Vom Traum und von der Ideologie des geradeaus gehenden Männerkörpers
Eigentlich mochte ich Muskelprotze nicht. Ich mochte lieber die Errol Flynn- und Tyronne Power-Linie der männlichen Körperbilder. Bis zu dem Tag in einer schmutzigen kleinen italienischen Provinzstadt, wo man am Abend in ein Freiluftkino gehen konnte, was ungefähr das billigste Vergnügen in der Stadt war. Im Zuschauerraum saßen lauter lungenkranke Tyronne Powers und Männer, die wie Errol Flynn lächelten. Nur ohne Zähne. Und die Frauen waren schwarz gekleidet und tendierten zur Korpulenz. Auf der Leinwand kämpfte jemand, der aussah wie ein dauernd über sich selbst erstauntes Riesenbaby, mit Ketten und Säulen und Elefanten und ganzen Heerscharen von römischen Legionären. Er hieß Reg Park oder Gordon Mitchell oder Steve Reeves und ließ sich von schlanken Frauen in wallenden Chiffonkleidern nicht bezirzen, sondern rettete die andere Frau, die ganz einfach und in weiß gekleidet war und wunder was mitgemacht hatte. Im Anschluss jedenfalls ging eine antike Stadt unter gewaltigem Getöse unter. Seitdem habe ich ein gewisses Verständnis für Muskelprotze.
Sie wurden übrigens verdrängt von hageren, schmuddeligen, stoppelbärtigen Männern mit Ponchos und Zigarren, die sich nicht einmal mehr über sich selber wunderten. Sie behaupteten, im Westen Amerikas zu sein, aber in Wirklichkeit waren sie auf den Wiesen hinter Cinecittá, wo man sah, dass die kaputten Industriebauten nur einen Kameraschwenk entfernt waren. Die Männer im Zuschauerraum hatten dagegen jetzt Hemden an, und manchen sah man einen Besuch beim Zahnarzt an. Schon komisch. Je elender es uns zumute ist, desto prächtiger geht es auf der Leinwand zu, und kaum geht es uns ein bisschen besser und wir haben eine Waschmaschine, gibt es auf der Leinwand nur noch Dreck und Helden, die vielleicht einmal ein notwendiges Bad genommen hätten, wenn sie vor lauter Leutetotschießen dazu gekommen wären.
Die Muskelprotze kamen aus Body-Builder-Studios in Amerika und waren neben dem Kino auch in Anzeigen in den Comics zu besichtigen, wo sie geheimnisvolle Geräte wie „Bullworker“ oder irgendwelche Muskel aufbauenden Getränke anpriesen. Es ging ihnen verdammt gut. Warum, das zeigte meistens eine kleine Bildergeschichte. Da ging ein schmächtiger Junge über einen Strand voller Mädchen in Bikinis, die furchtbar über seinen Waschbrettbauch lachen mussten. Deshalb ging unser Held in ein Body-Builder-Studio, kaufte sich Bullworker und Aufbaugetränk, und als er wieder zum Strand kam, wollten alle Bikini-Mädchen seine Muskeln befühlen. Dreißig Jahre später erklärte ein etwas in die Jahre gekommener Muskelprotz namens Arnold Schwarzenegger in einem SPIEGEL-Interview, wie seine Karriere beschleunigt wurde, weil zu seiner Zeit gerade die Männer Angst vor den starken Frauen bekamen.
Arnold Schwarzenegger ging den umgekehrten Weg. Aus Europas tiefster Provinz nach Kalifornien. Seine Muskeln stammten aus einem Body-Building-Studio in Graz. Aber man sah ihnen an, dass er auch noch ein paar Kilometer den Berg hinauf und hinunter laufen musste, von der heimischen Alpe, bevor er sich mit dem Bullworker beschäftigte. Später, als der Schwarzenegger-Mythos schon nicht mehr so einfach nur vom graden Weg von Graz nach Hollywood handelte, erfuhren wir auch von seinem Nazi-Polizisten-Vater, und da war er dann nicht nur eine Metapher des Kapitals und des Körpers, sondern auch eine der Geschichte und der Seele, und wenn wir wollten, konnten wir im gezielten Geradeausgehen auch eine Flucht sehen, und der Terminator bekam noch eine weitere Tiefendimension. In einer Zeit, als Gordon Mitchell nur noch verrückte Diktatoren in noch verrückteren Uniformen spielen durfte, besetzte Arnold Schwarzenegger die Werbeseiten in den Spiderman-Comics. Er hatte bald seine eigenen Body-Building-Studios. Er nutzte jede Gelegenheit, sein Bild in die Öffentlichkeit zu bringen. Er trat in bizarren kleinen Filmen auf, in denen er wirkte, wie wenn ihn jemand auf eine Party eingeladen hatte, die sowieso schon langweilig genug zu werden versprach. Er grinste nur und war jung und stark und doch viel cleverer als die Muskelprotze, die drüben in Italien Felsbrocken gestemmt und Elefanten umgehauen hatten.
Es war mehr als ein Muskelpaket, was auf eine Rolle wartete. Es war ein Bild von Erfolg, man musste nichts als den Willen und seinen Körper mitbringen, um es hier zu schaffen. Auch am Ende der siebziger Jahren mit ihren Schlaghosen und Afro-Frisuren und Brady-Familien. Und erst recht in den dunklen achtziger Jahren. Arnold Schwarzenegger war die neueste Ausgabe des „Fremden“ in der amerikanischen popular culture, aber eben kein transylvanischer Dekadent mehr und kein latin lover, keiner, der zurückblickte, sondern in die Zukunft, in der sich noch einmal der männliche weiße Müll des Spätkapitalismus am Riemen reißen würde und das Letzte bearbeitete, was ihm geblieben war, den eigenen Körper. Ein Mann ohne Frau, wie es jeder Action-Held sein muss, war Schwarzenegger nicht auf die tragische Art wie der Westerner, er war der Mann, der sich selber geschaffen hatte und sich selber genug war, se män hu wörks alohn, wie er später in „Eraser“ betonen sollte. Und wie sich dieser selbst geschaffene Mensch zurück in den Barbaren und vorwärts in eine Maschine verwandelte, davon handelten alle guten und erfolgreichen Schwarzenegger-Filme.
Arnold Schwarzenegger war so definitiv Achtziger-Jahre wie Punk. In seinem Grinsen steckte von Anfang an etwas Gemeines. So wurde Arnold Schwarzenegger Conan, der wiedergekehrte Barbar, der Fremde, der uns an die Einfachheit der Welt erinnerte, als sie schon vollends unübersichtlich zu werden drohte. Der erste Regisseur, der einen richtigen Schwarzenegger-Film drehte, John Milius, nannte sich selbst einen Zen-Faschisten. Die alten Muskelprotze waren von Kindern geträumt, von schmutzigen, sehnsüchtigen und ängstlichen kleinen Jungs, von denen sich manche in alten, verbrauchten Männerkörpern versteckten. Schwarzenegger versprach von Anfang an mehr. Anders als die Macistes und Herkulesse und Ursusse hatte er sehr wohl verstanden, was er war: eine Rekonstruktion des Männerkörpers als Panzer gegen sichtbare und unsichtbare Gefahren, die ihren technischen Anteil nicht verbarg. Postmodern war er, als hätte er schon all die französischen Modephilsophen gelesen, zugleich das genießende Subjekt, das Bild der Rache und sein eigener Manager. Und andrerseits: Maciste und Django in einer Person. So wie wir ja auch, als Arnold Schwarzenegger zum Superstar wurde, nicht mehr wussten, ob wir im Elend oder im Reichtum lebten. Grimmig und nicht notwendig auf der Seite der Guten war er. Jedenfalls immer zuerst einmal auf der eigenen Seite. Nicht der Kerl, der sich in aller Unschuld am Strand die Muskeln von den Bikini-Mädchen befühlen lässt, sondern einer der schon immer gewusst hat, was man von den Weibern halten soll. Eher Rache als Triumph.
Die Zuschauer in den Arnold Schwarzenegger-Filmen sahen aus, als hätten sie ein paar Dosen Bier zu viel in ihrem Leben geleert, aber natürlich gab es auch einige, die wirklich in Fitness-Studios gingen. Aber mit einem Bierbauch war man näher an Schwarzenegger als an Bruce Lee. Der war möglicherweise ein echter Ghetto-Held, wenn es so etwas gibt. Arnold Schwarzenegger hingegen war in Wahrheit ein Mittelschicht-Held. Ein Held für Schuhverkäufer und BWL-Studenten. Er war dabei so zielstrebig, dass er schließlich sogar die philosophische Mitte dieser Klasse erreichte, in den „Terminator“-Filmen behandelte er sämtliche Formen von Paranoia, die das Kleinbürgertum dieser Jahre um trieben: die kaputte Familie, die bewaffnete Frau, die Authentizitätsfalle, den Verlust der Geschichte, die Maschinenwelt und so weiter. Kein Wunder, dass die Modephilosophen ein paar Jahre später über solche Filme nachdachten, als eigneten sie sich dafür tausendmal besser als die Wirklichkeit.
Der Körper war nicht genug. Arnold Schwarzenegger war nicht der nackte Barbar, er behängte sich, anders als seine Vorläufer, die immer so etwas merkwürdig weiches an sich hatten, mit unendlich vielen phallischen Zeichen, lief herum wie ein wandelnde Waffenkammer. Seine Schwerter und Wummen und anderen Vernichtungsmaschinen waren mindestens so überdimensional wie seine Muskeln. Schwarzenegger und seine Dinge, das war die Liebesgeschichte, die seine Filme erzählten.
Arnie war der Mann der Zukunft, die ziemlich schwarz ausfallen würde, eigentlich immer ein Fremder unter Fremden, eine Maschine, die Mensch werden wollte, ein Running Man, der das System von Opfern und Tätern umdrehte. Der Muskelprotz trat aus der romantischen Konzeption des Helden heraus und damit aus einem ewigen Reich der Kindheit. Schwarzenegger war Anti-Spielberg, Anti-Peter Pan. Er war eine kleinbürgerliche Idee vom Proletariat in einer Welt, in der es kein Proletariat mehr gab. In einer Welt ohne Arbeit musste sich der Männerkörper etwas anderes suchen. Er inszenierte sich in einem Kampf, in dem immer aus dem Spiel ernst wurde. Er war einfach klasse, wo es darum ging, einen Mann darzustellen, der ins Fundamentale regrediert, und fremd bleibt. Als russischer Polizist in den USA in Walter Hills „Red Heat“. Als Soldat im Kampf gegen ein Jäger-Monster in „Predator“. Und natürlich als Kampfroboter in „Terminator“. Das eingebaute Drama dieses Männerkörperpanzers war es, dass er immer wieder auch die umgekehrte Richtung nehmen musste, die Maschine oder den Traum darstellen, der zum Mensch werden will. Das große Selbstopfer, mit dem man das in „Terminator 2″ bewerkstelligte, konnte nicht beliebig wiederholt werden. Wenn man die Sache etwas sophisticated anging, wie in „The Last Action Hero“ versagten die Fans die Gefolgschaft. Und von den Schwarzenegger-Komödien funktionierte eigentlich nur „Twins“, weil sie auch ein biographischer Witz war (und weil Dany de Vito so gut ist). Trotzdem musste Schwarzenegger Versuch um Versuch unternehmen, das Gerade zu behalten und das Maschinelle zu verlieren. Weil die achtziger Jahre vorbei sind. Weil er in Würde altern wollte. Und weil die Idee Schwarzenegger früher oder später Politik werden muss. Über der Frage, wie viel Showbusiness die Politik enthält, wird leicht diejenige danach vergessen, wie viel Politik das Showbusiness enthält. Schwarzenegger-Filme jedenfalls waren von Anfang an ein meta-politisches Programm, und unabhängig davon, dass es so etwas wie eine klammheimliche Liebesgeschichte zwischen der Linken und diesem so diskurs-vollen Muskelkörper gibt, ist die Ideologie, die der Schwarzenegger-Traum emaniert eine rechte. Keine Ronald Reagan-Rechte vielleicht, und gewiss längst keine „extreme“ mehr. Schwarzeneggers frühe Filme waren, wenn man sie ideologisch ernst nahm, nicht nur eine Abwehrbewegung des weißen Mittelstandsmannes gegen alles, was ihn bedrohte, sondern auch eine Abwehr gegenüber „dem Neuen“ schlechthin (weshalb auch seine Science Fiction-Filme wie „Running Man“ oder „Total Recall“ vor allem Anti-Zukunfts-Filme sind) und zugleich das Verbot des Zurückschauens. Arnie kämpfte, glücklicherweise nicht immer siegreich, gegen die Krankheit des Bewusstseins.
In den „Terminator“-Filmen konnte das Kino-geschulte Auge ziemlich schnell sehen, dass da etwas anderes war als nur der nächste Arnold Schwarzenegger-Actionfilm. Es war das religiöse Gleichnis am Beginn des Maschinenzeitalters, und das Selbstopfer am Ende von T2 war so anrührend wie die Abschiedsszene von „Casablanca“. Aber danach war auch etwas geschehen mit dieser Figur, das nicht rückgängig gemacht werden konnte. In „Terminator 2″ war Arnold Schwarzenegger einen schönen Tod gestorben, und alles was danach kam, waren post mortem-Effekte. Ein Abbild, das Mensch werden will in „The Last Action Hero“, ein Bodyguard in „Eraser“ im Einsatz gegen merkwürdig irreale Terroristen, Körper gegen Computer, und wie ein Gespenst der vergangenheit in „True Lies“. Sein Mister Freeze in „Batman und Robin“ hätte noch eine weitere Studie über diesen Helden zwischen Erstarrung und Menschlichkeit werden können, aber das war ein Film, der seine Hauptfiguren so wenig verstand wie seine heavies.
Natürlich ist es für den fremden Maschinen-Mann sehr viel schwieriger in Würde zu altern wie, sagen wir für den heimatlosen Amerikaner Clint Eastwood. Das Spiel mit den menschlichen Schwächen dieses Helden konnte einem schnell auf die Nerven gehen; es wird einem in „End of Days“ erst einmal um die Ohren gehauen: Erste Arnie-Szene: Er setzt sich eine Pistole an den Mund. Schon in dieser Szene hat er sich um den Großteil seiner Glaubwürdigkeit gebracht, denn wir wissen nur zu gut, dass einer wie Arnie sich nicht selbst umbringt. Nicht einmal wenn der Neoliberalismus endgültig abgewirtschaftet hätte! So hat er sich schon in der eigenen Authentizitätsfalle gefangen. Der Rest ist nur ein kraftloses Echo der „Terminator“-Phantasie vom Kampf des Mannes mit der reinen Form gegen ein Böses der Gestaltlosigkeit (völlig ratlos ist Hyams‘ Film, wo das Böse nicht gemein sondern verführerisch daherkommt). Und ein kraftloses Spiel im neo-religiösen Horror der Millenniumsproduktion aus Hollywood. Auch hier muss sich Schwarzenegger, der sich mit einem Tagesbart und einer Falte auf der Stirn vermenschlichte, am Ende selbst opfern. Nun aber weiß niemand mehr genau warum. Denn der Teufel hat ja insofern recht in diesem Film, als es wirklich Zeit wäre, das Management der Welt zu verändern. Außer dass er nicht anders als geradeaus gehen kann, hat Schwarzenegger dieser Erkenntnis nichts entgegenzusetzen. Deshalb erzählt „Terminator 2″ von der Apotheose des Traums, und „End of Days“ vom ideologischen Tod der Figur. Sie tötet sich in dem Augenblick als sie vom Geist der Veränderung ergriffen wird. Während Arnie zum Teufel geht, ist der Traum vom Geradeausgehen endgültig ausgeträumt. Die Zukunft findet, wenn überhaupt, ohne ihn statt.
Georg Seesslen
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