passion1600

Lauter Liebe

Mel Gibson erklärt, warum die Scheiterhaufen im Namen Christi brannten

Warum hast du mich verlassen? sagt der Mann am Kreuz, und Es ist vollbracht und In deine Hände befehle ich meinen Geist. Es sind Christi letzte Worte, wie sie  verschieden in den verschiedenen Evangelien vorkommen. Mel Gibson verwurstet sie alle in seinem Evangelium des Blutes. Und erzählt doch von einer Religion, deren Kern Liebe heißt.

Tatsächlich erklärt Mel Gibson mit Die Passion Christi den Geist, der die Scheiterhaufen der Inquisition brennen machte, den Geist aller Orthodoxie.
Es ist der, ungesagte, Gedanke, dass, wer soviel Leid ertrug damit das moralische Recht erwarb jeden, der die Ideologie  hinter dem Leid nicht zu
der seinen macht, eben dieses Leid zuzufügen. Mit dieser Haltung versehen kamen wohl Kommunisten aus den Konzentrationslagern in die Zentralkomitees, mit ihr kam das Christentum aus den Katakomben in den Petersdom. Wer, wie Mel Gibson, die Nebensätze der Passionsberichte mit einer derartigen visuellen Aggresivität, mit einer ungebremsten Besessenheit zum Kern seines Erzählens macht, der schafft in der Tat ein fünftes Evangelium, das des Blutes und des Hasses. Der kann tief im Inneren, die Frohe Botschaft nur  so künden, wie sie die christlichen Missionare einst kündeten, wenn hinter ihnen die christlichen Heere standen. Wer nicht müde wird, beinahe zwei Stunden von Gott zu erzählen, indem er einen Menschen peitschen und geißeln lässt, wie es noch in keinem Action-Film vorkam, der hat nicht mit Liebe im Herzen gesprochen. Oder mit jener Art von Liebe, die frösteln macht. Als einer der drei Männer am Kreuz den Christus verlacht, da hackt ein großer schwarzer Vogel ihm die Augen aus. So geht es mit denen, die den einzig wahren Weg zum Licht nicht sehen wollen.

Ich mag diesen Film nicht und wenn ich ein Christ wäre, dann mochte ich ihn wohl noch weniger. Weil ich als Christ keinen Film mögen würde, der ein ganz kleines bisschen erklärt, dass es mit den Scheiterhaufen nicht ganz ohne Grund war.

Vielleicht kann ein sehr orthodoxer Christ keinen wirklich guten Film über  Jesus Christus machen, so wenig, wie ein orthodoxer Marxist einen über Karl Marx,  ihnen fehlt die Souveränität gegenüber dem Stoff. Es wird kein Zufall sein, dass das Evangelium des Kommunisten Pasolini  (1964) noch immer als der weithin beste und ernsthafteste Bibelfilm gilt.

Der Film beginnt mit dem Gebet im Garten Gethsemane in einem fahlen blauen Licht, in Farben wie Gibson sie schon in Braveheart liebte. Hier fallen die ersten Schläge und dieser Rosenkranz an Gewalt wird nun beinahe durchgehend gebetet. Dann das Verhör durch den Hohen Rat der Juden, der Statthalter, Geißelung, Kreuzweg. Theologie oder vielmehr der eigentliche Gedanke hinter dieser Geschichte, der Geist des Christentums, der der Bergpredigt ist, kommt nicht vor. Gelegentliche Rückblenden, der junge Zimmermann, der über seine Arbeit sagt „Das wird sich durchsetzen“, die ungesteinigte Ehebrecherin. Und die Einsetzung des Abendmahls   geschnitten genau in die schlimmsten, die leidvollsten Momente am Kreuz. Das ist korrekt, es ist schließlich das Blut des Neuen Bundes, doch so wird das Abendmahl, die  spirituelle Mitte des Glaubens und der christlichen Gemeinschaft unmittelbar aus der Gewalt hergeleitet  und so empfindet wohl Gibson. Wer die Hohe Messer noch immer in Latein bevorzugt, dem ist das Beharren auf den Originalsprachen Latein und Aramäisch selbstverständlich: es geht, wie bei der Messe, weniger um ein rationales Verständnis als um die Teilnahme an dem rituellen Vorgang. Wenn die Untertitel dann allerdings Amen als „So sei es“ übersetzen, dann ist das
so korrekt wie albern.

Die Frage, ob dieser Film denn nun bewusst antisemitisch sei, muss, wie so oft, etwa in Teilen der Friedman-Debatte, offen bleiben. Gewiss, ein Gesicht im Hohen Rat der Juden wäre Stürmer-tauglich, doch wäre die Erwartung unredlich und albern, eine Menschengruppe, die aus machtpolitischen Interessen die Hinrichtung eines  Mannes fordert, aus lauter politischer Korrektheit als sonderlich sympathisch zu zeichnen. Allerdings, Gibson hat wohl schon hingelangt, soweit es eben geht. Der Widerstand des Pontius Pilatus ist deutlich ausgeprägter als in der Schrift, so größer wird die Schuld der drängenden Juden. Und Gibson stellt, das gibt es nicht in den Evangelien, den geschundenen, den blutüberströmten Schmerzensmann noch einmal vor die Juden und noch einmal fordern sie: Kreuzige ihn. Noch mehr Blut pressen aus dem blutenden Mann, das ist schon deutlich anders als geschrieben steht. Man wird vielleicht nicht sagen können, dass dieser Film antisemitisch sei aber zweifelsfrei verstärkt er den Antijudaismus der Evangelien in einer Zeit, da die Kirchen beider großen christlichen Konfessionen sich um dessen Milderung bemühen. Mel Gibson würde wohl keinem konkreten heutigen Juden den Tod des Herrn direkt anlasten doch so recht vergessen hat er es den Juden nicht. Und wenn er Jesu jüdische Mutter einmal aus der jüdischen Bibel zitieren lässt,   „Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?“ , dann ist es, als wolle er diesen jüdischen Klassiker zum Seder-Abend mit neuer, antijüdischer Bedeutung okkupieren. Es gibt tatsächlich keinen rechten Grund, sich diesen Film anzuschauen. Es sei denn, man empfindet eine Art von Erregung, wenn ein Mann etwa zwei Stunden gequält wird. Auch das kann lauter Liebe sein.

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben  2004

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine