Am Mittwochabend eröffneten die 67. Filmfestspiele in Venedig
Robust – das ist bisher das entscheidende Stichwort für das Festivalprogramm. Der künstlerische Direktor Marco Müller hat „eigenwillige Handschriften“ versprochen. Nun ja. Mit freundlichem Blick könnte man das, was hier bisher so geboten wurde, unter diesem Schlagwort fassen.
Gewalt dominiert. Versteckt Darren Aronofsky sie im Eröffnungsfilm „Black Swan“ noch hinter schickem Psycho-Schnick-Schnack, gehen andere offener zur Sache. „Machete“ von Robert Rodriguez ist eine einzige Schlachtorgie. Blut spritzt, der Soundtrack donnert, die Handlung ist allein fadenscheiniger Vorwand für Mord und Totschlag. Unappetitlich.
Richtig ärgerlich: „Legend of the Fist: The Return of Chen Zhen“ von Andrew Lau. Der chinesische Film bietet eine recht unverdauliche Mischung aus üppiger Historienmalerei, schniekem Retro-Look und allerlei Kampfsport-Einlagen. Die Story beginnt im ersten Weltkrieg und wird dann hauptsächlich in den 1920-er Jahren fortgesetzt: Tapfere Chinesen, erst in Europa als Kriegshelfer verschlissen, kämpfen später im Untergrund für die Wiedervereinigung ihrer Heimat China. Stilistisch wird auf Glamour und Comic-Strip-Elemente gesetzt. Einer der Chinesen ist eine Art Supermann und treibt das Geschehen von Action-Sequenz zu Action-Sequenz voran. Zwischendurch gibt es derart schlechtes Darstellungsgewusel zu sehen, dass man nicht von Schauspiel sprechen möchte. Was derartiger Quatsch hier zu suchen hat, wissen wohl nur die Festivalverantwortlichen. Die Vermutung liegt nahe, dass hier finanzielle Interessen bedient werden. Künstlerische Einfälle jedenfalls sind nicht auszumachen.
Da flüchtet der Filmfreund denn in die Retrospektive mit italienischen Komödien der 1950-er Jahr und 1960-er Jahre. Und staunt und amüsiert sich. Die Filme, die hier zu sehen sind, verbinden nämlich Unterhaltung und Wirklichkeitsbeobachtung auf schöne Weise. Natürlich: Die große, alles in den Schatten stellende Kunst ist dabei nicht auszumachen. Aber: Das sind fein gearbeitete, gut gespielte Amüsierstücke voller Witz, Esprit und, vor allem, glänzendem Schauspiel. Das bietet im Überfluss die kleine Reihe mit Filmen zu Ehren von Vittorio Gassman, einem Superstar des italienischen Kinos nach dem zweiten Weltkrieg.
Politisch spannend bisher: „The Accordion“, ein siebenminütiger Kurzfilm des Iraners Jafar Panahi. Der kurze Film ist so etwas wie eine Arbeitsprobe seines neuen Spielfilms. Darin geht es offenbar um Immigranten im Iran, denen das Leben durch die dort herrschenden Umstände und Gebote zusätzlich erschwert wird. Panahi, das macht der kurze Film klar, ist ein Mann, der sozial genau inszeniert, ohne vordergründig Didaktisches abzuliefern. Er selbst saß, angeblich, weil er einen nicht genehmigten Film gedreht hat, im Gefängnis, konnte im Mai nicht nach Cannes. Venedig kündigt nun an, ihn am Dienstag zu einer öffentlichen Diskussion einfliegen zu wollen. Sollte das nicht klappen, werde es eine Telefonschaltung geben. Wir werden sehen, wie es kommt. Die Frage ist, ob dem Mann mit Aufsehen in seiner doch wohl sehr schwierigen Situation gedient oder eher geschadet wird. Natürlich: Schweigen gegenüber Unrecht ist nicht angebracht, so genannte Diplomatie oft nichts als Feigheit. Hoffen wir, die Verantwortlichen wissen was sie tun – und das trägt letztlich gute Früchte.
Peter Claus
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