Stupid White Men
Clint Eastwood, 73, ist mit „Mystic River“ auf der Höhe seiner Kunst
Dave erzählt seinem Sohn eine Gute-Nacht-Geschichte. Es ist die Geschichte
von dem Mann, der manchmal gar kein Mann war, sondern ein Junge, der den
Wölfen entkommen war im Wald. Es ist Daves Geschichte, doch er ist nicht
entkommen. Er stand vor 25 Jahren an der Straße, seine Freunde Sean und
Jimmy waren auch dabei, und stieg in ein Auto zu zwei Männern. Nach vier
Tagen war er ein anderer. Und bald wird er wieder in ein Auto zu steigen,
wieder zu zwei Männern. Er wird wieder zurückblicken durch die Scheiben und
er wird sich fragen, weshalb das Leben so ungerecht ist.
Clint Eastwood hat diesen Film nach Dennis Lehans Roman Spur den Wölfe
inszeniert, das Drehbuch schrieb Brian Helgeland, der Autor von L.A.
Confindential. Eastwood war einmal, als Western-Held und Brutalo-Cop, das
Sinnbild der Gewalt im Kino. Seit seinem wunderbaren Spätwestern Unforgiven
sieht es so aus, als bitte er mit seiner Kunst um Vergebung dafür. Einmal
steht der alte Eli Wallach einst der Mexikaner-Boss in den Glorreichen
Sieben und Partner auch von Eastwood , hinter einem Ladentisch und greift
nach seinem Geweht. Da dreht Laurence Fishburne den Lauf der Waffe mit einem
leicht angewiderten Gesicht zur Seite. Davon handelt dieser Film, von den
stupid white men, die das Gewehr, die individuelle Rache, noch immer für
eine Problemlösung halten.
Dave, der Junge der damals missbraucht wurde, Sean, der Polizist wurde und
Jimmy, der erst ein Krimineller war und dann einen Supermarkt übernahm, eine
Frau, drei Kinder. Während Jimmys jüngste Tochter Kommunion feiert, findet
die Polizei die Leiche seiner ältesten Tochter, Sean leitet die Ermittlungen.
Und Dave kommt in der Mordnacht nach Hause, blutbeschmiert und
erzählt wirre Geschichten.
Die Auflösung des Kriminalfalles ist eher beiläufig und erlöst niemandem.
Eastwood stellt, mit einem tiefen Ernst, der jede Einstellung prägt,
gleichsam das Alte Testament gegen das Neue, die Rache gegen die
Gerechtigkeit. Und schafft, in einer hoch konzentrierten Szenerie, eine
Atmosphäre, in der die Figuren verurteilt sind zur Hoffnungslosigkeit, da
sie sich den alten Konventionen unterwerfen. Das hat in seiner strengen
Zwangsläufigkeit beinahe etwas vom antiken Drama. Diese Stadt, Boston, ist
kalt, schmutzig und düster, bleich und ausgewaschen die Farben, so richtig
hell und bunt und fröhlich ist nur die große Parade zum 4. Juli. Es sind die
Farben und die Tradition, die der Gewaltkultur die höheren Weihen verleihen.
Der Regisseur ist in der Konzentration der Inszenierung präsent und in
seinen Schauspielern, die sich in Rufweite eines Oscar bewegen. Sean Penn,
der als ein Nachfolger von de Niro und Paccino erscheint, ist der rächende
Vater, ein Supermarktbesitzer, ein netter Kerl und jederzeit bereit, die
Regeln des Alten Testamentes zu vollziehen. Ein wunderbarer Schauspieler,
der selbst die Melodramatik aushält. Tim Robbins, Dave, mit hängenden
Schultern, in seinem Gesicht nistet unaufhebbar eine graue Angst. Kevin
Bacon, Sean, hat es am schwersten, er spielt die Einsamkeit, und die
Hoffnung, hinter der glatten Fassade.
Laurence Fishburn, der hier Bacons Partner ist, war einer der Protagonisten
der Matrix-Filme. Im Vergleich mit diesen synthetischen Zeitgeist-Produkten
wird so recht deutlich, wie gut dieser altmodische Regisseur Clint Eastwood
ist.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben 2003
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
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