Finale

Es ist nicht überraschend, wenn Jurys unerwartete Entscheidungen treffen. Sie zu kommentieren, gar zu kritisieren, ist eigentlich müßig. Jurys sind autark, haben ihre Maßstäbe, die von außen her betrachtet, aus dem Publikum heraus, nicht unbedingt nachzuvollziehen sind.

Freilich: Es ist schon recht verblüffend, dass die diesjährige Ophüls-Jury mit ihren Preisen nicht die wenigen Leistungen gekürt hat, die durch immerhin ein Gran inhaltliche Originalität und etwas formalen Wagemut aufgefallen sind. Damit bestärkt sie all jene jungen Filmemacher, die gut Verkäufliches, handlich verpackt, angeboten und sich damit als Routiniers für den Fernseh-Konsum-Alltag ausgewiesen haben.

Der Hauptpreis für „Siebzehn“, eine Coming-of-age-Story, gewürzt mit einem Streiflicht auf die Problematik einer Fokussierung auf die besondere Situation von Menschen, die ihre gleichgeschlechtliche Sexualität entdecken, ist diesbezüglich ein Paradebeispiel und also konsequenterweise mit der höchsten vom Festival zu vergebenden Ehrung bedacht worden. Das sieht sich flott an, die (ebenfalls ausgezeichnete) Hauptdarstellerin wirkt allein schon durch ihre aparte Erscheinung. Unter die Haut geht der Film nicht. Er hat zu wenig Ecken und Kanten, um nachhaltig zu wirken. Es ist ein Film, der es gut meint, der zum Guten aufruft. In diesen unguten Zeiten war es den Juroren offenbar ein – durchaus verständliches – Bedürfnis, das Gute zu fördern. Schade, dass die Jury meinte, dazu Leistungen auszeichnen zu müssen, die das auf sehr vordergründige Weise tun. Irritierendes, wie „Marija“ oder „Skizzen von Lou“ oder „Jetzt. Nicht.“ fielen durchs Raster. Doch in der Kunst – und im Leben – ist es das Irritierende, das zum Nachdenken Provozierende, das weiterbringt. Die Preise von Saarbrücken 2017 haben die Chance vergeben, mehr als wohliges Gutmenschentum und selbstzufriedenes Betroffenheitsgedusel anzuregen.

Peter Claus

Die Preisträger 2017   hier

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Tag 4

Neue Leitung – neue Akzente und Ideen. Das ist richtig so. Wirft aber gelegentlich auch Fragen nach dem Sinn auf. Warum etwa hat man sich vom Label „Festival des deutschsprachigen Nachwuchsfilms“ verabschiedet und spricht jetzt vom „Festival für den jungen deutschsprachigen Film“? Halbherzig übrigens, selbst noch nicht so richtig dran gewöhnt vielleicht? Im Festivalkatalog verwendet Festival-Chefin Svenja Böttger in ihrem Grußwort den Ausdruck „Nachwuchsfilmemacher von morgen“. (Das wiederum ist neckisch. Wenn die „Nachwuchsfilmemacher von morgen“ präsentiert werden, wo sind dann die von heute?)

Es war ein starke Marke, mit der das Festival um den Max Ophüls Preis aufgetreten ist, die Marke „Nachwuchsfestival“. Eine eindeutige Ausrichtung. „Junger deutschsprachiger Film“ ist dagegen schwammig, ungenau. Da ließe sich alles von jedem zeigen, denn manche Filme von gestandenen RegisseurInnen – nehmen wir Margarethe von Trotts oder Wim Wenders – sind überaus „jung“. Laufen deren Novitäten auch bald in Saarbrücken? Warum ein Erfolgslabel aufgeben? Eine Antwort ist nicht ersichtlich. Und „junges deutschsprachiges Kino“ gibt’s auch andernorts, auf anderen Festivals …

Nicht ersichtlich ist auch, weshalb Vertreter der Festivalleitung jetzt vor den Erstaufführungen der Beiträge des Spielfilmwettbewerbs Begründungen der Auswahl-Jury zitieren, erklären, weshalb es ein Film in die Konkurrenz geschafft hat. Als Besucher fühle ich mich bevormundet: Aha, auf dieses oder jenes soll ich achten. Dabei möchte ich doch meine eigenen Entdeckungen machen. Fragwürdig ist dies zudem, weil die für die Preisvergaben zuständigen Jurys im Publikum sitzen. Auch deren Aufnahme des Films wird durch eine Vorwegkommentierung beeinflusst. Zu verstehen ist, dass den jungen FilmemacherInnen ein Signal gegeben werden soll, wie sehr die Festivalmacher ihre Arbeit schätzen. Doch das ist schon allein durch die Auswahl des Filmend und dessen Aufnahme ins Festivalprogramm gegeben.

Sie sind jetzt dran, die Juroren. Man darf auf ihre Entscheidungen gespannt sein. Leicht haben sie es nicht. D e r Film, aus dem alle getaumelt wären, hellauf begeistert, war in diesem Spielfilm-Wettbewerb nicht zu sehen.

Peter Claus | 26-01-17

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Tag 3

Der Eindruck vom Festivalbeginn verstärkt sich: Sehnsucht nach traditionellen Familienmustern, gepackt in traditionelle, lineare Erzählweise, gibt im Wettbewerb der Spielfilme den Ton an. Kaum ein Film verblüfft mit Wagemut, sei es inhaltlich oder stilistisch. Abgesehen von der Häufung einer Auseinandersetzung mit Problemen junger Menschen kann von „jung“ nicht die Rede sein.

Was nicht heißt, dass es nichts Lohnenswertes zu sehen gäbe. Herausragend: „Skizzen von Lou“, geschrieben und inszeniert von Lisa Blatter, eine schweizerische Produktion. (Eine Randbemerkung: Das Filmschaffen der Eidgenossenschaft sticht, wie in den Jahren zuvor, auch in diesem aus dem Gesamtangebot heraus; bei den Kurzfilmen ist gar ein „Oscar“-Kandidat zu sehen!) Erzählt wird von einer jungen Frau, Ende 20, die mit sich nicht zurecht zu kommen scheint, vor allem emotional: Lou (Liliane Amuat) erträgt es einfach nicht, geliebt zu werden. Warum das so ist, offenbart sich ganz langsam, weil Aro (Dashmir Ristemi) nicht aufgibt, sich um die Geliebte zu bemühen. – Der Film besticht mit einer angenehmen Ruhe im Erzählen, dem Verzicht auf viele Dialoge, einer klugen Bildgestaltung, gutem Schauspiel. Liliane Amuat gehört zu Recht zu den Kandidatinnen für die Auszeichnung als beste Nachwuchsschauspielerin dieses Festivaljahrgangs.

Auch „Jetzt.Nicht.“ von Regisseurin und Cutterin Julia Keller besticht mit exzellentem Schauspiel, allen voran Godehard Giese in der Hauptrolle. Feinnervig verkörpert er einen Mann, Anfang 50, Walter, der unerwartet seinen Job als Marketingfuzzi verliert. Seine Frau schwafelt etwas von einer „Chance auf einen Neuanfang“. Doch Walter weiß im wahrsten Sinn der Floskel weder ein noch aus … – So überzeugend das Schauspiel ist, so sehr stört die Konstruktion der Story. Die riecht regelrecht nach Fleiß am Schreibtisch. Da gibt es etwa ein einschneidendes Erlebnis für Walter, er wird zufällig Zeuge eines plötzlichen Herztodes. Was sich daraus entwickelt, ließe sich gut in eine Krimi-Parodie packen, hier wirkt es deplatziert. Dennoch: Der Ernst des Versuchs eine handfeste Geschichte aus der Arbeitswelt zu erzählen packt, die Schauspieler sorgen für Intensität, so bleibt man als Zuschauer bis zum offenen Ende gern dabei. Beide Filme dürften in der Jury Diskussionen auslösen.

Das Publikum in Saarbrücken, das schon vormittags gern und zahlreich kommt diskutiert – Markenzeichen dieses Festivals – gern und ausdauernd und auch mal heftig. Viele der jungen Filmemacherinnen und Filmemacher erleben hier so etwas wie ihre Feuerprobe. Dabei ist die Atmosphäre durchweg von Wohlwollen und Interesse geprägt. Das Festival meint es gut mit den Künstlern. Im Kinoalltag geht es härter zu.

Peter Claus | 25-01-17

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Tag 2

Der Spielfilm-Wettbewerb, Herzstück des Festivals, hat durchwachsen begonnen – mit „Le Voyageur“ vom schweizerischen Regisseur Timo von Gunten, der neben seinen zwei Hauptdarstellern Julie Dray und Gilles Tschudi als Drehbuchautor genannt wird. Dass die Beiden mit als Autoren gelten, bestätigt die bei Ansehen des Films auftretende Annahme, hier sei von den Akteuren viel improvisiert worden. Was dem Film stellenweise eine schöne Frische gibt. Erzählt wird eine seltsame Familiengeschichte: erwachsene Tochter wird davon überrascht, dass der verstorbene Vater ins Leben zurückkehrt. Gemeinsam unternehmen sie eine Reise durch Bulgarien. Klar: die Reise ist das Ziel. Doch warum unternehmen sie diese? Die Frage wird den Zuschauern erst sehr spät beantwortet. Das sorgt für eine in diesem Fall störende Irritation. Es dauert zu lange, ehe man das Warum und Wieso begreift. Was den Zugang arg erschwert und die Geduld des Publikums unnötigerweise strapaziert. Letztlich geht es hier – wie offenbar in der Mehrzahl der Beiträge dieses Wettbewerbs – um das, was ein (noch nicht zu sehender Film der Konkurrenz) mit seinem Titel benennt: „Die Reste meines Lebens“. Immer wieder forschen die jungen Filmemacherinnen und Filmemacher nach dem, was ein Leben ausmacht, ausmachen kann, in einer Gesellschaft, die vielen immer häufiger als überaus kompliziert erscheint.

Am prägnantesten bisher: „Marija“, eine schweizerisch-deutsche Koproduktion von Regisseur Michael Koch, im letzten August schon viel beachtet im Wettbewerb des Festivals Locarno gelaufen. Gezeigt wird der Alltag von Menschen aus verschiedenen Kulturen in Deutschland, in Dortmund. Marija kommt aus der Ukraine. Sie träumt vom eigenen Frisiersalon. Um den Traum wahr werden zu lassen, geht sie stahlhart durchs Leben. Sie glaubt, dass Gefühle nur stören würden. Schnell schlägt ihre Härte in Rücksichtslosigkeit um. Sie muss einstecken und teilt aus.

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Marija | Regie Michael Koch | © Pandora Film

Führt das ins Glück? – Die Frage steht am Ende des Films. Klugerweise wird es dem Publikum überlassen, Antworten zu finden. Hauptdarstellerin Margarita Breitkreiz, bekannt durch ihre Arbeit an der Berliner Volksbühne, trägt das Drama. Dabei macht sie ohne Fingerzeige klar, wie fragwürdig es ist, alle Menschlichkeit abzulegen, um selbst Erfolg zu haben, Freundschaften zu opfern, der Liebe abzuschwören. Ihre scharfe Zeichnung eines Charakters, der mit Charakterlosigkeit „ganz nach oben“ will, beeindruckt. Hier haben wir sicher den ersten Wettbewerbsfilm, über den die Jury als Preisträger nachdenken dürfte.

Peter Claus | 24-01-17

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TAG 1

Starker Auftakt: Der Eröffnungsfilm „Die Nacht der 1000 Stunden“ des österreichischen Regisseur Virgil Widrig, mit Laurence Rupp in der Hauptrolle, erzählt eine Familiengeschichte mit ungewöhnlichem Kniff. Da tauchen Vertreter der Väter-, Großväter- und Urgroßvätergeneration auf, um für Ordnung in der Gegenwart zu sorgen. Was so einfach nicht ist. Denn das reaktionäre Gedankengut von einst, etwa aus der Nazizeit, erweist sich auch bei den heute Lebenden als erschreckend stark.

Als konventionelles Kammerspiel inszeniert, besticht – wie hier – die Frage nach dem geistigen Erbe und dessen Auswirkungen in der Gegenwart gestellt wird. Publikumswirksam und originell.

Konventionell scheint ein wichtiges Stichwort für diesen Ophüls-Jahrgang zu sein, so jedenfalls lässt der Vorausblick auf das bis zum Wochenende laufende Festival via Katalog vermuten. Die jungen Regisseurinnen und Regisseure setzen gern auf althergebrachte, publikumswirksame Erzählweisen. Inhaltlich reicht das Spektrum von Nabelschau, etwa Problemen ums Erwachsenwerden, bis zur Auseinandersetzung mit politischen Problemen, wie beispielsweise den Auswirkungen der Bürokratie auf die Integration von Migranten in Mitteleuropa. Mit Blick auf die Formen offenbart sich der Verdacht, dass die Förderer junger Filmschaffender die – in den letzten Jahren erfreulich weiten – Grenzen fürs Experimentelle wieder enger gezogen haben und vom Nachwuchs den Beweis erwarten, dass dieser sich bruchlos in die gängige Ästhetik der Serien- und (TV-)Spielfilm-Massenware einreiht. Bestätigt sich das, wäre es ein Alarmsignal.

Zur Eröffnung bekam Produzent Peter Rommel, Förderer etwa von Regisseur Andreas Dresen, den Ehrenpreis des Festivals. Seine Leistung steht beispielgebend für gute Unterstützung des Nachwuchses. Rommel hat immer das Ungewöhnliche unterstützt und damit manche Karriere angeschoben. Dabei hatte er auch wirtschaftlichen Erfolg. Argumentiere also niemand, dass Filme, die „neben der Spur“ sind, kein Geld brächten und deshalb nicht gefördert werden könnten!

Peter Claus | 23-01-17