"Die andere Heimat" Szenenfoto | Quelle: Concorde Film

„Die andere Heimat“ Szenenfoto | Quelle: Concorde Film

Herr Reitz, seit über fünfzig Jahren machen Sie Filme. Ihr neustes Werk „Die andere Heimat“ ist ein reiner Kinofilm. Glauben Sie unvermindert an die Zukunft des Kinos?

Das Kino ist ein ganz besonderer Ort. Es ist nicht nur eine Technik, ein Vorführraum für Filme, sondern vor allem ein soziales Phänomen! Denn das Entscheidende ist nach wie vor die Anwesenheit eines Publikums und das gemeinsame Anschauen und Erleben eines Filmwerks. Davon lebt das Kino, und nur auf Grund dieser sozialen Tatsache kann es überleben.

© Edgar Reitz Filmproduktions GmbH Quelle: www.edgar-reitz.de

© Edgar Reitz Filmproduktions GmbH
Quelle: www.edgar-reitz.de

Das Entscheidende ist doch, dass die Menschen, die ins Kino gehen, sich nicht kennen und dass dabei der Eindruck bzw. das Erlebnis der Öffentlichkeit entsteht. Das Internet entfremdet die Menschen mehr und mehr der politischen und öffentlichen Sphäre. Und da kann das Kino entgegenwirken. Wobei hier allerdings noch sehr viel im Sinne einer Modernisierung geschehen muss… Vom architektonischen und technischen her hat es noch nicht seine neue Form gefunden.

Wie könnte denn eine neue Form fürs Kino konkret aussehen?

Die neue Form beinhaltet vor allem eines: dass die Ausgänge des Kinos nicht auf die Straße führen, sondern in neue Räume, Räume, die kommunikativ sind. Wo sich das Kinoangebot mit anderen Angeboten des gesellschaftlichen Lebens mischt. Angefangen von der Gastronomie bis zum Einkauf bis zur geplanten Gesprächsrunde usw. Gerade deswegen funktionieren ja die Festivals so gut. Es gibt mittlerweile über 600 Filmfestivals jedes Jahr in der ganzen Welt, und sie boomen alle! Diesen Erfolg verdanken sie einer einzigen Tatsache: dass die Menschen nach der Vorführung wissen, wo sie hingehen, wo ein neuer Zusammenhang entsteht, wo das, was sie gemeinsam erlebt haben auch gemeinsam weiterleben kann.

Aber Festivals haben einen einmaligen Charakter. Da kommen Stars, Schauspieler, Regisseure, da ist Rummel und Party, da erfährt man Neuigkeiten, und das macht ihren Reiz.

Die Menschen kommen aus dem Grund, dass ein besonderes Programm geboten wird. ALLES hat den Charakter des Einmaligen und Erstmaligen und das macht die Festivals so attraktiv! Also jede Verbindung von Film als Konserve mit live-Ereignissen scheint mir ein ganz wichtiges Rezept für die Neugestaltung der Kinos.

Dies würde bedeuten, dass es fast jeden Abend ein besonderes Programm geben müsste.

Ein wirklich toll funktionierendes Kino in einer Großstadt

müsste quasi ein ganzjähriges Festival sein…Es gibt Leute, die Theater, Konzerte, Messen und Kongresse organisieren, das sind ja alles Kulturmanagements, das müsste auch fürs Kino kommen. Schon eine Blue Ray reicht heute aus um 500 Menschen mit einem guten Programm zu versorgen.

Die Crux ist demnach die Schwerfälligkeit der Kinobranche und ihre verkrusteten Vertriebssysteme?

Solange Leute viel Geld verdienen können ohne sich etwas Neues einfallen lassen zu müssen wird das immer so weiter gehen. Es hat sich ja eine riesen Struktur bei den Verleihunternehmen gebildet. Und das gesamte Produktions- und Förderwesen hat sich darauf eingespielt. Da ist jemand, der an der Zukunft des Kinos arbeitet definitiv ein Outsider!

Es ist doch so, viele Kinomacher haben weder die Kenntnisse noch die Phantasie aus ihrem Laden etwas zu machen. Das ist wie in der Gastronomie. In kleineren Ortschaften finden sie keine Wirtschaften mehr. Was soll man daraus schließen? Dass die Leute nicht mehr ausgehen? Falsch! Denn da kommt jemand aus China und macht in einem Pissdorf in Oberbayern ein Lokal auf, und das ist dann die einzige Wirtschaft dort.

Okay, mehr Chinesen als Kinomacher! Doch noch mal zurück zur mangelnden Vielfalt im Programmangebot. Wo sehen Sie hier die grundsätzlichen Probleme?

Großfilmverleiher, also vor allem die amerikanischen,  verstopfen die Kinos mit ihren Programmen. Das heißt eine Vielfalt ist so gut wie ausgeschlossen! Probieren sie mal für einen Film einen Termin im Kino zu bekommen. Die sind ein dreiviertel Jahr und länger ausgebucht, meistens mit us-amerikanischen Filmen. Dann kriegen Sie einen hochwertigen Film nur ins Programm, wenn sie den ganzen Scheißdreck, der da mit dran hängt mitnehmen. An dieser Geschäftspolitik gehen die Kinos zugrunde.

Sprechen wir über Ihren neuen Film „Die andere Heimat“.

Stimmt es, dass der Film Cinemascop-Format hat?

„Die andere Heimat“  habe ich ausdrücklich für das Kino gedreht. Das bedeutet, dass ich vom ersten Tag an eine Bildqualität angestrebt habe, die man auf einer großen Leinwand mit ästhetischem Genuss sehen mag. Die Entscheidung fiel auf das Cinemascop-Format mit einem Seitenverhältnis 21:9 . Das ist das breiteste Breitwandbild das wir im Kino kennen. Und ich habe in schwarz-weiß gedreht, was mir sehr wichtig war. Denn gerade die schwarz-weiß Fotografie – nennen wir das mal so – hat eine lange Tradition… Mit den digitalen Mitteln sah ich hier die Möglichkeit zu einem  derart ausdrucksreichen Bild zu kommen, wie ich das bisher noch nie in der Art hatte. Der Film ist mit einer  professionellen digital Kamera gedreht, mit der Arri Alexa Studio Kamera mit anamorphotischen Linsen. So eine Kamera wiegt circa vierzig Kilo und ist eine echte Herausforderung für den Kameramann. Länger als höchstens zwei Minuten kann man die nicht tragen, selbst wenn man sehr gut durchtrainiert ist, wie unser Operator.

"Die andere Heimat" Szenenfoto | Quelle: Concorde Film

„Die andere Heimat“ Szenenfoto | Quelle: Concorde Film

Dabei heißt es doch immer das Digitale mache das Drehen leichter, einfacher?

Nichts ist leichter geworden im Vergleich zu früher, zum klassischen Filmmaterial! Die digitale Technik erfordert am Drehort sogar zusätzliches Personal, das man früher bei Filmkameras nicht brauchte. Denn die Datenverwaltung ist unglaublich arbeitsintensiv. Eine solche Kamera produziert  gewaltige Datenmengen, die jeden Tag gesichert werden müssen. Wenn da etwas verloren geht ist das noch viel schlimmer als vorher beim Film. Denn die Daten verschwinden spurlos. Und das ist der größte Schock, den wir als Künstler in der heutigen Zeit erleben. Früher konnte ein Werk zerstört werden, aber irgendwelche Reste blieben übrig. Wenn heute Daten zerstört werden, bleibt jedoch gar nichts! Der Verlust ist ein Nirwana – da fällt man ins bodenlose.

Haben Sie das jetzt bei der „anderen Heimat“ erlebt?

Ja. Trotz der Beschäftigung zweier Spezialisten, die sich nur um die Daten kümmern, ist uns ein ganzer Drehtag verloren gegangen. Ansonsten war es nicht anders als wir es schon immer gewohnt sind. Die Arbeit mit den Schauspielern ist dieselbe, sie müssen genauso authentisch spielen. Und alles, was im Bild zu sehen ist – die Kostüme, die Ausstattung, die Drehorte, die Bauten – ist real. Natürlich kann man in Science -Fiction Filmen utopische Landschaften „bauen“. Aber das heißt die Schauspieler agieren dann vor grünen Hintergründen, vor der sogenannten Green-Screen, und da sehen sie nie wo sie sind. So kann man nur Klischeehandlungen zeigen. Ein hoch differenziertes Schauspiel ist nur dort möglich, wo auch eine echte Szene ist, und wo der Schauspieler mit seinem Partner spielt. Wenn man wirklich tief gehen will und künstlerisch authentische Werke schaffen will ist nichts anders als früher!

Gibt es nicht doch grundlegende Unterschiede? In der Nachbearbeitung kann man Dinge machen, die früher beim fotochemischen Film nicht möglich waren.

Das einzige wirklich neue ist die Postproduktion, ja. Also in meinem  Fall: im schwarz-weiß Bild kann ich in die feinsten Schattierungen der Grauwerte und der Dramatik eines Bildes hinein wirken. In diesem nachträglichen „Grading“ wie wir das nennen, kann ich das Bild  derart frei gestalten, dass es eine große Freude ist. Früher gab es „das Drehbuch schreiben“, „das Drehen“, „das Schneiden“. Und jetzt kommt noch diese neue Art der Postproduktion dazu und die verdanken wir in der Tat dem digitalen Zeitalter.

Könnte man das als malerischen Gestus im weitesten Sinne begreifen?

Ich sehe darin nichts malerisches eher etwas erzählerisches, literarisches. Ich kann Gegenstände oder Figuren auf eine besondere Weise herausleuchten, hervorheben. Ich kann den Fokus des Betrachters stärker lenken. Einen Film schneiden  oder nachbearbeiten heißt den Blick des Zuschauers gestalten. Ich mache ja nicht den Film, sondern den Blick des Zuschauers. Den kann ich lenken oder anlocken, anreizen, indem ich bestimmte Angebote mache, eine bestimmte Farbe setze, was den Blick fängt… So führe ich den Zuschauer.

Und dies gab es so vorher nicht, oder nur ganz marginal. Also beim Farbfilm konnte man in die drei Grundfarben eingreifen, man konnte das Bild wärmer oder kälter machen, heller oder dunkler. Aber mehr war nicht drin…

Und zum Abschluss vielleicht doch noch ne zerquetschte Träne fürs Analoge?

Also wenn Sie mein Filmarchiv sehen und blicken da auf die dingliche Hinterlassenschaft von fünfzig Jahren Filmemacher- Leben, und Sie sehen die ganzen Regalwände bis unter die Decke gefüllt mit Tonbändern, mit Filmrollen… Da habe ich viel mehr das Gefühl etwas geschaffen zu haben als wenn ich da nur so ne kleine Festplatte habe, und da ist dann vielleicht mein ganzes Lebenswerk drauf. Vieles ist immateriell geworden. Denken Sie beispielsweise an Bücher. Ein Buch war immer noch ein haptischer Gegenstand, den man mit einer gewissen Sinnesfreude in  die Hand nimmt – während derselbe Text auf dem elektronischen Lesegerät kein Objekt mehr ist.

Keine Spuren und kein altern…

Es altert nicht, und das ist schade. Dinge, die nicht altern sind uns nicht ähnlich und haben somit gar keine Verwandtschaft mit uns…

Aber das Kino hat eine Chance. Weil der Mensch von seiner  gesamten Evolution und von seinem persönlichen Habitus ein an die Dingwelt und die Sinne gebundenes Wesen ist. Und dass es einen Mangel an sozialer und sinnlicher Erfahrung gibt sieht man doch deutlich. Denken Sie nur an die Erfolge dieser ganzen Massenveranstaltungen. Aber auch jeder Biergarten lebt davon… Man will da sein wo andere sind, teilnehmen am öffentlichen Leben. Und in dieser Welt hat das Kino seinen neuen Platz. Es muss nur noch viel sinnlicher werden als es jetzt ist!

Interview: Daniela Kloock

Kino125-05

 

 

website: Zukunft Kino

Bilder: © Edgar Reitz Filmproduktions GmbH | Quelle: www.edgar-reitz.de, Concorde Film („Die andere Heimat“)

 

MEHR INFORMATION:

www.edgar-reitz.de

www.die-andere-heimat.de

heimat.website.680

 

DAS FILMBUCH:

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