Wien, Viennale’08. Die Leute dort werden immer jünger, bloß ich werde älter. Und das ist gut so. Findet Festivaldirektor Hans Hurch auch. Für die Reihe Propositions, prominent platziert im Abendprogramm, hat er zwölf Filme ausgewählt, „die eine eigenständige, radikale Position und einen inhaltlich und ästhetisch unverwechselbaren Beitrag zum ‚State of the Production’ markieren“. Was für Entdeckungen! Junge Regisseure, die von ihren Filmschulen nicht aufMainstream getrimmt sind! Der Katalane Albert Serra hatte mit 27 Jahren begonnen, Spielfilme zu drehen. Vorher: Studium der Hispanistik, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Barcelona. Arbeit am Theater. Und jetzt sein dritter Film, „El cant dels Ocells“ (2008, Vogelgesang). Drei Männer wandern durch Vulkan- und Wüstenlandschaft. Verschwinden im Dämmern, tauchen wieder auf. Sonst passiert nichts. Lange Einstellungen. Und? Was doch passiert, ist, dass man in diese somnambule Welt hineingesogen wird. Eine Offenbarung und, sperrt man sich nicht, das Schönste, was das Kino bieten kann. Cine-Groove!
Oder, ebenfalls propagiert, „Cómo estar muerto“ (2008, Totbleiben), der erste Langspielfilm von Manuel Ferrari, 27 Jahre alt. Diesmal sind es drei junge Männer, die durch die eher menschenleere Straßenlandschaft von Buenos Aires wandern. In rauem schwarz-weiß. Diesmal werden die Zuschauer dadurch gepackt, dass die Darsteller unversehens aus der Rolle fallen und direkt in die Kamera von ihren Anfängen in der Werbeindustrie oder von grade absolvierten Dreharbeiten erzählen. – Der Film hat eine erstaunliche Präsenz, und ich muss einen Abstrich machen von dem, was ich grade eben von Filmschulen gesagt habe. Das gilt, wie ich jetzt weiß, nicht von der Universidad del Cine in Buenos Aires. Regisseur Manuel Ferrari hat dort nicht nur studiert. Er unterrichtet dort.
Unter den Zuschauern dominierten die 20-Jährigen. Aufbruchstimmung? Panik bei den Gestandenen, den Älteren? Das altehrwürdige Wiener Burgtheater hat sich bereits auf die manifeste „Jugendkultur“ eingestellt und in einer dramatischen Aktion die „Ehrengalerie“ des legendären Großen Pausenfoyers freigeräumt. Der Bildersturm machte in der Wandelhalle Platz für den „Wandel“. Direktor Klaus Bachler: „Wir haben der Porträtgalerie einen neuen Inhalt gegeben. Wir wollten zeitgenössische bildende Kunst ins Haus bringen, die den Körper (der dominierenden jungen Schauspieler) diskursiv bewusst mit einschließt.“ Und was passiert? Das Publikum der verjüngten Burg akzeptiert den „belebenden“ Wandel. Bewundert wird jetzt in der Burg, die bisher Gesichter „aus einer buchstäblich in allem Geschichte gewordenen Epoche“ zeigte, der erste Doppel-Akt, gestaltet von der bildenden Künstlerin Luc McKenzie, 31 (MOMA New York 2008). Birgit Minichmayr, 31, mit 24 Jahren auf der Berlinale zum Shooting Star gewählt, wendet sich Philipp Hauß, 28, zu (Heinrich VI. in „Die Rosenkriege“ unter der Regie von Stephan Kimmig). Das nackte Paar schätzt sich ab, nahezu ausdruckslos. Cool, müsste man sagen, wenn man sich der Sprache der in Wien geschätzten Jugendkultur bedient. Der Katalog der Porträtgalerie Burgtheater (Titel: „Junge“) verweist auf die Film- und Fernsehmeriten von Birgit Minichmayr (Jan Schütte, István Szabó, Felix Mitterer, Götz Spielmann, Jessica Hausner, Barbara Albert, Dorris Dörrie, Wolfgang Murnberger) und Philipp Hauß (Christian Petzold, „Gespenster“). Nachzutragen ist, dass Philipp Hauß am 4. und 5. Februar 2009 in München (Seidl-Villa) seine Installationsperformance „Afrika!“ zeigen wird, unter Verwendung von Found Footage aus dem Jahr 1973.
Die Verbindung von Film und Theater hatte im Oktober 2008 in Wien einen gemeinsamen Nenner. Es sind die Propositions der Direktoren Hans Hurch (Viennale) und Klaus Bachler (Burg): Junge!
Dietrich Kuhlbrodt
Text zuerst erschienen in schnitt 1/2009
- Beyond Punishment (Hubertus Siegert) - 21. Juli 2015
- Das radikal Böse (Stefan Ruzowitzky) - 1. Mai 2015
- Studio H&S: Walter Heynowski und Gerhard Scheumann. Filme 1964–1989 - 30. April 2015
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