THE ETERNAL MEMORY und NOTRE CORPS |
Was bedeutet es, wenn es kein Erinnern mehr gibt, das Gedächtnis sich verabschiedet, wenn Worte den Adressaten nicht mehr erreichen, und ein Leben dem Vergessen anheim fällt – um dieses gleichermaßen schwere wie sensible Thema dreht sich THE ETERNAL MEMORY.
Selten erlebte man in einem Dokumentarfilm so nah, wie ein real existierender Mensch immer weniger wird, bis er ganz zu verschwinden droht.
Augusto Góngora und Paulina Urrutia leben seit über zwanzig Jahren zusammen. Beide sind Persönlichkeiten des chilenischen Kulturlebens, sie Schauspielerin und spätere Kulturministerin, er Autor, Fernsehjournalist und prominenter Kämpfer gegen das Pinochet Regime. Im Angedenken dieser grauenvollen Zeit hat er ein umfangreiches Archiv angelegt, um dem kollektiven Vergessen der vielen Opfer etwas entgegen zu setzen. 2014 erkrankt er an Alzheimer und Paulina beginnt die alltägliche Momente der fortschreitenden Erkrankung mit einer Videokamera zu filmen. Zärtliches und Humorvolles halten ihre Bilder fest, aber auch Momente der Entfremdung, des Schmerzes und der Trauer. Die Regisseurin Maite Alberdi verbindet diese Aufnahmen mit selbst gedrehten Szenen und mit TV Archivmaterial, welches Augusto bei seiner Arbeit als Journalist zeigt. So erfährt der Zuschauer einiges über dieses politisch ambitionierte Leben. Vor allem jedoch beeindruckt, mit wieviel Zärtlichkeit und Geduld Paulina ihren Mann begleitet.
Krankheit und Tod sind Tabus, erzeugen Angst und Abwehr. Doch dieser Film macht deutlich, dass beides nicht nur Teil unseres Lebens ist, sondern dass es selbst hier schöne Momente geben kann. In Zeiten der zunehmenden eitlen Selbstbespiegelungen ist dies eine der selten gewordenen wahren Liebesgeschichten, traurig ja, aber auch tröstend.
Der Film, der bereits beim diesjährigen „Sundance Film Festival“ mit dem großen Preis der Jury geehrt wurde, ist einer der wenigen Highlights des diesjährigen Panorama Programms.
Auch in NOTRE CORPS tauchen wir in eine Welt ein, die uns normalerweise verschlossen bleibt, bzw. aufs Intim-Private reduziert ist. Der Film der französischen Drehbuchautorin, Schauspielerin und Regisseurin Claire Simon führt in eine gynäkologische Klinik in Paris.
Zahlreiche Gespräche zwischen Patientinnen und Klinikpersonal verdeutlichen das breite Spektrum dessen, was Frauen und ihren Körpern widerfährt. Es geht um ungewollte und gewollte Schwangerschaften, Geschlechtsumwandlungen und Krebserkrankungen. Und immer geht es um ein Leben, ein Schicksal, eine Entscheidung. In vielen Szenen zeigt der Film zum Teil schonungslos direkt, was genau passiert, wenn Untersuchungen und Operationen erfolgen, oder Diagnosen diskutiert, bestätigt und überbracht werden. Wir sehen Hände, Sonden und Zangen in weibliche Körper eindringen, wie Kinder zur Welt gebracht werden oder Spermien im Glas ihr Ei finden. Für zart Besaitete ist manches vielleicht nur schwer auszuhalten. Kaum zu glauben jedoch, dass so viele Szenen so direkt gefilmt werden durften, und dass viele der Frauen uns so offen an ihrem Leid, ihre Hoffnungen teilhaben lassen. Ein dichter, beeindruckender Film – meine unbedingte Empfehlung.
Daniela Kloock
Bild ganz oben: The Eternal Memory von Maite Alberdi | CHL 2023 | Panorama | © Micromunda, Fabula
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