Hollywood darf Werbung machen
Hollywood darf Werbung machen. Wir nehmen’s gelassen. Denn im Wettbewerb wurde die US-amerikanische Filmindustrie nicht zum Zentrum, hat das Kino Europas, Asiens, Afrikas, Lateinamerikas nicht – wie im Kinoalltag – an den Rand gedrängt. Da darf denn auch mal Werbung sein. Und „The Town“, die vierte Regiearbeit des Schauspielers Ben Affleck, hat Werbung nötig. Der Film, der am 23. September in -zig Ländern startet ist nichts als ein routinierter Krimi um Bankräuber und andere Misslichkeiten. Da gibt’s eine tolle Verfolgungsjagd – und ansonsten eine Geschichte, die geübte Krimigucker etwa zehn, fünfzehn Minuten nach Beginn des Films sehr genau voraussagen können. Schade, dass sich Affleck auch als Hauptdarsteller präsentiert. Man glaubt ihm einfach nicht den aus kleinen Verhältnissen stammenden Schmuddel-Gangster.
Apropos 23. September. Da startet in Deutschland auch, schweifen wir mal ein wenig ab, „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ von Oskar Roehler. „Jud Süß“ – kurz für alle, die’s nicht wissen – ist der Titel eines der widerlichsten antisemitischen Spielfilme, die in Deutschland in der Nazizeit gedreht wurden. Propagandaminister Joseph Goebbels hat den Film 1940 selbst in Auftrag gegeben. Der Schauspieler Ferdinand Marian, bis dahin auf den Typ romantischer Liebhaber festgelegt, wurde mehr oder weniger gezwungen, die Hauptrolle zu übernehmen. Wie es dazu kam, und welche Auswirkungen das hatte, will dieser Film angeblich erzählen. Angeblich. Tut er leider nicht, sondern bietet eine gruselig doofe Kolportage. Soviel schlechtes Schmierentheater gab es wohl nie zuvor in einem deutschen Spielfilm. Tobias Moretti als Ferdinand Marian, Martina Gedeck als dessen Frau und Moritz Bleibtreu als Joseph Goebbels müssen eine Flut an dummen Dialogen aufsagen und unendlich viele unfreiwillig groteske Szenen spielen, dass es einen graust. Oskar Roehler, vor Jahren zu Recht gefeiert für „Die Unberührbare“, verbiegt die historischen Fakten, hat seine bedauernswerten Schauspieler in die Irre dirigiert und weidet sich an ekligen Sexszenen vor dem Hintergrund des Naziterrors. Das Grauen des deutschen Faschismus’ verniedlicht er dabei unerträglich. Entsetzt von dem politisch und künstlerisch dummen Film, hagelte es nach der Uraufführung während der diesjährigen Berlinale weltweit Verrisse. Schockiert forderte Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, gar ein Verbot des Machwerks. Das ist, hoffe ich, nicht nötig. Denn der Film ist so schlecht (und langweilig), dass er sich von allein ins Abseits des Vergessens drängt. – Interessanterweise wurde ich hier in Venedig in den letzten Tagen bestimmt gut ein Dutzend Mal auf diesen Schmuddel-Schinken angesprochen. Journalisten-Kollegen aus nahezu wirklich aller Welt (zum Beispiel aus den USA, aus der Schweiz, aus Italien, aus Griechenland, aus Japan) wollten wissen, ob es wirklich einen Verleih gibt, „der diesen Mist heraus bringt“, wie sich eine spanische Kollegin ereiferte. Grundtenor der Kolleginnen und Kollegen: Es war schon schlimm, dass der Film auf der Berlinale lief, wie es überhaupt schlimm ist, dass er so, wie er ist, produziert werden konnte. Aber dass er nun tatsächlich herauskommt und Leute dazu gebracht werden, ihr gutes Geld für Kinokarten auszugeben, erntet weithin Kopfschütteln. Hoffen wir, dass Tom Tykwers „Drei“, der weithin mit großer Spannung erwartet wird, einen guten Eindruck hinterlässt.
Ich habe mir diese Abschweifung erlaubt, um zu zeigen, wie sehr Filmfestivals jeweils vor allem auch das Bild der Kinematographie des Landes prägen, in dem das Festival stattfindet. So wie hier in Venedig nun, sicher oft fälschlich, Rückschlüsse auf den Zustand des italienischen Kinos an sich geschlossen werden, so haben viele internationale Beobachter in Berlin ihre Rückschlüsse gezogen. Und das nicht zum Vorteil des deutschen Kinos. Wieder mal zeigt sich auch hier am Lido di Venezia: Reisen bildet.
Als klug, (noch eine Randbemerkung), haben sich gestern, am Mittwoch, all jene erwiesen, die sich wetterfeste Kleidung mitgebracht haben. Die lieben Mitstreiter, die in den letzten Tagen noch über Gummistiefel und Regenmäntel gespottet haben, sahen in ihren völlig durchnässten Tretern und Shorts und T-Shirts echt ramponiert aus. Nein, keine Schadenfreude, nur Stolz auf die eigene Klugheit!
Zurück zum Wesentlichen: An der Front der Favoriten hat sich nichts verändert. Abdellatif Kechiche, heiß geliebt für „Couscous mit Fisch“, enttäuschte mit seinem neuen Film im Wettbewerb, „Black Venus“. Der auf Tatsachen beruhende Film blickt ins 19. Jahrhundert und schildert den Fall einer Frau aus dem Gebiet des heutigen Südafrika, die in Europa als Jahrmarktattraktion, Prostituierte und schließlich als Opfer einer menschenfeindlichen „Wissenschaft“ misshandelt wurde. Das Thema ist stark, doch der Film verschenkt es an dick aufgetragene Didaktik. Und, das erschreckt: Kechiche entging nicht der Gefahr, seine Hauptdarstellerin in recht ausbeuterischer Weise zur Schau zu stellen. Aber, nun ja, auch ein Meisterregisseur kann mal daneben hauen.
Peter Claus
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