White Cube“, der neue Film des niederländischen Künstlers Renzo Martens, ist einer der irritierendsten und vielschichtigsten Filme des derzeit stattfindenden Filmfestivals Dok.fest München. Themen und Fragen verschränken sich hier, die nicht nur das Festival, sondern auch die aktuellen politischen Diskurse bestimmen. Rassismus und Kolonialismus, Empowerment, ökonomische und ökologische Ausbeutung, aber auch die Hinterfragung des Kunst- und Kultursystems, all dies greift „White Cube“ auf, ohne je pädagogisch oder moralisch zu werden. Schon allein deshalb hat der Film mein Herz im Sturm erobert.

Dabei macht es Renzo Martens den ZuschauerInnen zu Beginn nicht gerade leicht. Mit breitem Strohhut und blütenweißem Hemd stapft er fast „fitzcarraldomäßig“ durch den Urwald. Doch sobald man zu verstehen beginnt um was es dem Regisseur eigentlich geht, weichen die Vorbehalte. Denn Martens entwickelt sich zu einem unbeirrbaren Kämpfer, der die Theorien von Judith Butler („Kritik der ethischen Gewalt“) und Richard Florida („Theorie der kreativen Klasse“) in Kunst umzusetzen versucht. Soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital will er dahin zurückzubringen, wo es herkommt. In diesem Fall nach Afrika, bzw. in die Republik Congo, zunächst nach Botega, dann nach Lusanga, einem Ort 650 km entfernt von Kinshasa. Lusanga hieß ursprünglich Leverville, nach dem Briten William Lever. Er kam 1911 in den Congo, um dort aus den Palmen jenes Öl zu gewinnen, was er zunächst für Seife, später für Kakao und all die anderen Verbrauchsgüter brauchte, die sein wachsender Konzern produzierte.

Renzo Martens erzählt in seinem Film, wie ihm bei einer Ausstellung der Tate Gallery, wo er seinen umstrittenen Film „Enjoy Poverty“ vorstellte, die zahlreichen Werbe- und Sponsorenplakate von Unilever auffielen. Ab diesem Zeitpunkt wurde ihm klar, daß in allen großen Museen dieser Welt das Geld von Firmen steckt, die ihren Reichtum aus der Ausbeutung von menschlichen und natürlichen Ressourcen beziehen.

Und genau dies ist das Thema seines Films „White Cube“. Man begleitet den Regisseur in den Kongo und sieht dort hautnah unter welchen miserablen Bedingungen die Landarbeiter, die die Früchte der Ölpalmen ernten, nach wie vor leben. 19 Dollar für einen Monat Schwerstarbeit, das reicht nicht einmal fürs Essen. Martens gründet ein Kunst-Kollektiv, das CATPC (Cercle d´Art des Travailleurs de Plantation Congolaise), dort soll Kunst für den westlichen Markt produziert werden und deutlich machen, dass sich damit mehr Geld verdienen läßt als mit der Landarbeit. Ganz im Sinne von Joseph Beuys ermutigt der Regisseur die Bewohner von Lusanga kreativ zu werden. Die Kamera ist immer dicht dabei, und filmt wie rätselhafte Bilder gemalt werden, vor allem aber wie die tollsten Ton- und Strohskulpturen entstehen.

Doch der eigentlich entscheidende Dreh ist eine bittersüße Idee. Martens läßt die Skulpturen in 3D scannen damit sie dort, wo sie später ausgestellt werden sollen, in Schokolade gegossen werden können. In dem „Material“ also mit dem die Konzerne ihre Gewinne machen. Der Verkaufserlös der Ausstellungen soll zurück an die kongolesischen KünstlerInnen gehen. Damit werden die bestehenden Kreisläufe des ausbeuterischen Kunstmarkts umgelenkt. Das Geld geht direkt dahin zurück, woher die Kreativität kommt.

Die Tate Gallery und das SculptureCenter in New York zeigen die Schoko-Skulpturen. Die New York Times berichtet groß auf ihrer Titelseite, und feiert die Ausstellung als beste Kunstpräsentation des Jahres. All dies hält der Film fest, indem die Kamera Mathieu Kasiama nach New York begleitet. Er ist einer der Künstler aus Lusanga und Sprecher des CATPC. Doch Renzo Martens will mehr. Es muß auch ein Museum vor Ort her. Tatsächlich schafft er es, Architekten des von Rem Koolhaas gegründeten Büros OMA zu gewinnen. Und so entsteht mitten auf der Plantage der White Cube. Wie ein aus dem All gelandeter Fremdkörper steht er da, inmitten des satten Grüns auf der roten afrikanischen Erde. Ein unübersehbares Symbol der weißen Dominanzkultur und ihrer Ästhetik. In dieser fremden Umgebung wird er zur architekturgewordenen Kritik an unseren Ausschluss- und Ausbeutungsmechanismen.

Der Film „White Cube“ erzählt jedoch vor allem eine fast märchenhaft wirkende Geschichte. Es ist möglich die Ungleichheit durch Kunst bzw. Kunst-Engagement auszugleichen. Ein „Fiou Fiou“ sei Renzo Martens, sagt Mathieu Kasiama an einer Stelle des Films, ein guter Geist, auch wenn er weiß ist.

Daniela Kloock

Bild ganz oben: White Cube, DOK.fest München

Der Film feierte beim Dok.fest München seine Deutschlandpremiere und ist noch bis zum 23.05. 21 auf der website des Festivals abrufbar.

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White Cube | Niederlande, Belgien, Demokratische Republik Kongo 2020 | Regie: Renzo Martens