Staunen ist angesagt in Saarbrücken: Schon am Dienstag, also einem Arbeitstag, sind fast sämtliche Vorführungen auch tagsüber nahezu ausverkauft. Eine absolut nicht repräsentative Umfrage ergibt, dass tatsächlich viele, viele Einheimische und Zugereiste für das Festival extra Urlaub nehmen. Die Begründungen ähneln sich: Hier gibt es Filme, die wir im Kino-Alltag vermissen.
Diese Filme sind nicht immer perfekt, holpern mitunter in der Erzählung, lassen gelegentlich eine starke Führung der Schauspieler vermissen. Aber: Das Engagement für gewichtige Themen lässt einen vieles übersehen.
Nichts zu übersehen gibt es bei „Manipulation“, einem Wettbewerbsbeitrag aus der Schweiz, eine Romanverfilmung. Regisseur Pascal Verdoscis und seine Autoren sind mit der Vorlage sehr frei umgegangen. Gut so. Diggelmanns 1962 erschienenes Buch „Das Verhör des Harry Wind“, eher eine Geschichtensammlung, denn ein Roman, gewinnt hier an zeitloser Schärfe. Erzählt wird ein Thriller aus der Zeit des Kalten Krieges: zwiespältiger Geschäftemacher Wind (Sebastian Koch) contra ehrbaren Ermittler Rappold (Klaus Maria Brandauer). Wind unterstützt die heimliche Atomaufrüstung der Schweiz im Kampf gegen „die Russen“, Rappold will der Wahrheit ans Licht verhelfen. Womit er scheitert. Die Mächtigen sind an der Wahrheit nicht interessiert, sondern an ihren ideologischen Dogmen, die nichts anderes sind als Garantien für immense Profitmacherei.
Die vor mehr als fünf Jahrzehnten spielende Geschichte wurde ganz als Kammerspiel inszeniert. Brandauer und Koch liefern sich ein elektrisierendes schauspielerisches Duell. Die Spannung ist schweißtreibend. Das vor allem, weil die Gegenwartsbezüge, ohne, dass sie nur einmal verbal oder optisch benannt werden, unübersehbar und unüberhörbar sind. Die Pervertierungen der Demokratie, die wir heutzutage allüberall hinnehmen, sind schon damals, in den Jahren des europäischen Erstarkens nach dem Grauen des Zweiten Weltkriegs angelegt worden.
Handwerklich und schauspielerisch ist der Film, obwohl man ihm gelegentlich ansieht, dass es um die Finanzen eher knapp bestellt war, sehr überzeugend. Die Balance von Anspruch und Spannung fand denn auch einen enormen Beifall beim Festivalpublikum. Man darf gespannt sein, ob die Jury den Film zum Festival-Finale würdigt.
Auch ein Kammerspiel, ansonsten aber nicht vergleichbar: „Stilleben“ von Regisseur Sebastian Meise. Es geht um das schwierige Thema Pädophilie. Ein Mann lässt seine inzwischen erwachsene Tochter von einer Prostituierten „spielen“. Dazu begleiten ihn ständig Fotos von der Tochter in kindlichen und jugendlichen Jahren. Niemand spricht darüber. Schweigen ist angesagt. Ein geradezu tödliches Schweigen. – Der Film setzt nicht auf skandalträchtige Szenen. In beklemmender Ruhe zeigt er, wie alle in Rollen gefangen sind, aber auch in einem schrecklichen Gemisch aus Angst und Begehren. Das ist von heftiger Intensität. Der Film urteilt damit klug, ohne vorschnell zu verurteilen. Wichtiger ist die Frage, inwieweit Menschen, wie den hier vorgestellten, Tätern und Opfern, geholfen werden kann. Vorschnelle Antworten bleiben aus. Was für Irritation, Diskussion und Nachdenken lange nach dem Kinobesuch sorgt.
Ophüls 2012 ist also weiter auf Erfolgskurs. Man darf gespannt sein gespannt, ob das Niveau bis zum Sonntag anhält.
Peter Claus
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