Der Gott als Rebell
Es hat vielleicht keinen zweiten Schauspieler dieser Begabung gegeben, der seinem eigenen, überragenden Talent mit solch nachlässiger Nichtachtung, mit solch provozierender Gleichgültigkeit begegnete. Es darf als eine merkwürdige Laune der Natur gelten, dass sie eines ihrer großzügigsten Geschenke an einen Schauspieler vergab, der es nicht als eine Kostbarkeit hielt, sondern damit umher warf als der wohl größte Verschwender der Filmgeschichte.
Und wenn es je einen Rebellen gab in Hollywood, dann ist es dieser dicke alte Mann, der die Rebellen spielte, als er ein Gott war. Denn kein anderer hat sich so konsequent seiner eigenen Legende verweigert. Und kein anderer tat so unbekümmert, was er wollte. Als der junge Regisseur Francis Ford Coppola Brando für den Paten will (1971), lehnt das Studio ab, der exzentrische, schwierige Star hat bald ein Jahrzehnt nur Flops produziert. Doch Brando, als sage ihm ein Instinkt, dass hier Filmgeschichte entsteht, kommt handzahm zu den Probeaufnahmen wie ein Anfänger. Und als sie ihm, es war ein Welterfolg und ein Meisterwerk, den Oscar geben wollen, den zweiten, da nimmt er ihn nicht: Es ist sein Protest gegen den Umgang seines Landes mit seinen Ureinwohnern, den Indianern. Und er schickt eine Indianerin, die ihnen das sagt. Dafür dreht er, im gleichen Jahr, noch ein Stück Filmgeschichte und einen Skandal dazu, Bertoluccis Der letzte Tango in Paris mit Maria Schneider (1972). Es ist die vorletzte seiner wesentlichen Arbeiten, die letzte war, 1979, wieder mit Coppola, Apocalypse Now, eine Figur, so dunkel, so rätselhaft wie die Innenwelt dieses großen Schauspielers.
Alle Welt wusste, dass seine Zeit begrenzt ist, und alle Welt wartete darauf, dass Brando noch einmal eine Abschiedsvorstellung geben würde, grandios wie dieser Schauspieler, überwältigend wie seine Persönlichkeit. Doch sie kam nicht. Brando drehte noch vier, fünf Filme, einfach so, darunter Don Juan DeMarco mit Johnny Depp. Aber das war alles nichts mehr. Es ist, als habe Marlon Brando mit diesem düsteren Colonel Kurtz im asiatischen Dschungel seine künstlerische Biografie beendet. Und das könnte, so wie dieser Mann beschaffen war, eine bewusste Entscheidung gewesen sein. Kein Schauspieler hat je derart leichthändig, derart verächtlich von der Kunst der Menschendarstellung gesprochen. Wenn dieser Schauspieler, der als einer der größten, der edelsten seiner Zunft erinnerlich bleiben wird, über seinen Beruf sprach, dann klang es bald, als murmele jemand den Satz von der Wäsche und den Komödianten. Dabei, er gehörte zu jenen, die das Kunsthandwerk Schauspiel auf jene Ebene führten, da der Menschendarsteller dem Maler, dem Musiker, dem Schriftsteller auf Augenhöhe begegnen darf. Und er verwarf diese Ehre mit einen verächtlichen Handbewegung. Elia Kazan entdeckte ihn 1951 mit Endstation Sehnsucht, später dann Der Wilde und Der Mann in der Schlangenhaut. Leder legte sich um diesen jungen Mann mit seiner beinahe brutalen körperlichen Präsenz als seine selbstverständliche animalische Hülle. Und dazu ein seltsam hilfloses, seltsam bloßes Gesicht, dem alle Körperlichkeit nicht die Ängstlichkeit nahm. Ein Traum für eine Frau, stark wie ein Kerl und schutzlos wie ein Kind. Dieses Gesicht ist animalisch und hilflos in einem, es vermag zu weinen in seiner Weichheit und zu töten in seiner Brutalität. Marlon Brando versöhnte in seiner Kunst die Direktheit des Körpers mit dem Flirren des Traumes. Anders als Doris Day, die am gleichen Tag geboren wurde wie er, und auf einem anderen Stern lebte: Die fröhliche Blonde versöhnte die Welt mit der Hausfrau. So ist es, als habe die Natur an dem Achtzigjährigen, der am 1. Juli 2004 in Los Angelos starb, lediglich vollzogen, was er schon lang beschlossen hatte: Dass er mit diesem Beruf, mit diesem Ruhm und mit dieses Jahrhundert nichts zu tun habe. So konsequent hat kaum je einer seinen erworbenen Ruhm verweigert.
Marlon Brando, dieser fette Mann und einer der bedeutendsten Schauspieler des Jahrhunderts, präsentierte sich mit der Gelassenheit eines Wals. Und das Raunen der Welt schien ihn zu betreffen wie diesen.
Autor: Henryk Goldberg
Text: „Mit Marlon Brando starb einer der wirklich größten Schauspieler aller Zeiten“, veröffentlicht in Thüringer Allgemeine, Juli 2004
Marlon Brando starb am 01.07.2004
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