Ein Missverständnis
Er war 32 Jahre alt, da hatte er einen Welterfolg, da hätte er aufhören sollen, sein Leben einem Irrtum zu weihen: dem, er sei ein Dramatiker. Er hätte eine Art von elder Statesman einer kultivierten Publizistik werden können, ein Publizist, ein Essayist, dessen Namen einen guten Klang gehabt hätte.
Er begann tatsächlich mit einem Welterfolg, einen Erfolg, wie er womöglich in der Geschichte des Theaters singulär ist. Der Stellvertreter thematisierte 1963 die moralische Mitverantwortung des Papstes Pius XII. am Holocaust, der Mitverantwortung durch Schweigen. Aufführungen weltweit, diplomatische Verwicklungen, die Entschuldigung eines deutschen Bundeskanzlers für einen deutschen Schriftsteller. So ein Anfang macht Mut und er mag leicht übersehen lassen, dass dieser zweifelsfrei aufrechte, übrigens auch sehr gebildete, Mann, so viel Bekennermut und Wissen er auch besitzen mag, eines ebenso zweifelsfrei nicht besitzt: eine Sprache.
Nie wohl hat ein deutscher Schriftsteller, der über so wenig Voraussetzungen für die Literatur verfügt, mehr Aufmerksamkeit erregt. Rolf Hochhuth hat manches mal der (west)deutschen Gesellschaft gut getan, der Literatur kaum. Im Rückblick auf sein Wirken wird Hochhuth seine politische Wirkung leicht verwechseln mit seiner literarischen und die Verweigerung seiner Literatur für eine seiner Haltungen nehmen. Hierzu mag auch beigetragen haben, dass die Recherchen zu seinem Stück Juristen (1978) zum Rücktritt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger führten, den Hochhuth mit seiner Vergangenheit als NS-Marinerichter konfrontierte. Das ist ein für einen Publizisten hoch ehrenwerter und Respekt gebietender Vorgang, es macht aber aus dem Rechercheur keinen Schriftsteller, und einen dramatischen gleich gar nicht. Denn Hochhuth kann, nach den Maßgaben der Literatur, nicht nur nicht schreiben, er steht zudem den Bedürfnissen einer Bühne mit hochgradigem Unverständnis gegenüber. Seine Figuren reden nicht nur wie ihr Autor, sie reden überdies so, als stünde dieser an einem Katheder und trüge seine Auffassungen vor mit verteilten Rollen. Kaum ein anderer Dramatiker deutscher Zunge hat die saftig-pralle Sprache des Verlautbarungswesens mit solch anhaltendem Missverständnis als Literatur ausgegeben, seine ungestrichenen Stücke sind eine literarische und dramaturgische Barbarei. Was immer so entsteht, Theater ist es nicht.
Wer daran seine Zweifel hegte, hatte vor einigen Jahren Gelegenheit, Hochhuths eigene Inszenierung seiner Wessis in Weimar in Meiningen zu sehen: Es war so grauenvoll inszeniert wie geschrieben. Das Wessi-Stück steht, wie wohl kaum ein anderes, für das Elend dieser Dramatik. Nicht nur, dass sich die schlichte Schönheit dieser deutschen Prosa nur noch trockenen Mundes erbrechen ließ, hier war nicht einmal mehr die eifernde Haltung gedeckt. Und es baute darauf, dass die Leute im Osten fortfahren würden in einer Haltung, die nach 1989 nicht mehr im Rang einer aus Not geborenen Tugend stehen musste: Die nämlich, das Theater für eine Art Ersatzmedium für die publizistischen Medien zu nehmen. So wurden die Stücke immer schlechter und die Skandale immer kleiner.
Rolf Hochhuth mit seiner unerwiderten Liebe zum Theater, steht dafür, dass Kunst in den Zeiten der tabufreien Medien sich nicht mehr allein vom provozierenden Gegenstand zu ernähren vermag. Hochhuth kann Thesen und Argumente, Figuren und Gefühle kann er nicht. Und in einer offenen Gesellschaft stehen die Provokationen in der Zeitung. So zeigt uns Rolf Hochhuth das tragikomische Bild eines Aufklärers, dessen Botschaften, selbst die vom Pult geschleuderten, durch ihre Maßlosigkeiten nur noch in sympathisierenden Kleinstadt-Zirkeln reüssieren. Und der überdies mit allem Furor an seiner Selbstdemontage arbeitet, nicht ohne Erfolg.
Die versuchte Einflussnahme auf das Berliner Ensemble, dessen Immobilie er über die Ilse-Holzapfel-Stiftung erwarb, erschien wie die Verzweiflungstat eines abgewiesenen Liebhabers, dem Objekt der Begierde unter Einschaltung der Behörden auf den erträumten Leib zu kommen. Seine Vorschläge zur Führung des Hauses, er sah allen Ernstes Martin Walser als Intendanten und Barbara Brecht-Schall als Schirmherrin, gaben ihm in der Wahrnehmung der deutschen Theateröffentlichkeit den Rest.
So hat Rolf Hochhuth, getrieben von der Hybris, ein Schriftsteller zu sein, den guten Namen verfehlt, den er sich hätte erwerben können. Das ist, alle Polemik beiseite, eine tragische Bilanz.
Autor: Henryk Goldberg
erschienen Anfang April 2001 in Thüringer Allgemeine, anläßlich Rolf Hochhuths 70. Geburtstag
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