Talking About Trees (Regie: Suhaib Gasmelbari)
„Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viel Untaten einschließt.“ Diese Brecht-Zeilen werden von einem der vier Männer zitiert, die im Mittelpunkt dieses Filmes stehen. Ibrahim, Suleiman, Manar und Altayeb sind Regisseure aus der Zeit, als es im Sudan noch eine Filmproduktion und eine blühende Filmkultur gab. Einige von ihnen studierten in den 1970er Jahren an der berühmten Moskauer Filmhochschule WGIG, in Potsdam-Babelsberg oder emigrierten nach Kanada, bevor sie in ihre Heimat zurückkehrten. Doch nach dem Militärputsch von 1989 und dem Machtantritt von Omar al-Baschir war Schluß. Kinos wurden geschlossen und Filmemacher bedroht. Gefängnis, Folter, Berufsverbot haben die vier Regisseure erfahren. Von ihrer Vergangenheit, aber auch von ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft sprechen sie, wenn sie abends beieinandersitzen und die Bonmots und Einfälle nur so hin- und herfliegen. Eine bewundernswerte Lebensfreude strahlen sie aus. Nie scheinen sie die Hoffnung aufgegeben zu haben, dass irgendwann wieder ein „normales“ Leben möglich ist, in dem Kunst und Denken frei sein können.
Der „Sudanese Film Club“ ist ihre Idee und ihre Passion. Sie restaurieren alte Filme und fahren mit einem klapprigen Bus durchs Land, um Kino vor Ort zu machen. Auf staubigen Plätzen bauen sie einen Projektor auf und zeigen vor kleinem Publikum z.B. Chaplins „Modern Times“. Ihr Ziel ist u.a. auch, dass alte Revolutions-Cinema wieder herzustellen, ein großes verfallenes Open-Air-Kino. Der neue Besitzer scheint einer Zwischennutzung nicht abgeneigt, und so wird die Leinwand mit Besen gereinigt, die Stühle wieder aufgestellt. Klar ist jedoch, dass irgendwann chinesische Investoren dort eine shopping-mall bauen werden. Aber wer weiß, wann das passiert.
Auf jeden Fall darf schon einmal ein hereingeführtes Kamel das Ganze betrachten. Es zeigt sich äußerst interessiert! Doch die Genehmigung von ganz oben wird letztendlich nicht erteilt, die Regierung verweigert die nötigen Stempel zur Inbetriebnahme. Das kulturelle Leben im Sudan, es scheint noch keine Chance zu bekommen.
Ein kleiner Trost für die vier charismatischen Freunde dürften die zwei Preise sein, die der Film erhalten hat: der Panorama Publikums Preis und der Glashütte Original-Preis der Berlinale für den besten Dokumentarfilm. Suhaib Gasmelbari widmet sie dem sudanesischen Volk, welches seit Wochen erneut für Freiheit und mehr Gerechtigkeit, aber auch gegen die Erhöhung der Brot- und Ölpreise demonstriert.
Daniela Kloock
Bild ganz oben: Talking About Trees |Agat Films & Cie
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Searching Eva (Regie: Pia Hellenthal)
Der Film trägt seinen Titel zu Recht. Doch wer ist diese Frau? Und was kann man überhaupt glauben von dem, was da gezeigt wird?
Eva Collé, den Namen hat sie sich selbst gegeben, ist mit 14 Jahren von zu Hause weg, hatte heroinabhängige Eltern, wurde mehrfach vergewaltigt, nimmt bis heute Drogen, lebt aus zwei Koffern, überall und nirgends. Sie verdingt sich als Sexarbeiterin, ist aber auch Model, Musikerin, Genderaktivistin, Feministin und manische Bloggerin. Tabus sind ihr fremd, Privatsphäre eine altmodische Kategorie. Ihre freimütigen zuweilen pornografisch wirkenden Selfies posted sie seit mehr als 10 Jahren auf Instagram und Tumblr. Man sieht Eva mit Männern im Bett beim Geschlechtsverkehr, mit Frauen in der Badewanne koksend und knutschend, nackt auf der Toilette, mehr oder weniger bekleidet in freier Landschaft oder bei Modeaufnahmen in Paris. Eva veröffentlicht wie in einem Tagebuch online alles, was sie fühlt und denkt. Stimmungsabhängige Befindlichkeiten lösen sich mit feministischen Fragestellungen und dekonstruktivistischen Aufforderungen ab: Kreiere dich selbst! Erfinde dich immer wieder neu! Denn das, was man von sich zeigt, ist eh immer nur ein Teil. Und überhaupt, was ist „das Selbst“? Einmal sieht man Eva im Film durch eine Strasse tanzen, dabei trägt sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „Free of the bondage of self“.
Abertausende followers hat sie. Die geben ihre Kommentare ab, formulieren ihren Hass, ihre Ablehnung, aber auch ihre Bewunderung. In einer Art Zwischentitel werden diese Aussagen immer wieder eingeblendet. „I am afraid, you are an alien“, schreibt da jemand.
Über drei Jahre hat die Regisseurin Pia Hellenthal Eva begleitet. Dabei hat sie das erfahren, was wohl auch die Zuschauer fühlen: hier werden alle Grenzen aufgehoben, alle altgedienten Rollenbilder über den Haufen geschmissen, hier werden wir mit unseren eigenen Ängsten und Zwängen konfrontiert. Repräsentation ist immer Konstruktion, Identität eine Chimäre. Das ist die Botschaft. Die online Medien befeuern diese Auflösungen, und Eva Collé scheint uns zu zeigen, dass dieses Spiel Spaß macht. Sie erschafft sich selbst, immer wieder neu. Mann, Frau, Trans, nackt oder verkleidet, Wahres oder Erfundenes erzählen, egal!
Dass in Zeiten eines allumfassenden online-Lebens, Diversifikation und LGBT traditionelle Geschlechter- und Identitätspolitiken nicht mehr greifen, Bedeutungen und Kategorien nichts mehr fassen, und nicht mehr gelten, diese Provokation oder Verunsicherung leistet der Film zweifelsohne. Mich hat aber eher die Protagonistin selbst in Bann gezogen. Das liegt einerseits an ihrer unglaublichen Leinwandpräsenz, an der perfekten „Selbst“-Inszenierung ihrer posts, aber auch an ihrer schönen, ruhigen Stimme, denn ab und an spricht sie aus dem Off eigene Texte ein. Auch die Machart des Films fasziniert. Die Montage ist brilliant, Yana Höhnerbach mußte 110 Stunden Material bewältigen und hat ein veritables Kunststück vollbracht. Und die Kamera (Janis Mazuch) begleitet Eva quasi unauffällig in ihrem ganz normalen Alltag, bei der Wohnungs- bzw. Zimmersuche, im Schwimmbad, bei ihrem Vater in Italien Pasta kochend, dann wieder in ihrem Nacht- und Sexleben – alles dankenswerter Weise ohne Kommentare, ohne Interview-Einschübe. Der Film hat ungemein eindrückliche Sequenzen (die zuweilen an Pipilotti Rist erinnern, in ihren Tempi-Wechseln und in ihrer Untermalung durch Musik), stark sind aber vor allem die Bilder, die eher wie Standbilder, Fotografien oder Tableaux Vivantes funktionieren. Es verwundert also nicht, dass es im letzten Jahr bereits eine Fotoausstellung im Museum Winterthur, quasi in Vorbereitung zu dem Film, gab. Eine der eindrücklichsten und traurigsten Szenen zeigt Eva Collé vor einem nächtlichen Panoramafenster, im Hintergrund Trabantensiedlungen und die Detonationen und Illuminationen von Silvesterböllern.
Sie sitzt im schwarzen Negligé auf dem Boden, blickt, wie so oft, mit ihren ausdrucksstarken dunklen Augen in die Kamera, während eine lange Wunderkerze in ihrer Hand abbrennt. Dazu läuft der poetische und vieldeutige Song der Bee Gees: „I started a joke which started the whole world crying … ‚Till I finally died which started the whole world living …“
Da fallen Bild, score und Darstellerin in eins, welch seltenes Glück!
Daniela Kloock
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