Pardo d’oro (Golden Leopard), HAN JIA (Winter Vacation) by LI Hongqi, China (© Festival del film Locarno / Daulte)


Locarno, 15. August 2010:

Ausgerechnet zum Finale hat das Wetter nicht mitgespielt. Aber der Regen ist auch der einzige Störfaktor zum Abschluss des 63. Internationalen Filmfestivals von Locarno. So klug das Programm war, so klug hat die Jury entschieden. Was nicht selbstverständlich ist.

Hier die wichtigsten Preise: Der Goldene Leopard, der Hauptpreis des „Concorso Internazionale“, ging an den chinesischen Spielfilm „Han Jia“ (Winterferien) von Regisseur Li Hongqi. Der Film erhielt auch den Preis der FIPRESCI, der internationalen Vereinigung der Filmkritiker. Die französisch-rumänisch-ungarische Produktion „Morgen“ von Regisseur Maria Crisan erhielt den „Spezialpreis der Jury für den zweitbesten Film“. „Curling“ aus Kanada bescherte Denis Côté die Auszeichnung als bester Regisseur. Sein Hauptdarsteller Emmanuel Bilodeau wurde bester Schauspieler. Als beste Schauspielerin wurde Jasna Duricic gekürt. Sie brilliert in der deutsch-serbisch-schwedischen Gemeinschaftsproduktion „Beli beli svet“ (White White World) des Serben Oleg Novkovic. Die deutsch-ungarisch-französische Produktion „Womb“ von Regisseur Benedek Fliegauf bekam, wohl für das originelle Nachdenken über moralische Werte, den „Preis für Umwelt und Lebensqualität“. Den Publikumspreis für einen der außerhalb des Wettbewerbs bei den abendlichen Freiluftaufführungen auf der Piazza Grande gezeigten Filme bekam die israelisch-deutsch-französische Produktion „The Human Resources Manager“ von Regisseur Eran Riklis.

Die Auszeichnungen bestätigen das Konzept des künstlerischen Leiters Olivier Père, dem vor allem Anspruchsvollen eine Tribüne zu bieten. Père hat bei der Filmauswahl nicht nach großen Namen geschielt, sondern nach großen Talenten gesucht, nach jungen Regisseurinnen und Regisseuren, die eine eigene Handschrift haben. Er hat nicht, was modisch ist, nach dem Exotischen aus der Ferne, sondern nach dem aus Europa Ausschau gehalten, und ist zu einem über Jahre schmählich vernachlässigten Locarno-Markenzeichen zurückgekehrt – Olivier Père hat endlich wieder einmal eine filmhistorisch interessante Retrospektive angeboten, gewidmet dem Werk des vor mehr als einem halben Jahrhundert verstorbenen Regisseurs Ernst Lubitsch, einem Meister der hintersinnigen Komödie. Das Festivalpublikum hat es mit einem Ansturm auf die Kinos gedankt. Ob abendliche Freiluftaufführung für etwa achttausend Zuschauer auf der Piazza Grande, morgendliche Präsentation des Internationalen Wettbewerbs, Retrospektive oder Sonderprogramme – freie Plätze waren rar.

Der 39-jährige Père, von 2004 bis 2005 auf verantwortlichem Posten des Festivals von Cannes, hat es gleich mit der ersten von ihm verantworteten Ausgabe des Festivals von Locarno geschafft, diesem neben den drei anderen wichtigen europäischen Kino-Schaufenstern – Berlin, Cannes, Venedig – eine wirklich wichtig Position zu sichern: als Schauplatz der Entdeckungen von intelligenten Filmen, die nicht geschwätzig sind, sondern die auf die Kraft der Bilder vertrauen, auf exzellente Schauspieler, auf starke Geschichte, in denen im Mittelpunkt steht, was das Publikum seit der Erfindung des Kinos am meisten fasziniert – Menschen in all ihrer Schönheit und mit ihren Schattenseiten im Spannungsfeld von persönlichem Glücksanspruch und gesellschaftlichen Zwängen.

Die Jury hat dem mit der Vergabe der Leoparden und der anderen Preise Rechnung getragen. Nicht das Schrille, das Leise gewann Leoparden-Ehre in Locarno. Stellvertretend sei noch einmal auf den Gewinner des Goldenen Leopard verwiesen: Der Hauptpreis ging an den chinesischen Film „Winterferien“, ein hintergründig-gesellschaftskritisches Panorama über den Alltag Halbwüchsiger innerhalb und außerhalb der Schule. Damit wurde auch das Festival-Konzept der Förderung junger Talente ausgezeichnet: Das Drehbuch zum Film hat im Vorjahr in Locarno eine Förderung gewonnen, und der Film konnte mit dem Preisgeld realisiert werden. Locarnos Ziel, über die zehn Festivaltage hinaus zu wirken, wurde also erreicht. Für Olivier Pére sicher noch ein Anstoß, den eingeschlagenen Kurs beizubehalten. Zu Recht.

Text: Peter Claus


Die Preisträger des 63. Filmfestivals Locarno (eine Auswahl)

Internationaler Wettbewerb:

Goldener Leopard für den besten Film: Han Jia (Winterferien) von Li Honqi, China

Silberner Leopard für den zweitbesten Film: Morgen von Marian Crisan, Frankreich/Rumänien/Ungarn

Leopard für die beste Regie: Denis Côté für Curling, Kanada

Leopard für die beste Schauspielerin: Jasna Duricic für Beli Beli Svet (White White World), Serbien/Deutschland/Schweden

Leopard für den besten Schauspieler: Emmanuel Bilodeau für Curling, Kanada

Wettbewerb Cinesati di Presente:

Goldener Leopard für den besten Film: Paraboles von Emmanuelle Demoris, Frankreich

Besondere Erwähnung: Ivory Tower von Adam Traynor, Kanada/Frankreich

Erstlingfilm:

Leopard für den besten Erstlingsfilm: Foreign Parts von Verena Paravel und JP Sniadecki, USA/Frankreich

Besondere Erwähnung: Aardvark von Kitao Sakurai, USA/Argentinien

Wettbewerb Pardi di domani:

Goldener Pardino für den besten internationalen Kurzfilm: von Gabriel Abrantes und Daniel Schmidt, Portugal

Silberner Pardino für den zweitbesten internationalen Kurzfilm: Diarchia von Ferinando Cito Filomarino, Italien

Goldener Pardino für den besten Schweizer Kurzfilm: Kwa Heri Mandima (Good Bye Mandima) von Robert-Jan Lacombe

Silberner Pardino für den zweitbesten Schweizer Kurzfilm: Yuri Lennon’s Landing on Alpha 46 von Anthony Vouardoux, Schweiz/Deutschland

Weitere Preise:

Publikumspreis für den besten Film aus der Piazza Grande: The Human Ressources Manager von Erik Riklis, Israel/Deutschland/Frankreich

Variety Piazza Grande Award: Rare Exports: A Christmas Tale von Jalmari Helander, Finnland/Norwegen/Frankreich/Schweden

Preis der ökumenischen Jury: Morgen von Marian Crisan, Frankreich/Rumänien/Ungarn