Das gläserne Gehirn
Ruth Buchanan verwandelt den Badischen Kunstverein in eine Schaltzentrale
Als die Berliner noch Berliner waren, nannten sie die Skulptur vor der Deutschen Oper „Schaschlik“, eine andere am Hansaplatz „Stricknadeln“ und den hypermodernen Showroom im Parterre der Firma IBM am Ernst-Reuter-Platz „Das Gläserne Gehirn“. Das war in den 1960er-Jahren, der Neubau von Rolf Gutbrod stand für das neue, moderne Berlin und die Magnetbänder und Maschinen im Parterre des Hochhauses für den Start ins Informationszeitalter. Im Mai 1970 richtete sich der Zorn der Demonstranten gegen die gläserne Schaltzentrale. Sie war zum Symbol der Macht und des Kapitalismus geworden.
Ruth Buchanan war fasziniert von der Geschichte des „Das Gläsernen Gehirns“. Die in Berlin lebende Neuseeländerin stieß eher zufällig auf das Thema und durchforstete archivierte Presseartikel auf Microfiche. Aber das sei eigentlich gar nicht so wichtig, sagt die Künstlerin, die im Badischen Kunstverein ihre bislang größte Einzelausstellung eingerichtet hat. Normalerweise würde sie solche vorbereitenden Recherchen gar nicht zeigen. In Karlsruhe hat sie eine Ausnahme gemacht, denn der Nachlass des Architekten Gutbrod liegt im Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai).
Neben Fotografien der IBM-Lobby zeigt sie im Waldstraßensaal Kopien ihrer Presse-Recherche und dokumentiert die Firmengeschichte von IBM. Doch ist Buchanan keine Künstlerin, die sich wohlfeil die Politik auf die Fahnen geschrieben hat. Diese Archiv-Präsentation ist nur eine Zutat, ein weiteres Element ihrer Reflexion über Analogien zwischen dem Denken, dem Gebäude und dem Körper. Brain, Building, Body, diese Wortkombination wiederholt sich wie ein Mantra in verschiedenen Medien der Ausstellung.
Der rote Faden der Präsentation ist die Sprache. „Its interior“, in einem Inneren, diese Feststellung ist wie ein Muster auf einen transparenten Vorhang am Eingang des Rundgangs aufgedruckt. Die Besucher sind eingeladen, sich auf einen der Stühle zu setzen, die sternförmig in den Raum gestellt sind. Aus dem Lautsprecher in der Mitte ertönen neue Wortkaskaden: take a room, have a room, be a room. Es ist die Stimme der Künstlerin, die, gemeinsam mit ihrer Schwester, einen sechs-minütigen Text performed. Es ist wie eine Initiation. Der Zuhörer blickt an die Wand, nimmt den Raum um sich wahr, gerät in einen Flow von Konzentration und Rezeption.
Schon einige internationale Kritiker haben sich an der poetischen Prosa, an ihren Wort-Diagrammen und Videos die Zähne ausgebissen. Derrida und andere Theoretiker wurden als Gewährsleute herangezogen, um die Bedeutung des Werks von Ruth Buchanan zu untermauern. Doch hat die 35-jährige eine solche Rückenstärkung gar nicht nötig. Ihre minimalistisch wirkenden Arbeiten erzeugen nahezu unmerklich einen Sog. Ohne große Geste lässt sie die Medien ineinander gleiten, aber dies tut sie mit einem besonderen Gespür für intertextuelle Korrespondenzen und eine unaufdringliche Dramaturgie.
Sie führt die Besucher vor ein weiteres Banner, „and a facade“ ist darauf zu lesen. Über eine Brücke gelangt er in das Innere einer imaginären Schaltzentrale, ins Gehirn? An seriell hintereinander gestellten Drahtgittern hängt jeweils ein Schaltplan, der eigentlich ein visuelles Gedicht ist: „Like brain is to building, mind is to room.“ Das Gehirn verhält sich zum Gebäude wie die Vorstellung zum Raum. Die rhythmisch über die Fläche verteilten Wortkombinationen beanspruchen einen eigenen Raum, einen Resonanzraum. Drei Stunden veranschlagt die Künstlerin für den Rundgang. Für sie muss ein Kunstwerk eine bestimmte Dauer haben. Und das Kunstwerk ist in diesem Fall die Ausstellung, die sie über eineinhalb Jahre vorbereitet hat.
Das Ende markiert ein Stück dunkelgraumeliertes Linoleum in Form eines Spiegeleis. Der Farbton habe sie an das Schneegestöber eines gestörten TV-Bildes erinnert, sagt sie. Ob witziger Einfall oder hintergründige Metapher, die Bodenskulptur erklärt den Besucher nochmals zum eigentlichen Gegenstand der Ausstellung, das Programm jedoch ist nun zu Ende. Es herrscht aber kein Zwang. Wer nach diesem Spaziergang ins Innere der Begriffe Lust auf Fakten hat, kann im Waldstraßensaal die Geschichte des „Gläsernen Gehirns“ nachlesen, die sich jetzt womöglich anders darstellt als vor Ruth Buchanans Pfad ins Innere unserer eigenen, viel komplexeren Schaltzentrale.
Carmela Thiele
Portfolio https://www.torial.com/carmela.thiele
Alle Fotos: Ausstellungsansicht „Ruth Buchanan: Or, a building”, Badischer Kunstverein, Karlsruhe 2015, © Stephan Baumann, bild_raum
AUSSTELLUNG
RUTH BUCHANAN
Or, a building
Bis zum 9. September im Badischen Kunstverein, Karlsruhe.
www.badischer-kunstverein.de.
Die Ausstellung ist Teil eines größeren Werk-Komplexes, zu dem des weiteren eine Performance und ein Film gehören, die im Institute of Modern Art (IMA) in Brisbane gezeigt werden.
Ruth Buchanan (*1980 in New Plymouth, Neuseeland) lebt und arbeitet in Berlin. Ihre jüngsten Einzelausstellungen wurden u.a. präsentiert im Hamburger Bahnhof, Berlin (2015); Hopkinson Mossman, Auckland (2014); Grazer Kunstverein, Graz (2011); Casco – Office for Art, Design and Theory, Utrecht (2010); The Showroom, London (2009). Viele weitere Institutionen zeigten ihre Performances: IMA, Brisbane (2015);Tate Modern, London (2011); Kunsthaus Bregenz (2010); Frascati Theatre, Amsterdam (2009); Rietveld Schröderhuis, Utrecht (2009). Buchanan veröffentlichte zudem Künstlerbücher wie „The weather, a building“ (Sternberg Press, Berlin 2012) und „Lying Freely“ (Casco – Office for Art, Design and Theory, Utrecht 2010).
Die Ausstellung enthält neue Arbeiten von Ruth Buchanan, die von dem Institute of Modern Art (IMA) Brisbane und dem Badischen Kunstverein, Karlsruhe, in Auftrag gegeben wurden.
In Kooperation mit dem Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg.
Mit Unterstützung von Creative New Zealand Toi Aotearoa.
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