Gut gebrüllt, Löwe?
Es kam, wie vorausgesehen: Die Jury tat sich schwer. Und sie hat offenbar weder politische, ästhetische noch handwerkliche Maßstäbe angelegt.
Hier die Sieger-Liste: Goldener Löwe für den besten Film: „Faust“ von Regisseur Alexander Sokurow/ Silberner Löwe für die beste Regie: Cai Shangjun für „People Mountain People Sea“/ Spezieller Preis der Jury: „Terraferma“ von Emanuele Crialese/ Preis für den besten Schauspieler: Michael Fassbender für „Shame“/ Preis für die beste Schauspielerin: Deanie Ip für „A Simple Life“/ Bestes Drehbuch: Efthimis Filippou und Yorgos Lanthimos für „Alpis“.
Angeblich, ein Gerücht auf dem Lido di Venezia, hat sich die Jury „Faust“ zweimal zeigen lassen. Sokurows pusseliges Kunstgewerbestück, Goethe-Versatzstücke zu russischer Soljanka verrührt, hat die Juroren offenbar überzeugt. Die Kritiker aus aller Welt waren extrem gespalten: die einen feierten den Film sofort als großen Wurf, die anderen zeigten sich ob all der angestrengten Bilder und Dialoge genervt. Mal sehen, wie das große Publikum entscheidet. Falls das den Film überhaupt zu sehen bekommt.
Ansonsten gehen die Preise ziemlich in Ordnung. Die Drehbuch-Ehre für „Alpis“ von Yorgos Lanthimos ist zwar auch etwas übertrieben, denn die originelle Ausgangsidee (Menschen übernehmen die Rollen von Verstorbenen, um den Hinterbliebenen seelische Erleichterung zu verschaffen, wird nicht wirklich ungewöhnlich umgesetzt. Aber sei’s drum. Der Deutsch-Ire Michael Fassbender, der gleich zwei Mal (in „Shame“ und in „A Dangerous Method“) Herausragendes zeigt, wurde zurecht (und von vielen erwartet) ausgezeichnet, ebenso Deanie Ip. Beide spielen wirklich gut. Dass Cai Shangjun für „People Mountain People Sea zum besten Regisseur gekürt wurde, verstehen viele als politisches Signal, hat er den Film doch an den chinesischen Kontrollbehörden vorbei nach Venedig gebracht. Damit macht man den Film aber kleiner als er ist. Er hat auch künstlerisch wirklich einiges zu bieten. Der Spezialpreis der Jury für „Terraferma“ dürfte jedoch wirklich allein politische Hintergründe haben – festivalpolitische (das Gastgeberland Italien kriegt immer was) und gesellschaftspolitische (die Story vom Ausverkauf aller Menschlichkeit im Zusammenhang mit dem Problem illegaler Einwanderung). Verständlich, wenn auch etwas schade, denn es gab Besseres (auch aus Italien).
Schelte für die Jury? Unsinn. Sie hatte es schwer. Die Auswahl war enorm. Das 68. Filmfestival von Venedig hat eine reiche Ausbeute beschert. Hoffen wir, dass nun bald auch viele der nicht ausgezeichneten Beiträge mutige Verleiher hierzulande finden. Gut gebrüllt, Löwe? – Ja!
Peter Claus aus Venedig, 10. September 2011
Bild: Mit seiner Adaption von Goethes „Faust“ gewinnt der russische Regisseur Alexander Sokurowden Hauptpreis des 68. Filmfestivals Venedig. (la Biennale di Venezia © 2011)
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17. September 2011 um 13:09 Uhr
„… Goethe-Versatzstücke zu russischer Soljanka verrührt“ – dämlichstes aller Stereotypen! Wärs Bouillabaisse gewesen, wenn Ihnen ein französischer Beitrag missfallen hätte? Liest sich so, als sollten die Russen die Finger von deutscher Hochkultur lassen, ja?