Tom Tykwer im Gespräch mit Daniela Kloock
Worin besteht die Faszinationskraft des Kinos? und damit: worin liegt seine Zukunft?
Letztlich ist es doch so, wir sehnen uns im Kino vor allem anderen nach einer bestimmten narrativen Kraft. Nach einer bestimmten Form von Auseinandersetzung, die oszilliert zwischen Überwältigungsstrategie und Aufforderung zum Tanz. Und das ist das, was ich im Kino suche, als Zuschauer. Und das ändert sich nicht dadurch, dass das Bild digitalisiert wird. Ich will narrative Kontexte entschlüsseln, ich will von narrativen Konzepten beeindruckt werden oder inspiriert werden.
Ich rede jetzt natürlich von dem Kino, das sich als narrativ versteht. Es gibt ja auch den Experimentalfilm, doch das ist etwas ganz anderes. Da hat man sicher auch neue Möglichkeiten, im technischen Sinne…obwohl, wenn man sich die neusten Experimentalfilme so anguckt kann ich jetzt auch nicht sagen, dass die sich in ihren Phantasiewelten so maximal unterscheiden würden von irgendetwas vor 50 Jahren. Auch da gilt: Film ist eine Aneinanderreihung von hintereinander gehängten Bildern… die liegen auch im Experimentalfilm nicht übereinander, sondern sie liegen immer hintereinander…
Und diese Geschichten, die jetzt aus der Computerspieleästhetik kommen, wie beurteilen Sie dies?
Auch die Computerspiele sind Teil unseres Lebens. Und so werden diese auch Teil unseres Kinos werden. Weil das Kino soll das Leben – nein (lacht) das Leben soll das Kino durchdringen… Wenn Computerspiele das tun, dann ist das schön. Im übrigen ist das auch ein Teil von Lola rennt. Aber es hat sich für mich dadurch nichts an der strukturellen Form von Film geändert. Lola rennt ist ein Film wie jeder andere auch… auch ohne Computer- oder Videospiele gab es Filme, die wieder von vorne anfingen. Es gibt beispielsweise den berühmten Film von Kieslowski, der dreimal von vorne anfängt. Und Kieslowski wusste bestimmt noch gar nichts von Videospielen… also ist so eine Idee unabhängig davon. Natürlich, sicher werden Filme heute teilbefruchtet von solchen Einflüssen, aber man darf das alles nicht unter- aber auch nicht überwerten. – Der entscheidende Gedanke ist doch: das Leben soll Platz finden im Kino. Dann ist das Kino relevant. Und wenn das Leben immer digitaler wird, dann wird das Kino es eben auch werden.
Gibt es Ihrer Meinung nach ästhetische Unterschiede zwischen analogen und digitalen Bildern, und wenn ja worin bestehen diese?
Bestimmte Oberflächenbearbeitungen sind bereits jetzt soweit gediehen, dass man das digitale Bild schon relativ nah heranbringen kann an den Effekt, den das analoge Bild auf den Zuschauer hat. Ich sehe jedoch noch nicht die Gleichheit, ich sehe immer noch starke Differenzen in der Wirkung.
Wie würden Sie diese benennen?
Das ist ganz schwer zu benennen. Das hat etwas mit einer bestimmten elektronischen Obertfläche zu tun, die man noch spürt. Was ich allerdings nicht so besonders problematisch finde, weil ich weiß, dass wird irgendwann auch bearbeitbar sein. Dann wird es soweit sein, dass man das analoge Gefühl eines Filmes komplett digital imitieren kann. Auf dem Weg ist man ja schon…
Trotzdem, worin liegt Ihrer Meinung nach der Unterschied?
Ich erkenne eindeutig, dass es da einen Träger gibt, dem die schwarzen Felder 24 mal zwischen den belichteten Feldern fehlen. Und ich vermisse diese dann… Ich vermisse eine Art von mysteriösem Zwischenraum. – So etwas wie einen interpretatorischen Raum, den man sich sucht, und weshalb man noch einen Unterschied spürt.
Dann geht doch etwas verloren, oder?
Der Übergang wird irgendwann nicht mehr zu verhindern sein, alleine schon aus Kostengründen. Aus Kostengründen wird es uns abverlangt, digital zu produzieren. Aber das wird ein Übergang sein, den ich auch nicht viel stärker bewerte als zum Beispiel den Abschied damals von Technikcolor. Was auch eine extrem starke Umstellung in der Ästhetik bedeut hat. Diese Kopien, wie man sie im Kino gesehen hat, das war auch ein massiver Unterschied. Aber das war auch damals ein dermaßen substantieller Kostenfaktor, dass man damit leben musste… Der normale Zuschauer sagen wir mal, der hat sich auch sofort daran gewöhnt. Den Unterschied verstehen die meisten Menschen sowieso nur, wenn überhaupt, unbewusst… Intuitiv spürt man, dass es da Verschiebungen gibt in der Intensität eines Bildes.
Darüber wird jedoch kaum geredet…
Die Stärken oder die Möglichkeiten, die sich durch die digitale Bildbearbeitung eröffnen, sind so fantastisch, dass sich das eigentlich gegenseitig aufwiegt. Was toll ist, man kann die Bilder jetzt sehr akkurat in eine ästhetische Linie bringen. Früher bei chemischen Prozessen konnte es sein, dass man ein orangefarbenes Bild nicht mehr richtig „hochgekriegt“ hat, das blieb dann orange. So etwas ist heute vorbei.
Geht mit diesem größeren Maß an Kontrolle nicht auch etwas verloren?
Dass man die technischen Möglichkeiten so kontrollierbar wie möglich macht ändert doch nichts daran, dass man immer von der Willkür der Inspiration abhängt. Und ob man inspiriert ist oder nicht, kann man manchmal gar nicht beeinflussen. Das hängt vom Wetter ab, davon wie man morgens aufgestanden ist, oder ob man grad ne Beziehungskrise hat oder so… das hat doch alles viel größeren Einfluss, denn der Mensch macht doch den Film. – Die Kunst kommt doch vom Denken, die Kunst kommt nicht davon, ob eine Technik sich verändert. Nicht wirklich, nein, eigentlich gar nicht!
Technik spielt also eine völlig untergeordnete Rolle?
Eine Kunst ist immer nur ein guter Gedanke. Das ist das, was mich interessiert. Und wenn der sich entsprechend anders umsetzen lässt, ist das eine schöne Herausforderung an den Gedanken, aber es ändert ihn nicht in seiner Substanz. Höchstens natürlich in seinen ästhetischen Kategorien.
Werden die Bilder flexibler, körperlicher?
Nein. Die Kamerasysteme haben sich insgesamt verbessert, flexibilisiert, aber das hat nichts mit Digitalität zu tun.
Verändern sich Erzählformen dadurch, dass man in der Postproduktion anders mit den Bildern umgeht? Gibt es neue narrative Strukturen? Hat also die Rede vom sogenannten post-klassischen Film Ihrer Meinung nach eine Berechtigung?
Man kann da schon Einflüsse sehen. Zum Beispiel durch die Einführung des Avid Schnittsystems. Logisch hat das einen Einfluss auf die Art wie Filme geschnitten werden. Insofern als man schneller unterschiedliche Möglichkeiten überprüfen kann und entsprechend aus einer größeren Auswahl von Ideen zu Entscheidungen kommt. Was aber übrigens nicht dazu geführt hat, dass der Prozeß sich ökonomisiert hat, sondern in der Regel werden Filme jetzt über einen noch längeren Zeitraum hin geschnitten. Und das, obwohl die beiden Enden einer Szene zusammenzubringen ungefähr hundert mal schneller geworden ist als früher… das ist heute ja nur noch ein Mausklick. Früher musste man das Material erst suchen, dann rausholen, in den Tisch legen, Klebestreifen drauf, zusammenpappen (lacht) und dann angucken. Heute geht das rasend schnell. Dafür kann man dann 50 andere Versionen ausprobieren.
Für mich ist das ein großer Zugewinn, weil am Ende sitzen da mehrere Personen, die künstlerische Entscheidungen treffen. – Das wichtigste beim filmen ist ja, dass man irgendwann anfangen muß Entscheidungen zu treffen. Denn irgendwann muß der Film fertig werden…
Sind diese Entscheidungsprozesse dialogischer geworden?
Ja, und das ist etwas, was mir an der digitalen Bildbearbeitung gefällt. Dass man an hand des belichteten Bildes mehr kommuniziert. Das heißt, wenn eine Cutterin eine bestimmte Schnittgeschwindigkeit hat, also eine bestimmte Fertigkeit im Umgang mit der digitalen Bearbeitung, dann kann man tatsächlich während man redet schon die Ergebnisse dessen, worüber man redet sehen… kann vergleichend am Bild entlang eine Diskussion führen. Und nicht eine Diskussion führen, dann gucken, dann wieder nachdiskutieren, dann wieder gucken… also dieser Prozeß hat sich parallelisiert. Was mir sehr hilft, weil ich das mag „in“ den Bildern zu denken, mich wirklich „in“ den Bildern drin zu befinden, während ich darüber nachdenke.
Das klingt gut…
Ich fühle mich dem Bild durch diese Techniken verpflichteter, denn sie haben eine größere Präsenz. Die Bilder haben im Arbeitsprozeß einen größeren Gegenwartsraum.
Dann hat sich doch etwas ganz Entscheidendes verschoben, oder? Es hört sich jetzt so an…
Früher war es so, man redet viel und dann wartet man lang, und wenn einem das Ergebnis nicht gefällt, muß man wieder eine Weile reden usw. Jetzt sieht man sofort Endergebnisse, das Spielfeld ist dadurch flexibler, dadurch entsteht für mich wie gesagt ein neuer Denkraum, eine Art Ping Pong zwischen dem Cutter, dem Regisseur und dem Schneidetisch, sozusagen im Dreieck hin und her, und das macht Spaß!
Herr Tykwer vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Gespräch mit Tom Tykwer führte Daniela Kloock.
Bild: German movie director Tom Tykwer; Arrival for the press conference for the movie „The International“ at the Hyatt Hotel Berlin, 05.02.2009, © Tom Tykwer
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