“Letters from Wolf Street – Listy z Wilczej” ist so ein Highlight. Arjun Talwar, der nach Polen kam um an der weltberühmten Filmhochschule in Łódź zu studieren, steht mit diesem „kleinen“ one-man Dokumentarfilm sowohl in der Tradition Agnès Vardas als auch Buster Keatons. Ähnlich wie der Komiker in der Stummfilmzeit bewegt sich der indische Filmemacher staunend in der Ost-europäischen Welt. Über vier Jahreszeiten hinweg macht er in der Straße in der Warschauer Innenstadt, in der er lebt seine filmischen Beobachtungen. Um sein Fremdheitsgefühl zu überwinden, erkundet Arjun das alltägliche Leben seiner Nachbarn. Er filmt einen Postboten und einen Schuhmacher. Er beobachtet eine Metzgerin und eine Kioskbesitzerin. Im einem Tanzstudio lernt er zufällig einen Roma kennen, der der Erste ist, der ihn spontan als familienzugehörig bezeichnet.
Der Film, der gekonnt montiert und kommentiert ist, stellt auf unprätentiöse, scheinbar leichte Art und Weise implizit komplexe Fragen. Wie lange bleibt man ein Fremder? Wie wird Fremdheit überhaupt beschrieben bzw. bezeichnet?

Arjun Talwar
Listy z Wilczej | Letters from Wolf Street
POL, DEU 2025
Regie: Arjun Talwar
Sektion: Panorama 2025
© Vincent Prochoroff
Arjun Talwar zeigt ein vielfältiges, humorvolles und sehr persönliches Porträt des heutigen Polens. Sein vorbehaltsloser, liebevoller Blick ist durchaus kritisch. Wenn man so will ist „Letters from Wolf Street“ das genaue Gegenteil von „Kontinental ´25“ (Wettbewerb), der durchaus Ähnliches versucht – nämlich das Tragische mit Humor zur Darstellung zu bringen. Nur wird Arjun Talwar dabei niemals bitter oder zynisch.
„Die Möllner Briefe“ nehmen den (deutschen) Fremdenhass in den Blick. Es geht um die rechtsradikalen Brandanschläge, die 1992 in Mölln stattfanden, mit Toten und Schwerverletzten. Zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser waren damals betroffen, die Täter riefen „Heil Hitler“ als sie Feuer legten. Heute sind die Mörder von damals wieder auf freiem Fuß.
Die Regisseurin Martina Priessner gibt den Opfern, die mit ihrem Schmerz und ihrer Trauer weitestgehend allein gelassen wurden, eine Stimme und macht auf einen veritablen Skandal aufmerksam. Einer der damals Verletzten, Ibrahim Arslan, entdeckte 2019 durch Zufall hunderte Briefe mit Solidaritätsbekundungen an die Stadt Mölln, die nie nie ihre Adressaten erreichten. Bis heute ist ungeklärt, wie und warum sie in einer Schublade der Verwaltung verschwinden konnten …
Eine grausige Wahrheit von strukturellem Rassismus ist dieser Film. Ebenso jedoch belegt er die Unfähigkeit einer medialen Öffentlichkeit, die weniger an den Opfern rassistischer Taten interessiert ist, als an den Tätern. Ein wichtiger, gut gemachter Film.
Was Krieg, Gewalt, Flucht und Vertreibung bedeuten, zeigt „Khartoum“, ein viel zu wenig beachteter Berlinale-Film. Als im Sudan der Bürgerkrieg ausbricht, müssen ein Beamter, eine Teeverkäuferin, ein Widerstandskämpfer und zwei Straßenjungen fliehen.
Alle wurden das erste Mal gefilmt, bevor die grausamen militärischen Auseinandersetzungen begannen das Land zu zerstören. Später, in Nairobi, wohin die Flucht gelang, wurden die fünf Vertriebenen aus Khartum erneut von den Filmemachern aufgesucht. Diese fanden mit Animationen, Green-Screen-Rekonstruktionen und Traumsequenzen alternative Wege, fünf Menschenschicksale zu erzählen.
Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 25 Millionen Menschen, die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung, von akutem Hunger betroffen, über 8 Millionen Menschen sind auf der Flucht – eine humanitäre Katastrophe, die von der Weltöffentlichkeit kaum beachtet wird. Um so wichtiger ist dieser Film, noch dazu im Rahmen eines Festivals, welches sich als politisches versteht.
Daniela Kloock
- Berlinale 2025 – Highlights jenseits des Wettbewerbs - 21. Februar 2025
- BERLINALE 2025 – Sehenswertes außerhalb des Wettbewerbs - 20. Februar 2025
- BERLINALE 2025 – Filme des Wettbewerbs - 19. Februar 2025
Schreibe einen Kommentar