Wenn man an den reichlich verunglückten Film „Sterben“ (Matthias Glaser) aus dem letztjährigen Wettbewerb der Berlinale zurückdenkt, so bietet das Festival diesmal Tiefgehendes zu diesem, uns alle betreffenden Thema. Hier drei herausragende, gekonnte und geglückte Filme.
Über zwei Monate hinweg durfte Philipp Döring im Franziskus Krankenhaus in Berlin den Alltag auf einer Palliativstation festhalten. Der Film ist ein kleines Wunder innerhalb dieses Festivals, welches einen häufig so leer und ratlos zurückläßt.
Seinem Film „Palliativstation“ gelingt es nicht nur, uns die Angst und Vorbehalte gegenüber einem so gleichermaßen heiklen wie schwierigen Thema zu nehmen, indem er zeigt wie viel Mut, Stärke und ja, auch Humor schwerstkranke Menschen aufbringen. Ohne je ins Voyeuristische zu kippen, hält der Regisseur intime und sehr berührende Momente zwischen Patienten, Pflegern, Ärzten und Angehörigen fest. Die Gespräche konzentrieren sich darauf, den Weg für einen würdevollen und möglichst schmerzfreien Sterbeprozess zu finden.
Als Gegenmodell zur klassischen Schulmedizin verfolgt die Palliativmedizin einen interdisziplinären Ansatz, der den Patienten hilft, möglichst lange selbst Entscheidungen zu treffen. Wie schwierig das sein kann, und mit wie viel Geduld, Empathie und Ruhe hier gearbeitet wird, zeigt der Film aufs Eindrücklichste. Auch der Pflegenotstand, das Dilemma mit Leasing-Kräften und andere strukturelle Probleme kommen zur Sprache.
Das ist ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm. Er läßt nicht nur den unterschiedlichsten Patienten ihren Raum und ihre Würde, sondern hat auch die schier unglaubliche Arbeit und Konzentration des gesamten Pflegeteams im Blick.
Selten ging man nach vier Stunden Kino so bereichert und beschenkt nach Hause, im Bewusstsein darüber, wie wertvoll unsere Lebenszeit ist. Diesem BERLINALE Beitrag – der im übrigen, und das ist bezeichnend, komplett im Alleingang und ohne jegliche Förderung (!) entstanden ist – wünsche ich viele Zuschauer.
Der Spielfilm „Heldin“ der Schweizer Regisseurin Petra Volpe greift ein ähnliches Thema auf. Er beruht auf dem Buch von Madeline Calvelage „Unser Beruf ist nicht das Problem – es sind die Umstände“. Leonie Benesch, die sich hier endgültig in die Reihe der besten bundesdeutschen Darstellerinnen spielt, verkörpert die Krankenschwester Floria Lind. Wir verfolgen ihre Spätschicht auf der onkologischen Station eines Züricher Hospitals. Als sie ihre Arbeit beginnt, läuft noch alles halbwegs okay. Doch dann geraten die Dinge zunehmend außer Kontrolle. Zu vieles muß gleichzeitig erledigt werden. Ein Patient aus dem OP soll dringend abgeholt werden, während ein anderer, verspätet angekommen, genau dorthin gebracht werden muß. Eine verwirrte alte Frau will nach Hause, ein anderer Patient ist völlig verzweifelt, weil er schon den ganzen Tag auf seine Diagnose wartet. Dann raucht auch noch eine schwer krebskranke Frau unerlaubt vor der Station, und ein Privatpatient schikaniert mit Sonderwünschen. Floria stemmt das alles zunächst mit viel Routine und Können bis ihr ein fataler Fehler passiert.
Was sich zum Teil wie ein Thriller-Drama ansieht, flott und gekonnt montiert (leider nervt der komplett überflüssige, dramatisierende Score), dürfte dem Alltag von tausenden Krankenschwestern und -pflegern entsprechen. Der Film schildert sehr detailliert die beruflichen Abläufe, all die routinierten Handgriffe, die vielen Schritte, das ganze Kompendium an Können – nicht zuletzt dank der hervorragenden Kamera von Judith Kaufmann.
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Heldin | Late Shift
CHE, DEU 2025 | Regie: Petra Volpe
Sektion: Berlinale Special 2025
© Zodiac Pictures 2025"
Leonie Benesch
Heldin | Late Shift
CHE, DEU 2025 | Regie: Petra Volpe
Sektion: Berlinale Special 2025
© Zodiac Pictures 2025
Dass Pflegeberufe unterbezahlt sind ist das Eine, aber dass sie nicht viel stärker und vor allem konkreter in den Fokus kommen, ist das Andere. Der Film ist eine gelungene Hommage an Menschen in Pflegeberufen und zeigt aufs Eindrücklichste den Preis, den wir alle für dieses Wegschauen zahlen.
Der Spielfilm „Home Sweet Home“ von Frelle Petersen verfolgt den Alltag einer mobilen Senioren-Pflegekraft. Sie heißt Sofie und fährt mit ihrem Auto überall dahin, wo sie gebraucht wird. Auch Sofie versucht, so wie Floria auch, ihr Bestes zu geben. All das angesichts eng bemessener Zeitfenster, in denen sie die zu betreuenden Menschen versorgen soll. Manche von ihnen sind noch gut mobil, andere ans Bett gefesselt. Manche dankbar, andere schwierig. Alle jedoch verdammt einsam in ihren vier Wänden. Sehr dokumentarisch, sehr nah an der Realität wirkt dieser Spielfilm aus Dänemark, Nicht zuletzt dadurch, dass die „Patienten“ von Laiendarstellern gespielt werden, was dem Film eine zusätzliche beeindruckende Authentizität verleiht.
Auch hier vermag eine tolle Schauspielerin (Jette Sondergaard) die verschiedenen, anspruchsvollen Facetten dieser Arbeit darzustellen. Schnell gerät sie an die Grenzen der Belastbarkeit, worunter ihr Privatleben zunehmend leidet. Während „Heldin“ ein rasantes Tempo vorlegt, läßt sich der Regisseur hier deutlich mehr Zeit für die einzelnen Szenen zwischen den alten Menschen und Sofie. Das bewirkt, daß es geradezu körperlich spürbar wird, was es heißt, alt und hilflos zu sein. Ein weiterer gelungener filmischer Beitrag über eine Realität, vor der wir zu gerne die Augen verschließen.
Daniela Kloock
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