Urlaub in einer ganz anderen Zeit
Schräge Vögel, Individualisten und jede Menge Außenseiter fanden sich in der Subkultur Ostberlins der 1980er Jahre. Autark, frei und wild ging es mancherorts zu und entgegen bürgerlicher West- Vorstellungen auch weitestgehend ungefährdet von Stasi- und polizeilicher Verfolgung. Dass die DDR eben nicht nur grau und verrußt und die Menschen nicht nur ge- und bedrückt waren, das will Annekatrin Hendel in ihrem neusten Film „Schönheit und Vergänglichkeit“ unter Beweis stellen.
Im Mittelpunkt steht Sven Marquardt, seines Zeichens berüchtigter Türsteher des Techno-Clubs Berghain, sowie gefeierter Fotograf. Die Regisseurin begleitet ihren nicht uneitlen Protagonisten bei einem Shooting mit seiner ehemaligen Muse Dominique Hollenstein, genannt Dome. 32 Jahre nach ihrer letzten Begegnung will „Mr. Berghain“ sie so ausdrucksstark und authentisch fotografieren wie damals. Damals, das meint die Zeit als die beiden zusammen mit Robert Paris das Gravitätszentrum der Ostberliner Punk-, Künstler- und Underground-Szene waren. Passende Abendroben und Aufbauten für das Shooting werden gesucht, dabei kommen Erinnerungen an das Lebensgefühl der Vergangenheit. Dome, die heute in einer liebevoll verkruschelten Berliner Altbauwohnung lebt, und selbstgebastelte Kunstblumen auf Jahrmärkten verkauft, sagt an einer Stelle des Films, man habe in einer Art Parallelwelt gelebt, autark und frei, wie kein Mensch sonst. Wenn sie heute die Fotografien sieht, die Sven Marquardt von ihr und anderen gemacht hat, käme es ihr vor wie ein „Urlaub in eine ganz andere Zeit“.
Eingeblendete VHS-Aufnahmen zeigen die Partystimmung jener Jahre, tolle selbstgenähte Kostüme und verrückte Inszenierungen. So etwa düsen skurrile Flugmenschen in Lederkluft an langen Seilen hoch unter der Decke des Oderberger Stadtbades hin und her. Dort nämlich fanden zahlreiche der eigenwilligen (Mode)Prozessionen und Aktionen statt. Und die hier Versammelten feierten, ausgelassen und lustvoll.
Der Dritte im Bunde war Robert Paris, Sohn der berühmten Fotografin Helga Paris. Er war der Adonis, der blonde Schönling, der ebenso wie Dome gern und viel von Sven Marquardt fotografiert wurde – ebenso wie viele andere Namenlose, die Marquardt in seinen auratischen schwarz-weiß Portraits festgehalten hat. Hoch artifizielle, eigenwillig inszenierte Bilder sind das, düster und melancholisch. Und alle analog mit hochempfindlichem Film und nur mit natürlichem Licht aufgenommen. Während Sven Marquart also viel Raum für sich, seine Selbstdarstellung und seine Fotos erhält, bleiben die beiden anderen leider eher im Hintergrund. Bescheiden wirkt vor allem Robert Paris, der seit dem Fall der Mauer mit Frau und Kind in Indien lebt und nur noch selten nach Berlin kommt. Auch er ist Fotograf. Jedoch interessieren ihn weniger Menschen als die von Menschen angelegten Strukturen. Stadt- und Straßenszenen, verwitterte Mauern, verwunschene Friedhöfe, triste S-Bahnhöfe – das sind seine Themen. Ost-Berlin damals und heute wird gezeigt. Nicht wiederzuerkennen die Schönhauser Allee – menschenleer und autolos – verschwunden das Gasometer, durchsaniert die Straßenzüge des Prenzlauer Bergs. Auch das Stadtbad in der Oderberger Straße, wo einst die wilden Partys stattfanden, kommt in seiner Bildersammlung vor. Wo sich damals unkanalisierte Lebensenergie ausdrückte, herrscht heute ödes Luxusleben. Ein Fitnessbad für gepflegte Hotelgäste. Berlin, sagt Robert Paris, sei heute nicht mehr SEINE Stadt, sondern nur noch EINE Stadt. Das, was in Ostberlin der 1980er Jahre die einmalige Aura war, ist längst Vergangenheit.
Doch keiner der drei Protagonisten wird beim erinnern nostalgisch oder larmoyant. Schönheit und Vergänglichkeit – ein nicht gerade bescheidener Titel – festzuhalten gelingt dem Film jedoch, wenn überhaupt, nur durch die Fotografien und Kommentare von Robert Paris. Er wäre der mit Abstand Interessanteste gewesen, hätte Annekatrin Hendel ein tiefergehendes Interesse an ihren Figuren oder ihrem Thema.
Die Regisseurin hat sich auf die Fahne geschrieben grundsätzliche Bild- und Blickwechsel auf die Geschichte der DDR vorzunehmen. Das ist toll. Nur leider bleibt der Film weit hinter Erwartungen zurück. Denn weder ist ein Regie- oder Montagekonzept zu erkennen – viele Szenen brechen einfach ab, auch sind die verschiedenen Kamerastile der vier Kameramänner zum Teil deutlich spürbar – vor allem jedoch kann Sven Marquardt, der immer wieder sprichwörtlich aus dem Bild läuft, den Film nicht über 90 Minuten zusammenhalten. Er macht kurzfristig Eindruck, aber mehr auch nicht. Ganz offensichtlich will er nichts preisgeben, was seinem Image schaden könnte. Dome jedoch – so viel läßt sich sagen – ist heute noch genauso schön wie damals.
Daniela Kloock
Bild ganz oben | © itworks
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