Soso. Krztsztof verschränkt die Arme über der breiten Brust und beäugt mich skeptisch. „Du willst heute stechen.“ „Na ja…“, murmele ich verlegen und mustere mein Werkzeug. Handschuhe und Spargelstecher, klar soweit, aber was soll ich mit der Maurerkelle anfangen? Werd ich schon sehen, verspricht er knapp und schwingt sich hinters Lenkrad. Einsteigen.
Krztsztof Tryjanski ist der Boss einer der beiden polnischen Erntehelfer-Gruppen. Sie nennen ihn Feldführer, er muss ein bisschen grinsen darüber.
Der Wagen rumpelt über Feldwege. Es ist 7.30 Uhr, ein ungemütlicher Wind fegt unter die Plastikplanen, die über den Dämmen liegen. Feldführer. Polnische Worte fliegen über die Dämme, Lachen, als der Chef mit einer Frau kommt. Er sucht einen geeigneten Kandidaten für mich. Englisch? Deutsch? Überall Kopfschütteln. Dafür spricht Leszek ein bisschen Russisch.
Leszek Jastrzab, stellt er sich vor, fingert sich den Handschuh ab und reicht mir mit vollendet polnischer Höflichkeit die Hand. Grad so, dass er sich den Handkuss verkneift. Ich bin entzückt. Doch dann wuchtet er ein Gerät auf vier dünnen Spinnenbeinen mit Rädern über den Damm. Es deckt auf Fingerdruck ein paar Meter Folie ab und wieder zu. Leszek ist seit 6 Uhr auf dem Feld. Diese Reihe ist seine dritte seit heute Morgen und für mich die erste seit meiner Geburt.
Leszek, ganz Gentleman, lächelt verständnisvoll und führt extra für mich einen eleganten Zeitlupen-Stich vor. Verstanden? Verstanden. Entschlossen ramme ich das lange Messer mit der geschliffenen Doppelspitze in die Erde. Stochere nach links, wühle nach rechts. Keine Ahnung, wie man unterirdisch die Stange erwischt.
Ich schaue hilflos hinauf zu Leszek, der schaut geduldig auf mich herab, wie ich den Damm in eine Kraterlandschaft verwandle. Man bekommt ein Gefühl dafür, beruhigt er mich. Ich kappe eiskalt die Stange knapp unterhalb ihrer Spitze und trage sie eigenhändig zur Kiste. Weiter jetzt.
Leszek ist Spargelveteran. Seit zwölf Jahren kommt er zur Ernte nach Kutzleben. Als er noch Polizist war in Tarnow hat er Urlaub dafür genommen. Jetzt ist er 49, pensioniert und bessert seine Rente auf. Im vergangenen Jahr hat er 2500 Euro in den zwei Monaten verdient. Viel Geld, wenn die monatlichen Bezüge umgerechnet 900 Euro betragen. So können sie sich auch mal Extras leisten. Für die Wohnung oder für einen Urlaub.
Zwölf Jahre Kutzleben. Ob er mal auch was anderes von Thüringen gesehen hat in all den Jahren? Er zuckt mit den Schultern, reckt sich kurz und wuchtet eine neue Kiste auf den Wagen. Zwei-, dreimal war er in Erfurt. Und in Sömmerda kennt er das Einkaufszentrum. Dorthin fährt sie dreimal in der Woche ein Bus zum Einkaufen. Erfurt und das Kaufland von Sömmerda. Mehr Thüringen ist nicht. Wann auch. Aufstehen um 4 Uhr morgens, weil es bis zur ehemaligen Kaserne in Sprötau, wo sie untergebracht sind, 30 Kilometer sind. Sechs Stunden und manchmal mehr auf dem Feld. Da ist man froh, wenn man sich aufs Bett hauen kann. Essen und ein bisschen Lesen. Die Abende der Spargelstecher sind kurz.
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Der letzte Deutsche, der hier eine Saison
durchhielt, war ein Abiturient. Das war vor drei Jahren.
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Ob er es merkwürdig findet, dass auf dem Feld nur Polen und Rumänen arbeiten? Er schüttelt höflich mit dem Kopf. Schwere Arbeit, sagt er nur. Einmal, erzählt er, hat er auch mit deutschen Kollegen gearbeitet. Vier Mann an einem Damm. Einer hat die Folie abgedeckt, einer gestochen, der dritte die Erde geglättet und der vierte die Folie wieder aufgelegt. Sehr gründlich! Unter Leszeks blondem Schnauzbärtchen zuckt es. Wir lachen beide.
So ein Spargeldamm ist eine rätselhafte Erscheinung. Er zieht sich in die Länge je näher man seinem Ende zu kommen scheint. Leszeks Kollegen haben uns längst überholt, weil mein Spargel-Mentor lange warten muss, bis ich eine Stange treffe. Das gemischte Doppel ist im Verzug. Ich schlage Arbeitsteilung vor. Er übernimmt den Spargel, ich glätte mit der Maurerkelle die Erde. Leszek wirkt irgendwie erleichtert.
Routiniert gräbt sich Leszeks Messer in die Erde. Die Folie knistert. Etwa 500 Meter ein Damm. Ungefähr acht Dämme am Tag. Macht vier bis fünf Kilometer Bücken, Stechen, Aufrichten, Bücken in einer Schicht. Am Vortag hat Leszek 45 Euro verdient. Bezahlt wird nach Gewicht.
Ich beschließe, Leszek nicht weiter die Tagesnorm zu verderben und das Feld zu wechseln. Anton mit dem gemütlichen Lachen kommt mir gerade recht. Anton Eghard, rumänischer Spargelbrigadier. Seit fünf Jahren arbeitet auch eine rumänische Gruppe in Kutzleben.
Anton kneift die Augen zusammen, lässt wie ein Feldherr den Blick über die Dämme schweifen und schickt mich zu Stefan. Stefan ist 32 Jahre alt und das erste Jahr in Kutzleben. Er schaut mich neugierig an und deutet auf das Messer in meiner Hand. Ich wedele fachmännisch damit herum, er nickt freudig. Vermutlich rechnet er mit einer fähigen Kraft.
Die Enttäuschung versteckt er hinter einem breiten Lachen. Victor von der Nachbarreihe beschließt eine Zigarettenpause. Auf dem polnischen Feld herrscht konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Auf dem rumänischen ist es lustiger. Innerhalb weniger Minuten haben sich Anton und Victor unter Zuhilfenahme von polnischen, russischen, ukrainischen und deutschen Wortfetzen einen Überblick über die neue Hilfskraft verschafft. Einschließlich der Quadratmeterzahl meiner Wohnung und des Studienortes meines Sohnes.
Im Gegenzug verrät mir Victor seine persönliche Spargel-Rechnung. Fünf Erntesaisons, dann hätte er das Geld für ein kleines Häuschen zusammen. Natürlich, erklärt er, nur mit einem Stockwerk. Etwa 15.000 Euro kostet das. Als Mechaniker verdient er zu Hause ungefähr 15 Euro am Tag. Fünf Kinder, das jüngste acht Monate alt. Ohne Spargel kein Haus.
Eine anstrengende Weile arbeiten Stefan und ich fast schweigend. Nur ab und zu fallen knappe Anweisungen. „Dobsche“ (Folie runter), „das Mist“ (zu dünne Stangen), „Nema“ (Folie wieder drauf). Kutzlebener Spargelesperanto.
Ich richte mich auf. Die Folie reflektiert das Sonnenlicht, lässt die Dämme glitzern wie Ozeanwellen. Dazwischen rufen sich die Arbeiter wie Matrosen fremdländisches Seemansgarn zu …
Der Spargel raubt mir die Sinne. Wo ist meine Wasserflasche? Ich habe sie im polnischen Feld vergessen. Außerdem tut mir der Rücken weh.
Anton naht im roten Auto. Mittagspause! Anton, mein rettender Engel. Wir holpern zur Basis. Im anderen Leben ist Anton Bahnwärter. Aber viele seiner Kollegen haben zu Hause keinen festen Job. In der Lagerhalle verteilen sie Bratkartoffeln und Rührei. Kein Fleisch, weil heute Freitag ist, und die Polen nehmen das ernst.
Auf einem Mäuerchen sitzt der designierte Geschäftsführer Niclas Imholzer und raucht mit Krztsztof. Er spricht vom Preiskampf und von den Erntehelfern, ohne die es nicht ginge. Manchmal lassen sie katholische Feldmessen lesen mit einem polnischen Priester. Der letzte Deutsche, der hier eine Saison durchhielt, war ein Abiturient. Das war vor drei Jahren.
Und wenn sie irgendwann wegblieben, die Kollegen aus Polen und Rumänien? Dann müssten sie Gerste anbauen, sagt Imholzer lakonisch und drückt die Zigarette aus.
Text: Elena Rauch
Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 23.05.2011
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