Alles Schlitzaugen
Mit Rob Marshalls Film »Die Geisha« rumpelt der Hollywood-Elefant wieder einmal im asiatischen Porzellanladen
Was war schon groß zu erwarten, wenn der Hollywood-Handwerker Rob Marshall Memoirs of a Geisha verfilmt? Bei dieser Lebensgeschichte der legendären Geisha Mineko Iwasaki handelt es sich um gehobene Supermarktlektüre, die sich einen japanischen Historiengrund für ihre melodramatischen Konstruktionen wählt. Natürlich: Schräg ist das schon, dass die japanischen Frauen von Zhang Ziyi, Gong Li und Michelle Yeoh, also Schauspielerinnen aus China und Malaysia, dargestellt werden. Wie eine Bestätigung des rassistischen Spruchs: Für mich sehen die Schlitzaugen alle gleich aus. Ganz nebenbei wurde das Kunststück fertig gebracht, gleich zwei »nationale Empfindlichkeiten« zu beleidigen. Japanische Kritiker nahmen es übel, dass chinesische Darsteller in einem amerikanischen Film einen (in der Tat nicht unprekären) japanischen Frauen-Mythos verkörpern. Chinesische Kritiker nahmen es übel, dass ein Star des chinesischen Films wie Zhang Ziyi eine Frau des einstigen und irgendwie immer noch »Feindes« verkörperte.
Nun gehört es zu den Konstanten der geschlossenen Weltbilder, die »anderen« durch eigene darstellen zu lassen. Im klassischen Hollywood-Film wurden Asiaten in der Regel, nein, nicht von Amerikanern, sondern von Europäern gespielt: Der Schwede Warner Oland war der Detektiv Charlie Chan, der Deutsche Peter Lorre war Mr. Moto, der Brite Peter Sellers war der böse-komische Dr. Fu Manchu. In einer besonders absurden Kombination spielte der Schwede Max von Sydow Ming den Gnadenlosen, den Gegner von Blondschopf Flash Gordon, und die Italienerin Ornella Muti seine Tochter. Da schien es schon, als bemühte man sich, in den Besetzungscoups zu betonen, dass man nicht »wirklich« Asiaten meinte.
Im Fernsehen stand es noch schlimmer. David Carradine wurde der Held der TV-Serie Kung Fu, die einst Bruce Lee konzipiert hatte, der aber die Hauptrolle nicht selbst spielen durfte – ein »richtiger« Chinese hätte Zuschauer und Sponsoren verärgert. Man kennt diesen Rassismus der ikonografischen Unschärfe; Indianer im Westen waren schließlich auch sehr selten »echte« Indianer (und schwer zu sagen, ob dies dann nicht doch besser so war). Die Grenze zwischen Gedankenlosigkeit und rassistischer Karikatur jedenfalls blieb immer offen.
Aber das yellow-facing in Hollywood hat auch seine Gegengeschichte. Es gibt Sehnsucht und Bewunderung in vielen Hollywood-Filmen, es gibt Bearbeitungen der historischen Schuld, es gibt verdrehte Sympathiebekundungen wie Marlon Brandos liebenswertes japanisches Schlitzohr in Das kleine Teehaus. Und es gibt asiatische Migranten wie den Kameramann James Wong Howe, die auch im alten Hollywood künstlerische Karriere machten. Mit Wayne Wangs Chan Is Missing begann das »Asian-American Cinema« Anfang der achtziger Jahre auch bei einer breiteren Öffentlichkeit Zuspruch zu erzielen.
Eine Reihe von Regisseuren, Schauspielern, Produzenten und Kameraleuten mit asiatischem Hintergrund gelangten in die Zentren der Traumfabrik. Umgekehrt nahm Hollywood Impulse der Neuen Wellen aus Taiwan, Hongkong, Japan und Korea begierig auf. Quentin Tarantino zeigte in seinen Filmen gern, dass man nicht nur von Formen, sondern auch vom spirit des asiatischen Kinos profitierte. Regisseure wie Ang Lee oder John Woo wechselten zwischen den Cinematografien; auch die Remakes asiatischer Erfolge führten nicht immer zu kultureller Aneignung; nicht zuletzt hat Hollywood in dem Blockbuster The Last Samurai sogar Tom Cruise als in der Heimat traumatisierten Helden in die Fremde geschickt: Der neue Held Amerikas muss im Japan der Jahrhundertwende die Werte und Gesten der Tradition retten, was eine ziemlich bizarre Konstruktion ist. Aber anders als bei Die Geisha lässt zumindest die glänzende Verpackung hier noch an eine schmeichelhafte transkulturelle Geste denken.
Der Skandal um den Geisha-Film scheint also eher ein unangenehmer Rückschlag. Und natürlich hat das Missverständnis auch mit einem gewissen Mainstream-Verfahren zu tun. Das betrifft sowohl den Roman von Arthur Golden als auch den Film von Rob Marshall. Beide fabrizieren einen melodramatischen Pseudorealismus, der unbeirrt plumpe Gewissheiten über einer Welt auskippt, die eigentlich nur noch in einer Architektur der Widersprüche zu verstehen wäre. Die Geisha erzählt ein Märchen-Melodram in japanischen Dekorationen und mit japanisch kostümierten Darstellern. So etwas hatten wir schon, als Oper, Operette, Roman und Film. Der Unterschied liegt darin, dass dieses Verfahren nun auf eine auch visuell und erzählerisch globalisierte Welt trifft. In der kunstgewerblich ausgemalten Kinoerzählung vom Dienstmädchen Chiyo (Zhang Ziyi), das zum Superstar unter den Geishas wird, sind Klischees und Maskenspiele nicht mehr nach nationaler Willkür zu verwenden, ohne dass sich Widerstand rührte. Und heutzutage bringt so etwas nicht mehr nur die Gemüter, sondern auch die Märkte in gefährliche Wallungen.
Dabei berührt dieser Film unterschwellig ein Tabu: Die Erinnerung an die Zwangsprostitution während des Krieges durch die japanische Besatzungsarmee ist durchaus noch nicht aufgearbeitet. Im Film aber kämpft die Geisha vor allem mit dem Zickenterror ihrer Kolleginnen. Weder ihre Kleidung noch ihr Tanz noch das sonstige Zeremoniell hat etwas mit dem zu tun, was jeder Besucher einer amerikanischen Kleinstadt-Mediathek wissen kann. Ergebnis ist eine Fantasie-Geisha, ohne Rücksicht auf die durchaus zwiespältige Geschichte und den kulturellen Code, in dem sie steht.
Im Streit um diesen Film geht es aber letztlich auch um einen polyfonen Fundamentalismus. Hier wird ein Mythos des Authentischen konstruiert. Eine Kultur, so der Subtext unter dem Gezeter, kann nur durch sich selbst und in sich selbst beschrieben werden. Das wäre eine cineastische Art von Political Correctness. Wollte man sich dieser Kritik anschließen, so würde man freilich gerade diesen nationalistischen, ja vielleicht sogar den Mythos der Rasse bestätigen.
Die politisch korrekten Reaktionen auf Die Geisha sind also durchaus zweischneidig. Sie rekonstruieren genau den Rassenfetischismus, den es zu überwinden galt. Und sie treffen auf Kinobilder in Asien selbst, die durchaus ihren eigenen Rassismus pflegen, von den »heroischen« Hindi-Filmen in Indien über die antijapanischen Gräuelbilder im Hongkong-Kino bis zum Stereotyp des Verrückten in japanischen Komödien. Wer weiß schon noch, dass Jet Li, der mittlerweile auch in den USA zum Actionstar geworden ist, in seiner ersten Regiearbeit (Born To Defend) im Jahr 1987 eine Propagandaarbeit ablieferte, die »antiamerikanisch« zu nennen wesentlich zu milde ausgedrückt wäre.
Vielleicht also sollte man die Die Geisha-Diskussion eine Stufe herunterkochen: Hollywood verhält sich einmal mehr, wie wir es gewohnt sind, sobald es um die Darstellung von etwas geht, was nicht der Welt des US-amerikanischen, weißen Kleinbürgers entspricht: wie der Elefant im Porzellanladen.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in Die Zeit 12.01.2006 Nr.3
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