Deutsche Filmschaffende punkten gleich zum Beginn des Festivals von Locarno Zugegeben: das Kino aus Deutschland hat es leicht in Locarno. Der Ruf ist gut, der Stand sicher. Auch quantitativ stimmt’s wieder. Im Hauptwettbewerb wurden drei der zwanzig Filme, die auf Leoparden-Jagd sind, von deutschen Produzenten wesentlich mitfinanziert, auf der Piazza Grande, wo insgesamt achtzehn Filme laufen, sind sechs, also ein Drittel, finanziell zu großem Teil „Made in Germany“. Das Festival hat sich seit Jahrzehnten als Hochburg des Autorenfilms gegeben, und der hat in Deutschland nun einmal eine starke Tradition. Der erste Piazza-Spielfilm dieses Jahrgangs, „Hell“, wurde vom Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum, ausgebildet in München, als Schweiz-Deutsche Koproduktion realisiert. Durchaus auch ein Autorenfilm, allerdings der etwas anderen Art. „Hell“ blickt in eine postapokalyptische Zukunft. Die Erde ist verwüstet. Leben fast unmöglich. Ein kleiner Kreis von Menschen versucht das weiter, und wird als Häufchen Elend ins Abseits unmenschlicher Vertierung gedrängt. Das Stichwort Kannibalismus ist nur eins, das auf die Story hinweist. Doch von der sei hier nichts weiter verraten, denn der Film lebt wesentlich von Überraschungsmomenten. Ab 22. September wird er in Deutschland in den Kinos sein. Clever inszeniert, sehr gut fotografiert, lebt der Film insbesondere von den schauspielerischen Leistungen. Bekannte Namen dominieren das Ensemble: Hannah Herzsprung, Angela Winkler, Lars Eidinger, Stipe Erceg. Herzsprung, die schon mehrfach hoffte, dass einer ihrer Filme in Locarno laufen würde, aber bisher immer enttäuscht wurde, zeigt deutlich ihre Freude, dass es diesmal geklappt hat. Unprätentiös, weltgewandt und absolut sympathisch präsentiert sie den Film zusammen mit dem Regisseur, der auch am Drehbuch mitgearbeitet hat, in Locarno. Die 29-jährige, die 2006 mit „Vier Minuten“ nachhaltig Eindruck machte und seitdem eine beachtliche Figur nach der anderen gestaltet hat, erobert Zuschauer und Kritiker mit ihrer gewinnenden Art im Handumdrehen. Nichts da von Allüren. Eine hinreißende Frau! Im Film exzellent spielend, leistet sie nun in Locarno auch perfekte Arbeit für die Werbung. Im internationalen Wettbewerb lief von den mit deutscher Beteiligung realisierten Filmen bisher erst „Un amour de jeunesse“ (Eine Jugendliebe), eine französisch-deutsche Koproduktion von Regisseurin Mia Hansen-Løve. Es geht um Banales: erstes Verliebt-Sein, Sich-Verlieren. Sich-Wiederfinden – und nie lacht das Glück dabei unbeschwert. Der Erzählstil ist überaus verhalten, Reflexionen, die über das Erzählte hinausweisen, gibt es kaum, „lau“ ist vielleicht das entscheidende Stichwort. Auffallend: Sebastian Urzendowsky. Der junge Schauspieler aus Berlin nutzt die Chance, sich in einer internationalen Produktion als kluger Charakterdarsteller auszuweisen, der nicht den gewaltigen Auftritt braucht, sondern mit sparsamen Mitteln viel erreicht. Zuletzt, erst vor ein paar Wochen, in einer kleinen Rolle in „The Way Back“ von Peter Weir aufgefallen, zeigt er hier auf internationalem Parkett sein Format. Da x Produzenten auch auf diesem Festival Augen und Ohren nach Könnern aufhalten, könnte es gut sein, dass er hier am Lago Maggiore Offerten für nächste Projekte erhält. Zu wünschen wäre es dem Talentbündel – und dem deutschen Film, damit der vielleicht auch mal in Deutschland selbst, den guten Ruf hat, den er in der Welt genießt.
© Peter Claus
Bild: Hell, @ Paramount
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