Doppelbelastung des Künstlers als Beamter und Kreativer?
Der Philosoph Peter Sloterdijk wurde nach 14 Jahren im Amt des Rektors der Hochschule für Gestaltung verabschiedet / Sein Nachfolger ist der Berliner Medientheoretiker Siegfried Zielinski
Eigentlich wäre er ja lieber Sänger geworden, bekannte Peter Sloterdijk, als ihm nach vielen Grußadressen und Festreden anlässlich seiner Verabschiedung als Rektor der Hochschule für Gestaltung (HfG) das Wort erteilt wurde. Vielleicht würde sich ja noch ein Lehrer finden, der sich seiner brüchigen Stimme annehmen würde, bemerkte er mit Blick auf die Zeit, die er nun zu füllen habe. „Wir alle sind von der Langlebigkeit bedroht, wir haben heute mehr Lebenszeit als Sinnreserven.“ Damit gelang dem 68-jährige Philosophen eine elegante Volte ins Allgemeine, vielleicht auch eine Anspielung auf den Sänger als Vorläufer aller Dichter und Schriftsteller.
Geduldig hatte der Ästhetik-Professor, der nach Ende seines Rektorats an der HfG wieder lehren wird, die Ehrbezeugungen von Landesregierung, Stadt und Weggefährten entgegengenommen. Staatsminister Jürgen Walter erinnerte daran, dass wohl kaum ein Rektor die öffentliche Debatte so sehr befeuert habe wie Peter Sloterdijk. Mehr als vierzig Bücher habe er veröffentlicht. „Deutschland wäre ohne Sie intellektuell ärmer“, schloss Walter sein Grußwort. Bürgermeister Frank Mentrup dankte dem Philosophen für dessen charismatische Ausstrahlung, von der auch die Stadt profitiert habe. ZKM-Vorstand Peter Weibel schließlich beschwor einmal mehr Karlsruhe als heimliche Hauptstadt der Intellektuellen und pries Sloterdijks ikonoklastischen, sprühenden Geist.
Die feierliche Nachdenklichkeit kippte zeitweilig in gespreizte Gelehrsamkeit, als der Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach Ulrich Raulff in seiner Festrede mit dem Bild des „Pegasus im Joche“ die Doppelbelastung des Künstlers als Beamter und Kreativer zu fassen versuchte. Schillers Gedichttitel sei im 19. Jahrhundert zum Synonym für die gesellschaftliche Indienstnahme des Künstlers geworden. Die Liste der Dichter, die sich an die Kette weltlicher Ämter legen ließen, sei lang. Von Schiller über Goethe sprang der Literaturwissenschaftler zu Winston Churchill und Carlo Schmid, André Malraux und Vaclav Havel. Sloterdijk scheine so gar keinen Schaden genommen zu haben durch sein Amt und sei deshalb eine logische Unmöglichkeit, beendete Raulff seinen Rundumschlag.
Sloterdijk nahm die intellektuelle Verbeugung des Kollegen mit Humor zur Kenntnis, hatte aber seinerseits zu danken. Gertrud Klotz, die Witwe des HfG-Gründers Heinrich Klotz, würde ihn immer daran erinnern, das er sich in einem zeitlichen Kontinuum befände. Auch der Kunstwissenschaftler Hans Belting sei ein Stein in der Brandung gewesen beim Aufbau der HfG. Sloterdijk erinnerte an die Anfänge, das erste Quartier in Grünwinkel, wo Klotz Schimpfkanonaden los ließ, weil seine Mannschaft nicht ganz so Ton in seinen Händen war, wie er es sich gewünscht hatte. Seiner Berufung zum Philosophie-Professor 1992 war Sloterdijk zunächst mit Skepsis begegnet. Er sah sich als freier Autor und fürchtete das Motiv des Zirkulären, die Rückkehr in seine Geburtsstadt. In letzter Minute sagte er zu. Er konnte sich Klotz‘ beharrlichem Werben nicht entziehen. Damals konnte er nicht ahnen, dass er 2001 dessen Nachfolger werden sollte.
Sloterdijk dankte allen, „die ihn ertragen haben“. Sichtlich bewegt bat er seine Sekretärin Monika Theilmann auf die Bühne, die ihm all die Jahre über zur Seite gestanden hatte. Seine Mitarbeiterin gilt als heimliche Rektorin, die während seiner häufigen Abwesenheiten das Ruder unter Kontrolle hielt. Auch der Prorektor und kommissarische Leiter der HfG, Volker Albus, der den Abend in nobler Bescheidenheit moderierte, bestätigte diesen Eindruck. Es sei immer so, dass Frau Theilmann hinter dem Schreibtisch sitzen würde, während die Professoren ihre Anweisungen zur Bearbeitung von vorsortierten Akten entgegennehmen würden. Insofern muss das Bild vom „Pegasus unter dem Joche“ antiquiert erscheinen. Dem Philosophen Peter Sloterdijk tut dies keinen Abbruch. Er selbst hatte in seinem Buch „Zeilen und Tage“ bekannt, dass er nur der Abstumpfung entgangen sei, weil es ihm (dank seines Gleichmuts und seiner Mitarbeiter) gelingen würde, einen Berg von Akten in Rekordtempo abzuarbeiten.
Die Überraschung des Abends war die Verkündung des Nachfolgers Sloterdijks. Mit Siegfried Zielinski, Professor für Medientheorie an der Universität der Künste Berlin, kommt jedoch ein alter Bekannter nach Karlsruhe. Der ehemalige Gründungsdirektor der Kölner Kunsthochschule für Medien gehört zu Peter Weibels Kreis von Experten, die mehrfach zu Tagungen und Publikationen des ZKM beigetragen haben. Auch für die Globale, dem aktuellen ZKM-Projekt, wurde Zielinski verpflichtet: Zum 14. August bereitet der Mitbegründer des Vilém Flusser-Archivs im ZKM eine Ausstellung zu dem charismatischen Medienphilosophen vor. Unter dem Titel „Allahs Automaten“ folgt im Oktober eine Präsentation zur medienarchäologischen Rolle der arabisch-islamischen Kultur, ebenfalls kuratiert von Zielinski. Der neue Rektor kann also ohne viel Reibungsverluste bald sein neues Amt in Karlsruhe antreten.
Carmela Thiele
Der Text erschien in veränderter Form am 17.7. 2015 in den Badischen Neuesten Nachrichten.
Foto: ©ARTIS-Uli Deck// 15.07.2015 Hochschule fuer Gestaltung , HfG, Verabschiedung des Rektors Peter Sloterdijk, v.l. Peter Weibel, Peter Sloterdijk, Staatssekretaer Juergen Walter, Frank Mentrup,
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Weiß jemand, wo Herr S. lehren wird?
Danke!