“ umzusetzen und zu überwachen, wurde die „Gesellschaft zur Förderung und Verbreitung der Kriegskunst und -literatur (GFVK)“ gegründet. Die regimetreue Autoren, die sich „islamische Schriftsteller“ nennen, versuchten mit der Unterstützung der Gesellschaft das gefeierte Statement des Revolutionsführers, Ayatollah Khomeini in ihren Werken widerzuspiegeln: „Alle unsere Orte sind Kerbela, alle unsere Tage sind Ashora.“ Sadam Hossein als Vertreter des sunnitischen Islam war in diesem Zusammenhang der derzeitig gehasste Yazid. Einige sunnitisch-kurdische Autoren, die solche „Affronts“ nicht dulden wollten, sammelten sich unter dem Dach der „Irankisch-Kurdischen Autoren-Vereinigung- IKAV“ und schrieben ihre „aufklärenden“ Proteste in Essays und Geschichten auf der IKAV-Webseite auf Kurdisch.
Die iranischen Andersdenkenden schwiegen und schweigen immer noch, obgleich das islamische Regime die Verbreitung der Ashora-Kultur nach dem Krieg, besonders seit der Präsidentschaft des amtierenden Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad (2005) noch intensiver hegt und pflegt. Allerdings werden die Aufgaben der GFVK nun von den islamischen Schriftstellern im Rahmen der Charta des „P.E.N- Zentrum Iran“ geführt, das sie mit finanzieller und politischer Unterstützung der Regierung gegründet haben.
„Andere Sorgen“
Dass die unabhängigen Kulturschaffende im heutigen Iran sich in diesen „Debatten“ nicht vornehmlich „einmischen“, hat weniger mit ihrem Desinteresse zu tun als mit ihrer Prioritätensetzung. Sie beschäftigen sich gegenwärtig nicht unbedingt mit dem Islam und den unterschiedlichen islamischen Glaubensrichtungen, weil sie sich mit den anderen existentiellen „Sorgen“ auseinandersetzen müssen. Sie protestieren künstlerisch eher gegen staatliche Repressalien, gegen wachsende Fundamentalisierung der Gesellschaft, gegen gravierende und willkürliche Zensur.
Nach der letzten Präsidentschaftswahl im Juni 2009, die zu Unruhen und Straßenschlachten der Oppositionellen mit der Polizei führten, wurden Hunderte Künstler, Schriftsteller, Filmemacher, Blogger und Journalisten festgenommen, in den Gefängnissen gefoltert, zu falschen Geständnissen gezwungen und in Schauprozessen zu harten Strafen verurteilt.
Die Zensurbehörden kennen keine Grenze. Die bekannten Schriftsteller, die das Privileg genießen, mit den Übersetzern oder Verlagen im Westen Kontakt zu haben, veröffentlichen mittlerweile ihre Werke im Ausland. Die iranischen Musiker und Sänger haben einen besonders schweren Stand. Jedes Konzert muss bewilligt werden. Während der Veranstaltung überwachen die Sittenwächter das Geschehen. Es gibt alleine ca. siebzig Galerien in Teheran. Doch die meisten zeigen regierungsnahe, affirmative Werke oder etablierte Positionen iranischer Künstler, die sich im Ausland einen Namen gemacht haben.
Viele namhafte Filmemacher halten sich im Moment im Westen auf. Diejenige, die im Lande geblieben sind, dürfen keine gesellschaftskritischen Werke produzieren. Laut des stellvertretenden „Ministers für Kultur und islamische Führung“, Dschawad Schamghadri, sollten Regisseure nur Filme drehen, die sich nach dem Glauben und der islamischen Moral richten, den Inhalt des Korans zum Ausdruck bringen und die „ruhmreiche Geschichte des Islam“ erzählen. Die Cineasten dürfen sich politisch auch engagieren, sie sollen das Volk über die Inszenierung eines „sanften Krieges“ durch ausländische Mächte, den Kampf gegen Imperialismus und den „heiligen Widerstand der Muslime“ aufklären.
Zweifelsohne gibt es massive Proteste gegen diese Art der Staatsideologie. All das hält freilich die iranischen Kulturschaffenden nicht davon ab, erfinderisch mit den Zwängen umzugehen und den Vorgaben auszuweichen. Sonst hätte das Land schon längst keinen „Propheten“ und keinen Vali e faghih in der Dichtung und Literatur mehr hervorbringen können.
Text: Fahimeh Farsaie
Text erschienen in „Kunst und Kultur“
- Kein Prophet in Sicht - 28. Oktober 2010
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