Ein Meisterwerk |
„Drei Winter“ ist ein Film, der seine Geschichte und seine Figuren mit einer Intensität behandelt, die einem glatt umhaut, ein Meisterwerk! Hier nerven weder sinnfreie Dialoge, noch ein wummernder Score, und es gibt auch keine Schau-Spieler. Stattdessen unglaublich überzeugende Laiendarsteller, viel, viel Stille, und ein Tal, wo Menschen nicht vom Tourismus sondern von, in, und mit der Natur leben.
Dass diese der menschlichen Existenz gegenüber vollkommen gleichgültig ist, sich nicht kontrollieren läßt und uns oft genug verzweifelt oder zumindest ratlos zurückläßt, das ist das zentrale Thema von „Drei Winter“. Gleich mit dem ersten Bild, welches zwei Minuten lang einen Felsbrocken in einer vom Nebel durchzogenen Berglandschaft zeigt – man hört entfernt Autos und den Wind – bereitet der Regisseur die Zuschauer darauf vor, daß Sprachlosigkeit, Langsamkeit und genaue Beobachtung den Film prägen. Gleichzeitig steht die Eingangsszene für ein Bild, welches uns nicht vorschreibt, WIE und WAS wir zu sehen haben. Unser Blick, unsere Gedanken können/dürfen wandern.
Etwas später hört man einen Chor, den man nicht sieht. Und dann folgt ein Schnitt, und die Kamera zeigt einen Mann, bzw. seine Rückansicht: Ein starker Nacken, breite sonnengebräunte Schultern, ein riesiger Hinterkopf und Arme, die arbeiten. Holzpflöcke werden eingeschlagen, um eine Kuh-Weide abzutrennen. Der Mann, der wirkt wie ein Bär, das ist Marco (Simon Wisler), die Hauptfigur von „Drei Winter“.
Es wird nicht die einzige körperlich anstrengende Arbeit sein, die die großartige Kamera (Armin Dierolf), quasi ethnografisch-dokumentarisch, in einem wunderbaren 4:3 Format, festhält. Da werden Steilhänge mit Sensen gemäht, riesige Heuballen geschultert, Bäume gefällt und große Steinbrocken umgelegt. Und natürlich spielt das Vieh, vor allem Kühe, auch eine Rolle. Sie grasen nicht nur friedlich auf den Weiden, werden nicht nur begattet, sondern auch krank, geschlachtet und ausgenommen. All dies passiert gleichermaßen beiläufig, wie symbolisch überhöht. Eine Kuh, die nach der Besamung „leer“ bleibt, – so der Tierarzt wörtlich – wird ihr Schicksal mit Marco teilen, in dessen Kopf wiederum etwas wächst, was da nicht hingehört. Ihm bleibt nur eine kurze Zeit, um sein Glück mit Anna (Michèle Brand), die er liebt und heiratet, zu teilen. Nach einem Motorradunfall wird ein Gehirn-Tumor entdeckt, der unheilbar ist und dazu führt, dass er sich charakterlich verändert. Die Liebe wird auf eine schwere Probe gestellt. Was ist, wenn ein Mensch durch Krankheit so beeinträchtig ist, dass er Dinge tut, die inakzeptabel sind? Marco wird unkontrolliert triebhaft, bedrängt Anna immer häufiger sexuell, onaniert vor Julia, der kleinen Tochter von Anna. Da ist der Punkt erreicht, wo er nicht mehr bleiben kann. Lange vorher ist er bereits arbeitsunfähig, jähzornig und antriebslos. Wie Anna mit dieser Situation umgeht, wie sie langsam, nach anfänglicher totaler Distanz und Verstörung, doch wieder Kontakt mit ihm aufnimmt („… er ist doch kein schlechter Mensch.“) und Marco bis zu seinem Ende hin pflegt, zeigt eine menschliche Größe, die dem Film letztendlich eine tröstliche Note verleiht. Drei Winter sind bis dahin vergangen.
Ein Chor, der wie geheimnisvolle smaragdgrüne Blumen aus der Landschaft auftaucht, gliedert den Film wie ein griechisches Drama in fünf Akten. Er nimmt singend vorweg, was passieren wird. „Komm‘ führe mich in Friede, weil ich der Welt bin müde …“ singt der Chor und bereitet damit den Schluß vor. Wie Michael Koch immer wieder die Grenzen zwischen dokumentarischen und fiktionalen Elementen auslotet und verbindet, ist sehenswert.
„Drei Winter“ im Schweizer Original „Drii Winter“, bzw. „A Piece of Sky“ (so der Titel für den internationalen Markt), behandelt existentielle Themen in einer Unmittelbarkeit und Tiefe, die selten zu sehen sind. Das Zitat Leo Tolstois kommt einem in den Sinn: „Wenn du universell sein willst, sprich über dein Dorf.“ Und manche Einstellungen erinnern an den großen Berglandschaftsmaler Giovanni Segantini. So wie er seine Figuren häufig von hinten malte, und sie damit quasi ins Bild hineinschauen, -handeln ließ, so macht das auch die Kamera von Armin Dierhof. Wenn Anna dann stärker ins Zentrum der Handlung rückt, werden hauptsächlich ihr Gesicht, ihre Blicke fokussiert. Michèle Brand ist als Anna unglaublich ausdrucksstark – ihr Spiel ist eine weitere kleine Sensation des Films.
Selten kam man in letzter Zeit so beglückt und beschenkt aus einem Kinofilm. „Drei Winter“, der bei der diesjährigen BERLINALE im Wettbewerb lief und leider nur eine lobende Erwähnung fand, geht als Schweizer Oscarbeitrag ins Rennen, man darf gespannt sein.
Daniela Kloock
Bilder: © GRANDFILM
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Deutschland/Schweiz 2022, 136 Min., OmU-Fassung, Regie, Drehbuch: Michael Koch
Website und Termine: https://grandfilm.de/drei-winter/
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