Im Sommer macht sich der Film auf die Socken und geht dahin, wo die Menschen sind

 

Heiter, fröhlich und irgendwie überraschend oder speziell, so wünscht sich ein vor allem jüngeres Publikum das gemeinsame Filmerlebnis. Gängige Kinokonventionen werden zunehmend als einschränkend und spaßhemmend empfunden. Und wer will den Sommer schon in miefigen Bilderhöhlen verbringen? Also muss der Film das Kino verlassen. An öffentlichen Plätzen mitten in der Stadt, draußen am See, aber auch im Verborgenen, in Kellern, erfrischenden Freibädern oder verfallenden Fabrikhallen wird das Kinoerlebnis ambulant und mobil, überraschend und einmalig. Deshalb geht es im folgenden nicht um kommerzielle Kinoketten und ihre Sommerangebote, sondern um Präsentationsformen, die sich Filmliebhaber, Studenten, Kreative und Cineasten jenseits etablierter Strukturen ausgedacht haben.

Die ziemlich „verrückte“ Idee für ein ökologisch nachhaltiges Freiluft-Kino kommt aus Kiel. Hier haben sich Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen zusammengetan und ein Fahrradkinokombinat gegründet. Mit Hilfe recycelter Fahrräder wird über einen alten Waschmaschinenmotor der Strom für den Beamer erzeugt. Garantiert ist hiermit CO2 freies Filme gucken an ausgefallenen Orten. Denn der Aufbau ist schnell und unkompliziert. Die Organisatoren treffen im Voraus eine kleine Auswahl an Filmen, was dann letztendlich „angeradelt“ wird entscheiden die Besucher (fahrradkinokombinat.blogsport.eu).

Auch Rostocks einziges Open-Air-Kino wird über den Akku eines Lastenfahrrads betrieben. Marten Brosch kopierte 2013 die Radkino-Idee aus Belgien. Seitdem zeigt er vorzugsweise Kurzfilme aus der ganzen Welt, ohne Eintritt zu nehmen. Seine Filmabende unter freiem Himmel sollen vor allem Menschen zusammenbringen, und sie für Filme jenseits der Hollywood-Blockbuster sensibilisieren (radkino.de).

Die Hamburger Künstlergruppe „A Wall is a Screen“ verfolgt mit ihrem Ansatz einen urbanistischen Anspruch. Viele Innenstädte sind nach Geschäftsschluss menschenleer. Dem soll mit einem Konzept aus Stadtführung und Filmnacht entgegenwirkt werden. Die Teilnehmer begeben sich auf kleine Nachtwanderungen, um an geeigneten Projektionsorten passende Kurzfilme verschiedener Genres anzuschauen. Ist der Film zu Ende, geht es weiter zur nächsten weißen Wand. Dabei entdeckt der Besucher Orte, die vorher nicht bekannt waren und erfährt auch etwas über Stadtgeschichte. Die Hamburger sind mit diesem Konzept des Freiluftkinos bereits international erfolgreich unterwegs auf Festivals und im Auftrag des Goethe-Instituts. Im August ist eine Aufführung im Rahmen des Dokufests in Prizren im Kosovo geplant, (awallisascreen.com).

Auch das „Nomadenkino Berlin“ zieht durch die Stadt. Hier sogar, sofern noch 35mm Filmrollen vorhanden sind, mit nahezu unverwüstlichen Zeiss TK 35mm Projektoren. An ungewöhnlichen Orten, auf Dachterrassen, in Gärten, vor beliebten Clubs, Galerien oder direkt am Wasser werden gängige aktuelle Spiel- und Dokumentarfilme zu den üblichen Kinopreisen gezeigt (nomadenkino.de).

Explizit politisch versteht sich das „Wanderkino Leipzig“. Bereits seit 17 Jahren ist der Oldtimer, ein Feuerwehrfahrzeug Magirus Deutz von 1969, unterwegs. Er beherbergt die gesamte Kino-, Licht- und Tontechnik und die Bestuhlung. Die Verbreitung und Präsentation von Filmkunst insbesondere im ländlichen und kulturschwachen Raum ist das Anliegen des Wanderkinos. Hauptsächlich werden Stummfilme gezeigt, mit Violine und Piano begleitet. Fast nostalgisch mutet auch das technische Anliegen der zwei musikalisch begabten Betreiber Tobias Rank und Gunthard Stephan an. Im Zeitalter des total Digitalen schlägt ihr Herz für die Bewahrung, Benutzung und Demonstration der konventionellen Filmvorführtechnik sowie des analogen Filmmaterials (wanderkino.de).

Die Event Company „Mobile Kino“ Berlin hingegen ist im technischen und sprachlichen ganz im hier und jetzt angekommen. Die „Pop-Up Cinema Events“ werden digital annonciert, wer „get in touch“ will muss sich übers Netz und die sozialen Medien informieren; das Filmangebot ist avanciert, international, teilweise thematisch ausgerichtet, die Orte hip. Für Filmenthusiasten und out-door-Fans gibt es ein Sommer-Camp an der polnischen Grenze, auf drei Leinwänden werden Kultfilme, Klassiker und Dokumentarfilme gezeigt, es gibt Live-Musik, dazwischen schwimmen im See, Lagerfeuer und Zeltromantik. Eintrittspreise bzw. Tickets und mehr unter: mobilekino.de

Viele dieser sympathischen Initiativen sind auf das Engagement einzelner oder kleiner Gruppen aufgebaut. Ihr Überleben ist auf Dauer ohne ein großes Maß an Selbstausbeutung, ohne kommerzielle Einbettung bzw. finanzielle Förderung schwierig. Auch die rechtliche Seite wird manchen Projekten zur Falle. So zum Beispiel auch einer mit relativ großer Presseresonanz zur Kenntnis genommenen Initiative aus Leipzig. „Fernsehen unter Tage“ war eine eigentlich sympathische Form von Guerillia-Kino. Geheime und verlassene Orte, Bauruinen, stillgelegte Schwimmbäder, leerstehende Fabriken wurden für eine einzige Filmnacht zum Kino. „Dem Dreck der Stadt am nächsten“ war das Motto der siebenköpfigen jungen Crew, die auch genug hatte vom gängigen Kinoangebot. Das ging solange gut bis die Probleme sich häuften. Immer wieder schritt die Polizei ein – wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen und Nichteinhaltung von Feuerschutzbestimmungen.

Ganz so einfach ist es also nicht mit der Aufforderung Alexander Kluges: „Der Film muß sich auf die Socken machen, er muß dahin, wo die Menschen sind“.

Text und Foto: Daniela Kloock