Auch Prominente sterben – auf der Straße
Klaus Gietinger nennt in seinem Buch die 99 bekanntesten Unfallopfer, wirft einen Blick auf ihr Leben und den Moment ihres Todes. James Dean, Helmut Newton, Jörg Haider, Jayne Mansfield, Margaret Mitchell, Albert Camus, Grace Kelly, Falco, Paul Walker – sie alle sind dem allgemeinen Motorisierungswahn zum Opfer gefallen und auf der Straße gestorben …
Ein Kapitel aus 99
Margret Mitchell (1900–1949)
Margret Mitchell hat faktisch nur ein Buch geschrieben, das sie – und das ist eindeutig einmalig – weltberühmt und reich machte und dessen Verfilmung immer noch zu den erfolgreichsten Kinoereignissen aller Zeiten gehört.
Sie wurde am 8. November 1900 in Atlanta, Georgia, als Tochter des Anwalts Eugene Mitchell und seiner Frau Mary Isabell »Maybell« Mitchell geboren. Mary wurde als Suffragette beargwöhnt, sie war also eine Kämpferin für die Rechte der Frauen. Mitchells Großvater war nicht nur Hauptmann in der Südstaatenarmee gewesen, sondern auch der Gründer einer Pferde- bzw. Mulibahn in Atlanta. Die Familie war wohlhabend, Margaret wuchs in einem viktorianischen Haus auf. Nachdem das Kleid der kleinen Margaret einmal Feuer gefangen hatte, entschloss sich ihre Mutter, sie als Jungen zu erziehen, und nahm sie mit auf Suffragettendemonstrationen.
Während der Erste Weltkrieg in Europa tobte, ging Margaret in Atlanta aufs Washington Seminary, schrieb schon Geschichten und wurde von ihren Lehrern gefördert. Ihr erster Freund hieß Clifford West Henry, schenkte ihr einen Verlobungsring und fiel als Soldat im September 1918 zwei Monate vor Kriegsende auf den Schlachtfeldern Frankreichs. Als sie 19 war, durften Frauen in den USA endlich wählen. 1920 machte sie ihren Abschluss, und 1922 heiratete sie Barren »Red« Upshaw. Doch der war Alkoholiker, schlug sie und machte sich schon drei Monate nach der Hochzeit aus dem Staub.
Um danach auf eigenen Füßen zu stehen, arbeitete sie als Reporterin unter dem Namen Peggy Mitchell für das Atlanta Journal Sunday Magazine, wo sie nach eigenen Angaben immer zuerst den Schluss einer Geschichte schrieb und auch mal den damaligen Superstar und Schwarm aller Ladenmädchen, den schwulen Rodolfo Valentino, interviewte. 1924 wurde sie geschieden, und 1925 heiratete sie den besten Freund Upshaws, John Marsh, mit dem sie bis zum Ende ihres kurzen Lebens zusammenblieb.
Ab dieser Zeit begann sie erotische Literatur und Pornos zu sammeln und gemeinsam mit Freunden zu lesen. Gleichzeitig fing sie an, ihren Roman Vom Winde verweht zu schreiben. 1926 wurde sie krank, musste das Bett hüten, verließ das Atlanta Journal und schrieb auf einer von ihrem Mann geschenkten Remington Portable No. 3weiter. Auch als sie wieder gesund war, blieb sie Hausfrau, tippte, kritzelte und klebte zehn Jahre lang an ihrem tausend Seiten starken Südstaatenroman herum.
Im Herbst 1935 machte der Talentscout H.S. Latham eine Reise durch den Süden und traf Mitchell und eine ehemalige Reporterkollegin, Medora Perkerson, zum Lunch. Die wiederum machte ihn auf das Manuskript von Mitchell aufmerksam, das diese jedoch nicht vorzeigen wollte, es sei noch nicht fertig.
Doch noch am selben Abend brachte sie ihm das Manuskript. Latham nahm es an, unter der Bedingung, dass sie noch dran arbeite, was sie noch ein halbes Jahr lang tat. Dann, am 30. Juni 1936, erschien Vom Winde verweht mit einer Auflage von 5000 Stück. Doch der Verlag kam mit dem Nachdrucken nicht nach. Schon in diesem Sommer wurden 50 000 pro Tag verkauft. Zur Stunde ihres Todes waren es weltweit acht Millionen Exemplare.
Das Buch traf die reaktionäre Stimmung seiner Entstehungszeit, ist im Grunde genommen ein Blut-und-Boden-Roman, der die Sklaverei verharmlost und den Süden der Vereinigten Staaten glorifiziert, aber zweifelsohne spannend geschrieben. Mitchell erhielt dafür 1937 den Pulitzer-Preis. Der Roman wurde 1939 unter dem diktatorischen Hollywoodtycoon David O. Selznick – er hatte ihr die Verfilmungsrechte für damals üppige 50 000 Dollar abgekauft – mit dem smarten Clark Gable als Rhett Butler und der schönen, aber etwas überforderten Vivien Leigh als Scarlett O’Hara aufwändig verfilmt. Der Monumentalschinken entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Filme der Geschichte. Berühmt ist die nicht enden wollende Kamerakranfahrt, während Scarlett nach der Schlacht von Atlanta durch die Reihen der Verwundeten geht (Parodie in: Die Simpsons).
Mitchell aber schrieb kein weiteres Buch. Und bald merkte sie auch, dass ihr Rührstück die Situation der Farbigen in den Südstaaten – vorsichtig ausgedrückt – nicht gerade verbesserte.
Ab den 1940er Jahren arbeitete sie ausschließlich ehrenamtlich für wohltätige Zwecke. Unter anderem gründete sie – ein Novum im Süden und vielleicht ihrem schlechten Gewissen geschuldet – Notfallaufnahmen für Schwarze und Weiße am Grady Hospital in Atlanta. Sie engagierte sich auch in der Bürgerrechtsbewegung für die Rechte und die Ausbildung der Schwarzen in Atlanta.
Der Weg in den Tod
Am 11. August 1949 wollte Mitchell in Atlanta, im Stadtteil Peachtree, zusammen mit ihrem Mann (dem Vom Winde verweht gewidmet ist) ins Kino um die Ecke. Laut der New York Times vom 17. August wurde sie beim Überqueren der 13. Straße (!) – andere Quellen nennen die Ecke Peachtree Street/13. Straße – vom Kfz des betrunkenen Taxifahrers Hugh D. Gravitt, 29, angefahren, der (außer Dienst) mit hoher Geschwindigkeit durch die Stadt raste. Gravitt wurde wegen Trunkenheit am Steuer, Geschwindigkeitsüberschreitung und Fahrens auf der falschen Fahrbahnseite festgenommen, aber nach Zahlung von 5450 Dollar Kaution freigelassen. Mitchell kam auf die Notfallstation ins Grady Hospital (die sie mit aufgebaut hatte) und fiel ins Koma. Ab und zu murmelte sie noch etwas Zusammenhangloses und gab merkwürdige Antworten auf an sie gerichtete Fragen. Die Röntgenuntersuchung ergab, dass ihr Schädel vom Scheitel bis zur Wirbelsäule gespalten und ihr Becken zweimal gebrochen war. Ihre Verletzungen wogen so schwer, dass sie am 16. August 1949, 11:59 Uhr Ortszeit starb.
Großmäulig versprach Herbert Jenkins, der Chef der Polizei von Atlanta, nun wegen Mordes zu ermitteln. Gravitt meldete sich freiwillig bei der Polizei. Dass er aber wegen Mordes angeklagt worden wäre, ist nirgends vermeldet, vermutlich erhielt er – wie üblich bei Kfz-Totschlägern – eine geringe Strafe. Der Gouverneur Herman Talmadge, der am State Capitol während der Beerdigung Mitchells die US-Flagge auf Halbmast hatte setzen lassen, versprach, die Vergabe von Taxilizenzen strengeren Regeln zu unterwerfen. Doch er ließ seinem Versprechen keine Taten folgen. Im Übrigen hatte Gravitt zuvor schon 23-mal polizeiamtlich gegen die »Verkehrsordnung« der USA verstoßen.
Straßenverkehrstote in den USA | 1949 | 30 246 |
Straßenverkehrstote weltweit | 1949 | 155 228 |
Straßenverkehrstote weltweit insgesamt | 1896–1949 | 3 315 573 |
Klaus Gietinger
99 CRASHES – Prominente Unfallopfer
17,99 EUR
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