Mit gebotener Vorsicht lässt sich sagen, das Krimiland Australien ist im Kommen, die Präsenz erstaunlich guter Bücher auf dem deutschsprachigen Buchmarkt nimmt zu. Aber es ist noch immer schwierig genug, die Tore sind eng, die Verleger vorsichtig. Fünf nationalen Krimipreisen zum Trotz wurde der der große Peter Temple lange nicht im Ausland veröffentlicht, selbst sein Hausverlag Random House hielt ihn für zu australisch. Michael Robotham, Australiens international erfolgreichster Kriminalautor, siedelt seine Romane gar nicht erst in seiner Heimat an. Seine perfekt gebauten Thriller spielen in und um Oxford und sind Weltbestseller.
Mit „Um Leben und Tod“, seinem zehnten Roman, gewann er im September 2015 den prestigeträchtigen britischen „Gold Dagger“, dies in Konkurrenz zu Stephen King und J.K. Rowling. Als er seinen Verlegern mit der Idee dieses Einzelromans und dem Setting Texas gekommen war, „konnte man in ihren Augen die Rechenmaschine rotieren sehen – wieviel an entgangener Auflage diese Idee wohl kosten würde“, erzählte er mir bei einem Treffen in Sydney. Als Präsident der Australian Crime Writers Association (ACWA) weiß er, wie schwierig es für seine Kolleginnen und Kollegen ist, alleine in Großbritannien, den USA oder anderen englischsprachigen Ländern verlegt zu werden.
Beispiel Candice Fox. Als bisher einzige Autorin kann sie einen Ned Kelly Award für ein Debüt („Hades“) und gleich darauf folgend für den besten Kriminalroman vorweisen („Eden“). Ein britischer Verlag dafür aber bisher: bisher Fehlanzeige. (mehr Information – Interview mit Candice Fox)
Neues aus Sydney
In Deutschland ist Candice Fox jetzt bei Suhrkamp in einer von Thomas Wörtche verantworteten Reihe erscheinen. „Hades“ ist ein Buch, das mit erzählerischer Raffinesse und schier unglaublicher Selbstsicherheit gleich drei Subgenres der Kriminalliteratur zu etwas Neuem fügt: den Polizeiroman, den Serienkiller-Topos und die Hardboiled-Erzählung. Der glänzend geschriebene Thriller hat eine Heldin, wie es noch keine gab. Es ist die Polizistin Eden, die zusammen mit ihrem Bruder, ebenfalls einem Cop, nachts in Sydney jene Killer jagt und tötet, denen die legale Strafverfolgung nicht beikommt. Eden und ihr Bruder Eric wuchsen auf einer Mülldeponie auf, wohin sie im Babyalter als Kollateralschäden eines Mordes zur Entsorgung gebracht worden waren. Hades, der Herr dieses finsteren Ortes, ein Unterweltboss und Hüter vieler Geheimnisse, wurde zu ihrem Ziehvater. Bei der Polizei finden sie ihre Berufung. Das ist Stoff für bisher drei sensationell zu nennende Romane und ist längst nicht auserzählt.
Candice Fox gehört zu den großen Talenten der internationalen Krimiszene, bei einem Interview in Sydney zeigte sie sich enorm belesen, im Genre beschlagen und gebührend respektlos. Von ihr ist noch viel zu erwarten.
Die Polizei als Vigilanten-Arbeitgeber, das traf ich dann 1000 Kilometer weiter auch bei Garry Disher auf der Mornington Peninsula südlich Melbourne an. (mehr Information – Interview mit Garry Disher) Er hatte gerade die erste Szene eines neuen Romans zu Papier gebracht, in dem ein Cop zur Selbstjustiz schreitet. „Das wird ein hartes, ungemütliches Buch“, sagte er. Auch seinen Räuber Wyatt will er weiterführen, der im heutigen Australien als Freiberufler und ohne Staatsaufsicht sein Auskommen sucht und findet. (Diese feine Reihe erscheint seit 2002 im Berliner Verlag Pulpmaster.)
„Commonwealth der Diebe“
In der australischen crime fiction ist die Krise des Systems mit Händen zu greifen: Autoritätsverlust, allgegenwärtige Korruption, Rückkehr der Faustrechtzeiten. Das moderne Australien ist auf räuberischer Gewalt gegenüber den Aborigines gegründet, ein „Commonwealth der Diebe“ nannte das Thomas Kenneally. Bis heute ist diese Vergangenheit kaum aufgearbeitet, Publizisten wie John Pilger („A Secret Country“, 1989) oder Don Watson („The Bush“, 2014) gelten als Nestbeschmutzer. Der tief sitzende Rassismus ist Gegenstand von Chloe Hoopers zu Recht mit Truman Capotes „Kaltblütig“ verglichenem Tatsachenroman „Der große Mann“. Auch sie eine Weltklasseschriftstellerin, ihre bisher drei Bücher auf Deutsch erhältlich. Noch keinen deutschen Verlag jedoch hat Peter Dockers an wahren Vorkommnissen entzündeter böser Roman „Sweet One“ von 2014, wo aus Afghanistan heimgekehrte Soldaten zuhause weiter Krieg führen – gegen die Aborigines, als wären es die Taliban.
Allgegenwärtiges Thema: Korruption
Ganz alltägliches Aborigines-Bashing ist eines der Themen in Garry Dishers „Bitter Wash Road“, wo ein Cop bis tief in die Provinz von der Omerta seiner Zunft verfolgt wird.
Das Korps will ihm nicht verzeihen, dass er einen korrupten Cop in Adelaide nicht gedeckt hat. Ein Kollege sei das gewesen, schnauzt ihn sein Vorgesetzter an. Egal, was der gemacht habe, fragt er zurück. „Für Polizisten ist alles erlaubt?“ Ein halbes Jahrhundert währte das System von hochrangiger Polizeikorruption im Bundesstaat Queensland, das der Journalist Matthew Condon über mehrere Jahre in einer insgesamt 1390 Buchseiten umfassenden Trilogie aufgearbeitet hat. Die Titel sprechen Bände: „Three Crooked Kings“, „Jacks and Jokers“ und „All Fall Down“. Über das organisierte Verbrechen gibt es down under ein ganzes True-Crime-Subgenre namens „Gangland“. Nicht seit den Tagen von Al Capone hätten Gangster so unverfroren über eine Weltstadt geherrscht, schrieb der Enthüllungsjournalist Bob Bottom noch im Jahr 2004 über Melbourne.
Marx nahm den Swan River als Beispiel
Es ist die Zukunft, aber es wurde alles schon einmal so gemacht und das überaus erfolgreich. Es ist, als wären die Kolonialzeiten zurück“, stellt ein Gangster sein Geschäftsmodell in David Whish-Wilsons „Line of Sight“ (2010) vor, das ein wahres Verbrechen zum Hintergrund hat. Whish-Wilson schreibt über Perth und Westaustralien. Seine scharf geschliffenen, eleganten Hardboiled-Romane lesen sich, wie Chandler über Los Angeles geschrieben hätte, wäre er ein politischer Kriminalautor gewesen. In seinem luziden Stadtporträt „Perth“ rekurriert Whish-Wilson auf eine Stelle aus dem „Kapital“ (Kap. 25, Die moderne Kolonisationstheorie, es lohnt die englische Version), wo Marx über die „Swan River Mania“ schreibt. Das damalige Besiedlungsfieber ist ihm Exempel dafür, was geschieht, wenn der Kapitalismus seine Kohorten nicht unter Kontrolle hat.
Dieses Phänomen schreibt sich mit Deregulierung und der großflächigen Ausbeutung der Ressourcen bis heute fort. Australiens Bodenschätze werden – kaum versteuert – nach China und Indien verschleudert, auch mehr als 50 Prozent der Agrarwirtschaft sind bereits in ausländischer Hand. Zigtausende Familien und ganze Kommunen werden vom FIFO-System ausgehöhlt und zerstört. FIFO bedeutet „Fly in, fly out“, neun Tage Arbeit in den Mega-Minen, fünf Tage zuhause, unglaublich gut bezahlt, aber für den Preis kaputter Beziehungen und verlorener Werte. Ein Autor, der diese Ausbeutungs- und Spekulationsstrukturen sehr lesenswert erkundet, ist Alan Carter. Im August erscheint in bei Nautilus nach „Prime Cut“ der zweite Roman mit dem in Ungnade gefallenen Cop Cato Kwong. Der Titel: „Getting Warmer“.
Die von vergangenen und verschwiegenen Verbrechen gesättigte Mülldeponie, von Candice Fox grandios beschrieben, lässt sich also durchaus als Metapher für den Humus der australischen Kriminalliteratur begreifen.
Alf Mayer
Bild oben: © Cover Suhrkamp (Ausschnitt)
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Hier eine Auswahl aktueller Kriminalromane aus Australien:
Garry Disher: Bitter Wash Road, Unionsverlag 2016
Garry Disher: Gier. Ein Wyatt-Roman, Pulpmaster 2015
Lieferbar sind auch die Hal-Challis-Polizeiromane Drachenmann, Flugrausch, Schnappschuss, Beweiskette, Rostmond, sowie die meisten Wyatt-Romane.
Chloe Hooper: Der große Mann, Liebeskind 2016
Die Verlobung, 2014
Märchen eines wahren Mordes, 2004
Alan Carter: Prime Cut, Nautilus 2015
Im August 2016 erscheint Getting Warmer.
Candice Fox: Hades, Suhrkamp Mai 2016
Im September erscheint Eden
Peter Temple: Wahrheit, C. Bertelsman 2001
Kalter August, C. Bertelsman 2007
Michael Robotham: Um Leben und Tod, Goldmann 2015
Der Schlafmacher, Goldmann 2016
Malla Nunn: Tal des Schweigens, Ariadne 2016. (Die in Australien lebende Südafrikanerin schreibt über ihr Heimatland.)
Australische Bücher sind auch im eigenen Land recht teuer. Kriminalliteratur erscheint oft nur im Trade Paperback-Format zum Preis von meist 29,99 AUD (ca. 20 Euro). Die Internetsuche (ebay, abebooks ua.) erfordert eine gewisse Hartnäckigkeit, unbedingt ist auf die Höhe der Versandkosten zu achten.
- Katherine Mansfield / Ingrid Mylo:„Alles, was ich schreibe – alles, was ich bin. Texte einer Unbeugsamen.“ - 13. Februar 2023
- Richard Condon: The Manchurian Candidate - 18. Januar 2017
- Ross Macdonald – einer der besten amerikanischen Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts - 22. September 2016
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